Nach den Herbstferien 2020, als in Baden-Württemberg und damit zugleich in der Schule, in der ich tätig bin, auch im Unterricht die Maskenpflicht galt, begann der Unmut im Kollegium, der Elternschaft und der Schülerschaft mit den umgesetzten Maßnahmen, deutlich zuzunehmen. Die Schul- und Kollegs-
leitung war vielfacher Kritik ausgesetzt, da sie in den Augen der einen die Vorgaben zu lasch und in den Augen der anderen zu strikt interpretierte und umsetzte.
Eine Umfrage innerhalb des Lehrerkollegiums zur schulinternen Umsetzung der gebotenen Maßnahmen förderte die große Diskrepanz zutage. Die Ergebnisse waren für alle erhellend: Es wurde sichtbar, dass es eine große Gruppe gab, die im Wesentlichen die Umsetzung der Maßnahmen mittragen konnte und die sich im schulischen Alltag sicher fühlte. Es zeigte sich aber auch, dass es daneben eine kleinere Gruppe von Kolleginnen und Kollegen gab, denen die Maßnahmen nicht weitreichend genug waren und die sich im täglichen Unterricht und beim Bewegen durch das Haus einer großen Gefahr ausgesetzt sahen. Offensichtlich wurde auch die Gegenposition dazu: Kolleginnen und Kollegen, die die Maßnahmen für überzogen hielten, für sich keine Gefahr erkennen konnten und die Vorgaben, wenn man sie nun schon per Verordnung umsetzten musste, gerne großzügiger ausgelegt hätten.
Die Offenlegung der unterschiedlichen Perspektiven auf den gemeinsamen schulischen Alltag war für alle heilsam und förderte das gegenseitige Verstehen. So konnte den einen dadurch geholfen werden, dass ein expliziter Frühstücksraum ausgewiesen wurde und im Gegenzug dazu die Maskenpflicht in den anderen Lehrerbereichen strenger befolgt werden sollte oder dass die Schülerinnen und Schüler explizit darauf hingewiesen wurden, dass sie in der großen Pause bei genügend Abstand keine Maske zu tragen brauchten.
Inzwischen ist das alles schon wieder überholt. Die meisten Jugendlichen haben seit Mitte Dezember Online-Unterricht und sind nur noch über das Medium der Onlinekonferenz erreichbar. Das Lehrerkollegium verliert sich aus dem Blick, weil die meisten von zu Hause aus arbeiten, und auch die Eltern rücken in größere Distanz zum Schulgeschehen, da es keine allgemeinen Elternsprechtage, sondern nur noch einzeln vereinbarte Gespräche gibt. Wie kann Schulseelsorge bei diesem Sich-Auseinanderleben, diesem Sich-und-Andere-Verlieren, eine Hilfe sein, ihr entgegenwirken? Wie kann Schulseelsorge innerhalb der divergierenden Wirklichkeiten, in denen Lehrende, Lernende und deren Familien leben, agieren und Hilfe anbieten?
Gemeinsame Ausrichtung auf Gott
Die erste und wichtigste Aufgabe der Schulseelsorge ist es zu helfen, Trennung zu überwinden, Menschen zusammenzubringen, im Gespräch zu bleiben, Gefühle ernst zu nehmen und den Kontakt zu halten. Es gilt, das Gemeinsame und Verbindende trotz der Trennung zu leben, insbesondere auch das, was die Schulseelsorge von der Sozialarbeit wesentlich unterscheidet: Die gemeinsame Ausrichtung auf Gott wachzuhalten. Denn das ist es ja, was die Beteiligten in einer christlichen Schule verbindet. Die Ausrichtung auf einen Gott, der in Jesus seine Jünger wiederholt auffordert: „Fürchtet euch nicht, habt keine Angst!“
Gemeinschaft wird in gottesdienstlichen Feiern erfahren, im Dom mit der ganzen Schulgemeinschaft oder in kleinen Gruppen in der Hauskapelle. Auf diese Feiern wollten und wollen wir trotz Corona-Verordnungen nicht verzichten und wurden kreativ: So feierten wir zum Schuljahresbeginn im Herbst 2020 die Eröffnungsgottesdienste stufenweise, um Abstände einhalten zu können. Es waren insgesamt sechs Gottesdienste, die wir so gemeinsam feierten. Das war aufwendig für uns als Seelsorgeteam, aber es war uns wichtig, gerade in dieser besonderen Zeit nicht einfach ins Schuljahr hineinzustolpern, sondern uns unter den Segen Gottes zu stellen.
Auch der Gottesdienst vor Weihnachten konnte nicht im üblichen Rahmen stattfinden. Hier erarbeitete ich gemeinsam mit meinem Religionskurs der Oberstufe eine Vorlage für einen Gottesdienst, den die Klassenleitungen am letzten Schultag mit ihren Klassen feierten. Dabei legten die Jugendlichen großen Wert auf ein verbindendes Element: Wir bestellten 800 Kerzengläser mit Teelichtern und gestalteten einen Gottesdienst zum Thema „Jesus bringt Licht in die Dunkelheit der Welt“. Für die Vorbereitungsgruppe war wichtig, den anderen Schülerinnen und Schülern zu vermitteln, dass es trotz der Dunkelheit des Alltags, trotz des ganzen Corona-Durcheinanders ein „Trotzdem“ gibt. Dass eben auch in der größten Dunkelheit Licht erfahrbar ist. Als gemeinsamen Anfang sollten verschiedene Musikerinnen und Musiker auf den zahlreichen Fluren zeitgleich das Lied „Wir sagen Euch an den lieben Advent“ spielen. Bei geöffneten Klassenzimmertüren konnten so alle gemeinsam den Klängen lauschen. Glücklicherweise war der Gottesdienst so rechtzeitig vorbereitet worden, dass wir ihn trotz der vorgezogenen Ferien beinahe wie geplant feiern konnten: Es waren nun die Fachlehrerinnen und -lehrer der ersten Stunden, die mit ihren jeweiligen Klassen feierten. Die Musizierenden zeigten große Spontaneität, auch ohne weitreichende Vorbereitungen zu spielen. So erlebten wir alle musikalischen Klänge, die sehr berührend waren. Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen bauten die Vorlage zu einem für sie und ihre Klasse stimmigen Gottesdienst aus. Sie waren froh, ihren Jugendlichen einen Segen mit in die Weihnachtsferien geben zu können. An dieser Aktion waren alle beteiligt. Die Gemeinschaft war über die Trennung hinweg greifbar und spürbar. Die Teelichtgläser, die mit guten Wünschen beschriftet worden waren, erinnerten in der Zeit des Fernlernens an diese andere Dimension von Schule und bildeten eine Brücke zur Schule und den Klassenkameradinnen und -kameraden.
Zu normalen Zeiten findet beim Halbjahreswechsel am Kolleg St. Blasien eine Vollversammlung der Schule in der Sporthalle statt. Hier gibt es stets einen geistlichen Impuls anlässlich des Pater-Alfred-Delp-Tages (2. Februar) sowie eine Aussprache im Plenum mit der Schülermitverantwortung (SMV). Um auch hier ein verbindendes Element zu haben, initiierte die Seelsorge ein gemeinsames Filmprojekt. Alle Klassensprecherinnen und Klassensprecher waren aufgerufen, ein kurzes Handyvideo zu vorgegebenen Impulsen zu filmen und uns zuzusenden. Diese kurzen Filme ergänzten das Schülersprecher- und Vertrauenslehrerteam mit einigen Gedanken zur aktuellen Situation. Das Seelsorgeteam machte sich in einer Dialogpredigt Gedanken zum Hl. Blasius, dem Patron von St. Blasien. Es folgten der digitale Blasiussegen durch den Kollegdirektor und ein Schlusswort des Schulleiters. Gemeinsam mit einem Kollegen aus der Film-AG entstand so ein 15-minütiger Film, den die Klassenleitungen in einer Klassenlehrerstunde mit ihren Klassen anschauten. Es war schön und wohltuend, viele vertraute und neue Gesichter zu sehen und zu hören.
Nach den Fastnachtsferien feiert das Kolleg gewöhnlich einen gemeinsamen Fastengottesdienst, den „Kollegs-Aschermittwoch“. Hier bereiteten wir in der Seelsorge eine PowerPoint-Präsentation als Anregung zu einer gemeinsamen Online-Andacht für die Klassen mit ihren Klassenleitungen vor. Wieder waren die Klassenleitungen gefordert, mit ihren Schülerinnen und Schülern die geistliche Dimension in der Schule zu leben.
In der Fastenzeit schickten wir zwei Mal pro Woche über die Lernplattform einen Fastenimpuls an alle Beteiligten in der Schule, um damit diese besondere Zeit im Gedächtnis zu halten. Für die Karwoche gab es das Angebot, an Exerzitien im Alltag teilzunehmen. Mit der Unterstufe beteiligten wir uns an einem Angebot für die Karwoche, bei dem man über die Messenger-Dienste wie WhatsApp, Threema oder Telegramm jeden Tag der Karwoche einen Impuls und ein Kreativangebot erhielt.
So konnten wir, wie bisher auch, durch gottesdienstliche Feiern, aber in neuen Formaten Distanz überwinden, die gemeinsame Mitte erfahren und leben. Ein positiver Nebeneffekt zeigte sich darin, dass viele Kolleginnen und Kollegen in die jeweiligen Feiern mit eingebunden waren, für ihre eigene Lerngruppe die liturgische Leitung übernehmen und dadurch auch ihre je eigene Spiritualität mit einbringen konnten. Schulseelsorge erwies sich als Aufgabe des ganzen Kollegiums.
Beraten und Begleiten
Die mit Corona verbundenen Maßnahmen spalten nicht nur, sie machen krank oder verstärken wie in einem Brennglas bestehende Probleme. Es ist ein wesentlicher Bereich unserer Aufgabe als Seelsorgerinnen und Seelsorger, einzelne Jugendliche aber auch deren Eltern sowie das Kollegium zu beraten und zu begleiten. Schule ist mehr als Wissensvermittlung. Menschen sind wir mit Leib und Seele.
Allein seit dem Beginn des Fernlernens Mitte Dezember haben drei Jugendliche ihre Mutter verloren: Unfall, Krankheit und eine uns unbekannte Todesursache. Hier waren in erster Linie die Klassenleitungen Ansprechpersonen, da wir von der Schulseelsorge aus über die Distanz hinweg nur schlecht direkt in Kontakt treten konnten und können, vor allem dann, wenn wir die Jugendlichen noch gar nicht kennen. Die Klassenleitungen verwiesen dann bei Bedarf auf die Möglichkeit der seelsorgerlichen Begleitung und informierten uns, damit wir das Gespräch suchen konnten.
Noch im Oktober kam eine Schülerin zu mir in die Sprechstunde, die eine Freundin in ihrem Heimatland verloren hatte. Sie konnte nicht an deren Beerdigung teilnehmen. Hier galt es Raum zu geben für Erinnerungen und gemeinsames Gebet.
Von mehreren Schülerinnen und Schülern wissen wir, dass sie zu Hause Gewalt erfahren. Diese lassen sich teilweise von unserer Psychologin im Lernzentrum beraten, oder sie wenden sich an Vertrauens- oder Klassenlehrerinnen und -lehrer, die dann selbst beraten oder je nach Situation an mich als Schulseelsorgerin weiterverweisen. Hier gilt es Kontakt zum Jugendamt aufzunehmen und diese Hilfsmöglichkeit an die Jugendlichen weiterzugeben. Ob die Jugendlichen die Hilfe annehmen, haben wir letztlich nicht in der Hand. Wir können zurzeit nicht bei einer Begegnung im Flur, wie sonst möglich, zum Gespräch einladen. Es bleibt ihre Entscheidung, auf unsere schriftlichen Hilfsangebote zu antworten oder eben nicht.
In zahlreichen Lerngruppen sind Jugendliche mit psychischen Problemen, die in der Corona-Zeit neu entstanden sind. Sie wenden sich direkt an ihre Tutorinnen und Tutoren oder an eine andere Vertrauensperson im Kolleg. In einigen Fällen nehmen auch deren Eltern Kontakt zu Klassenleitungen oder zur Seelsorge auf. Hier gilt es offen zu sein für Gespräch, zuzuhören, zu beraten, Kontakte zu externen Beratungsstellen zu vermitteln und für die innerschulische Kommunikation zu sorgen – wobei jede Information, die an Dritte weitergegeben wird, immer mit den Jugendlichen und gegebenenfalls deren Eltern abgesprochen wird.
Wir wissen von Schülerinnen und Schülern, die einen Suizidversuch unternommen haben – ein mehr als deutliches Zeichen der Überforderung und Perspektivlosigkeit. Hier hilft nur professionelle Hilfe der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Bei der Seelsorge melden sich auch Jugendliche aus anderen Gründen, beispielsweise wenn sie sich alleine und vergessen fühlten. Wenn dann noch Sprachprobleme dazukommen, fühlten sich einige im Online-Unterricht ausgeschlossen. Hier hilft je nach Situation ein Videogespräch, um verschiedene Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zu den anderen Kindern der Klasse zu überlegen. Außerdem braucht es in solch einem Fall einen Hinweis an die Klassenleitung, diese Kinder expliziter anzusprechen und zu versuchen, sie auch im Online-Unterricht mehr einzubeziehen.
Im Januar gab es am Kolleg St. Blasien mehrere Corona-Fälle, die sich im weiteren Verlauf als Mutationen erwiesen. In der Folge waren alle Kinder der Notbetreuung, die gesamte Kursstufe und alle Angestellten des Kollegs mit ihren Familien vierzehn Tage lang in Quarantäne (ca. 800 Personen). In dieser Zeit der Untätigkeit rief ein Mitarbeiter der Seelsorge zahlreiche Familien der externen Kursstufe an, um ein Gesprächsangebot zu den Nöten, dem Ärger und dem Frust der Quarantänezeit zu machen. Es ergab sich manch interessantes Gespräch.
Vor den Osterferien eskalierte in einigen Familien die häusliche Situation. Jugendliche hatten vermehrt keine Energie mehr, die täglichen Aufgaben zu erledigen und verfielen in einen Zustand der Gleichgültigkeit oder Aggression. Es trafen bei mir und anderen Kolleginnen und Kollegen Mails von verzweifelten Eltern ein. Sie berichteten von Vorfällen, in denen beispielsweise ein Kind verbal und körperlich aggressiv auf die Eltern reagierte. Um dem Konflikt Raum zu geben und die familiäre Situation zu entspannen, konnte das Kind die Notbetreuung an der Schule wahrnehmen.
In der Mittelstufe kamen Schülerinnen mit dem Druck nicht mehr allein zurecht und versuchten durch Selbstverletzungen an den Armen, den Druck zu lindern. Dies bekamen die Eltern mit, aber eine Schülerin suchte auch persönlich Hilfe im Lehrerkollegium.
Gerade in dem Bereich des Beratens und Begleitens wird sichtbar, dass Schulseelsorge nicht alleine agieren kann, sondern es die Zusammenarbeit mit vielen Menschen braucht, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und zuzuhören. So initiierten beispielsweise die Klassenlehrer eines Schülers, dessen Mutter plötzlich verstorben war, eine gemeinsame Videokonferenz mit dem Schüler und dessen Vater.
Die Kommunikation mit einzelnen Jugendlichen wird durch die Corona-Regeln erschwert: Mit Maske können keine Gesichtszüge gedeutet werden, Mimik fällt aus, nonverbale Kommunikation geht allenfalls noch über die Augen und ist dadurch sehr eingeschränkt. Eine Steigerung erfährt die Situation im Fernlernen: Die Internetverbindungen auf dem Land sind so schlecht, dass alle Schülerinnen und Schüler die Kamera ausschalten müssen, um einen klaren Ton zu erhalten. Dadurch rücken die Jugendlichen in noch weitere Ferne, werden buchstäblich gesichtslos – eine für alle Beteiligten unbefriedigende Situation. Je nach Situation können Einzeltermine zur Beratung in Präsenz oder auch online helfen, diese Distanz zu überwinden. Aber es ist mühsam, für ein Gespräch durch den Schwarzwald fahren zu müssen oder ohne direkten Blickkontakt über den Bildschirm zu kommunizieren.
Besinnungstage und Exerzitien
Ein Bereich, der am Kolleg St. Blasien an die Seelsorge angebunden ist, ist die Organisation und Begleitung mehrtägiger Besinnungstage für Schülerinnen und Schüler der 8. und 11. Klassen und Exerzitien für die Abiturienten. Diese Tage dienen der Selbst- und Gruppenreflexion und ermöglichen die Begegnung mit Gott.
Solche Tage dürfen zurzeit nicht stattfinden. Im Herbst gelang es noch, die dreitägigen Besinnungstage für zwei 8. Klassen ohne Übernachtung auf der kollegeigenen Hütte stattfinden zu lassen: eine gute Zeit des gemeinsamen sozialen Lernens und Spielens, ohne Masken, fern vom Alltag. Im Zeitraum, der für die dritte Gruppe geplant war, waren außerunterrichtliche Angebote dann schon wieder verboten.
Diese Angebote bieten auf die Zukunft hin eine große Chance, um mögliche Schäden und Defizite nach einer Zeit des Lockdowns aufzudecken und im Klassenverbund systematisch zu bearbeiten. Hier gibt es Raum für soziales Lernen, für Austausch in der Gruppe und Selbstreflexion. Auch hier gilt es wieder, zwischen verschiedenen Wirklichkeiten der Jugendlichen Brücken zu bauen, Sorgen und Ängsten Raum zu geben.
Ein Beispiel: Die 10. Klassen sind die letzten Klassen, die (Stand: 17.4.2021) erst übernächste Woche nach mehr als vier Monaten wieder in den Präsenzunterricht kommen dürfen. Um ihnen den Wiedereinstieg zu erleichtern und die Möglichkeit zu geben, wieder miteinander in Kontakt zu kommen, laden wir sie in der kommenden Woche zu je einem „Emmaus-Tag“ ein. Unterrichtsgänge mit einzelnen Klassen sind in der Schul-Corona-Verordnung erlaubt. Wir wandern gemeinsam zu unserer Hütte mit großem Außengelände und bieten die Möglichkeit zur Reflexion der vergangenen Zeit, zum Reden, Spielen und Zusammensein. Wir schließen mit einer gemeinsamen Andacht, in der wir die verschiedenen Gefühle und Erfahrungen vor Gott bringen wollen.
Die Besinnungstage sind Aufgabe vieler Kolleginnen und Kollegen, die sich freiwillig zur Mitarbeit melden. So kann auch das Projekt, mit sieben 10. Klassen (wegen des Zuzugs von internen Schülerinnen und Schülern in der Mittelstufe und wegen des „Aufbaugymnasiums“ für Realschulabgänger vermehrt sich am Kolleg die Zahl der 10. Klassen) je einen Besinnungstag zu gestalten, nur in Zusammenarbeit gelingen. Kommende Woche sind das vorrangig neben dem Seelsorgeteam einige Religionslehrkräfte sowie beide Vertrauenslehrer. Bei anderen Besinnungstagen bringen sich aber auch weitere Kolleginnen ein.
Prävention
Am Kolleg St. Blasien ist die Präventionsarbeit ein Teilbereich der Seelsorge. Ich bin Präventionsbeauftragte des Kollegs. In dieser Funktion berate ich die Kollegleitung in Präventionsfragen, schule Mitarbeitende des Kollegs und bin zuständig für die Präventionsmaßnahmen in verschiedenen Klassenstufen. In Zusammenarbeit mit innerschulischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und außerschulischen Fachstellen schulen wir die Jugendlichen in Fragen des Umgangs mit Sexualität, der Internetsicherheit, der Gewalt- und Suchtprävention. Daneben bieten wir in Anlehnung an das Programm „Konflikt-Kultur“ der AGJ-Freiburg Sozialtrainings zur Mobbingprävention und -intervention an. Kinder und Jugendliche sollen einerseits lernen, die Signale, Wünsche und Bedürfnisse ihrer Mitmenschen ernst zu nehmen, und andererseits auch lernen, Nein zu sagen, wenn ihre Intimsphäre verletzt wird.
Im Herbst, als die Kinder bereits auch im Unterricht Masken tragen mussten, erlebte ich im Sozialtraining mit einer 5. Klasse eine große Ernüchterung. Ich wählte für das Training, das sich an zwei Vormittagen über jeweils ca. vier Unterrichtsstunden erstreckt, einen großen Raum, der direkt neben dem Pausenhof liegt. Es war mein Plan, einige Übungen im Freien mit genügend Abstand und ohne Masken durchzuführen, da ich es wichtig finde, dass die Kinder auch gegenseitig ihre Mimik erleben. Als wir aber dann im Pausenhof im großen Kreis standen und ich den Kindern anbot, die folgende Übung ohne Masken zu erleben, ganz entsprechend den Corona-Regeln, behielten fast alle Kinder die Masken auf. Vermutlich gab es für dieses Verhalten verschiedene Gründe: Zum einen ist da die große Schuldangst, sich anzustecken und dadurch die Angehörigen zu infizieren. Zum anderen ist es die Befürchtung einer Quarantäne, wenn man im Falle eines positiven Corona-Tests in der Klasse nicht sagen kann, dass man die Maske lückenlos getragen hat. Und zuletzt spielt natürlich auch der Gruppendruck eine Rolle: Sobald einige Jugendliche die Maske anbehalten, macht man das eben auch.
Hier ergeben sich für mich Anfragen im Zusammenhang mit den derzeitigen Corona-Regeln: Wie können mit Masken und Abständen Bedürfnisse von anderen erkannt werden, wenn diese nicht klar und deutlich verbalisiert werden? Werden wir der Würde der Kinder und Jugendlichen gerecht, wenn diese ständig eine Maske tragen müssen? Ein umstrittenes Thema. Und wie können wir die Unverletzlichkeit des menschlichen Körpers gewährleisten, wenn zweimal wöchentlich getestet werden soll? Nicht alle Jugendlichen finden das angenehm – und es gibt Eltern, die der Auffassung sind, dass solche Tests ohnehin nur von medizinisch ausgebildetem Personal vollzogen werden dürfen. Außerdem: Wie gehen wir mit der Stigmatisierung der Jugendlichen um, die ein positiver Schnelltest mit sich bringt? In welche Angstsituation bringen wir die uns anvertrauten Jugendlichen durch ein positives Testergebnis? Nachdem sie ein Jahr lang gelernt haben, dass eine Corona-Erkrankung für ihre Eltern und Großeltern lebensgefährlich sein kann, müssen wir die aufkommenden Ängste und Panik ernst nehmen und die Kinder und Jugendlichen gut in solch einer Situation begleiten. Dies alles erlebten wir hautnah, als es vor Weihnachten einige wenige positiv getestete Jugendliche gab. In der Unterstufe geriet eine ganze Klasse in Panik, einschließlich einiger Eltern. Bei positiven Fällen in der Oberstufe waren einige Mädchen völlig außer sich und beschuldigten die Betroffenen, für deren Gefährdung verantwortlich zu sein.
Letztlich braucht es an jedem Testtag eine hausinterne Gruppe von pädagogischem Personal, das die positiv getesteten Kinder und deren Klasse auffängt. Je nach Art des Schnelltests muss je nach Güte der Tests bei durchschnittlich 400 getesteten Personen mit mehreren falsch positiv getesteten Jugendlichen gerechnet werden. Auch hier geht es wieder um die Vermittlung zwischen verschiedensten Gefühlen, Ängsten und Wirklichkeiten, in denen die einzelnen Kinder und deren Familien leben. Und auch dies ist eine Aufgabe, die die Seelsorge nicht alleine übernehmen kann, sondern die auf viele Schultern verteilt werden muss.
Gerade für diesen Bereich der Prävention, aber auch für die anderen Bereiche der Seelsorge, ist es unabdingbar, dass Schulseelsorge Teil der Kollegsleitung ist. Viele wesentliche Entscheidungen müssen die Kinderrechte und das seelische Wohl der Kinder und Jugendlichen im Blick behalten. Die Schulseelsorge hat hier eine anwaltliche Funktion. Auch wenn viele Entscheidungen nicht im Ermessen der Schulen liegen, liegt die Art und Weise der Umsetzung und die innere Haltung im täglichen Umgang damit sehr wohl in schulischer Hand. Die Leitung gibt die Richtung vor, wie die Umsetzung in den Schulen gestaltet wird.
Ein Beispiel für die verschiedenen Möglichkeiten, auf eine konkrete Corona-Situation zu reagieren: Eine Lehrkraft bemerkt in der Hausaufsicht, dass ein Schüler keine Maske trägt. Nun hat sie mehrere Möglichkeiten darauf zu reagieren, die wiederum von der eigenen Perspektive auf Corona und die damit verbundenen Regeln abhängen: Zunächst kann sie die fehlende Maske ignorieren und weitergehen. Eine zweite Möglichkeit wäre, den Schüler aufzufordern, sofort die Maske aufzusetzen mit dem Verweis, dass er bei fehlender Maske schuld daran sei, wenn die Großmutter der Lehrkraft an Corona sterben würde. Beide Möglichkeiten sind unbefriedigend, weil extrem – aber sie kommen vor. In einer solchen Situation gilt es zum Beispiel, den Schüler auf die fehlende Maske mit dem Verweis aufmerksam zu machen, dass dies die Bedingung ist, unter der es momentan erlaubt ist, überhaupt die Schule offen zu halten. So wird deutlich, dass es nicht in der persönlichen Befugnis der Lehrkräfte liegt, über das Tragen von Masken zu entscheiden. Andererseits wird so vermieden, auf die Schiene der Schuldangst zu springen.
Grundlegende Haltungen der Lehrkräfte zu Corona spiegeln sich im schulischen Alltag wider: Kann ich es ertragen, dass Jugendliche gerne nebeneinandersitzen, dass sie sich auch mal umarmen, sich etwas ins Ohr flüstern, oder fühle ich mich dadurch selbst gefährdet und gerate in Panik? Das Spektrum der eigenen Gefühle bezüglich Corona innerhalb der Schule ist groß. Ich sehe es aber als die wesentliche Aufgabe der Erwachsenen an, den Jugendlichen einen angstfreien Umgang mit Corona zu vermitteln, trotz allem Respekt vor dieser Krankheit.
Soziales Engagement
Ein letztes, aber nicht weniger wichtiges Aufgabenfeld der Seelsorge am Kolleg St. Blasien ist die Betreuung von außerschulischem sozialem Engagement sowie die Organisation des zweiwöchigen Sozialpraktikums der Jugendlichen der 11. Klassen. In der Hausaufgabenbetreuung von Flüchtlingskindern aus der Grundschule, wöchentlichen Gruppenstunden mit den Kindern der 5. Klassen, bei Besuchen von alten Menschen im Pflegeheim oder im verpflichtenden Sozialpraktikum erfahren sich die Jugendlichen als „Menschen für Andere“. Sie lernen, Verantwortung zu übernehmen und erleben ihre positive Wirkung auf andere Menschen, die in irgendeiner Weise auf fremde Hilfe angewiesen sind.
Manche dieser Dinge sind zurzeit nicht möglich, andere nur modifiziert. Beispielsweise dürfen die alten Menschen nicht besucht werden. Stattdessen werden Briefe geschrieben. Wenn ein Mitarbeiter des Pflegeheims Zeit findet, den Brief mit dem alten Menschen zu beantworten, ist die Freude groß. Einige der Jugendliche können auch mit ihren Kontaktpersonen in den Altersheimen telefonieren.
Vor Weihnachten, als die Nachhilfe für die Flüchtlingskinder aus der Grundschule noch möglich war, meldeten sich einige sonst sehr zuverlässige Jugendliche ab, da sie Angst hatten, sich anzustecken und die Infektion in ihre Familien zu tragen. Hier wurde wieder die große Spanne von Wirklichkeiten sichtbar, in denen die Jugendlichen leben. Es galt, die Ängste ernst zu nehmen und die Schülerinnen und Schüler zu ermutigen, entsprechend ihren eigenen Gefühlen und Sorgen zu agieren, ihnen und ihrer Entscheidung Raum zu geben.
In diesem Bereich des sozialen Engagements liegt für die Zeit nach Corona ein großes Potenzial: Ermöglicht doch das Selbst-Tätigsein den Jugendlichen, aus einer Opferrolle auszusteigen und sich als selbstwirksame und gebrauchte Menschen zu erfahren: eine Hilfe zur aktiven Verarbeitung dieser Zeit der Passivität und der Erfahrung des Ausgeliefert-Seins.