Klapheck, Elisa (Hg.) / Brumlik, Micha / Heschel, Susanna: Juden. Islam. Ein neues Dialogszenario (Machloket/Streitschriften 6).
Leipzig: Henrtrich & Hentrich 2022. 78 S. Kt. 9,90.
Eine Disputatio wird im Talmud Machlocket genannt: ein Streitgespräch unter Rabbinern, wobei Rede und Gegenrede bewahrt und in den Dienst der Fragestellung gestellt werden. Machlocket nennt nun Rabbinerin Elisa Klapheck ihre Schriftenreihe, in der Juden über Gegenwartsfragen diskutieren. Gesellschaftliche und politische Fragen sind bereits diskutiert worden. Die vorliegende Nr. 6 stellt sich dem Dialog mit dem Islam.
Im längeren Vorwort schreibt Klapheck, der jüdisch-muslimische Dialog sei in überschaubaren Kreisen in vollem Gang. Vorurteile und Antisemitismus würden abgebaut, indem gemeinsame Wertvorstellungen aus der jüdisch-arabischen Kultur ins Bewusstsein gerufen werden und jene Interessen leiten, die aus der Tatsache entstehen, dass Juden und Muslime in Europa je Minderheiten sind. Zwei Punkte würden jedoch ausgeklammert: die politische Situation im Nahen Osten und die beiden Traditionen mit verschiedenen theologischen Wertvorstellungen zu beurteilen. Das Streitgespräch zwischen Micha Brumlik und Susanna Heschel gilt aber nicht dem jüdisch-muslimischen, sondern dem jüdisch-islamischen Dialog, also dem religiösen Dialog. Die Frage, wie mit negativen Aussagen im Islam über Juden umzugehen ist, will Klapheck ihren beiden streitenden Juden stellen. An polemischen Stellen dürfe der Dialog weder vorbeigehen noch scheitern.
Brumlik betont, dass es – im Unterschied zum Christentum – im Islam keinen „systematischen Antijudaismus“ (20) gebe, obwohl es auch tödliche Feindschaft zwischen Muhammed und jüdischen Stämmen gab. Es sei der „Sozialneid“ (20) der zuweilen zu antijüdischen Pogromen geführt habe. Das Verhältnis des Islam zu Juden müsse heute jedoch über die traditionelle Toleranz hinausgehen. So bespricht Brumlik problematische Stellen im Koran, zeigt historische Beziehungen in Al-Andalus sowie im Jemen auf, stellt Juden vor, die zum Islam konvertierten, und streicht auch im 20. Jh. die positiven Verhältnisse zwischen Deutschland und den arabischen Staaten heraus. Er kommt zum Schluss, weniger die Tora als vielmehr die Juden würden kritisiert.
Heschel setzt methodologisch an, indem sie den Islam nicht nur als Religion von normativen Texten sieht und auf die große Ambiguität des vormodernen Islam hinweist. Bei der Frage nach den Juden im Koran verweist sie darauf, dass viele rabbinische Themen in ihn eingeflossen sind. Die Juden würden positiv wie negativ gezeichnet, zuweilen auch als „Anti-Religion schlechthin“ (57), zitiert sie Ze’ev Maghen zustimmend. Die Konflikte mit Juden aus der Entstehungszeit des Islam benennt sie offener als Brumlik. Sie unterstreicht die intensive Islamerforschung durch Juden seit dem 19. Jhd. und fordert weiterhin intellektuelle Kreativität, die heute entscheiden muss, an welchen Stellen der Geschichte oder Exegese sie im Dialog anknüpfen will. Themen wie die transnationale Identitätsmigration, komparative Studien zur arabischen Renaissance und zur jüdischen Aufklärung oder die feministische Religionskritik schlägt Heschel zudem für einen zukünftigen jüdisch-islamischen Dialog vor.
Die beiden Aufsätze von Heschel und Brumlik lesen sich auch für Nicht-Juden mit Gewinn. Gemäß dem Titel der Schriftreihe hätte durchaus noch eine direktere und konfrontativere Auseinandersetzung geführt werden dürfen. Der etwas beschönigende Duktus bei Brumlik ist wohl einer unnötigen Absetzung gegenüber dem jüdisch-christlichen Verhältnis geschuldet. Heschel ist nicht nur wegweisender, sondern auch theologischer, wie es dem Ansinnen des Buches entspricht.
Christian M. Rutishauser SJ
Bucher, Rainer: Es ist nicht gleichgültig, an welchen Gott man glaubt. Theologisch-biographische Notizen.
Würzburg: echter 2022. 176 S. Gb. 16,90.
Der Grazer Pastoraltheologe legt hier eine Sammlung kurzer theologischer Skizzen vor, die teilweise auf Radiobeiträge und auf Artikel zurückgehen. Was wie ein Sammelsurium aussehen könnte, erweist sich aber als klug durchkomponierte Symphonie, die in einem großen Bogen wesentliche Themen des Glaubens, der Kirche und der christlichen Existenz angeht. Die häufige biografische Grundierung der Texte macht die Lektüre leichter, geerdeter, persönlicher. Die Texte sind auch einzeln gut lesbar und immer anregend.
Bucher erzählt von seiner Heimatstadt Bayreuth und seinem intensiven, auch ambivalenten Verhältnis zu Richard Wagner. Er schreibt über seine Elternschaft: „eine einzige Schule der Demut“; auch eine „der Selbsterkenntnis und sie lehrt Ehrlichkeit und Tapferkeit. Es ist gut und gerecht, dass sich auch Väter dieser Konfrontation immer weniger entziehen können. Denn sie ist pures, dichtes, volles Leben“ (22 f.). Über Gott redet Bucher dankenswerterweise zurückhaltend, eher scheu, ehrfürchtig. Er zitiert immer wieder große Literatur, spricht auch über die dunklen Aspekte der Religion und über den Gottesglauben in moderner, säkularer Kultur. Beim Glauben Jesu – „die Evangelien waren mir immer näher als Paulus“ (59) – behandelt er eindrücklich den Schrei der Gottverlassenheit am Kreuz (51 ff.). Bucher kennt genau die Theologie- und die Christentumsgeschichte und streut immer wieder erhellende Erkenntnisse ein. Später geht es nochmals um Umfassendes: um die Welt und um das Böse, um Konflikte und um den „spätmodernen Kapitalismus“ als vorherrschender Kultur. Endlich liest man Wichtiges auch über die Pandemie: „Wir sind frei und sollten es sein und sind doch in unserer Verletzlichkeit unendlich angewiesen auf die Liebe anderer“; „was am meisten hilft und was man daher am meisten braucht in der Krise, die das Leben zuletzt immer ist: Gottvertrauen“ (105). Die Heimat, die wir begehrend immer suchen und erst nach dem Tod ganz finden werden, den Alltag mit seinem Leiden anzunehmen, das Paradies zu ersehnen. Im nächsten Kapitel geht es zunächst messerscharf über den Verrat und die Pathologien einer Kirche, die sich nicht erneuern will, am Ende aber versöhnlich über das christliche Leben und über Maria als „Mutter der Schmerzen und Mutter der Barmherzigkeit“ (166).
Buchers Buch enthält eine unabsehbare Fülle an klugen Nebengedanken und zugleich die stetig durchgehaltene Perspektive eines modernen, ganz in der Zeit und in einem tiefen Glauben wurzelnden Christentums. Vielleicht ist das Buch schon eine Summe des jahrzehntelangen Sinnens und Reflektierens seines Autors. Es zeigt ein zuhöchst kritisches und scharfes Denken und zugleich die Heiterkeit eines Christen, der in einem lebendigen Gott verwurzelt ist – bei dem es eben nicht gleich ist, an welchen man glaubt.
Stefan Kiechle SJ
Joas, Hans: Warum Kirche? Selbstoptimierung oder Glaubensgemeinschaft.
Freiburg: Herder 2022. 240 S. Gb. 22,–.
Hans Joas fragte in der Herder Korrespondenz (12/2021, 15): „Warum denken trotz gestiegener Austrittszahlen die meisten Kirchenmitglieder, auch ich selbst, nicht an Austritt?“ Ich lese das als eine Warum-Frage, die auf Staunen basiert. Mir geht es ja genauso. Sicherlich bezieht sich „Austritt“ nicht bloß auf die Entscheidung, keine Kirchensteuer mehr zu zahlen. Auch wäre es für mich als Angestellter in der Kirche oder als Ordensmann völlig undenkbar, innerlich aus der Kirche auszutreten, aber äußerlich zu bleiben, weil meine ökonomische Existenz nun mal an dem Laden hängt. Ginge das überhaupt: innerlich austreten, äußerlich bleiben? Oder umgekehrt: innerlich bleiben, äußerlich austreten? Meines Erachtens nicht. Warum nicht, dazu finden sich vertiefende Überlegungen im vorliegenden Buch.
Joas geht vom Staunen aus. „Eine Soziologie der Kirche hat nun meines Erachtens, anders als eine rein praktisch orientierte Kirchensoziologie, zu ihrem Ausgang die Staunen erregende und zum Nachdenken zwingende Tatsache zu nehmen, dass es so etwas wie Kirche überhaupt gibt“ (28). In zehn Beiträgen geht er diesem Staunen nach. „So etwas wie Kirche“ ist eben nicht in univoker Eindeutigkeit zu beschreiben. Natürlich kommt Joas dabei sein enzyklopädisches Wissen um historisch-soziologische Zusammenhänge zugute. Die zur Straffung und Verknappung drängende Form der einzelnen Beiträge macht Überblicke und Weitung der Perspektiven möglich. Es gelingt dem Autor dabei, Komplexität nicht zu reduzieren. Er verbindet große Überblicke mit aktuellen, auch persönlich gehaltenen Bezügen, etwa was „Erfahrungen von Selbsttranszendenz“ (117-142) betrifft, aber auch bei befremdlichen Begegnungen mit Banalisierungen der Fragestellung zum Beispiel in Talkshows („Scobel“ auf 3Sat, 53). Konstruktiv „befremdlich“ hingegen blickt Joas mit den Augen des „authentischen Atheisten“ Leszek Kolakowski auf das Phänomen Kirche (143-166), oder ganz anders mit Alfred Döblins Erzählwerk „November 1918“ auf das Phänomen der Konversion – im Falle Döblins: Konversion zum Katholizismus, eine Konversion, die sich aber nicht in den unterschiedlichen Konversionsbewegungen des Romans in einer eindeutigen Form von „Kirchlichkeit“ widerspiegelt (117-142).
Joas hat gelegentlich einen skeptischen Ton, den man auch als demütig bezeichnen könnte. Das betrifft die Reflexion auf Organisationsprobleme bei der gewünschten „Demokratisierung“ der Kirche (50 ff.); die Tendenz, alle Debatten um das kirchliche Selbstverständnis dem von Michel Foucault geprägten Macht-Diskurs unterzuordnen (47); nicht zuletzt Skepsis gegenüber einer neuen Gestalt von europäisch-bürgerlicher Christenheit, deren Wahrnehmungsfähigkeit gegenüber der Weltsicht und den Interessen derjenigen Menschen „nur wenig entwickelt ist“, die nicht zu ihr gehören – und dies vor dem Hintergrund von Joas‘ Überzeugung, dass die Schwächung des Christentums im 19. Jahrhundert mit der Verbürgerlichung und dem Verlust des Kontaktes zwischen Kirche und Arbeiterschaft zu tun hatte, eine Tendenz, die sich unter anderen inhaltlichen und sozialen Prämissen heute fortsetzen könnte (226 ff.). Also: Skepsis, und doch: ein ermutigendes Buch. Denn das Staunen über Kirche bleibt und wird während der gesamten Lektüre nicht weniger.
Klaus Mertes SJ