Obwohl Algerien der Fläche nach der größte Staat Afrikas ist, wird seine Bevölkerung auf lediglich 43 Millionen geschätzt. Die Amtssprache des Landes ist (klassisches) Arabisch und seit 2016 auch Tamazight (Berberisch) – allerdings kommuniziert man für gewöhnlich in algerischem Arabisch, Berberisch oder Französisch. Der Staat liegt am Mittelmeer und grenzt auf einer Länge von mehr als 6.000 km an Tunesien und Libyen im Osten, an Mauretanien, Marokko und die Westsahara im Westen sowie an Niger und Mali im Süden. Die geografische Lage und die ereignisreiche Geschichte des Landes stehen in engem Zusammenhang – Algerien liegt an der Kreuzung von drei Welten: der arabischen, der europäischen und der afrikanischen.
Historische Persönlichkeiten wie der römische Bischof und Kirchenlehrer Augustinus von Hippo (354-430), die Berberkönigin Kahina (gestorben 701), der Freiheitskämpfer und Gelehrte Abd el-Kader (1808-1883) oder auch der Mathematiker und politische Aktivist Maurice Audin (1932-1957) sind Teil des historischen Erbes Algeriens und machen das Land zu einem kulturellen Schmelztiegel, auch wenn es ideologische und politische Strömungen gibt, die das Land als monokulturell und monolithisch darstellen wollen.
Das Gebiet des heutigen Algeriens stand in seiner Geschichte unter den Einflüssen verschiedenster Kulturen, Religionen und Großmächte. Dazu zählen unter anderem die Karthager, Numider, Römer, Vandalen, Berber und verschiedene islamische Reiche, etwa die Osmanen, welche das Land ab 1574 beherrschten. 1830 eroberte Frankreich den Maghreb – ein Prozess, der zwischen 1830 und 1847 von gewaltsamen Aufständen begleitet war. Der Norden Algeriens wurde Teil des französischen Staates. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es den nationalistischen Befreiungsbewegungen, sich der Kolonialherrschaft zu widersetzen. Im Jahr 1962 erlangte Algerien nach einem langjährigen Kolonialkrieg die Unabhängigkeit. In der Folge verließen etwa eine Million in Algerien lebende Europäer („pied noirs“, „Schwarzfüße“, wie sie sich selbst nannten) das Land; ebenso Tausende Algerier, die in der französischen Armee dienten. Nach Erlangung der Unabhängigkeit setzte sich in Algerien unter der Herrschaft der Nationalen Befreiungsfront (FLN) ein islamisch geprägter Sozialismus durch. Die Armee sicherte die staatliche Ordnung. In den 1990er-Jahren tobte in Algerien ein Bürgerkrieg, dem über 100.000 Menschen zum Opfer fielen. Auslöser für den Krieg waren Parlamentswahlen, in denen die Islamische Heilsfront die Mehrheit errang. Die Armee organisierte daraufhin einen Staatsstreich und lieferte sich kriegerische Auseinandersetzungen mit den militanten Islamisten. Der im April 1999 mit Unterstützung des Militärs zum Staatspräsidenten gewählte Abdelaziz Bouteflika leitete Prozesse der nationalen Aussöhnung in die Wege. Die Macht lag weiterhin bei den Militärs aus dem Unabhängigkeitskrieg von 1954 bis 1962.
Als der Langzeitpräsident Bouteflika 2019 ankündigte, eine fünfte Amtszeit anzustreben, formierten sich in Algerien friedliche Massenproteste (Hirak, wörtlich übersetzt „Bewegung“). Die Bewegung fordert seitdem – auch über den erzwungenen Rücktritt Bouteflikas im April 2019 hinaus – einen radikalen Bruch mit der bisherigen Politik und ein entschiedenes Eintreten gegen Klientelismus und Korruption. Aktueller Präsident, der im Dezember 2019 demokratisch gewählt wurde, ist Abdelmajid Tebboune. Er war bereits Minister und Premierminister unter Bouteflika und steht nicht für den erhofften Neubeginn.
Auch wenn keine offiziellen statistische Daten zu den verschiedenen Religionen in Algerien vorliegen, kann man sagen, dass etwa 98% der Algerier dem Islam anhängen, der den Rhythmus des öffentlichen und privaten Lebens bestimmt.
Islam
Gemäß Artikel 2 der Verfassung ist der Islam Staatsreligion. Dabei handelt es sich um den sunnitischen Islam malikitischer Rechtsschule. Dieser Islam wird offiziell gelehrt, und die Behörden achten gewissenhaft darauf, dass sich keine anderen Rechtsschulen entwickeln können.
Allerdings gibt es eine kleine Minderheit der ibaditischen Rechtsschule, die jedoch keinen speziellen rechtlichen Status besitzt. Die überwiegende Mehrheit der Angehörigen dieser Rechtsschule gehört einer ethnischen und sprachlichen Minderheit an, weswegen sie oftmals ihre eigenen Moscheen, Schulen, Religionskurse und Riten, wie Hochzeiten und Beerdigungen, haben. Es hat Bemühungen von Seiten des nationalen Bildungsministeriums gegeben, Anspielungen auf die Ibaditen als „Verräter des Islam, Ungläubige, Abweichler“ usw. aus den Schulbüchern zu streichen. Derartige diskriminierende Bezeichnungen waren dort noch bis Anfang der 2000er-Jahre zu finden.
Die Zaouias oder Sufi-Bruderschaften sind in Algerien sehr präsent. Der malikitische Volksislam selbst wird von modernistischen, reformistischen und salafistischen Strömungen durchzogen, die nicht immer harmonieren. Die Regierung hat sich bisher für die Förderung eines „Islam des mittleren Weges“ (oder „Córdoba-Islam“) entschieden. Es gibt auch Algerier, die der islamischen Strömung Ahmadiya angehören; meist haben sie sich dieser Gemeinschaft erst kürzlich angeschlossen. Sie werden von den algerischen Behörden als „Ketzer“ und als „gefährlich“ bezeichnet und müssen mit Verhaftung, Verurteilung und Bestrafung rechnen.
Christentum und Judentum
Das Christentum ist seit seinen Anfängen in Nordafrika vertreten. Der heilige Augustinus etwa ist in Tagaste, dem heutigen Souk Ahras geboren. Zu seiner Zeit gab es in Nordafrika über dreihundert Diözesen. Mit der Eroberung des Gebietes durch arabische Muslime ab dem 7. Jahrhundert wanderten viele Christen nach Europa aus, andere bekehrten sich zum Islam. Bis ins 11./12. Jahrhundert existierten noch kleine christliche Gemeinden. In den folgenden Jahrhunderten lebten in Nordafrika hauptsächlich christliche Sklaven.
Mit der Eroberung Algeriens durch Frankreich stieg auch die Zahl der Christen im Land wieder an. So lag bis 1962 allein die Zahl der Katholiken bei etwa einer Million. Nach Erlangung der Unabhängigkeit verlor die katholische Kirche viele ihrer Mitglieder und konzentrierte sich auf ihr soziales Engagement zugunsten der muslimischen Bevölkerung. In den letzten Jahrzehnten stieg der Anteil christlicher Studierender und Migranten aus subsaharischen Ländern an den christlichen Gemeinschaften in Algerien. Die katholische Kirche zählt vier Diözesen (Erzbistum Algier sowie die Bistümer Laghouat, Constantine und Oran). Die Zahl der Katholiken wird auf etwa 12.000 Personen geschätzt, die über das ganze Land verteilt sind.
Die katholische Kirche genießt das Wohlwollen der algerischen Behörden. So haben sich die Behörden an der Restaurierung von Gebetsstätten finanziell beteiligt und bei katholischen Veranstaltungen logistische Unterstützung geleistet, wie etwa bei der Seligsprechung der 19 Märtyrerinnen und Märtyrer Algeriens in Oran am 8. Dezember 2018.
Die protestantische Kirche Algeriens (Eglise Protestante d‘Algérie, EPA) gibt an, 23 Gemeinden mit rund 20.000 Gläubigen zu haben. Insbesondere freikirchliche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sprechen dagegen von mehr als 350.000 Christen verschiedener Konfessionen. Die Mitglieder der verschiedenen protestantischen und charismatischen Gemeinschaften sind fast ausschließlich Algerier, die sich zum Christentum bekehrt haben und überwiegend in dem Gebiet der Großen Kabylei wohnen. Die in der EPA zusammengeschlossenen Gemeinden werden häufig von den algerischen Behörden ins Visier genommen. Allerdings hat die EPA es bisher nicht geschafft, dem Gesetz von 2012 über (zivile) Vereinigungen zu entsprechen. Einer der Hauptgründe scheint die Tatsache zu sein, dass die Protestanten überwiegend Algerier sind, die vom Islam konvertierten. Ein weiteres Gesetz über religiöse Vereinigungen ist schon seit langer Zeit angekündigt, wurde jedoch noch nicht ausgearbeitet. Die anglikanische Kirche (nur eine Pfarrei und ein ansässiger Priester) befindet sich im Prozess ihrer Anerkennung.
Die ägyptischen (orthodoxen) Kopten, die aufgrund von Auslandsverträgen als Expatriates im Land leben, sind zwar zahlreich, besitzen aber weder eigene Gotteshäuser noch einen ständig vor Ort ansässigen Priester. Wenn ein koptischer Priester ein Einreisevisum für Algerien erhält, feiert er den Gottesdienst in katholischen Kirchen. In der griechischen Botschaft gibt es eine kleine orthodoxe Kapelle, die in den seltenen Fällen genutzt wird, in denen ein orthodoxer (nichtkoptischer) Priester ein Visum erhält.
Bei den Juden in Algerien handelt es sich um eine kleine Gemeinschaft, die sich aus Frankoalgeriern oder Franzosen jüdischen Glaubens zusammensetzt, die Algerien zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit 1962 verlassen haben und später nach Algerien zurückgekehrt sind. Diese Gemeinschaft lebt im Verborgenen und verfügt über alte Friedhöfe, aber keine bekannten Gebetsstätten.
Verletzungen der Religionsfreiheit
Im November 2020 wurde per Referendum über eine neue Verfassung abgestimmt. Allerdings gab es nach offiziellen Angaben nur eine Wahlbeteiligung von knapp 24 Prozent, nachdem die Protestbewegung zum Wahlboykott aufgerufen hatte. Im Januar 2021 wurde diese Verfassung dann vom Präsidenten unterzeichnet und damit rechtskräftig.
Die Verfassung von 2020/2021 ist ein deutlicher Rückschritt gegenüber den Texten von 2016. Artikel 51 ist der deutlichste Beweis dafür, da hier der Schutz der Gewissensfreiheit gestrichen wurde. Bei den häufigen Verweisen auf die Werte und Grundsätze der Menschenrechte wird in den detaillierten Beschreibungen dieser Rechte die Nennung der Religionsfreiheit bzw. der Diskriminierung aus Gründen der Religionszugehörigkeit systematisch ausgelassen. Durch diese wiederholten Auslassungen in der algerischen Gesetzgebung wird die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in Bezug auf die Religionsfreiheit in Algerien untergraben.
In Algerien sind nur standesamtliche Eheschließungen rechtsgültig. Diese Eheschließung wird jedoch durch Artikel 30 des Familiengesetzes geregelt, der eindeutig festlegt, dass eine muslimische Frau (auch eine Nichtalgerierin) auf algerischem Boden nur einen muslimischen Mann (ohne Angabe der Nationalität) heiraten kann. Auch die Eheschließung algerischer Männer und algerischer Frauen mit Ausländern, selbst mit Muslimen, unterliegt gewissen gesetzlichen Bestimmungen (Art. 31).
Artikel 32 des Familiengesetzes betrachtet die Apostasie nach wie vor als Hinderungsgrund für die Eheschließung, bewirkt jedoch nicht mehr die Annullierung der Ehe im Falle einer Apostasie des Ehepartners nach der Eheschließung. In der Praxis ist es jedoch bei vielen algerischen Paaren so, dass wenn sich einer der Ehepartner, besonders der Ehemann, vom Islam abwendet, der andere Ehepartner oder die Schwiegereltern die Abkehr vom Islam als Grund anführen, um die Auflösung des Ehevertrags zu veranlassen (oder anzudrohen).
Artikel 87 besagt, dass (einzig und allein) nach dem Tod des Vaters „das Sorgerecht von Rechts wegen an die Mutter fällt“. Artikel 92 des Gesetzes sieht vor, dass die Mutter per Gesetz für unfähig erklärt werden kann, diese Aufgabe zu erfüllen, und dass dann ein testamentarischer Vormund zu ernennen ist, der gemäß Artikel 93 zwangsläufig muslimischen Glaubens zu sein hat. Gemäß Artikel 138 kann ein Apostat oder eine Person, die aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird (frappé d‘anathème), nicht von einem muslimischen Elternteil erben. Es wird nicht erwähnt, dass nichtmuslimische Personen vom Erbe ausgeschlossen sind: In der Praxis hat die christliche Ehefrau keinerlei Anrecht auf das Erbe. Im Falle einer Ehe zwischen einem muslimischen Algerier und einer nichtmuslimischen Frau erfährt die (nichtmuslimische) Witwe oft erst am Todestag ihres Ehepartners, dass sie weder ein Erbe noch eine Wohnung noch Zugang zu den Konten noch das Sorgerecht für die Kinder hat.
Nichtmuslimische Religionen
Folgende Verordnungen regeln die Glaubensausübung nichtmuslimischer Religionen in Algerien:
Verordnung Nr. 06-03 vom 28. Februar 2006 zur Festlegung der Bedingungen und Regeln für die Glaubensausübung nichtmuslimischer Religionen
Durchführungsverordnung Nr. 07-135 vom 19. Mai 2007 zur Festlegung der Bedingungen und Modalitäten für die Durchführung religiöser Veranstaltungen nichtmuslimischer Religionen
Durchführungsverordnung Nr. 07-158 vom 27. Mai 2007 zur Festlegung der Zusammensetzung und Arbeitsweise der nationalen Kommission für nichtmuslimische Religionen
Der wichtigste positive Aspekt ist die Anerkennung der Existenz nichtmuslimischer Religionen und die Verpflichtung des Staates, diese zu schützen. Artikel 3 der Durchführungsverordnung vom 19. Mai 2007 besagt, dass „jede religiöse Veranstaltung“ fünf Tage im Voraus zu beantragen ist und vom Präfekten genehmigt werden muss. Diese Bestimmung basiert auf der Vorstellung, dass die christliche Glaubensausübung nur einmal in der Woche stattfindet. Die katholische und die evangelische Kirche haben ihr Gemeindeleben jedoch stets fortgeführt.
In der Durchführungsverordnung vom 27. Mai 2007 ist die Rede von einer Kommission, die über die Glaubensausübung nichtmuslimischer Religionen entscheiden soll. Niemand ist bekannt, der die Existenz dieser Kommission bestätigen könnte, die auch im Amtsblatt nicht erwähnt wird. Darüber hinaus hat die Zusammensetzung der Kommission einen stark sicherheitspolitischen Anstrich und deutet darauf hin, dass die nichtmuslimischen Religionen in den Augen des Gesetzgebers der verlängerte Arm ausländischer und feindlicher Länder und/oder Interessengruppen in Algerien sind:
Artikel 4:
„Die Kommission, die unter dem Vorsitz des Ministers für religiöse Angelegenheiten und Wakfs (Islamisches Rechtsinstitut) oder seines Stellvertreters steht, setzt sich zusammen aus Vertretern des Verteidigungsministeriums, des Ministeriums für Inneres und Kommunales, des Außenministeriums, der Generaldirektion für nationale Sicherheit, des Oberkommandos der Gendarmerie und der Nationalen Beratungskommission zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte.“
Die Verordnung vom 28. Februar 2006 besagt, dass Gebetsstätten öffentlich zugänglich und von außen erkennbar sein und auch die Gottesdienste selbst öffentlichen Charakter haben müssen. Dies könnte im Widerspruch zu den in derselben Verordnung genannten Maßnahmen zur Bekämpfung des Proselytismus stehen:
Artikel 11:
„Unbeschadet höherer Strafen wird mit einer Freiheitsstrafe von zwei bis fünf Jahren und einer Geldstrafe von 500.000 DA (algerischer Dinar/ca. 3.190 Euro) bis 1.000.000 DA (ca. 6.390 Euro) bestraft, wer:
einen Muslim dazu anstiftet, nötigt oder verführt, zu einer anderen Religion zu konvertieren, oder zu diesem Zweck Lehr-, Bildungs-, Gesundheits-, Sozial- oder Kultureinrichtungen, Ausbildungseinrichtungen oder sonstige Einrichtungen oder finanzielle Mittel nutzt;
gedrucktes oder audiovisuelles Material oder andere Medien oder Mittel herstellt, lagert oder verbreitet, die darauf abzielen, den Glauben eines Muslims zu erschüttern.“
Die rechtliche Definition des Begriffs Verführung ist sehr vage, der Spielraum ist groß. In den Jahren 2018/19 kam es infolge der Umsetzung der Verordnung zur Regelung der Glaubensausübung nichtmuslimischer Religionen zu einer Reihe von Schließungen protestantischer Gebetsstätten: Als Hauptgrund wurde die fehlende Anerkennung durch die oben genannte Kommission genannt. Die protestantischen Gemeinden legten Baugenehmigungen, Ausbaugenehmigungen und andere von den lokalen Behörden ausgestellte Verwaltungsdokumente für Räumlichkeiten vor, die auf lokaler Ebene bereits als Gebetsstätten anerkannt waren. Die Behörden begründeten die Schließung dieser Gebetsstätten unter anderem damit, dass es sich um unwürdige Orte handele. Die medial verbreiteten Bilder des Eingreifens der staatlichen Gewalt, um die Schließung dieser Gebetsstätten durchzuführen, zeigen hingegen Räumlichkeiten, die für Versammlungen absolut geeignet sind. Die Algerische Liga für Menschenrechte hat sich für die betroffenen Gemeinden eingesetzt und sich gegen die als willkürlich betrachteten Maßnahmen positioniert. Diese Reihe von Schließungen betraf nur bestimmte protestantische Gebetsstätten in der Region Kabylei und in der Stadt Oran im Westen Algeriens. Weder die in diesen Regionen ansässige katholische Kirche noch die protestantischen Gebetsstätten in anderen Teilen Algeriens waren von diesen Maßnahmen betroffen.
Weitere Gesetze
Am 28. April 2020 hat der algerische Präsident das Gesetz zur Prävention und zur Bekämpfung von Diskriminierung und Hassreden unterzeichnet. Auch hier fehlt die Religionszugehörigkeit in der Liste der möglichen Diskriminierungsgründe, wie aus Artikel 2 dieses Gesetzes hervorgeht:
Hassrede: Alle Formen von Äußerungen, die eine Diskriminierung verbreiten, fördern oder rechtfertigen, sowie solche, die Verachtung, Demütigung, Feindseligkeit, Abscheu oder Gewalt gegenüber einer Person oder einer Gruppe von Personen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Hautfarbe, Abstammung, nationalen oder ethnischen Herkunft, Sprache, geografischen Zugehörigkeit, Behinderung oder ihres Gesundheitszustands zum Ausdruck bringen;
Diskriminierung: Jede Unterscheidung, Ausgrenzung, Einschränkung oder Bevorzugung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, Hautfarbe, Abstammung, nationalen oder ethnischen Herkunft, Sprache, geografischen Zugehörigkeit, einer Behinderung oder des Gesundheitszustands, die zum Ziel oder zur Folge hat, die gleichberechtigte Anerkennung, den gleichberechtigten Genuss oder die gleichberechtigte Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem anderen Bereich des öffentlichen Lebens zu verhindern oder zu beeinträchtigen […].
In einigen Verwaltungsformularen (zum Beispiel bei Antritt einer Haftstrafe) werden Ausländer nach ihrer Religion gefragt. Sie haben darin jedoch nicht die Option, Atheismus oder eine in Algerien missliebige Religion wie etwa Judentum oder Bahá’í-Religion anzugeben, was die befragten Personen in eine Situation der Rechtsunsicherheit bringt. Es ist jedoch positiv anzumerken, dass inhaftierte Ausländer, die sich zum Christentum bekennen, von einem der 53 vom Justizministerium zugelassenen Gefängnisseelsorger der katholischen Kirche besucht werden können. In den Gefängnissen können keine Gottesdienste abgehalten werden, aber es ist möglich, Besuche mit einem spontanen Gebet oder religiösem Gesang zu beginnen und zu beenden. In einigen Gefängnissen können die Gefangenen eine eigene Bibel bekommen, in anderen Gefängnissen sagen die Behörden, dass dies nicht möglich und die Bibel in der Gefängnisbibliothek aufzubewahren sei.
Die Frage nach der Religionszugehörigkeit wird nur ein einziges Mal gestellt, nämlich bei Antritt der Haftstrafe. Diese Angabe kann danach nicht mehr geändert werden – es sei denn, der Gefangene wird Muslim.
Kindererziehung und Wahl der Vornamen
Im UN-Zivilpakt, der von Algerien ratifiziert wurde, heißt es in Artikel 18 (4): „Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Freiheit der Eltern und gegebenenfalls des Vormunds oder Pflegers zu achten, die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen.“
Dieses Grundprinzip, dass Eltern über die religiöse (oder nicht religiöse) Erziehung ihrer Kinder entscheiden dürfen, ist zwar nicht wörtlich in der algerischen Verfassung zu finden. Einige Grundprinzipien der Verfassung würden jedoch ihren eigentlichen Sinn und Zweck verfehlen, wenn Eltern nicht über die religiöse Erziehung ihrer Kinder entscheiden könnten.
So heißt es in Artikel 65: Der Staat sorgt für die Neutralität der Bildungseinrichtungen und die Wahrung ihres pädagogischen und wissenschaftlichen Auftrags, um sie vor jeglicher politischen oder ideologischen Einflussnahme zu schützen.
Artikel 71 formuliert: Die Rechte des Kindes werden vom Staat und von der Familie unter Berücksichtigung des Kindswohls geschützt. […]
Und in Artikel 81 heißt es: Alle Freiheiten eines jeden Bürgers sind unter Achtung der verfassungsmäßigen Rechte anderer auszuüben, insbesondere unter Achtung des Rechts auf Ehre, Privatsphäre, Schutz der Familie und Schutz der Kindheit und Jugend.
In Algerien ist der Unterricht der tarbiya islamiya (islamische Erziehung) vom ersten Jahr der Grundschule bis zum Abitur an privaten und öffentlichen Schulen verpflichtend. In der öffentlichen Schule „Descartes“ in Algier gibt es einen französischsprachigen Zweig, und nach Aussagen von Eltern, die als Expatriates in Algerien leben, konnten deren Kinder vom islamischen Religionsunterricht befreit werden, ohne dass ein offizieller Antrag gestellt werden musste – ein Gespräch mit den Verantwortlichen der Schule bei der Anmeldung reichte aus. Es stellt sich die Frage, ob Algerier in dieser oder einer anderen öffentlichen Schule eine ähnliche Regelung erwirken könnten.
Auch hinsichtlich der Wahl der Vornamen läuft in der algerischen Gesellschaft eine öffentliche Debatte: Einige Eltern stoßen auf Schwierigkeiten, ihre Kinder in das Personenstandsregister eintragen zu lassen, wenn der Vorname nicht „muslimisch genug“ ist.
Visa für Kirchenpersonal
Für die Beantragung von Visa durch die katholische Kirche gilt aufgrund der Religionszugehörigkeit ein anderes Verwaltungsverfahren. Während Visaanträge normalerweise auf Konsulatsebene bearbeitet werden, lautet die Antwort in allen algerischen Konsulaten der Welt, wenn die Kirche ein Visum für ihr Personal beantragt (sei es für einen dauerhaften Aufenthalt oder auch nur für einige Tage): „Das wird in Algier entschieden.“ Es kann zwischen vier Monaten und vier Jahren dauern, bis eine Entscheidung getroffen wird. Oft wird keine Empfangsbestätigung über den Visaantrag ausgestellt, manchmal wird die gesamte Akte mitgenommen, manchmal auch der Reisepass. Manchmal müssen Gebühren gezahlt werden, manchmal nicht. Diese Politik wird seit über fünfzehn Jahren praktiziert und im Außenministerium hat die Kirche in dieser Angelegenheit bisher keinen Ansprechpartner gefunden.
Oftmals wird als Erklärung für diese Situation das Argument angeführt, dass es prinzipiell Schwierigkeiten bei Visaausstellungen gibt. Es ist jedoch ein Unterschied, ob das Visum von einem Staat auf der Grundlage eines Verfahrens verweigert wird, das für alle Antragsteller aus einem anderen Staat unabhängig von ihren religiösen Überzeugungen Anwendung findet, oder ob Mitglieder einer Religionsgemeinschaft (in diesem Fall der katholischen Kirche) unabhängig von ihrer Nationalität diskriminiert werden.
Bestattungen und Friedhöfe
In Algerien wird grundsätzlich angenommen, dass alle Menschen aus der westlichen Welt Christen sind. Infolgedessen haben Menschen aus der westlichen Welt das Recht, sich auf sogenannten französischen, europäischen oder christlichen Friedhöfen bestatten zu lassen. In der Regel sind Bestattungen für Nichtmuslime teurer.
Bei Algeriern wird davon ausgegangen, dass sie Muslime sind. Sie müssen auf einem sogenannten kommunalen oder muslimischen Friedhof beerdigt werden. Die Realität ist deutlich komplexer: Hier ist nicht geklärt, was mit „illegalen Einwanderern“, oftmals Afrikaner aus Ländern südlich der Sahara, passiert, die in Algerien versterben und weder Muslime sind noch aus der westlichen Welt kommen. Ebenfalls unklar ist, was mit in Algerien verstorbenen Personen geschieht, deren Religion unbekannt ist oder die gar keiner Religion angehören.
Verpasste Chance
Der Atheismus, ob passiv oder militant, ist in Algerien immer präsenter. Im Juni 2017 kam es im Land zu großen sozialen Unruhen, als der Schriftsteller Rachid Boudjedra (der sich öffentlich zum Atheismus bekannt hatte) in einer Sendung mit „versteckter Kamera“ in die Falle gelockt worden war und von als Polizisten verkleideten Schauspielern dazu genötigt wurde, mehrfach religiöse Bekenntnisse auszusprechen. Anhänger von Parteien, die sich als säkular bezeichnen, und sogar Gläubige, die sich eine Trennung von Religion und Politik wünschen, befinden sich in einer Situation großer sozialer Verwundbarkeit. Auf Facebook finden sie sich in entsprechenden Gruppen zusammen. Wenn man davon ausgeht, dass alle „Follower“ dieser verschiedenen Seiten Algerier sind (mit oder ohne Wohnsitz in Algerien), gibt es im Land mehr Atheisten als Christen.
In algerischen Gesetzestexten wird an vielen Stellen Bezug auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte genommen. Jedoch ist die Verfassung von 2020/2021 ein deutlicher Rückschritt gegenüber vorherigen Texten: Der Schutz der Gewissensfreiheit wurde gestrichen und trotz vieler Verweise auf menschenrechtliche Standards fehlt die explizite Nennung der Religionsfreiheit sowie der Religionszugehörigkeit im Rahmen der Antidiskriminierungsvorschriften.
In der Praxis kommt es immer wieder zu Verletzungen der Religionsfreiheit. Betroffen davon sind Angehörige aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Nichtmuslime müssen mit Benachteiligungen in zivilrechtlichen Angelegenheiten rechnen. In besonderer Weise sind nichtmuslimische Algerierinnen und Algerier von Einschränkungen und Diskriminierungen betroffen. Leider hat es Algerien verpasst, den begonnenen Demokratisierungsprozess erfolgreich zu Ende zu gehen. Die großen Hoffnungen der Hirak-Proteste des Jahres 2019 wurden nicht erfüllt, eine Chance wurde verpasst. Die alten Eliten konnten sich behaupten und ihre gesellschaftliche Stellung festigen. Da sich Algerien als neuer potentieller Erdgaslieferant für Europa in Stellung gebracht hat, ist zu erwarten, dass die bestehenden Strukturen durch die Petro-Euros zukünftig alimentiert werden. 3