Der Kölner Weihbischof und zeitweilige apostolische Administrator der Kölner Erzdiözese, Rolf Steinhäuser, bekannte sich im November 2021 während des Bußgottesdienstes im Kölner Dom zum Versagen der Kirche: „Von Priestern und weiteren kirchlichen Mitarbeitern unseres Bistums ist eine große Zahl von Verbrechen sexualisierter Gewalt an Schutzbefohlenen verübt worden.“ Als derzeitiger Leiter des Erzbistums sei er „Chef der Täterorganisation Erzbistum Köln“. Steinhäuser griff damit eine Formulierung auf, die immer öfter zu hören ist, auch in der kirchlichen Presse, ohne Präzisierungen und Differenzierungen.
Nun mag es müßig sein, allzu lang über den Begriff zu streiten. Im Rahmen eines juristischen Sprachspiels mag diese Wortwahl einen Sinn haben, wenn eine Organisation oder Institution unter Anklage steht, weil sie durch Vertuschung in die Taten der Täter systemisch der „Täterseite“ zuzuordnen ist. Doch unter einer „Täterorganisation“ wird im allgemeinen Sprachgebrauch eine Organisation verstanden, die zu dem Zweck gegründet wird, Verbrechen zu begehen, zum Beispiel die Mafia. Das trifft für die Kirche nicht zu, im Gegenteil: Das Schlimme am Missbrauch in der Kirche besteht ja gerade darin, dass er in einer Institution geschieht, deren Zweck ausdrücklich nicht das Verbrechen ist, sondern die Vermittlung von Schutz und Geborgenheit in der Liebe Gottes. Man könnte sogar sagen: Von Kirche als „Täterorganisation“ zu sprechen verharmlost das Widersinnige des Missbrauchs in der Kirche. Die immer bedenkenlosere Verwendung des Begriffes steht deswegen eher für die Verwirrung durch den Missbrauch. Sie macht nicht bei der Beziehung Opfer-Täter halt, sondern erreicht das ganze Beziehungsumfeld, die persönlichen sowie institutionellen Selbstverhältnisse und damit auch die Aufarbeitungsprozesse. Wer den Begriff „Täterorganisation“ verwendet, suggeriert jedenfalls, über eine Klarheit zu verfügen, die der Komplexität der Missbrauchstaten und der unterschiedlichen Ebenen der Vertuschung nicht gerecht wird.
Überhaupt: Wie kann man eigentlich von innen, aus der Zugehörigkeit heraus über sich selbst von „Täterorganisation“ sprechen und dabei wirklich meinen, was man sagt? Ich werde da eher misstrauisch. Wenn man zur Kirche gehört und erkennt, dass sie eine „Täterorganisation“ ist, reicht es nicht, sie zu verlassen. Man muss sie dann bekämpfen. Und was geschieht eigentlich, wenn das leitende Personal der Kirche und auch kirchliche Medien ohne Differenzierungen zu dieser Sprache greifen? Was sagt es über ihr Selbstverständnis? Was wollen Pfarrer, Bischöfe, Theologinnen und Theologen ihren Gemeinden damit sagen? Die Empörung über Verbrechen an Kindern und Schutzbefohlenen durch „Hirten“ kann man ja nur von Herzen teilen. Vielleicht haben auch diejenigen, die so formulieren, inzwischen erfreulicherweise gemerkt, dass man – nicht nur Päpste und Bischöfe, sondern auch Vertreterinnen und Vertreter von kirchlichen Verbänden und Reformgruppen aller Art – sich aus verständlicher Empörung heraus dennoch nicht auf die Seite der Opfer schlagen kann, um sich dann mit ihnen über die Täter und Vertuscher zu empören. Das ist in den letzten Jahren zu oft geschehen, wird nun aber durch die Umkehrung auch nicht besser.
Denn mit Empörungssprache über sich selbst ist ebenfalls niemandem geholfen, nicht Betroffenen, und schon gar nicht denen, die in der Kirche jetzt etwas suchen, was ihnen in ihrer Kindheit vorenthalten oder gar genommen wurde; und auch nicht den verwirrten Systemen in Familien, Gemeinden, Schulen und Verbänden. Sprachliche Selbstgeißelung wirkt eher wie eine Art von institutioneller und auch spiritueller Selbsthinrichtung. Damit entzieht man sich wieder den Betroffenen, und auch der Hirtenaufgabe, der Fürsorge für die Schutzbedürftigen hier und heute. Eine „Täterorganisation“ sollte Vertrauen von Schutzbefohlenen am besten erst gar nicht mehr annehmen.
Und schließlich: Was bedeutet es, sich aufgrund von Mitgliedschaft in einer „Täterorganisation“ als schuldig zu bekennen, wie in diesem Zusammenhang immer wieder zu hören ist? Bloße Mitgliedschaft, zumal dann, wenn man von Kindesbeinen an in sie hineingeboren wurde, macht nicht schuldig. Wenn sich dann allerdings herausstellt, dass die Kirche nicht nur heilig, sondern auch sündig ist, dann ist es ein schwacher Grund, bloß deswegen auszutreten, um selbst unschuldig zu bleiben oder Unschuld zurückzugewinnen. Mit dieser Begründung bin ich ja doch wieder nur bei mir selbst und nicht bei den Anliegen der Aufarbeitung. Dann geht es mir wieder primär um mich, darum, selbst nicht schuldig zu werden. Es gibt, wenn schon denn schon, bessere Gründe, um auszutreten.
Bei der Aufarbeitung geht es jedenfalls gerade nicht um mich. Vielmehr ist die Angst um „mich“, um meinen guten Ruf, um meine eigene Unschuld selbst einer der tiefsten Gründe für die Hermetik jeglicher Schweigespiralen und Vertuschungsdynamiken, auch außerhalb der Kirche. Mit einem Austritt aus diesem Grund ist man also noch längst nicht der eigenen Anfälligkeit für Schweigen, Wegsehen und Vertuschen entkommen. Der toxische Charakter des Missbrauchs streut auch jenseits der Grenzen der Institution sein Gift weiter aus.