Zimmermann, Markus: Gewalttätiger Gott – gewalttätiger Glaube? Wege der Barmherzigkeit Gottes.
Freiburg: Herder 2022. 143 S. Gb. 20,–.
In vier Essays behandelt der Autor „die Frage, ob der christliche Gott und Glaube gewalttätig sind“ (133). Er beschreibt jeweils Phänomene, die diese Frage auf den ersten Blick bejahend beantworten würden, auf den zweiten, theologisch genaueren Blick allerdings klar zeigen, dass der christliche Gott ein Gott der Barmherzigkeit und der Liebe ist.
Kap. I stellt die Gewaltfrage allgemein für den Monotheismus: Ja, im frühen Alten Testament gab es viele gewalttätige Züge Gottes, aber im Verlauf der Geschichte entdeckten dann Israel und später mit Jesus von Nazareth auch das Christentum, dass dieser Gott ein ganz anderer ist. Zimmermann setzt sich in dem theologisch anspruchsvollen und sprachlich teilweise ziemlich verquasten Text u.a. mit Assmanns diesbezüglichen Thesen auseinander. Kap. II erzählt von zwei hanebüchen misslungenen Erfahrungen des Sakraments der Krankensalbung, in denen dieses für die Betroffenen als Todesurteil bzw. „als magisch anmutendes Gesundmachen“ (39) erschien. Zimmermann erweist dann in einem geschichtlichen und theologischen Abriss den guten, eben die Barmherzigkeit Gottes aufzeigenden Sinn des Sakraments – warum diese verqueren und m.E. nicht sehr realistischen Missdeutungen durch aufwendige und eigentlich selbstverständliche Theologie korrigiert werden müssen, erschließt sich kaum. Kap. III behandelt die Fegefeuer-Lehre als misslungene Gewaltpädagogik und legt dann den guten Sinn dieser Lehre dar. Kap. IV schließlich deutet Papst Franziskus‘ Pontifikat als eines, das die Lehre der Barmherzigkeit gegen alle Gewalt ins Zentrum stellt – mit einer ausführlichen Darstellung des sexuellen Missbrauchs und seiner Bekämpfung, mit Hinweisen auf andere Missstände der Kirche („Vati-, Pecun- und Econleaks“ 111).
Die Unterschiedlichkeit der vier Essays macht den Text eher inkohärent, der Autor mäandert bisweilen von einem Thema zum nächsten. Die theologischen Ausführungen sind niveauvoll – wer etwas Modernes und Knappes über Krankensalbung, Fegefeuer oder Papst Franziskus lesen will, ist mit dem Büchlein gut bedient. Die Grundthese, dass es in diesen religiösen Phänomenen nicht um Gewalt, sondern um Gottes Barmherzigkeit geht, ist eigentlich selbstverständlich und nicht neu. Am Ende bleibt ein Unbehagen, aber vielleicht hat der Rezensent nur die späte Ermahnung des Autors zu wenig befolgt, man solle seinem Text eine „genaue“ (so zu Kap. I), „sorgfältige“ (Kap. II), „konzentrierte“ (Kap. III) und „unabgelenkte, vorbehaltlose“ (Kap. IV) Lektüre widmen (135 ff.).
Stefan Kiechle SJ
Hanstein, Thomas / Schönheit, Hiltrud / Schönheit, Peter (Hgg.): Heillose Macht – Von der Kultur der Angst im kirchlichen Dienst.
Freiburg: Herder 2022. 240 S. Gb. 22,–.
Noch ein Buch zu heilloser Machtausübung in der Kirche? So könnte man aufstöhnen. Nach zwölf Jahren Aufarbeitung gibt es ja diesen Impuls: „Ich kann es nicht mehr hören!“ Allerdings kann der Impuls auch Teil des Problems sein, das die Vergeblichkeitsgefühle hervorruft und verstärkt.
Die vorliegende Sammlung von fünfzig mehr oder weniger kurzen Berichten kirchlicher Mitarbeiter:innen – die Mehrzahl von ihnen unter Anonymitätsschutz publiziert (auch dies ist ein Zeichen für Präsenz von Angst in kirchlichen Anstellungsverhältnissen) –, ist unter dem Eindruck der Aktion #OutInChurch entstanden. Die Berichte sind nach vier Gesichtspunkten geordnet: Machtmissbrauch durch 1. Unfähigkeit zur Gestaltung, 2. durch fehlenden Gestaltungswillen, 3. durch Veränderung der Aufgabe und 4. durch Fokussierung auf andere Ziele.
Man merkt dem Vorwort sowie den abschließenden Analysen über wiederkehrende Muster in den Berichten, über negative Machterfahrungen, über Kirchliches (185-210) und über Leitungsversagen an, dass das Herausgeberteam über gediegene Coaching-Expertise verfügt sowie über viele Erfahrungen aus und mit dem kirchlichen Leben. Als besonders bemerkenswert sei hier die frappierende Erkenntnis über die Verdrillung von ehren- und hauptamtlichen Akteuren in der Kirche hervorgehoben, die aus den Berichten sichtbar wird: „Ehrenamtliche können sich offensichtlich in den meisten Fällen ihr positives Bild von der Kirche erhalten … Bei wiederholten Enttäuschungen ziehen sie sich schlichtweg zurück.“ Das können Hauptamtliche nicht, gerade dann nicht, wenn sie selbst schlechte Erfahrungen mit ihren Vorgesetzten gemacht haben. Sie sind es nämlich zugleich, „die den Ehrenamtlichen gegenüber ein positives Bild aufrechterhalten sollen“. Die Herausgeber folgern daraus: „Die, die dazu beauftragt sind, die ‚frohe Botschaft‘ auch froh und überzeugt zu verkünden, haben eine einfühlsame Seelsorge oft nötiger als die, für die sie Dienst tun“ (16). Das kann nur schiefgehen und setzt im Grunde genommen die missbräuchliche Beziehungsstruktur fort, die am Anfang der ganzen Malaise steht: Bedürftige Hirten, die kein geklärtes Verhältnis zu ihrer eigenen Bedürftigkeit haben, holen sich Trost bei denen, für die sie eigentlich da sein sollten.
Ich wünsche vor allem Hirten (und auch einigen Hirtinnen) die Lektüre dieses Buches. Sie brauchen keine Angst vor dem Spiegel zu haben, der ihnen da – im Fall der Fälle – vorgehalten wird. Am eigenen Leitungsversagen oder an dem anderer kann man ja auch lernen. Eigenes Leitungsversagen gehört jedenfalls auch zu meinen Erfahrungen als Leitungsperson. Und: Welcher Hirte kann von sich schon behaupten, niemals versagt zu haben? Gefährlich wird es nämlich, wenn das eigene „notorisch gute Gewissen“ (Erhard Eppler) sich vor die Selbstwahrnehmung schiebt, um sich vor möglicher Kränkung zu schützen.
Klaus Mertes SJ
Deinhammer, Robert / Markl, Dominik / Niederbacher, Bruno: Neu anfangen: Christlich denken, beten, leben.
Innsbruck: Tyrolia 2021. 128 S. Kt. 12,95.
Die Jesuitenpatres Deinhammer, Markl und Niederbacher, die sowohl in universitärer Lehre als auch in der Seelsorge tätig sind, haben es sich mit diesem kleinen „Glaubensbüchlein“ (11) zur Aufgabe gemacht, in einfacher und verständlicher Sprache Grundzüge ignatianischer Spiritualität zu erschließen. Das Buch versteht sich als eine Art spirituelles Update für getaufte Christen, richtet sich aber auch an Personen, die Interesse am christlichen Glauben zeigen und diesen näher kennenlernen möchten.
Dominik Markl lädt die Lesenden ein, sich in sieben Schritten der Bibel anzunähern. Die prägnanten Ausführungen zur Entstehung der Texte sowie Hinweise zur engen Verknüpfung zwischen der Heiligen Schrift der Christen und dem Judentum ermöglichen einen umfassenden Gesamtblick. Am Ende der Ausführungen finden sich jeweils Fragen oder Anregungen, die die Leserin dazu einladen, sich Gedanken zu machen.
Bruno Niederbacher ermöglicht dem Leser eine erste Berührung mit den für den Jesuitenorden zentralen Geistlichen Übungen, in denen der Ordensgründer Ignatius von Loyola seine Spiritualität ausgefaltet hat. Neben dem Vater Unser, dem „christlichen Gebet schlechthin“ (33), dem Beten mit Psalmen oder dem Beten mit dem Namen Jesus präsentiert sich auch eine reiche Palette an Vorlagen, die die Leserin an die Hand nehmen und den Einstieg in die jeweiligen Übungen erleichtern.
Robert Deinhammer ergänzt das Buch mit seinem Beitrag um ein drittes zentrales Element für eine jesuitisches Kompendium: einem kleinen Katechismus. In 24 Fragen geht er – in ähnlicher Weise wie Petrus Canisius SJ Jahrhunderte vor ihm – den Kernfragen christlichen Glaubens aus katholischer Sicht nach und „richtet sich an alle, die ernsthaft über den christlichen Glauben nachdenken und ihn in unserer Zeit vor der Vernunft verantworten möchten“ (64). Dabei folgen die Fragen sehr wohl einer inneren Logik und bauen aufeinander auf, sodass der Leser immer tiefer das Christentum zu durchdringen vermag. Auch vor heißen Eisen wie der Theodizeefrage scheut der Verfasser nicht zurück. Auch Deinhammer gelingt es in einfacher, aber niemals naiv wirkender Sprache, Antworten auf Fragen zu geben, die älter als das Christentum selbst sind. Den Abschluss bildet eine Sammlung von geistlichen Texten aus Schrift, Tradition und der gelebten Glaubenspraxis.
Dieses Buch, das auch durch zahlreiche Farbabbildungen zum Weiterdenken anregt und inspiriert, kann durchaus als Kompendium ignatianischer Spiritualität für die Jackentasche bezeichnet werden, welches inhaltlich weit über die überschaubare Seitenzahl hinausreicht und Lust auf mehr macht.
Tobias Simonini
Kohlhaas, Emmanuela: Die neue Kunst des Leitens. Wie Menschen sich entfalten können.
Freiburg: Herder 2022. 208 S. Gb. 20,–.
Reißerische Titel werden ja von Verlagen gemacht, und der rote Button „Top-Down war gestern“ auf dem Umschlag will wohl nochmals provozieren, wenn auch in arg schlichter Weise. Ob das den Verkauf behindert oder ihm hilft? Letzteres wäre diesem Buch zu wünschen, in dem die Priorin des Kölner Benediktinerinnenklosters recht persönlich gefärbt aus ihrer Leitungserfahrung berichtet.
Sr. Emmanuela erzählt von ihrer Amtsübernahme 2010, dann von den unterschiedlichen Phasen der Ausübung des Amtes bis 2022, in dem es ausgelaufen ist, von verschiedenen inneren und äußeren Baustellen der Gemeinschaft, von Krisen, Katastrophen, Herausforderungen usw. Viel Internes erfährt man über einen recht lebendigen Nonnen-Konvent, viel Privates über das Erleben der Leiterin, alles sehr reflektiert und so dargestellt, dass es für Führungsfragen anregend ist. Sr. Emmanuela ist ausgebildet in Organisationsberatung und Coaching; sie schreibt viel über Gruppenprozesse und -konflikte, bisweilen in einer Psychologie- und Managementsprache. Ihr Leitungsverständnis ist eher zurückhaltend, stark auf Partizipation und Konsens angelegt, ihr Amt dezidiert mehr als Moderation denn als Führung konzipiert. Anregend ist zu lesen, wie sie damit auch große Umbrüche und Konflikte bewältigt, wie sie in dem doch sehr sensiblen menschlichen Umgang der Nonnen untereinander für Zufriedenheit, für Aufbrüche und für Freude sorgen kann. Das Buch ist selbstbewusst und flott, bisweilen humorvoll geschrieben und sehr gut lesbar.
Darf man doch ein paar Fragen stellen? Das Gebet – immerhin mehrere Stunden pro Tag im Chor und in der eucharistischen Anbetung – als geistliche Quelle für das Gemeinschaftsleben oder für die Führung kommt kaum vor: Was macht es mit einem Konvent? Wie inspiriert es in Führungsfragen? Wie hilft es, zu Entscheidungen zu kommen, gar nach Gottes Willen zu fragen? Oder sind diese Fragen schon zu jesuitisch? Bleibt Sr. Emmanuela nicht doch recht eng bei Coaching, Organisationsberatung, Supervision, Gruppenprozessen usw., mit Einsichten, die – gegen den Titel – nicht immer neu sind und eigentlich überall gelten können? Läge in der benediktinischen Tradition nicht noch Anderes und Neues? Sr. Emmanuela erzählt viele Interna aus ihrer Gemeinschaft, muss im Konkreten aus Diskretionsgründen doch eher vage bleiben; die Neugier wird angeregt, aber nur teilweise befriedigt. Am Ende deutet sie die Neugründung eines Klosters an, die der Konvent mit einigen jüngeren Schwestern wagen wird – beeindruckend in Zeiten, in denen das Ordensleben in Europa stark im Rückgang ist.
Gegen viele Klischees zeigt das Buch ein rundweg sympathisches und modernes Bild einer Ordensfrau, die glaubwürdig Verantwortung trägt – es ist deswegen nicht nur für brave Katholiken, die im Kirche-Sein gestärkt werden wollen, empfehlenswert, sondern weit darüber hinaus.
Stefan Kiechle SJ
Söding, Thomas: Gemeinsam unterwegs. Synodalität in der katholischen Kirche. Stuttgart: Ostfildern 2022. 320 S. Kt. 24,–.
Der vorliegende Band führt mehrere Beiträge des Autors zu den aktuellen kirchenpolitischen und ekklesiologischen Fragen zusammen. Er erhält sein inhaltliches und politisches Gewicht einerseits durch die neutestamentliche Expertise des Autors, andererseits durch die Tatsache, dass er seit 2021 Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und auch Vizepräsident des Synodalen Weges ist.
Zu Beginn beschreibt Söding in Kürze den Aufbruch zum Synodalen Weg nach der Veröffentlichung der MHG-Studie im Herbst 2018, um sich im zweiten Teil (97-185) dem Prozess bis zum Sommer 2022 zu widmen. Der dritte Teil (187-276) kreist um die Ziele des Synodalen Weges. In allen drei Teilen nimmt Söding insbesondere Bezug auf die Teilhabeprozesse und -formen in den paulinischen Gemeinden und in der Apostelgeschichte. Söding bemüht sich, die vatikanischen Interventionen zum Synodalen Weg zu würdigen, ohne dabei die Unklarheiten und auch verstörende Aspekte zu verschweigen, die bleiben. Nach vorne weisend sind Södings Reflexionen darüber, „wie sich Synodalität entwickelt hat und entwickeln sollte“ (133-163). Den Begriff „Synodalität“ grenzt er deutlich sowohl vom demokratischen Mehrheitsprinzip als auch vom aktuellen monarchischen Entscheidungsprinzip ab und gibt ihm so weiterführende Konturen für Entscheidungsverfahren in der Kirche.
Ich verstehe das vorliegende Buch als einen Teil des Synodalen Wegs selbst, über den es berichtet und reflektiert. Das Bemühen um eine ausgleichende Sprache ist deutlich spürbar und sicherlich auch der Moderatorenrolle des Vizepräsidenten des Synodalen Weges geschuldet. Dieser nicht-eskalierende Grundton ist hilfreich angesichts der Tatsache, dass der Synodale Weg in Rom denunziert wird.
Der ausgewogene Ton Södings kann aber auch zum Übermalen von Konflikten führen. Um nur einige Beispiele zu nennen: „Die Beziehungen zwischen dem ZdK und der DBK sind traditionell eng und gut“ (123). Ob man das wirklich sagen kann, etwa nach den schweren Verwerfungen um den Abtreibungskompromiss, die den politischen Laienkatholizismus in den 1990er-Jahren in eine tiefe Krise stürzten, die bis heute anhält? Und auch die Übereinstimmung nach der Veröffentlichung der MHG-Studien 2018 war eher der gemeinsam empfundenen Not und Angst um Glaubwürdigkeitsverlust nach innen wie außen geschuldet als einer gelungenen Aufarbeitung der gegenseitigen Entfremdungen. Oder: Dem Anlass für den Synodalen Weg, nämlich dem Missbrauch, sind – jedenfalls explizit – nur vier Seiten gewidmet (118-121). Die Definition des Verhältnisses vom Missbrauch und Reformprozess ist einer der heikelsten Punkte, und zwar noch mehr in der Praxis als in der Theorie. Das Thema der Beteiligung der Betroffenen – einschließlich seiner diversen Fallen – bleibt im Übrigen ein weißer Elefant im Raum, auch nach der Debatte um die polemisch intendierte Formulierung vom, „unfehlbaren Lehramt der Betroffenen“. Ich halte es schließlich für problematisch, den Begriff des „Missbrauchs“ soweit auszudehnen, dass man mit Blick auf die Rangstreitigkeiten unter den Jüngern formulieren kann: „Es gibt Missbrauch im Jüngerkreis – von Anfang an“ (250). Natürlich haben die Evangelisten im Übrigen „reichliches Anschauungsmaterial“ (254) über den Machtmissbrauch der Mächtigen ihrer Zeit. Doch damit kommt man noch nicht der diabolischen Logik gerade des Machtmissbrauchs gegenüber Schutzbefohlenen im geschützten Nahbereich näher. Diese kann auch noch zuschlagen, wenn man als Mächtiger meint, in der Logik der „permanenten Rollenwechsel, die das Prinzip der Diakonie auf Dauer stellen“ (252), auf der Seite des Dienstes zu stehen. Deswegen gilt: Eigentlich kann und sollte man auf dem Synodalen Weg ebenso in der Pädagogik, in der Politik oder im Gesundheitswesen über Missbrauch nur im Modus der potentiellen eigenen Verstrickung ins Geschehen sprechen. Das wäre dann auch die nötige, auf Dauer gestellte Umkehr, die Söding zu Recht fordert (vgl. 258).
Klaus Mertes SJ
Zettl, David: Ein letztes Aufbäumen des Antimodernismus? Die Enzyklika „Humani Generis“ und ihr theologiegeschichtlicher Kontext.
Regensburg: Friedrich Pustet 2022. 437 S. Kt. 49,95.
Der Zisterzienser David Zettl, der als Archivar im Stift Rein arbeitet, hat mit seiner Grazer Dissertation ein wissenschaftliches Buch vorgelegt, dass sich oft wie ein Krimi liest und einen Kern der katholischen Theologie- und Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts herausarbeitet.
Die Enzyklika Humani Generis, im August 1950 von Papst Pius XII. veröffentlicht und mit ihren disziplinären Begleitumständen als „Blitzschlag auf Fourvière“ (Henri de Lubac) empfunden, bildete gewissermaßen eine Zäsur im lehramtlichen Abwehrkampf gegen den Modernismus, der von den thomistischen römischen Hardlinern nicht nur bei Alfred Loisy (1857-1940), sondern irrtümlich auch beim feinsinnigen Philosophen Maurice Blondel (1861-1949) und den ihm folgenden Vertretern einer „theologia nova“ (Pius XII.), bekannter als „Nouvelle théologie“, gesehen wurde. In einem letzten großen Versuch in der Tradition antimodernistischer Lehräußerungen der Päpste unterbindet die neuscholastische römische Theologie mit Humani Generis die an den französischen Ordenshochschulen der Dominikaner (Le Saulchoir) und der Jesuiten (Lyon-Fourvière) entworfenen Konzepte.
Zettl gliedert seine zum Zweiten Vatikanum hinführende theologiegeschichtliche Arbeit in vier Teile: 1. Modernismus und Antimodernismus, die breit mit ihren Folgen behandelt werden (23-113); 2. Die „Nouvelle théologie“, die in ihren Hauptvertretern geschildert wird: Rom diskreditierte und zensierte die später allesamt rehabilitierten und oft zu Kardinälen ernannten Theologen, darunter die Dominikaner Marie-Dominique Chenu, Yves Congar, Henri Féret und Louis Charlier (fälschlich „SJ“ genannt), sowie die Jesuiten Henri Bouillard, Jean Daniélou und Henri de Lubac; 3. Eine Inhaltsanalyse der uneinheitlich gegliederten Enzyklika mit zwei Hauptteilen: den in Art eines „Syllabus“ als irrtümlich bezeichneten Lehren der Gegenwart in vielen Ismen und der positiven Darlegung der kirchlichen Lehre in antimodernistischer Tradition; 4. Der Paradigmenwechsel von Humani generis (1950) zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965).
Sehr tiefschürfend und exakt wird den biografischen Verbindungslinien nachgegangen und klar erkannt, dass es sich bei der „Nouvelle théologie“ nicht um eine Spielart des Modernismus handelt, wie der einflussreiche Dominikaner Réginald Garrigou-Lagrange laut argwöhnte. Die Verfasserschaft der restriktiven Enzyklika, die am Vorrang der Vernunft und an der Lehre des Monogenismus festhält, ist auch nach Öffnung der vatikanischen Archive bis 1958 ungeklärt. Mögliche Mitverfasser könnten Pietro Parente, Garrigou-Lagrange OP, Augustin Bea SJ oder Marie-Michel Labourdette OP sein, Sebastian Tromp SJ eher nicht (20). Die Enzyklika hat keine klare Struktur und ist trotz einiger positiver Gedanken zu exegetischen Fragen theologisch nicht sehr hochstehend. Dennoch fand sie noch 1998 in der Enzyklika Fides et ratio von Papst Johannes Paul II. positive Erwähnung. Der Rückblick auf das antimodernistische Lehrschreiben kann verständlich machen, wie erleichternd nach einer Zeit des „Pianischen Monolithismus“ (144; ein Wort Karl Rahners) der Paradigmenwechsel im Zweiten Vatikanum war. Zettl beschreibt im vierten Teil seines Werkes ausführlich, wie Yves Congar OP und Henri de Lubac SJ, die Hauptprotagonisten der „Nouvelle théologie“, von Papst Johannes XXIII. rehabilitiert und in die vorbereitende theologische Kommission des Konzils berufen wurden. Dort konnten beide im Sinne der Ökumene und der Kirchenlehre mitwirken und den Verlauf des Konzils entscheidend beeinflussen, allerdings auch schon Gefahren erkennen.
Stefan Hartmann