Rosenberger, Michael: Krone der Schöpfung? Ursprünge des christlichen Anthropozentrismus und Möglichkeiten seiner Überwindung (Interdisziplinäre Tierethik 3).
Baden-Baden: Nomos 2023. 420 S. Kt. 99,– (ebook: 0,-).
Es steht nicht gut um unseren blauen Planeten. Die rücksichtslose Ausbeutung der Natur hat die Erde an den Rand des ökologischen Kollapses gebracht. Wie konnte es so weit kommen? Vor allem: Wie kann die lebensbedrohliche Umweltkrise entschärft und das Schlimmste verhindert werden? Diese Fragen brennen heute viele Menschen unter den Nägeln.
Eine äußerst lesenswerte Antwort auf diesen hochaktuellen Fragenkomplex gibt Michael Rosenberger in der vorliegenden Monografie. Der in Linz lehrende Professor für Moraltheologie macht sich in seiner umfangreichen Studie auf die Suche nach den geistigen Brandstiftern der Öko-Krise. Als Wurzelübel identifiziert er den (materialen) Anthropozentrismus, also die Überzeugung, dass die irdischen Wirklichkeiten zum Nutzen und für das Wohlergehen des Menschen da seien. Die breite Akzeptanz, der sich diese ökologisch fatale Sichtweise bis auf den heutigen Tag erfreut, hat laut Rosenberger auch mit dem christlichen Erbe der sog. westlichen Industrienationen zu tun. Die traditionelle christliche Lehre von der Einzigartigkeit und Sonderstellung des Menschen im Kosmos müsse daher eingehend analysiert und aufgearbeitet werden, um die historischen Wurzeln der gegenwärtigen ökologischen Krise zu verstehen.
Vor diesem Hintergrund unternimmt Rosenberger eine akribische ideengeschichtliche Spurensuche. Sie führt ihn durch die Jahrhunderte zurück bis an den Beginn der christlichen Bewegung. Einen Schwerpunkt der Untersuchung bildet die für das Christentum prägende Phase der Patristik. In insgesamt 18 Tiefenbohrungen zeigt Rosenberger auf, wie der Gedanke des Exzeptionalismus des Menschen die frühchristliche Theologie im lateinischen Westen, im griechischen Osten sowie im syrischen Orient beeinflusst hat. Um die frühesten Anfänge des Anthropozentrismus freizulegen, wendet sich Rosenberger sodann der griechisch-römischen Philosophie zu. Von dieser und damit letztlich vom Hellenismus, so Rosenbergers zentrale These, habe das Christentum den Anthropozentrismus übernommen. Anschaulich skizziert Rosenberger die weitreichenden Auswirkungen dieser Hellenisierung auf das christliche Welt- und Menschenbild. Deutlich benennt er die Anfragen an den Anthropozentrismus von Seiten der modernen Bibelwissenschaft, Evolutionstheorie und Verhaltensforschung. Im Rückgriff auf tierfreundliche Positionen in der jüdisch-christlichen Tradition entwirft Rosenberger die Konturen einer biozentrischen Ethik sowie eines erneuerten, nicht-anthropozentrisch denkenden Christentums. Seine diesbezüglichen Überlegungen zu einem leidsensiblen Verständnis von Gottes Vorsehung, zur kosmischen Bedeutung des Inkarnationsereignisses und zur Erlösungsfähigkeit der nichtmenschlichen Tiere, um nur einige zu nennen, sind von großer dogmatischer Relevanz. Diesem Buch, das eine heilsame Provokation darstellt, ist eine breite Rezeption weit über die Moraltheologie hinaus zu wünschen.
Christoph J. Amor
Kappes, Bernd: Mitgeschöpfe. Vom Umgang mit Tieren aus christlicher Sicht. Mit einem Beitrag von Jane Goodall.
Ostfildern: Patmos 2023. 264 S. Gb. 24,–.
Bernd Kappes, kommissarischer Akademiedirektor der Evangelischen Akademie Hofgeismar, legt mit „Mitgeschöpfe“ ein faktenreiches sowohl biblisch-theologisch wie philosophisch und gesellschaftspolitisch exzellent ausgearbeitetes Buch vor. Zwei Zitate sind dem Werk vorangestellt: Jona 4,11 und eine Äußerung des ehemaligen südafrikanischen Bischofs und stets politischen Theologen Desmond Tutu: Die Fragen der Gerechtigkeit betreffen „nicht nur die Menschen, sondern auch die anderen fühlenden Lebewesen auf dieser Erde...“ (6). Auf jeweils knappem Raum argumentiert der Autor in alphabetisch geordneten Kapiteln mit schlagwortartigen Titeln befreiungstheologisch und politisch-ethisch. Im Kapitel „Jesus“ formuliert Kappes programmatisch, dass „unsere Begriffe von Recht, Gerechtigkeit und Nächstenliebe ... erweitert werden und die Natur mit einbeziehen” müssen (157).
Ein drittes Vorwort räumt Kappes Jane Goodall ein, indem er Auszüge aus ihrem Münsteraner Vortrag von 2009 zitiert: „Ich habe das Gefühl, dass die Schimpansen etwas erleben, das dem Staunen und der Ehrfurcht sehr ähnlich ist, die ich selbst empfinde, wenn ich ein Wunder der Natur betrachte... Aber wenn ich allein bin, vergesse ich, dass ich ein Mensch bin, und habe eine tiefe Empfindung, mit der Natur eins zu sein. Etwas Ähnliches habe ich in einigen der großen Kathedralen empfunden; aber dieses Gefühl hat mir nicht dieselbe Empfindung der Einheit mit dem Universum gegeben, die ich im Wald gefunden habe“ (20 f.). Genau diese spirituelle Grundhaltung drückt sich in allen Überlegungen und Argumenten des Autors aus.
Welche sind nun die Grundthesen dieser expliziten theologischen Tierethik? „Nichts zerstört Natur so sehr wie ihre Reduzierung auf die Umwelt des Menschen“ (J. Moltmann) – das Zitat verdeutlicht den im Lauf der Lektüre immer wieder erkennbaren Versuch des Autors, den schöpfungstheologischen wie ethischen Anthropozentrismus in der Theologie zu überwinden, was sich u.a. im politischen Plädoyer für eine „Anwaltschaft für Tiere“ (61) bzw. im „Animal Mainstreaming“ (62) zum Ausdruck bringt: Entsprechend dem „Gender Mainstreaming ist Tiergerechtigkeit also eine Querschnittsaufgabe“ (62). „Der Fokus des Buches liegt auf den direkten Ansprüchen, welche die Tiere als Lebewesen und Mitgeschöpfe an uns stellen. Wie wir mit den Tieren umgehen, ist eine Frage der Gerechtigkeit“ (34).
Ein weiterer Grundgedanke des Werkes zeigt sich in der evolutionsbiologisch bekannten und vom Autor theologisch wie spirituell gedankenreich ausgeführten Position, dass „wir Menschen am weit verzweigten Baum des Lebens nicht die Krone, sondern nur ein kleines Ästchen“ (91) sind. „Von den Tieren sind wir nicht durch einen großen Graben getrennt, sondern bei Menschen und Tieren handelt es sich um viele Äste desselben Baumes ... Wir sind Erdlinge unter anderen Erdlingen, eine (ganz spezielle) Spezies unter anderen (ganz speziellen) Spezies“ (ebd.). Schöpfungstheologisch gewendet heißt das: „...der entscheidende Unterschied liegt nicht zwischen Mensch und Tier, sondern zwischen Schöpfer und Schöpfung. In dieser Hinsicht stehen Menschen und Tiere nicht einander gegenüber, sondern als Geschöpfe gemeinsam vor Gott“ (190). Eine wohltuende Klarstellung bezüglich der Frage nach der Sonderrolle des Menschen im Gesamtzusammenhang aller Lebewesen!
Dieser überzeugende hermeneutische Zugang bildet gleichsam die Grundmelodie für alle im Buch behandelten Themen: ob bei der wissensreichen und differenzierten Behandlung der Fragen nach industrieller Tierhaltung, Karnismus, Vegetarismus, Verhaltensbiologie, Evolution oder Tierethik, ob bei dezidiert theologischen Fragen wie die nach Schöpfung, Bund (originell: „… Es gibt also nicht einen Bund mit den Menschen und einen weiteren mit den Tieren...“, 77), Sabbat („Heute lese ich das Sabbatgebot für die Tiere als eine grundsätzliche Begrenzung der Nutzungs- und Verfügungsgewalt des Menschen über die Tiere“, 180), Hoffnung, Frieden – in konsequent bibeltheologischer Perspektive wird die Arche-Erzählung (Gen 6 ff.) Kapitel für Kapitel durchbuchstabiert: „Die Arche ist Gottes Artenschutzprogramm für alle Formen des Lebens, nicht nur für die Nutztiere und Haustiere… Und was ist das Ziel der großen Rettungsaktion? ‚Dass sie leben bleiben mit dir.‘ Im Blick ist also das Überleben aller Arten inklusive der menschlichen Spezies“ (70). Mit dieser hermeneutischen Option verfällt Kappes allerdings nicht in eine naive oder einseitige Argumentationshaltung: Klar ist, dass es weder eine „einheitliche biblische Sicht der Tiere gibt” (33), noch dass „das Verhältnis zwischen Mensch und Tier... idealisiert“ wird (ebd.). Dazu gehört auch, dass der Unterschied zwischen Tier und Mensch nicht eingeebnet, sondern differenziert besprochen und bewertet wird (u.a. in den Schlagworten „Anthropologische Differenz“; „Evolution“; „Speziezismus“; „Verhaltensbiologie“) und in den Begriff der „faktischen Sonderrolle“ (39) gefasst wird: „Sie besteht in der ungeheuren Machtfülle des Menschen“ (ebd.). Auf Yuval Harari Bezug nehmend argumentiert Kappes, dass den entscheidenden Unterschied die Fähigkeit des Menschen zur „fiktiven Sprache“ markiert. „Wir können uns über Dinge austauschen, die es gar nicht gibt“ (40).
Die zitierte Literatur belegt den aktuellen Stand der Auseinandersetzung, Leseempfehlungen zur vertieften Diskussion sowie Bibelstellen- und Personenregister runden den Lesegewinn ab. Dem Werk ist eine vielfache Leserschaft zu wünschen: aus dem Bereich der Theologie sowie dem der kirchlichen Verkündigung, auch Interessierte aus dem naturwissenschaftlichen Bereich, die sich von Kappes‘ Ausführungen zur theologisch begründeten Tierethik bereichern lassen können.
Otmar Leibold
Schreiner, Ingrid: Das leise Verschwinden. Mein Leben mit demenzkranken Eltern.
Würzburg: echter 2023. 192 S. Gb. 16,90.
Ein Erfahrungsbericht, persönlich gehalten, bewegend, streckenweise erschütternd, von einer Autorin, die ihre beiden Eltern in eine lange und hochgradige Demenz bis zu ihrem Tod begleitete: Eindringlich beschreibt sie, wie sich dadurch ihr Alltag veränderte, auch die Koordinaten des Familiensystems, ihr christlicher Glaube, ihr ganze Existenz. Der Text ist eingängig und einfühlsam geschrieben, ergänzt immer wieder durch reflektierende, gedichtartige Texte, dazu kommen Grafiken, eher abstrakte SW-Fotos, alles in angenehmem Layout.
Ingrid Schreiner beginnt mit den ersten Symptomen der Demenz, sie erzählt, wie die Eltern den schleichenden Verfall verleugneten, sich nicht helfen ließen, starrsinnig wurden, die Realität verweigerten, immer schwächer und kindlicher wurden, sich verirrten, verzweifelten, schließlich sich nur mit Lügen kommunikativ einbinden und nur mit Druck – das Auto wegnehmen – zu dringend nötigen Schritten drängen ließen. Schreiner berichtet auch von ihrer Wut und ihrer Schwäche, von ihren Warum-Fragen und ihrer Ohnmacht, von Abschieden und Gebeten, von der Unterstützung durch Familie und Freunde, von Hoffnungen und den kleinen Freuden des Alltags. Einige Hinweise gibt die Autorin – diesen Teil hätte man etwas ausbauen können –, wie man mit dementen Menschen hilfreich umgehen kann.
Das Buch ist anregend für Menschen in ähnlicher Situation wie die Autorin, freilich auch für alle, die sich auf das Altwerden ihres Umfelds und – ja, auch das – auf ihr eigenes Alter vorbreiten möchten.
Stefan Kiechle SJ