Licht und Dunkel der Kirche

Ja, es gibt viel Dunkel in der Kirche: Ein Reformstau ohne Ende, der die Kirche vor der modernen Welt lächerlich zu machen droht. Zermürbende Polarisierungen, oft irrational, sprachlich eskalierend. XXL-Pfarreien, für viele das Ende klassischer Seelsorge. Eine Überinstitutionalisierung und -bürokratisierung, die den Blick auf Geistliches behindert. Die Missbrauchsaufarbeitung, die nur schleppend vorankommt. Führungspersonen, die hilflos und überfordert wirken. Das realitätsblind anmutende und autoritär-blockierende Rom. Eine Jugend, die – vielfach verständlich – einfach wegbleibt.

Ja, es gibt viel Licht in der Kirche: Lebendige Gemeinden, in denen Menschen mit Freude ihren Glauben leben und Heimat finden. Kirchliche Schulen, von Eltern gesucht, wegen ihrer Qualität, wegen ihrer Werte, wegen ihrer Offenheit für Religion. Soziales Engagement der Kirche, die für Arme und Kranke enorm viel tut, oft im Verborgenen, ohne Kommerz. Kirchliche Verbände, die für Ihre Mitglieder sozial und spirituell Großes leisten. Laien, Priester und Ordensleute, die mit Hingabe ihre Berufung leben. Effiziente Integrationsarbeit für Jugendliche und Migranten. Weltweite Vernetzung und Hilfe, wo die Not am größten ist.

Warum findet sich in den Medien vor allem das Dunkel? Die Kirchen würden nur noch „an der eigenen Abschaffung“ arbeiten (NZZ, 21.12.22). An Kardinal Woelki reibt man sich, aufs Kleinklein fixiert, mit bitterem Unterton. Im Internet findet man selbstverständlich alles an Gehässigkeit, was man suchen will. Klar, Skandale sind attraktiver und verkaufen sich besser als Erbauliches. Zölibatäre alte Männer mit seltsamen Gewändern eignen sich immer gut für Bashing. Manche Autorinnen und Autoren schreiben wohl auch aus persönlicher Verletzung. Aber rechtfertigt dies ausreichend die Fixierung auf das Dunkel?

Ich kenne Menschen, die ein Leben lang nur gute Erfahrungen mit der Kirche machten, viel in ihr profitiert haben und sich gerne engagierten; nun lesen sie in der Zeitung, wie schrecklich die Kirche ist – manche treten aus, engagieren sich aber weiter, gehen auch zum Gottesdienst. Ich kenne Menschen, die nie mit der Kirche Kontakt hatten, keinerlei Erfahrung haben; auch sie lesen all das Schlimme, empören sich, machen Stimmung. Ich kenne junge Menschen, die den Glauben entdecken, sich begeistern, ganz unverkrampft zur Kirche gehen und die negativen Nachrichten achselzuckend ignorieren. Ich kenne Menschen, die katholisch sind – „aber ohne Übertreibung“ –, in einer Kirchenbehörde arbeiten und sagen, als Arbeitgeber ist die Kirche besser als die meisten anderen. Ich kenne Menschen, die in ihrer Familie Opfer von Missbrauch waren und meinen, wenn ihnen das in der Kirche passiert wäre, ginge es ihnen besser, denn die Kirche tut immerhin etwas. Ich kenne Menschen, die in Bistümern hohe Verantwortung haben, sich enorm engagieren – lauter und kompetent, fleißig und tief fromm – und fassungslos darüber sind, wie ihnen plötzlich „der Laden um die Ohren fliegt“. Irgendetwas stimmt hier nicht: im widersprüchlichen Mix von Dunkel und Licht, in der Wahrnehmung, im Urteilen und im Handeln.

Medienkritik durch Kirchenvertreter gilt als Wegverweisen von eigenen Sünden auf die Sünden anderer. Politisch korrekt ist sie überhaupt nicht. Umgekehrt ist Kirchenkritik durch Medienvertreter politisch hoch korrekt und soll von Kirchenvertretern demütig geschluckt werden. Schlechte Nachrichten sind oft Selffulfilling Prophecy: Wer liest, dass die Leute – weil die Kirche so schlecht sei – in Massen austreten, findet die Kirche deswegen schlecht und tritt aus – und macht damit alles noch schlechter. Dass jedoch gut 20 Millionen Menschen in Deutschland trotz des miserablen Renommees Mitglieder der katholischen Kirche sind, teilweise wohl bewusster und überzeugter als früher, das liest man nicht.

Ja, der Reformbedarf ist riesig und die Fähigkeit zur Reform gering. Sind nicht auch die starren bürokratischen Apparate mit dem vielen Personal ein Problem? In anderen Ländern, in denen der Kirchenfrust geringer ist, gibt es diese nicht. Wenn in naher Zukunft den Kirchen das Geld und das Personal ausgehen werden, könnte das – bei allem Schmerz – auch helfen. Kirche könnte auf diese Weise ehrenamtlicher und geschwisterlicher, sozialer und spiritueller werden. Übrigens hat auch der Staat mit seinen immer komplexeren Verwaltungsvorschriften seinen Anteil an dieser durchaus gesamtgesellschaftlichen Misere.

Christen gehen in die Kirche nicht wegen der Kirche, sondern wegen des Glaubens. Kirche ist weniger die sehr fehlbare Institution, sondern die Gemeinschaft der Gläubigen. Wie kann es gelingen, diesen verbindend-spirituellen Aspekt der Kirche im Bild, das sie für ihre Mitglieder wie in der Öffentlichkeit abgibt, deutlicher aufscheinen zu lassen? Wie kann das Licht in ihr mit dem Dunkel, das ja nicht vertuscht werden soll, so zusammenwirken, dass die Kirche als das erscheint, was sie ist: eine menschliche Gemeinschaft – fehlbar und immer im Umbruch –, die auf die Rettermacht Christi vertraut und sich, durchaus mit Frucht, engagiert für das leibliche und spirituelle Wohl aller Menschen und für Gerechtigkeit und Friede?

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