Nordhofen, Eckhard: Media divina. Die Medienrevolution des Monotheismus und die Wiederkehr der Bilder.
Freiburg: Herder 2022. 320 S. Gb. 34,–.
Mit „Corpora“ hat Nordhofen 2020 die Geschichte des Monotheismus als Mediengeschichte entfaltet: An die Stelle des Götzenbildes tritt im biblischen Monotheismus die Schrift als Zentralmedium göttlicher Präsenz aber auch als Vorenthaltung. Diese Simultaneität, charakteristisch für einen Gott, der in der irdischen Funktionalität nicht aufgeht, werde im Neuen Testament durch das Medium Brot ergänzt.
„Media divina“ schreibt diese Geschichte im Christentum in 24 Kapiteln fort und zeigt auf, wie die Kirche um das Bild als Medium ringt, sind doch auch für sie die zehn Gebote mit dem Bilderverbot verbindlich. So legt Nordhofen die theologische Reflexion als geistigen Raum der europäischen Kunstgeschichte frei und zeichnet nach, wie die Malerei bis in die Moderne hinein die Grenze zur Transzendenz gestaltet.
Auf den ersten Seiten referiert Nordhofen nochmals Bild und Schrift, Schauen und Hören als simultane Abwesenheits-/Anwesenheitsmedien des Göttlichen in der Bibel. Wer „Corpora“ gelesen hat, inzwischen in der 3. Aufl. erschienen, stellt fest, dass die Diskussion dazu eingearbeitet ist. Der christliche Inkarnationsglaube verhilft dann dem Bild zurück in den Monotheismus. Das Wort wird Fleisch und muss „als eine Konsequenz des Tetragramms“ (69), also des an Mose geoffenbarten Gottesnamens JHWH, gelesen werden. Dieser Glaube bestimmt auch den Übergang von der bildenden Kunst und Malerei der Antike, wie sie sich zur Repräsentanz von Herrschern aber auch in der Porträtmalerei von Verstorbenen entwickelt hatte, zur Ikonenmalerei. Es geht dabei nicht um einen Verlust künstlerischer Technik, wie zuweilen behauptet. Vielmehr wird angesichts des aufkommenden Islam im Ikonoklasmusstreit darum gerungen, wie (dem Bilderverbot treu bleibend) die Inkarnation und die Zwei-Naturen Jesu Christi visualisiert werden können. Ein nicht repräsentatives und vergegenwärtigendes, sondern narratives Verständnis des Bildes lässt den Westen jedoch in eine andere Richtung gehen. Das Bild hat vor allem didaktischen Charakter.
Von der anarchischen Kraft des Monotheismus bis heute weiterhin überzeugt, beschreibt Nordhofen das „Beinahe-Konzil“ (134) zur Bilderfrage von Karl dem Großen in Frankfurt am Main, das faktisch zu einer religiös-politischen Gewaltenteilung führte. Danach kehrt das Buch mit El Greco zur Kunstgeschichte zurück, da der Ikonenmaler aus Kreta, der in Venedig die Renaissancemalerei schätzen lernt, in Spanien einen Kunststil entwickelt, der bei allem darstellenden Können Alteritätsmarkierungen verwendet. An einzelnen Gemälden von Raffael, Tizian etc. wird beschrieben, wie sich das Bild aus dem Kult löst und wie es kontextualisiert wird. Die Mimesis, die Darstellung der physisch wahrnehmbaren Wirklichkeit, kehrt zurück, doch zielt das religiöse Bild weiterhin auf das Unsichtbare und Geistige. Die Alteritätsmarkierung liegt nicht mehr im Stil, „sie wandert ins Sujet“ (173).
Nordhofen beschreibt die Rückkehr der Grafolatrie und die Skepsis gegenüber dem Altarbild durch die Reformatoren. Er zeigt auch, wie das biblische Sujet in der evangelischen Tradition einen „Wechsel seines „Sitz des Lebens““ (209) erfährt, nämlich in den Alltag hinein. Der letzte Wechsel in der Moderne bleibt der Alteritätserzeugung treu und will einerseits nicht das Sichtbare darstellen, sondern macht sichtbar, wie Paul Klee wiederholt zitiert wird. (18, 155, 272) Andrerseits verschwindet jeder Gegenstand, und sogar das Können des Künstlers wird über Bord geworfen: „Die Bilder sollen aufhören zu bedeuten. Stattdessen will [der Künstler] dem Betrachter eine besondere Erfahrung… ermöglichen… Das Seherlebnis soll ein Zeitverhältnis ermöglichen“ (259). Die Leere und die Abwesenheit Gottes, durch die Erfahrung des Holocaust verstärkt, werden zum Motor der Kunst. Gerade in Osteuropa findet die figürliche, religiöse Malerei jedoch eine Fortsetzung und Neugestaltung, wie Nordhofen an einem Bild von Michael Triegel zeigt.
Nordhofen zeichnet große historische Bögen, verbunden mit exemplarischer Besprechung von Gemälden. Die Ausführungen zu Moderne und Gegenwart sind leider bruchstückhaft, wie auch die Barockzeit nur noch gestreift wird. Mit den zuweilen ausschweifenden historischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Passagen stellt Nordhofen interessante Bezüge zur religiösen Praxis der Gegenwart her. Doch „Media divina“ hat nicht mehr die Konzentration auf die Fragestellung, wie sie „Corpora“ auszeichnete. Dennoch liest sich das Buch leicht und mit großem Nutzen für jede und jeden, der an der Frage religiöser Ästhetik interessiert ist. Abbildungen, Stichwortverzeichnis und Bibliografie machen das Buch weiter leserfreundlich. Da verzeiht man den zuweilen etwas penetranten Schreibstil des Autors.
Christian M. Rutishauser SJ
Becka, Michelle / Gmainer-Pranzl, Franz (Hgg.): Gustavo Gutiérrez: Theologie der Befreiung (1971/2021). Der bleibende Impuls eines theologischen Klassikers (Salzburger Theologische Studien 64 / interkulturell 21).
Innsbruck: Tyrolia 2021. 360 S. Kt. 32,–.
Mit „In die Zukunft blicken“ (oder „In die Weite schauen“) überschrieb der peruanische Pfarrer und Theologe Gustavo Gutiérrez sein Vorwort zur 14. Aufl. (1990) seines 1971 erschienenen Klassikers „Theologie der Befreiung“. Er hatte den heute weltbekannten Begriff bereits drei Jahre zuvor in einem Vortrag verwendet. Das wenige Monate danach stattfindende gesamtlateinamerikanische Bischofstreffen im kolumbianischen Medellín im Jahre 1968 trug zur Verbreitung dieses Namens für ein ganzes Bündel lateinamerikanischer und karibischer theologischer Perspektiven bei. Leider wurden sie in Europa lange als spezielle Bereichs- oder lokalspezifische Theologien, gar als Mechanismen marxistischer Unterwanderung missverstanden und von vatikanischen Stellen im Zusammenspiel mit konservativen politischen und kirchlichen Kreisen zu liquidieren versucht.
Fast alle Kapitel, von denen die Hälfte aus einer 2019 zum „bleibenden Impuls eines theologischen Klassikers“ veranstalteten Tagung stammt, beziehen sich auf das genannte Vorwort. Denn es enthält nicht nur einen klärenden und selbstkritischen Rückblick auf die kirchlichen, theologischen, gesellschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Kontexte des damaligen Beginns der Umsetzung des II. Vatikanischen Konzils in Lateinamerika und der Karibik. „Befreiung“ wurde seinerzeit zum ideologiekritischen Gegenbegriff zu „Entwicklung“, einem Wort, das erstaunlicherweise auch nach drei großenteils vergeblichen globalen „Entwicklungsdekaden“ und den beiden darauf folgenden, auf jeweils fünfzehn Jahre veranschlagten ebensolchen UN-Entwicklungsprogrammen zur Bekämpfung von weltweiter Ungleichheit und Abhängigkeit seinen Zauber nicht verloren hat. Das Vorwort zeigt auch, dass die durchaus heterogene Befreiungstheologie, die einerseits nicht der theologische Mainstream des sogenannten Subkontinents ist, andererseits aber keineswegs auf ihn beschränkt geblieben ist, wie alle Theologien in der Geschichte des Christentums einen komplexen dynamischen Prozess darstellt, der seine jeweils konkreten und einmaligen Ausgangsbedingungen mit den sich universalisierenden soziokulturellen Entwicklungen vermitteln muss.
„Text und Entstehungskontext des Buches“ benennt akkurat den Inhalt der fünf Kapitel des ersten Teils, wobei vor allem die ausführlichen Untersuchungen von Johannes Meier, Mariano Delgado und Gerhard Kruip, und Edith Wittenbrink sich zu einem aufschlussreichen biografisch-kirchengeschichtlichen Gesamtbild des fünfzigjährigen Klassikers und seines mit siebzig in den Dominikanerorden eingetretenen Verfassers ergänzen. Die zehn ebenso kenntnisreichen Kapitel des zweiten Teils stecken ein weites Feld von durch Gutiérrez‘ Buch angestoßenen Diskussionen ab und zeigen auf, dass es hier nicht mehr um eine spezifisch lateinamerikanische, sondern um eine in Lateinamerika für die Weltkirche geborene Perspektive geht: Ekklesiologie, Gerechtigkeit, Armut, Entwicklung-Befreiung, zentrale gesellschaftliche Konflikte, Reich Gottes-Geschichte, Theorie-Praxis, Entkolonisierung der Theologie, und abschließend zwei Kapitel zu Christologie und Pfingstbewegung.
Natürlich kann, wie die Mitherausgeberin schreibt, Teología de la Liberación „keine Blaupause für die Reflexion der Glaubenspraxis fünfzig Jahre danach“ sein, wohl aber eine Ermutigung, „Perspektiven zu verschieben und die angemessene theologische Sprache zur Reflexion unserer Zeit – und ihrer Praktiken der Ungerechtigkeit – zu finden“ (159). Im Vorwort hat Gustavo Gutiérrez auf die allmähliche Bereicherung der ursprünglich stark sozioökonomisch-politisch geprägten Perspektive der Befreiungstheologie durch unterschiedliche feministische, indigene und schwarze Theologien hingewiesen. Ihre Impulse können auch weiterhin die immer noch hegemonischen, nordatlantikzentrischen Theologien und deren meist akademisch situierten Vertreter inspirieren, denn sie gehen von dem globalen Skandal der Armut aus, die, wie das Abschlussdokument von Medellín vor einem halben Jahrhundert formulierte, so viele Millionen von Menschen überall auf der Welt „nicht nur vom Genuss der materiellen Güter, sondern auch von ihrer eigenen menschlichen Verwirklichung trennt“.
Stefan Krotz
De Lassus, Dysmas: Verheißung und Verrat. Geistlicher Missbrauch in Orden und Gemeinschaften der katholischen Kirche.
Münster: Aschendorff 2022. 336 S. Gb. 26,80.
Der Autor ist Prior der Großen Kartause und damit Generaloberer des Kartäuserordens – dass ein Kartäuser mittels eines Buches sein Schweigegelübde bricht, ist sehr ungewöhnlich und nur durch das außerordentlich wichtige und schmerzhafte Thema gerechtfertigt. Dankenswerter Weise nun auch auf Deutsch publiziert, ermöglicht das gewichtige Buch einen tiefen Einblick in die mit „geistlichem Missbrauch“ umschriebenen Verirrungen in spirituellen Gemeinschaften der Kirche. Viele Gemeinschaften sind betroffen: renommierte wie kaum bekannte, kontemplative wie apostolische, neue geistliche Bewegungen wie klassische Orden.
Geistlicher Missbrauch bedeutet, dass eine Autoritätsperson jemanden besitzen will: Sie erlangt Macht über sein Gewissen, fordert völlige Selbstaufgabe und absolute Unterwerfung, bricht das Schweigegebot, setzt sich selbst an die Stelle Gottes, behauptet, allein Gottes Willen zu kennen, entstellt damit das Gottesbild, macht Schuldgefühle wegen Ungehorsams, zerstört die Persönlichkeit. De Lassus beschreibt alle diese Mechanismen ausführlich, weniger aus psychologischer Sicht, mehr in geistlicher und theologischer Deutung. Insbesondere den verfehlten Gehorsam thematisiert er ausführlich, und er gibt die Richtung an zu einem lebbaren und sinnvollen Ordensgehorsam. In seinen Ausführungen zum Gemeinschaftsleben betont er immer wieder die Notwendigkeit von reifen, starken und vor allem freien Persönlichkeiten. Geistliche Begleitung fördert die freie Beziehung zu Gott und mischt sich nicht direktiv in diese ein. Ein Kapitel spricht auch von den Dynamiken, die zu sexuellem Missbrauch führen können. Die Hinwendung zu den Opfern ist ein erstes Element der Gesundung und der Prävention. Ein anregendes Schlusskapitel beschreibt den Sinn und die Schönheit eines geistlichen Gemeinschaftslebens.
Das Buch ist schon durch das Thema keine leichte Lektüre, auch ist es dicht geschrieben, aber die Anstrengung lohnt sich. Der Autor seziert nicht einfach intellektuell und im Empörungsmodus die Missstände der Kirche, auch erhebt er sich nicht, wie das sonst meist geschieht, über die erzählten Probleme und urteilt sie ab, sondern er schreibt in persönlicher Demut und in aller Einfachheit ein wirklich geistliches Werk, das die theologische Sinnhaftigkeit und zugleich die Fehleranfälligkeit des Gemeinschaftslebens radikal kennt und benennt – er ist selbst ein spiritueller Meister, der die Höhen und Tiefen dieses Lebens durchlitten und durchlebt hat und es dennoch bleibend für wertvoll und lebbar hält. Vielleicht ist ein solches Schreiben nur in Frankreich möglich – und macht es daher für die deutsche Leserschaft umso wertvoller.
Eine Triggerwarnung wäre wohl angemessen: Frühere schmerzhafte Erfahrungen können bei betroffenen Personen wieder geweckt werden und sie neu belasten. Doch einer breiten Leserschaft wird das Buch Augen öffnen, und die Kirche wird es weiterführen.
Stefan Kiechle SJ
Körner, Reinhard: Was ich Gott wünsche. Ein heilsamer Blick am Wendepunkt unserer Zeit.
Leipzig: Benno 2022. 96 S. Gb. 12,95.
Kann man Gott etwas wünschen? Ist er nicht vollkommen und daher bedürfnislos? Der theologische Dreh- und Angelpunkt des vorliegenden Bändchens lautet: Gott hat sich aus Liebe und in Freiheit unserer Liebe bedürftig gemacht, damit wir sie ihm, anderen Menschen, uns selbst und der ganzen Schöpfung in Freiheit zurückschenken. (75 f.) Das ist sein größter Wunsch. Dass dieser sich erfülle, ist genau das, „Was ich Gott wünsche“ – wie es im Titel des originellen und tiefsinnigen Buchs von P. Reinhard Körner heißt.
Den Anstoß, darüber nachzudenken, wie man für Gott bitten kann, erhielt der Autor von einem Kind, das auf seinen Wunschzettel schrieb: „Ich wünsche mir, dass es Gott gut geht“ – wohl die schönste Zusammenfassung des ganzen Buchs. Denn neben der Einladung, Gottes Liebeswerben zu unterstützen, ist es der Klang der Liebe, den der Autor feinsinnig im Wünschen für Gott wahrnimmt, ausgehend von den Eingangsversen des Vaterunser (13).
Welche Wünsche für Gott werden im Hauptteil des Buchs vorgestellt und bedacht? „Ich wünsche dir, Gott, dass du mehr bemerkt und beachtet wirst“; „Ich wünsche dir, Gott, dass wir das Leid und das Böse nicht dir anlasten“; „Ich wünsche dir, Gott, dass wir benutzen, was uns gegeben ist: die Vernunft und die Fähigkeit zu lieben“; „Ich wünsche dir, Gott, dass wir als gesamte Menschheit von deinem Jesus lernen“; „Ich wünsche dir, Gott, dass du für deine Schöpfung genug ‚Salzmenschen‘ findest.“; „Ich wünsche Dir, Gott, dass deine Sehnsucht und deine Wünsche zu unserer Hoffnung werden.“
Wie entfaltet der Autor die einzelnen Wünsche? Beim ersten Wunsch erinnert er an die vielfältigen Formen von Gotteserfahrung heute. Es geht darum, so der Autor, sich von Gott berühren zu lassen und aus einer lebendigen Beziehung zu ihm heraus das Leben zu gestalten. Eine solche freundschaftliche Beziehung verträgt harte und schwierige Anfragen, z.B. die nach dem Sinn einer leidgeprüften Welt. Angriffig auch die Ausführungen zum Wunsch „Ich wünsche dir, Gott, dass du für deine Schöpfung genug ‚Salzmenschen‘ findest“ (63-73). Viele Verkündiger des Glaubens sind nach Ansicht des Autors nicht mehr Salz der Erde und Licht der Welt, sie haben ihre „erste Liebe“ (Offb 2,4) verloren. Sie haben einen Glauben, aber glauben nicht wirklich, sie leben von, aber nicht mit Gott (66 f.). Der letzte Wunsch des Buchs („…, dass deine Sehnsucht und deine Wünsche zu unserer Hoffnung werden“ 74-83) und der Nachtrag „Ich bete zu dir, Gott – für dich (84-86) bedenken den Untertitel der Publikation: „Ein heilsamer Blick am Wendepunkt unserer Zeit“.
P. Körner ist ein Meister der kleinen Form. Auf engstem Raum fasst er vielschichtige theologische Zusammenhänge punktgenau und allgemeinverständlich zusammen. So z.B. bei Wunsch 1 die Grundlinien der Geschichte des Monotheismus, bei Wunsch 2 die Geschichte der Deutung des Leids und des Bösen in der Welt, bei Wunsch 5 eine Charakterisierung der Liebessehnsucht Gottes nach dem Menschen und der ganzen Schöpfung. Zum besseren Verständnis des Ganzen wäre es vielleicht hilfreich gewesen, diesen Punkt in den einleitenden Teil des Buchs einzubauen.
In ihrem letzten Radiointerview bemerkte Dorothee Sölle: „Gott hat zu wenig Freunde auf der Welt.“ Auch so hätte man das Buch von P. Körner titeln können. Nah am theologischen Ansatz von P. Körner auch Tomáš Halík, der im Anschluss an Augustinus titelt: „Ich will, dass du bist. Über den Gott der Liebe.“ Last not least: Was würden Sie Gott wünschen?
Wolfgang Broedel