Striet, Magnus / Hoping, Helmut: Gott, Freund der Freiheit. Ein Streitgespräch.
Freiburg: Herder 2023. 141 S. Gb. 18,–.
Streit herrscht wohl vor: Es geht nicht nur um Gott, sondern auch um die Welt. Von der Freiheit ist eher untergründig die Rede. Die beiden Freiburger Fakultätstheologen, Fundamentaltheologe der eine (Striet), Dogmatiker der andere (Hoping), sind nicht nur für ihre reiche Publikationstätigkeit bekannt, sondern auch profiliert durch dezidierte Positionen: Striet ist reformorientiert, Hoping eher traditionalistisch. Im Gespräch handeln sie die üblichen Kontroversthemen ab, welche durch den Synodalen Weg wenn nicht hervorgerufen, so doch heftig zugespitzt worden sind.
Das Angebot, ausgebreitet in acht Kapiteln, reicht von der Ämtertheologie bis zur Frauenordination, von der Möglichkeit der Lehrentwicklung bis zur Zukunft des Christentums überhaupt. Große Neuigkeiten sind nicht zu erwarten. Es scheint wirklich so, dass nicht nur alles inzwischen gesagt worden ist, sondern auch schon von beinahe jedem. Dabei zeigt sich allerdings wieder und wieder, dass die jeweiligen Urteile stark beeinflusst sind durch die Offenheit für die aktuellen Argumente. Die herkömmliche Lehre beruht in nicht wenigen Fällen auf Annahmen, die nicht mehr zu halten sind. Das trifft etwa zu für die historische Faktizität der Handauflegungskette bei der Apostolischen Sukzession oder die dogmatische Wertigkeit der Transsubstantiationstheorie. Hoping muss da nicht selten zurückstecken. Auch die persönliche Betroffenheit geht in die Positionierung ein, beispielsweise bei der Zölibatsangemessenheit. So bleibt in den meisten Fällen die Distanz der beiden auf Rufweite.
Der Wert des kleinen Buches liegt in den ersten Kapiteln über Gott und Jesus Christus. Entscheidend dafür, welche Partei in den heutigen Diskussionen einer ergreift, ist die Frage, welchen erkenntnistheoretischen Stellenwert für ihn der Glaube besitzt. Unbestritten ist für die Kontrahenten, dass dieser eine Setzung, eine willentliche Entscheidung ist. Diese kann zweifelsohne so entschieden sein, dass man dafür das Leben hingeben kann. Dennoch gilt der Einwand Striets, dass diese Entscheidung insofern dezisionistisch ist, als sie letzten Endes doch auf einer Hypothese beruht – nicht anders als in allen anderen Wissens- und Lebensgebieten auch. Gott ist nicht strikt beweisbar, man kann rational verantwortbar auch seine Existenz bestreiten. Aber Glauben ist nur möglich, wenn jedenfalls die Zusage rational begründet ist. Ich muss es menschlich verantworten können zu glauben, dass Christus, aber nicht Eurydike aus der Unterwelt erstanden ist. Hoping stellt dies weitgehend in Abrede, verwechselt aber dabei Glaubensakt und verstehende Glaubensaneignung. Man kann fragen, ob nicht viele Dissense einfach dadurch entfacht werden, dass hier zwei fachverwandte, aber nicht fachgleiche Wissenschaftler streiten: Die Dogmatik darf Voraussetzungen machen, die aber fundamentaltheologisch abgesichert sein müssen. Und eben dies ist heutzutage schwierig und zugleich unerlässlich, da die Setzung des Glaubensaktes für viele Menschen weder selbstverständlich noch leicht ist. Sie haben keinen Zugang mehr zu den dogmatischen Denkformen. Exemplarisch zeigt sich dies an der Problematik der Frauenordination. Es ist weder plausibel noch sachlich begründet, ihr Verbot an der menschlichen Natur Jesu festzumachen. Könnte sie nicht in der mit der Annahme derselben bedingten Entäußerung und Mangelhaftigkeit begründet sein, die mit der Amtsfrage ursächlich nichts zu tun hat?
Die Kontroversisten diskutieren erfreulich sachlich, vornehm, kollegial. Der Wert des von Stefan Orth, dem Chefredakteur der „Herder-Korrespondenz“, moderierten Gesprächs liegt darin, dass hier in einer guten Weise dem Leser und der Leserin Anregungen geboten werden, sich selber eine Meinung zu Problemen zu bilden, von deren Lösung zumindest bei uns die Zukunftsfähigkeit der Kirche abhängt. Dabei sollte mehr noch als zurück nach vorn geschaut werden: Die Kirche geht dem kommenden Herrn entgegen!
Wolfgang Beinert
Schulz, Hannah A.: Bei euch soll es nicht so sein! Missbrauch geistlicher Autorität (Ignatianische Impulse).
Würzburg: echter 2022. 90 S. Gb. 9,90.
Die Autorin, systemische Supervisorin, Exerzitienbegleiterin und Referentin in der Erwachsenenbildung, unterscheidet zunächst grundlegend zwischen „Macht“ und „Autorität“. Autorität entwickelt sich in Beziehungen „von unten“, Macht wird, wenn sie an Ämter und Titel gebunden ist, „von oben“ verliehen. Missbrauch von geistlicher Macht ist leichter erkennbar, da ihr rechter Gebrauch eher an objektiven Kriterien gemessen werden kann, als dies bei dem Missbrauch geistlicher Autorität der Fall ist (Vgl. 25). In einem treffenden Bild vergleicht Schulz den Missbrauch geistlicher Autorität mit Diebstahl: Autorität wird „durch Anerkennung, Wertschätzung und Respekt verliehen. Man kann sogar sagen, sie wird geschenkt. Ihr Missbrauch besteht darin, sich etwas zu nehmen, was einem nicht zusteht. Es ist eine Form von Diebstahl“ (31).
Auf die Begriffsklärungen folgt die Entfaltung der Dimensionen geistlichen Missbrauchs. Der Verstrickungscharakter wird besonders deutlich am Beispiel der Unterscheidung von Ikone und Idol: „Eine Ikone ist nicht beleidigt, wenn sie nicht beachtet wird“ (58). Weggehen ist möglich, aber um einen hohen Preis. Es bedeutet, sich einzugestehen, dass man den verlorenen Einsatz nicht mehr zurückbekommt“ (68). Trotzdem muss der geistliche Missbrauch nicht das letzte Wort haben. Es gibt ein Leben danach. Im Schussteil (70-88) gibt die Autorin Hinweise für die unterschiedlichen Beteiligten: die Machtinhaber, die Autoritätspersonen, die Schwächeren im Machtgefälle, die außenstehenden Beobachter. Hier wird ausbuchstabiert, was Jesus seinen Jüngern zum Thema Machtmissbrauch sagt: „Bei euch soll es nicht so sein …“.
Hanna A. Schulz ist mit diesem „Ignatianischen Impuls“ ein hervorragender Beitrag für den Umgang mit dem schwierigen Thema des geistlichen Missbrauchs gelungen. Die begriffliche Klarheit hilft, das Phänomen zu fassen und zugleich abzugrenzen gegenüber uferlosen Ausweitungen (vgl. etwa 18). Die Autorin reflektiert eigene Erfahrungen aus der Nähe zu klerikalen Idolen (57 f.). Offensichtlich verfügt sie zudem durch die Begleitung Betroffener über einen reichen Erfahrungsschatz, der gerade auch in den Hinweisen im letzten Kapitel für die Praxis fruchtbar wird. Die Autorin kennt sich zudem in der ignatianischen Tradition bestens aus. Sie hebt auch dort für die relevante Fragestellung neue
Schätze.
Dieser „Ignatianische Impuls“ gehört in gewisser Weise direkt neben das Exerzitienbuch eingestellt, um die ignatianische Spiritualität und diejenigen, die sich darauf einlassen, angesichts neuer Herausforderungen durch Geistlichen Missbrauch zu schützen.
Klaus Mertes SJ
Höhn, Hans-Joachim: In Gottes Ohr. Von der Kunst poetischer Gottesrede.
Freiburg: Herder 2022. 176 S. Gb. 22,–.
Die These des Buches, theologische Sprache müsse poetisch sein und Theologie kurz und knapp gefasst werden, ist sehr zu unterstützen. Sie wird im langen I. Kapitel erläutert, in ziemlich theologischer Sprache – leise keimt der Verdacht eines gewissen performativen Widerspruchs empor. Man findet dort u.a. eine sechsseitige Polemik gegen jene, die vom bloß „lieben“ und barmherzigen Gott reden (21 ff.) – aber niemand wird zitiert, der so redet. Außerdem entlarvt Hans-Joachim Höhn hier ja nicht schlechte theologische Sprache, sondern schlechte Theologie, und er setzt keine bessere dagegen – wie deutet er den zentralen biblischen Satz, dass Gott die Liebe ist (1 Joh 4,16)? Höhn kritisiert auch „willfährige Ersatzworte“: Aus dem „Exerzitienmeister“ werde ein „Geistlicher Begleiter“, von dem am Ende nur noch der „Coach“ übrigbleibe (40); nun sind das aber drei unterschiedliche Aufgaben, die alle ihren guten Sinn haben; durchaus lobenswert ist, auch im Sinn der Machtmissbrauchsprävention, dass man heute kaum mehr Exerzitien meistert, sondern Menschen auf geistlichen Wegen begleitet.
In Kap. II lobt Höhn die Theopoetik und kritisiert die Theologie – allerdings wieder recht weitschweifig, immerhin gewürzt mit recht interessanten Gedichten verschiedener Autoren. Mit der Feststellung „…nur selten taugt eine gute Idee für ein ganzes Buch“ (85) beginnt Kap. III: „Kurz und gut: Merksätze über Gott und die Welt“. Nun folgt ein Feuerwerk an Aphorismen, Kalauern und kurzen „Definitionen“, oft mehr Sprachwitze, gelegentlich anregende Einsichten; alles wirklich kurz und knapp, aber dafür ziemlich viel; mal recht theologisch, mal auch allgemein menschlich; mal geistreich, auch ironisch, mal etwas bemüht und – sorry – durchaus mit Mut zum Banalen. Ein viertes Kapitel folgt über das Abdanken im Beruf und im Leben, über Verzichte und über das Aufhören – geistreich und hilfreich, aber der inhaltliche Bezug zu den vorigen Kapiteln und zum Titel des Buches erschließt sich nicht ganz.
Das Buch erfüllt nicht wirklich alle Erwartungen, die sein Titel weckt. Unbenommen sei, dass mancher Leser und manche Leserin gute Anregungen aus ihm schöpfen werden.
Stefan Kiechle SJ
Marx, Dalia: Durch das Jüdische Jahr. Aus dem Hebr. übers. und bearbeitet von Rabbinerin Ulrike Offenberg. Illustrationen von Elad Lifschitz.
Berlin: Hentrich & Hentrich 2021. 384 S. Gb. 34,–.
Um es vorweg zu sagen: eine beeindruckende Publikation! Das Buch von Rabbinerin Dalia Marx, dessen Originalausgabe 2018 in Israel unter dem Titel „In der Zeit. Reisen durch den jüdisch-israelischen Jahreskreis“ erschien, vermittelt einen tiefen Einblick in den Reichtum jüdischer Traditionen. Die Professorin für Liturgie und Midrasch am Hebrew Union College in Jerusalem stellt die zwölf Monate des jüdischen Kalenders vor, beschreibt wenig bekannte Überlieferungen, Riten, Gebete und häusliche Bräuche und fragt dabei, welche Bedeutung diese Traditionen im modernen Leben des 21. Jahrhunderts haben können.
„Das Anliegen dieses Buches ist es“, so Dalia Marx in ihrer Einführung, „viele Fenster und Türen zum jüdischen Kalender zu öffnen, Zimmer zu durchlüften, … verstellte Ecken zu beleuchten“. Das Nachdenken über jeden der zwölf Monate folgt dem gleichen Aufbau: Einstimmung – Lied des Monats – Erörterungen – Gebet des Monats. Textfenster am Rande einzelner Seiten des Buches geben mit ihren Betrachtungen und Ergänzungen zusätzliche Aus- und Einblicke. Dabei bringt die Autorin viele jüdische Stimmen aus verschiedenen Zeiten und Regionen zu Gehör.
Übersetzt und für den mitteleuropäischen Kontext bearbeitet wurde das Buch durch die Hamelner Rabbinerin Dr. Ulrike Offenberg, die darüber hinaus u.a. an Universitäten lehrt und sich am jüdisch-christlichen Gespräch beteiligt. In ihrem Vorwort betont sie, dass sich das Buch auch an eine nichtjüdische Leserschaft richtet, um so deren Wissen und Verständnis für jüdische Rituale, Bräuche und Traditionen zu fördern. Ein beeindruckendes Buch, das fundiert und einfühlsam zu einer Reise durch den jüdischen Kalender mit seinen vielfältigen Traditionen einlädt.
Wolfgang Brinkel
Volkov, Shulamit: Deutschland aus jüdischer Sicht. Eine andere Geschichte vom 18. Jahrhundert bis zu Gegenwart.
München: C.H. Beck 2022. 336 S. Gb. 28,–.
Die Autorin, emeritierte Professorin für Vergleichende Europäische Geschichte an der Universität Tel Aviv und Mitglied der israelischen Akademie der Wissenschaften, beendet ihren Überblick über zwei Jahrhunderte jüdischer Geschichte in Deutschland verhalten optimistisch: „Die Errungenschaften der Vergangenheit sind nicht völlig verloren, und der Blick in die Zukunft eröffnet Raum für Optimismus“ (306). Dabei verschweigt sie keineswegs die Schwierigkeiten und Ambivalenzen neu beginnenden jüdischen Lebens nach 1945 in Deutschland vor und nach 1989, also vor und nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit. Ein Gefühl absoluter Zugehörigkeit zum geliebten Vaterland, wie es sich etwa in Teilen der jüdischen Bevölkerung im Kaiserreich gebildet hatte, konnte und wird es nach dem Holocaust nicht mehr geben. Zugleich gehört aber auch dies zur paradoxen Folge der Shoah: „Paradoxerweise wurden die Juden jedoch gerade durch diese radikale Diskriminierung und die Anstrengungen, sie zusammen mit ihren europäischen Glaubensgenossen zu vernichten, von zentraler Bedeutung für die Deutschen und Deutschland, mehr als je zuvor. Während man sie früher als marginal betrachten konnte und sie selbst es oft so wünschten, als Minderheit in der Mehrheit zu verschwinden, führte nach dem Krieg die Erinnerung an ihr Schicksal … dazu, dass es nicht mehr möglich ist, die Juden aus der deutschen Perspektive auszublenden“ (243 f.).
Volkov lässt die moderne deutsche Geschichte und die moderne jüdische Geschichte mit der Aufklärung beginnen. Als zentrale Figur für die jüdische Aufklärung (Haskala) benennt sie Moses Mendelssohn. Mit ihm verbinden sich deutsche und jüdische Geschichte zu einem „gemeinsamen Drama“ (28). Aus jüdischer Perspektive werden die Ambivalenzen der nun folgenden Jahrzehnte deutlicher: Die Aufklärung hat gegenüber Juden auch ein intolerantes Gesicht. Der politische Liberalismus zu Beginn der 19. Jahrhunderts bis hin zu seinem Höhepunkt während der Revolution von 1848 zeigt sich ambivalent; modern und traditionell, egalitär und ausgrenzend zugleich. Die Vereinigung der kleinen deutschen Staaten unter Preußen führt zu einem Bruch in der alten jüdischen Welt: Integration auf der einen Seite, Antisemitismus und Exklusion auf der anderen Seite. 1933 platzt der Traum von einer gemeinsamen Identität. Die unvorstellbaren Verbrechen der deutschen Seite durchbrechen das Band der Einheit, sofern es bis dahin tatsächlich bestand.
Volkov fügt ihrem Überblick im laufenden Text jeweils Porträts von jüdischen Einzelpersönlichkeiten hinzu, die exemplarisch für die Spannungen jüdischen Lebens in ihrer Zeit stehen: Heinrich Heine, Walter Rathenau, Bertha Pappenheim, Hannah Arendt, Fritz Bauer, und viele andere. So gelingt ihr auf eindrückliche Weise, was die Absicht ihres Buches ist: „Wir haben hier vor allem versucht, die deutsche Geschichte in einem zeitlichen Verlauf zu überblicken, die Geschichte der deutschen Juden mit ihr zu verbinden und Erstere durch die Per-
spektive Letzterer wahrzunehmen“ (243). Das ist mehr als eine bloße Ergänzung, sondern vielmehr ein Perspektivwechsel auf die gesamte deutsche Geschichte seit der Aufklärung.
Klaus Mertes SJ
Müller, Kathrin: Das Kreuz. Eine Objektgeschichte des bekanntesten Symbols von der Spätantike bis zur Neuzeit.
Freiburg: Herder 2022. 304 S. Gb. 35,–.
In der Antike war, wer am Kreuz getötet wurde, ein Verbrecher und wurde entsprechend verachtet. Dass ein Gekreuzigter von den Toten auferstehen und sich als Sohn Gottes erweisen könne, galt als völlig unglaubwürdig und widervernünftig. Wie wurde nun ausgerechnet das Kreuz Christi zum wichtigsten Symbol, ja zum Logo der christlichen Geschichte? In der Tat dauerte es einige Jahrhunderte, bis Kaiser Konstantin das Kreuz zum Siegeszeichen erklärte. Die Ikonografie des Kreuzes in den folgenden Jahrhunderten zeigt den Wandel in der Bildkultur und in der Theologie rund um das Symbol des Kreuzes.
Die Berliner Kunsthistorikerin Kathrin Müller erzählt diese komplexe Geschichte anhand ausgewählter Kreuzesdarstellungen. Vom Schandzeichen wandelte sich das Symbol zum Zeichen eines triumphalen Sieges. Bald wurde es auch zum Symbol für den göttlich geschaffenen Kosmos – die vier Kreuzarme bezeichnen die Himmelsrichtungen und umspannen die ganze Welt. Ausführlich wird die Geschichte der Grabeskirche und Golgothas und die Auffindung des Kreuzes durch Kaiserin Helena erzählt. Später geht es um den Kult mit Kreuzreliquien im Mittelalter und auch darum, wie das Kreuz antisemitisch in-
strumentalisiert wurde. Kreuzzüge ins Heilige Land und Pilgerwege – als Nachfolge des Gekreuzigten – werden ausführlich dargestellt, kritisch wird das Ablasswesen rund um den Kreuzeskult beleuchtet. Gegen Ende des Buches ein Sprung vom späten Mittelalter ins 17. und 18. Jahrhundert (Adam Elsheimer und Giandomenico Tiepolo) und dann gleich in die Gegenwart, zu einigen heutigen Streitereien um Kreuzesdarstellungen (Behördenkreuze in Bayern, Berliner Schloss…). Bisweilen verliert sich die Autorin etwas in historische und kunstgeschichtliche Details, aber die theologischen Aspekte sind, in knapper Form, ebenfalls da.
Was mir fehlt, ist der Wandel des Bildes des Gekreuzigten: Im ersten Jahrtausend war er mehr der strahlende, schon erhöhte und auferstandene Christus, ab dem Hochmittelalter wurde er dann zum Schmerzensmann Jesus von Nazareth; so wurde er unter anderem in der spanischen Bildwelt und Mystik verehrt und wird es bis heute – doch vielleicht wollte sich die Autorin auf das Kreuz konzentrieren und nicht auf den Gekreuzigten. Und warum verschwindet das Kreuz in der Reformation fast völlig aus den Kirchen? Die Auswahl der Themen ab der Neuzeit wirkt reduziert und beliebig – bei neuzeitlichen und modernen Kreuzesdarstellungen wäre noch sehr viel Anregendes zu finden gewesen.
Trotz dieser Einschränkungen ist der schön bebilderte Band empfehlenswert. Vor allem für die frühe Zeit gibt er einen tiefen Einblick in die heute kaum bekannte Symbolgeschichte des Christentums und bringt den Lesenden nicht nur die Paradoxie und den gelegentlichen Missbrauch des Kreuzes nahe, sondern auch seine Schönheit und Strahlkraft. Und er macht sensibel für einen heutigen klugen Umgang mit diesem Symbol, das immer wieder bedroht ist, für ihm Fremdes und Ideologisches vereinnahmt zu werden.
Stefan Kiechle SJ