Krautz, Jochen: Bilder von Bildung. Für eine Renaissance der Schule.
München: Claudius 2022. 150 S. Kt. 25,–.
Es ist ein Buch nach der Niederlage. Seit „Ware Bildung. Schule und Universität unter dem Diktat der Ökonomie“ (München 2007) hat Krautz in zahlreichen Schriften versucht, eine pädagogische und politische Debatte über die funktionalistische Reform der Schule in Gang zu bringen, im Wesentlichen ohne die erhoffte Wirkung: Das Funktionieren diskutiert nicht. Es hält das Messen von Kompetenzen für ausreichend und hat die Sprache abgeschafft, in der wir über Ziele menschlichen Werdens sprechen. Auf Fragen nach Sinn, Hoffnung oder Identität antwortet es immer gleich: Passe Dich an! Funktioniere! Also gar nicht.
Zugleich sieht Krautz die Schule beschädigt von linksliberaler Ideologie, die von Herausforderung, Vorbildern und stetigem Üben nichts wissen will. Als ließe sich alles aus der Spontaneität des Kindes entwickeln – das glaubt der Latinist nicht. Die Haltung des Ich bedeutet Krautz mehr als sogenannte Fakten. In „Begabung“ oder „Hirnstörung“ zeigen sich Beziehungsgeschichten. Die Selbstreflexion der Lehrerin ist viel wichtiger als bestimmte Methoden. Wie kann, wem Größeres vor Augen steht, da noch sprechen? Gibt es unter der Herrschaft entfremdender Ziele eine andere Sprache? Ja: Die punktuelle philosophische und pädagogische Evidenz. Sie öffnet momentweise einen weiten Horizont, in dem menschliches Wachsen Sinn verheißt. Und das Bild: Seine eigenständige Sprache, seine „ästhetische Argumentation führt vor Augen und zu Gemüt, worum es geht“.
Der Professor für Kunstpädagogik kombiniert 65 Bilder mit kurzen, präzisen Texten – etwa über Konzentration, Vielfalt, Präsenz, Hausaufgaben, Lesen, pädagogische Liebe oder Emanzipation. Sie verweisen auf unmittelbare Erfahrungen des Wachsens und Lehrens, die auch in schrecklichen Verirrungen immer wieder auftreten. Der Autor hofft, punktuelle, erfahrungsgesättigte Weisheit lebe länger als zentralistische Vereinheitlichung. Er rührt an Erfahrungen, die nicht sterben können, weil sie zum Menschen gehören. Krautz Engagement hat sich nicht verringert, der Ton aber hat sich zum Weisheitlichen gewandelt. Das Buch atmet Liebe zum Verstehen der Welt und zum werdenden Gegenüber. Es schließt mit der Hoffnung auf eine Renaissance, eine Auferstehung der Schule. Krautz vertritt Ideale und fragt: Können wir weniger wollen? Beeindruckend, wie aus dem Autor trotz bedrückender Enge die Hoffnung auf authentisches Wachsen und Reifen nur noch deutlicher leuchtet.
Thomas Philipp
Utsch, Michael (Hg.): ABC der Weltanschauungen. (Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen 272).
Berlin: EZW 2021. 216 S. Kt. 0,–.
Der Herausgeber, Psychologe und Psychotherapeut sowie EZW-Referent für psychologische Aspekte neuer Religiosität weist auf den steigenden Bedarf nach religionskundlicher Orientierung und Basisinformation in säkularer, pluralistischer Gesellschaft hin. Dabei geht es nicht nur um Ersteinschätzungen von religiösen Gruppen wie den Zeugen Jehovas, westlich-buddhistischen Gruppen, freikirchlichen Gemeinschaftsbildungen, Anthroposophie, Scientology oder Hizmet (Gülen) – wobei ja allein schon diese Nebeneinanderstellung irreführend sein könnte –, sondern auch um die Einführung in gängige Grundbegriffe wie Sekte, Fundamentalismus, Verschwörungstheorien oder Aberglaube: Begriffe, die oft undifferenziert benutzt werden, um Gruppen oder Bewegungen negativ abzustempeln.
Die dreizehn Autorinnen und Autoren des Handbuches sind allesamt ausgewiesene Fachleute aus dem Umfeld der EZW. Ihre Beiträge sind kurz und übersichtlich verfasst, in der Regel geordnet nach dem Schema „Entstehung, Lehre und Praxis sowie abschließende Einschätzung“. Dem Islam ist ein eigenes Kapitel gewidmet, ebenfalls den Themen Engel, Mediation und Achtsamkeit, sowie, last but noch least, der Unterscheidung zwischen „Konfessionslosigkeit“ und „Atheismus“. Gerade in diesem Kapitel wird deutlich, wie umkämpft das religionsbezogene Vokabular allein schon deswegen ist, weil damit Vorentscheidungen getroffen werden. So macht es einen Unterschied, ab man die Formulierung „konfessionslos“ oder „konfessionsfrei“ wählt. „Atheismus“ kann sich auch als „Konfession“ verstehen, und Konfessionslosigkeit im Sinne von religiöser Indifferenz schwächt auch die Relevanz der Anliegen bekennender Freidenker, Kirchen- und Religionskritiker, weil Kirche und Religion „derart belanglos geworden sind, dass sich kaum noch jemand gegen sie engagieren möchte“ (102). Andererseits bestätigen die Beiträge des Handbuches eindrucksvoll, wie wichtig es ist, über religionswissenschaftliche und theologische Kompetenz zu verfügen, um unterschiedlichste religiöser Phänomene verständlich und qualifiziert darstellen und einschätzen zu können, Phänomene, die in dem Maße mehr aus dem Boden schießen und auffallen, wie die volkskirchlich geprägte Kultur unwiederbringlich auf dem Rückzug ist.
Klaus Mertes SJ
Riechelmann, Cord: Leichtes Unbehagen von Menschen und anderen Tieren. Mit Arbeiten von Rosemarie Trockel. Hg. von Brigitte Oetker.
Köln: Walther König 2022. 132 S. Gb. 39,–.
In seiner Umwelt-Enzyklika plädiert Papst Franziskus dafür, das Verschwinden von Kulturen und das Verschwinden von Tier- und Pflanzenarten im Zusammenhang zu sehen. In diesem Sinne sei es unumgänglich, „den Gemeinschaften der Ureinwohner mit ihren kulturellen Traditionen besondere Aufmerksamkeit zu widmen“ (Laudato si‘ 146). Das tut Cord Riechelmann, Dozent an der Hochschule der Künste Berlin, im Vorwort der vorliegenden Text-Sammlung. Sie basiert „zum großen Teil auf einer seit sieben Jahren in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erscheinenden Kolumne, in der jede Woche ein bestimmtes Lebewesen vorgestellt wird“ (10). Dem Autor geht es darum, Menschen gerade nicht von der identitären Angrenzung zu Tieren zu definieren. Vielmehr eignet er sich den Blick indigener Kulturen auf Tiere an, angeregt durch die Feldstudien des brasilianischen Anthropologen Eduardo Viveiros de Castro. Die indigenen Kulturen Südamerikas finden ihre Identität nicht über die Abgrenzung von den Körpern des anderen Lebewesens. Vielmehr verleiben sie sich diese ein – im Falle des Kannibalismus sogar den Körper des anderen Menschen aus dem anderen Stamm –, so dass sie konstitutive Bestandteile der Selbstbeschreibung werden (vgl. 19). Vereinfacht gesagt bedeutet das: Man kann nicht über Menschen reden, ohne über Tiere zu sprechen.
Das tut Riechelmann in dieser faszinierenden Sammlung. Die Texte haben eine Länge von zwei bis drei Buchseiten und stellen die unterschiedlichsten Lebewesen kenntnisreich und einfühlsam vor. Souverän beherrscht der Autor die wissenschaftliche Literatur zu den jeweiligen Themen sowie die philosophisch-anthropologischen Zusammenhänge von Decartes bis Darwin (dazu besonders 86 ff.). Er beschreibt sprachimitierende und vokallernende Vögel, singende Singammern (wie der Name sagt), die unterschiedliche Dialekte entwickeln und ihre Gesänge sogar strophisch ordnen; Balz- und Verführungsrituale bei Insekten, lachende Hyänen, Trauerprozesse, Verteidigungsstrategien und Umgang mit Sterben bei Tierarten, akustische Kommunikation bei Termiten, Parthenogenese (Jungferngeburt) bei Reptilien und vieles andere mehr – alles mit dem Blick der Offenheit, nicht der Abgrenzung von menschlicher Seite her. Nach der Lektüre versteht man besser, was gemeint sein könnte, wenn von Tieren als „Mitgeschöpfen“ die Rede ist.
Der Band wird bereichert von Abbildungen der Berliner Künstlerin Rosemarie Trockel. „Natur und Tiere bevölkern ihr Werk so wie andere gesellschaftliche Themen und Menschen auch. Sie gehören auf eine Weise dazu, die weder pittoresk noch illustrativ ist. In dem Sinne sind auch ihre Arbeiten in diesem Buch keine Illustration, obwohl das nicht ausschließt, dass sie Korrespondenzen zu den Texten herstellen“ (10).
Klaus Mertes SJ