Das Jahr 1923 erfreut sich großer Aufmerksamkeit. In einem guten Dutzend neuerer Publikationen fragen sich die Autoren, was dieses „Krisenjahr“ mit 1918 und was es mit 1933 zu tun hat. In den aktuellen Studien wird auch auf den Widerstand gegen die Ruhrbesetzung als wichtiges politisches Signal eingegangen. Dabei fällt immer wieder der Name Albert Leo Schlageter, der 1923 als „erster Soldat des Dritten Reiches“, so die spätere NS-Propaganda, oder als „katholischer Held“, so die kirchliche Einordnung, von den französischen Besatzern hingerichtet wurde. Es dürfte sich anbieten, entlang solcher Überhöhungen nachzudenken über Helden, Gehorsam, Opfer, Führer und über ideologische Kumpaneien sowie über geistlichen Missbrauch. Folgen wir den Spuren ins autoritäre kirchliche und politische Denken vor und nach 1923.
Albert Leo Schlageter (1894-1923) entstammte einer katholischen Bauernfamilie aus dem Schwarzwald. 1915 war er als Student der Theologie an der Universität Freiburg eingeschrieben. Er wollte Priester werden, zog allerdings als Soldat in den Krieg. Im Januar 1919 kehrte er an die Universität zurück und trat einer katholischen Studentenverbindung bei. Vom April des Jahres an kämpfte er dann aber für Freikorps im Baltikum, in Oberschlesien und im Ruhrgebiet. Von den französischen Besatzern wurde er wegen Sabotage verurteilt und auf der Golzheimer Heide bei Düsseldorf hingerichtet.
Unmittelbar nach seinem Tod setzte Schlageters Verehrung als Held ein. Dafür war der Gefängnisseelsorger Faßbender, der Schlageter während der Haft begleitet hatte, die wichtigste Quelle. Auf seinen Berichten ruhten gleichermaßen die Aneignungen der Katholiken wie der Nationalsozialisten. „In tiefster Andacht“, schrieb er, küsste Schlageter das Kreuz, „überwältigend heroisch“ wirkte er nach dem Empfang der Sakramente. „Wie ein echter deutscher Mann“ nahm er Abschied. „Offen und klar war sein Auge! Keine äußere und innere Erregung! Edel und gefaßt seine männlich jugendlichen Züge!“ Pfarrer Faßbender veröffentlichte auch die Briefe Schlageters aus dem Gefängnis an seine Eltern. Nach dem Todesurteil schrieb der Sohn ihnen, dass er sich für die deutsche Heimat geopfert habe. Am Morgen seiner Hinrichtung verfasste er noch einige letzte Zeilen an seine Eltern: „Nun trete ich bald meinen letzten Gang an. Ich werde noch beichten und kommunizieren. Also dann auf ein frohes Wiedersehen im Jenseits.“
Bereits am Tag nach der Hinrichtung wurde auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof ein Kreuz errichtet mit der Aufschrift: „Hier ruht Albert Leo Schlageter, ein deutscher Held“. Auf der Golzheimer Heide entstand eine provisorische Gedenkstätte. Gut vierzehn Tage später wurde sein Leichnam exhumiert und in seinem Sarg unter einer schwarz-weiß-roten Fahne, also in den antirepublikanischen Farben, in seinen Geburtsort gebracht. Unterwegs kam es auf allen Stationen zu größeren Kundgebungen der nationalen Rechten. In Freiburg wurde er von der Professorenschaft und den Studenten groß empfangen. Aufrüttelnde Reden priesen den deutschen Helden Schlageter und verdammten seine „Ermordung“ durch den französischen „Erbfeind“. Dabei wurde aber auch hervorgehoben, dass er als gläubiger katholischer Christ gelebt und gekämpft habe, dass er gestorben sei wie Jeanne d‘Arc oder Wilhelm Tell.
In den folgenden zehn Jahren entstanden etwa einhundert Schlageter-Denkmale in Deutschland, jede größere Stadt hatte eine „Schlageter-Straße“. Er wurde als deutscher Nationalheld, Märtyrer und Vorbild für die Jugend inszeniert. 1931 errichtete der Staat an der Hinrichtungsstelle ein Denkmal für die Opfer der Ruhrbesetzung, das aber als „Schlageter-Nationaldenkmal“ firmierte. Ein riesenhaftes Kreuz auf einem großen Altar mit der Aufschrift „Deutschland muß leben und wenn wir sterben müssen“ bildete das Zentrum eines überdimensionierten Aufmarschgebietes. Hier sollten junge Menschen auf Gehorsam und Opferbereitschaft eingeschworen werden. Zu Schlageters 10. Todestag 1933 hielt Göring dort vor 350.000 Menschen eine der größten Kundgebungen des noch jungen Dritten Reiches ab. Landesweit wehten alle Fahnen auf Halbmast. In den baden-württembergischen Schulen fanden „Schlageterfeiern“ statt. Sie wurden umrahmt vom Absingen des Deutschland- und des Horst-Wessel-Liedes. Der Kult um seine Person kannte kaum noch Grenzen. Ganz besonders furchtbar fiel die Ansprache des Rektors Martin Heidegger vor über tausend Freiburger Studenten aus. Er feierte den Schwarzwald als die „Heimat des Helden“, die ihm die „Härte des Willens“ und die „Klarheit des Herzens“ verliehen habe. Äußerst befremdlich wurde es, wenn Schlageter in Gedichten, Ansprachen und Theaterstücken dieser Jahre als christusgleicher Erlöser gepriesen wurde. Er sei der Christus des Nationalismus, der mit seinem Opfertod den Wiederaufstieg der Heimat ermöglichte. Mit dem „Dolchstoß“ der Novemberrevolution von 1918 habe das deutsche Volk Schuld auf sich geladen. Schlageter sühne das mit seinem Opfertod, so wie Hitler mit seinem Marsch auf die Feldherrnhalle in München im selben Jahr den Durchbruch in eine neue Zeit schaffe.
Arnold Angenendt hat einmal eine Typologie der Heiligen und späteren Märtyrer aufgestellt: Der Heilige verlässt die Eltern und allen Besitz, er verschmäht Reichtum und Stellung, er ist körperlich und geistig begabt, lebt enthaltsam und bewahrt sich die Reinheit von Leib und Seele. Bereits in jungen Jahren ist er etwas Besonderes sowie mutig und standhaft im Angesicht des Todes. Oft werden ihm letzte Worte kurz vor dem Tod in den Mund gelegt. Auch dadurch wird er zu einem unsterblichen Vorbild für etwas Größeres und sein Leben zu einem Appell an die Nachfolge. Nach diesem Muster konkurrierten Nazis und Katholiken, ja sogar Kommunisten um Schlageter. Auf katholischer Seite waren der Gefängnispfarrer und der Cartell-Verband der katholischen Studentenverbindungen daran beteiligt, Schlageter als Vorbild für junge katholische Männer hervorzuheben. Bereits ab 1923 richteten die CVer jährliche Schlageterfeiern in verschiedenen Universitätsstädten aus. Dazu wurden auch Gottesdienste gefeiert, bei denen dem vorbildlichen katholischen Helden würdigende Predigten gehalten wurden. Im Gedenken an Schlageter konnte man schließlich „römisch-katholisch-deutsch“ als vollendete Harmonie preisen.
Hanns Johst, der nach dem Ausschluss aller bedeutenden Schriftsteller Präsident der Reichsschrifttumskammer wurde, brachte zu Hitlers Geburtstag 1933 sein Propagandastück „Schlageter“ in Berlin und danach andernorts auf die Bühne. Gleich in der ersten Szene wird die Umdeutung eines katholischen zu einem soldatischen Helden vorgeführt: „Die Hauptsache: das Volk muß nach Priestern schreien, die den Mut haben, das Beste zu opfern … nach Priestern, die Blut, Blut, Blut vergießen … nach Priestern, die schlachten! … Priester werden? Das wird man nicht durch Examina … Das wird man durch Befehl!“ Blutopfer und Befehl machen einen Priester! Ein neudeutscher Heide wie Johst legt damit eine klerikalistische Ideologie jener Tage offen.
Josef Magnus Wehner war Katholik, aber bereits vor 1933 überzeugter Nationalsozialist. In seinen Romanen und Dramen versuchte er, den Katholizismus neben dem Nationalismus zur prägenden Gestalt des NS-Staates zu machen. Schon in seinem 1930 erschienenen Kriegsroman „Sieben vor Verdun“ erkennt man an mehreren Stellen deutlich die religiösen Bezüge. Dieses Buch trug maßgeblich zur Verbreitung des Mythos von Langemark bei. In seiner Biografie „Albert Leo Schlageter“ von 1934 verbreitete er einen weiteren Mythos, nämlich den von Schlageters nationaler Blutsbrüderschaft mit den 1923 beim Marsch auf die Feldherrnhalle Erschossenen, insbesondere mit Horst Wessel. Wehner beendete seine Schrift über Schlageter mit dem Satz: „Er wohnt nun unzerstörbar in jenem Himmel, in dem die Schutzgeister der Nation ihre Hand über das Land halten, das Deutschland heißt.“ So gingen Katholiken und Nationalsozialisten gemeinsam einer neuen Zeit entgegen.
Sankt Michael
Der größte katholische Held ist natürlich der Erzengel Michael. Er gilt als Schutzpatron der Deutschen. In der NS-Zeit erinnerten Theologen an die „Michaelsschlachten“ gegen die Hunnen, die Mauren, die Ungarn, die Mongolen und die Türken. Es ging um das Überleben der Kirche und der Christenheit und um die siegreichen Wendungen unter der Führung Sankt Michaels. Dafür hat Gott stets ein Volk auserwählt, das stellvertretend für alle Christen in den Kampf zog. In diesen Vorstellungen sind es immer die Deutschen, die die Bedrohungen aus dem Osten abwehren mussten.
Dieses ideologische Modell eignete sich besonders gut dazu, den Katholizismus an den Nationalsozialismus anzuschließen. Aber nicht nur der versuchte Nachweis, dass der katholische Held die Quelle des nationalen Heldentums sei, sondern auch der Hinweis auf die grundsätzliche und seit langem bestehende Gefahr aus dem Osten bargen eine doppelbödige Botschaft in sich. Die Aneignung des heldischen Denkens konnte als Übernahme der NS-Ideologie gewertet werden, aber genauso auch als Zurückweisung der NS-Vorwürfe wegen Verweichlichung, Schwäche und Gefühlsduselei der Katholiken. Noch tiefer gehend konnte man es gar als substantielle Ablehnung der NS-Weltanschauung werten, denn wenn die größten Helden gläubige Katholiken waren, muss der eigentliche Antrieb ihrer vorbildhaften Außergewöhnlichkeit ihr Glaube gewesen sein. Also Anbiederung durch Angleichung oder Ablehnung durch Hervorhebung – beide Positionen hätte man einnehmen können, wenn man als Katholik dem nationalsozialistischen Heldenkult begegnete.
Allerdings war die katholische Position zu dieser Zeit bereits vorgeprägt durch Äußerungen aus dem Ersten Weltkrieg, die auch Schlageter beeinflusst haben dürften. Ein kolossales Buch gibt darüber Auskunft: „Sankt Michael. Ein Buch aus eherner Kriegszeit zur Erinnerung, Erbauung und Tröstung für die Katholiken deutscher Zunge.“ Auf 420 Seiten, reich illustriert mit sechzehn ganzseitigen farbigen Kunstblättern und fünfzig Textzeichnungen enthält es Hirtenbriefe, Predigten, Vorträge und Beiträge von fast allen deutschen und österreichischen Bischöfen, von Domherren, Theologieprofessoren und Militärseelsorgern. Herausgegeben wurde dieses Sammelwerk von Johann Leicht, Domkapitular in Bamberg. Es erschien 1917 im „Deutschen Sankt-Michael-Verlag“ in Würzburg, Berlin und Wien. Die Begriffe „Opfer“ und „Treue“ bestimmen diese Kriegstheologie, die auf jeder Seite geistlichen Missbrauch ausdünstet.
In seinem Geleitwort hebt Paul Wilhelm von Keppler, der Bischof von Rottenburg, hervor: „Das Schwert der christlichen Wahrheit ist Menschenhänden, geweihten und gesalbten, anvertraut“. Damit erklärt er den Klerus zu Führern in diesem Krieg. Die Geweihten und Gesalbten kämpfen „nicht mit Gewehr, Bajonett und Handgranaten“, sondern „mit dem Schwert des Geistes“. Der Rottenburger Bischof fährt fort, die deutschen Katholiken hätten weder zu viel Nationalgefühl noch zu wenig Vaterlandstreue und Kriegstüchtigkeit. „Feindliche Glaubensbrüder“ und „andersgläubige Stammesbrüder“ richteten aber öffentlich diese Vorwürfe an die Katholiken, so der Bischof. Die Frontlinien des alten Kulturkampfes werden hier erneut gezogen. Das geistliche Buch offenbart damit eine politische Absicht.
Der Fürsterzbischof von Wien spricht in einem kurzen Satz aus, wozu die anderen geistlichen Herren oft viele weihevolle Worte benötigen: „Gott hat mit diesem Krieg eine Erneuerung und Erhebung der Völker gewollt.“ Und Kardinal Felix von Hartmann, der Erzbischof von Köln, erklärt am 10. März 1915 in seinem Hirtenbrief an die Kinder(!): „Aber eins ist gewiß, Gott will durch diesen Krieg die Sünder strafen und bessern, und er will die Guten prüfen und belohnen.“ Er fährt dann fort: Das Höchste im christlichen Bekenntnis sei die Einheit von Gottes- und Nächstenliebe. Diese komme zu ihrer Vollendung in der Opferliebe. Und nur so träte man ein in die Nachfolge Jesu, denn in der Nachfolge Jesu erreichten Gottes- und Nächstenliebe ihren vollen Umfang. Die Opferliebe sei die vollkommene Liebe. Wer in der Treue zu dieser Liebe sterbe, sterbe in der heilig machenden Gnade und überwinde die Sünde. Nicht mit einem Wort wird in dieser geistlichen Rechtfertigung des Krieges darauf eingegangen, dass auch auf der anderen Seite der Front Katholiken stehen. Stattdessen erklärt der Kölner Erzbischof den Kindern: „Viele Feinde wollten unser liebes deutsches Vaterland vernichten. Da hat unser Kaiser Gott angerufen und uns alle ermahnt zum Beten und Gottvertrauen, und dann hat er Deutschlands Männer und Jünglinge zu den Waffen gerufen.“
Das Buch „Sankt Michael“ solle in jeder Familie als „dauernder Hausschatz“ vorliegen und Zeugnis davon ablegen, „was uns dieser Krieg an Weihevollem gebracht hat“. So liest man es in der Einleitung des Herausgebers. Und dann wird der Erzengel Michael als Schutzpatron der Deutschen angefleht: „O unbesiegbar starker Held, führ du das deutsche Heer ins Feld, Herzog Michael!“ Wenn Michael der Kämpfer gegen das Böse ist, bedeutet das, dass die Kriegsgegner der Deutschen die Verbündeten des Antichrist sind, Empörer gegen Gott, Gefolgsleute des Satan. Damit wird der Erste Weltkrieg zu einer weiteren „Michaelsschlacht“ und die Deutschen wieder einmal zum auserwählten Volk.
Bemerkenswert ist, dass in dieser heldischen Kriegstheologie an keiner Stelle auf den amtierenden Papst Bezug genommen wird. Der Name von Benedikt XV. taucht nicht auf. Das ist im Katholizismus völlig unüblich. In diesem Fall ist es allerdings nur zu verständlich. Bereits wenige Tage nach seinem Amtsantritt 1914 klagte Benedikt XV. in äußerst scharfer Form den Kriegsausbruch an und forderte den sofortigen Frieden. 1915 rief der Papst erneut die kriegführenden Parteien mit drastischen Worten dazu auf, unverzüglich mit Tod und Zerstörung aufzuhören. Am 1. August 1917, etwa ein halbes Jahr nach Erscheinen des Michael-Buches, schlug er Friedensverhandlungen, Abrüstung und die Einrichtung eines internationalen Schiedsgerichts für künftige Konfliktfälle vor. Allein Papst Benedikt XV., dessen Appelle und Vermittlungsbemühungen von allen damaligen Kriegsparteien böswillig lächerlich gemacht wurden, hat die Botschaft Jesu vertreten und seine Nachfolge nicht verraten. Übrigens warnte Benedikt in seiner Enzyklika vom 23. Mai 1920 – ungehört – vor den ungerechten Friedensbedingungen von Versailles und rief zur Versöhnung der Völker auf. Er war wohl der einzige wirkliche katholische Held dieser Zeit.
Helden und Heilige
Der Hildesheimer Bischof Joseph Godehard Machens war kein Freund der Nazis. Seinen Hirtenbrief zur Fastenzeit 1937 ließ er unter dem Titel „Legt die Waffenrüstung Gottes an“ verbreiten. Darin machte er zwei Bedrohungen für das Christentum aus: Von außen – wie bekannt – den atheistischen Bolschewismus im Osten und von innen einen „angeblich nordischen oder deutschen Glauben“. Zu dieser Zeit hatten die Verantwortlichen im Katholizismus bereits bemerkt, dass sie von den Nazis getäuscht worden waren in ihren Vorstellungen von Volksgemeinschaft sowie von kultureller und staatlicher Neuordnung. Opferbereitschaft, Tapferkeit, Gehorsam und Härte waren die Einstellungen eines Nationalsozialisten, die er exklusiv für sich in Anspruch nahm. Der nationalsozialistische Held agierte aus eigener, aus „deutscher Kraft“. Der katholische Held hingegen überlässt sich der Führung Gottes. So konnte man teilhaben an der Heldenverehrung, aber dennoch etwas Eigenes beisteuern. Es lässt sich feststellen, dass in der Zeit des erstarkenden Nationalsozialismus vermehrt Publikationen zu „heiligen katholischen Helden“ angeboten wurden. So empfahl auch Bischof Machens im Kampf gegen die Bedrohungen des Christentums drei Sammlungen von Heiligendarstellungen: „Deutsche Heilige“, „Helden und Heilige“ und „Das Heldenbuch der Kirche“. Diese Bücher erschienen zwischen 1931 und 1934 mit kirchlicher Druckerlaubnis. Sie wurden zur Erstkommunion, zur Firmung oder zum Schulabschluss verschenkt und erreichten deshalb eine Auflage von jeweils mehreren zehntausend Exemplaren.
Besonders interessant ist das Buch „Deutsche Helden“ von Johannes Walterscheid, das 1934 erschien. Der Untertitel „Eine Geschichte des Reiches im Leben deutscher Helden“ weist bereits darauf hin, dass hier nicht dem kirchlichen Heiligenkalender gefolgt wird, sondern den Epochen der deutschen Geschichte. In dem Vorwort bekundet der Autor sein Interesse: „Unsere deutschen Heiligen müssen die unentbehrlichen Helfer beim inneren Aufbau unseres Vaterlandes sein“, denn „Heilige sind Helden, Heiligkeit ist Heldentum, deutsche Heilige sind deutsche Helden und deutsche Heldinnen, also auch Führerpersönlichkeiten des deutschen Volkes!“ Hans Hümmeler, der Autor von „Helden und Heilige“, verwendet dieselben Darstellungsmuster, folgt dabei allerdings dem katholischen Festkalender mit einer besonderen Absicht. Er möchte persönlichkeitsbildend wirken, indem er vor allem für die „ringende Jugend“ den „heldischen Gedanken“ an den heiligen Vorbildern darlegt.
Bereits 1931 erschien Hans Sauerlands „Heldenbuch der Kirche“ auf dem Buchmarkt. Das ist die einzige Heiligendarstellung dieser Zeit, die auch den Erzengel Michael aufführt sowie Heilige aus anderen Teilen der Welt vorstellt. Aber im Mittelpunkt steht zweifellos Sankt Michael, dessen Bedeutung Sauerland in „Ein Wort an unsere jungen Männer“ so fasst: Vor allem Deutsche verehrten den Erzengel, weil sein Gedenken Angriffsgeist, Entschlossenheit und Treue vermittele. Auch heute, so der Autor, kämpfe Satan wieder gegen Gott. Allerdings drohe der Gegner jetzt nicht mehr von Außen wie noch eine Generation zuvor, sondern greife im Innern an: „Denk an die wachsende Kirchenentfremdung weiter Massen, an die riesenhafte Zahl der Neuheiden in Europa, an die Religionsspötter in manchem Eisenbahnabteil, an das Heer der sittlich Verkommenen! Diese rebellieren gegen Gott, und ihre Helfershelfer sind die liberalen Zeitungen, die zotigen Bücher, die zweifelhaften Varietés, die roten Hetzapostel, die ungläubigen Professoren und viele, viele andere.“
Im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts litt der Katholizismus unter kultureller Entfremdung und anwachsenden Pluralisierungstendenzen. Von seinen Wertvorstellungen, seinen politischen Idealen und seinen ästhetischen Maßstäben konnte er immer weniger Menschen überzeugen. Man benötigte Erzählungen, Organisationsformen und Personen, die souverän machten gegenüber Tendenzen, die man ablehnte, zugleich aber auch anschlussfähig werden ließ an Bewegungen und Vorhaben, mit denen man neue Mehrheiten schaffte. Konrad Algermissen hat das noch einmal 1935 versucht in seiner Studie „Germanentum und Christentum“. Dieses Buch war letztendlich geschrieben worden gegen Alfred Rosenbergs Bemühungen, die Vollendung des Germanentums ohne das Christentum zu proklamieren. Algermissen versuchte das Gegenteil zu zeigen, indem er die „deutschen Charaktereigenschaften“ aus der NS-Ideologie auf katholische Heiligengestalten projizierte. Bei dem einen heiligen Helden zeige sich „mehr die Schlichtheit des deutschen Gemütes, bei den andern mehr die Tatkraft des deutschen Willens oder der Höhenflug deutschen Denkens oder der Ernst des deutschen Forschens...“ Einen selbstlosen Menschenfreund in der Not scheint es allerdings unter den Heiligengestalten nicht gegeben zu haben, wenn man dieser Einteilung von Algermissen folgt.
Die nationalsozialistische Propaganda stellte dem mutigen Kampf, dem tatkräftigen Helden und dem Führer die christliche Demut als Moral der Schwäche gegenüber. Die Kirche reagierte darauf, indem sie mit Heiligen, Päpsten und Bischöfen Gegenfiguren katholischer Führer und Helden aufstellte. Das Streitbare und Starke trat in den Vordergrund. Gegenüber dem Empathischen und Duldenden wurde jetzt das Heldische und die furchtlose Opferbereitschaft im Wesen Jesu Christi hervorgehoben.
„Führer und Volk“ gehören zusammen, aber sie haben eigentlich nichts mit der Kirche und den heiligen Helden der Katholiken zu tun. Erst zu Beginn der 1920er-Jahre kommt die Rede vom „Volk“ im deutschen Katholizismus als Reformidee an. Jugendbewegte, Lebensreformer, aber auch Nationalisten und Rassisten tragen sie in den Katholizismus hinein. Meistens war es gegen die Weimarer Demokratie gerichtet: die gewählten Parlamente vertreten nicht das Volk. Damit war die Idee verbunden von der Kraft des Ursprünglichen, Naturnahen, des nicht Reglementierbaren. Die katholische Kirche konnte mit „Volk“ nichts anfangen, weil sie strikt hierarchisch aufgebaut war und nur den Klerus umfasste. Die Kirche deutete deshalb die Volksidee auf zweierlei Weise um. Erstens: die Kirche umfasse alle Völker und ihr Führer sei der Papst. Zweitens: Die Geistlichen führen das gläubige Volk durch die Zeit zu Gott. Die Volksfrömmigkeit ist das von der Kirche kanalisierte Mittel, um einfach und verständlich die Gläubigen in eine Richtung zu leiten. Damit traf sich dann aber die Kirche wieder mit den Nazis, die ja auch das Volk stets im Munde führten, es aber nicht befragten und auch nichts entscheiden ließen. Der Katholizismus war autoritär, illiberal und ekklesiozentrisch, also auf Wahrung des eigenen Bestandes bezogen. Und diese Verfassung begünstigte autoritäre Regime, ja brachte sie geradezu hervor. Es kommt nicht von ungefähr, dass es der Katholik Carl Schmitt war, der den „Führer“ zur Quelle des Rechts und des Staates erhob.
Die katholische Publizistik lancierte in der Nazi-Zeit eigene Heldengeschichten. Von Albert Leo Schlageter war bereits die Rede, auch von den Versuchen, ihn gegen alle nationalsozialistischen Vereinnahmungen als lupenreinen Katholiken zu positionieren. Aus der Zeit des Ersten Weltkriegs wurde noch ganz besonders Admiral Maximilian Graf von Spee hervorgehoben. Seinen Heldenstatus hatte er durch seinen Tod bei einem Seegefecht mit der englischen Flotte erreicht. Im Zweiten Weltkrieg fuhr eines der neuen Panzerschiffe unter dem Namen „Admiral Graf Spee“. Also schien er auch den Nazis verehrungswürdig zu sein. Graf Spee war ein frommer und praktizierender Katholik aus der Familie des berühmten Jesuiten Friedrich von Spee.
Als weiterer katholischer Held wurde in den dreißiger Jahren der Oblatenpater Paul Schulte in der Öffentlichkeit bekannt. Er war ein begeisterter Flieger, deshalb galt er als modern und wagemutig. Weltberühmt wurde er 1936, als er an Bord des Zeppelins „Hindenburg“ die erste Heilige Messe in der Luft zelebrierte. Auch mit dem populären und höchstausgezeichneten Flieger Werner Mölders wurde zumindest innerkatholisch Propaganda gemacht. Als Jugendlicher gehörte er dem „Bund Neudeutschland“ an und praktizierte auch als Soldat seinen Glauben weiter. Als er im Januar 1942 tödlich verunglückte, lancierte der britische Geheimdienst einen Abschiedsbrief von Mölders, in dem er sich gegen das NS-Regime und für die katholische Kirche aussprach. Erst nach dem Krieg stellte sich dieser Brief als Fälschung heraus. Mölders hat bereits in der Legion Condor spanische Zivilisten bombardiert und sich zu keiner Zeit von den Nazis distanziert.
1922 erschien „Der Kampf als inneres Erlebnis“ von Ernst Jünger. Das Buch ist eine Weiterführung von „In Stahlgewittern“, das zwei Jahre zuvor veröffentlicht worden war: Die Überzeugung ist alles, der Tod für eine Überzeugung ist die höchste Tat, der Krieger ist ein Heiliger. Der Krieg ist selbst ein religiöses Erleben, weil man durch Blut und Feuer gehen und dabei als Held bestehen muss. Dass Ernst Jünger nach mehr als einhundert Lebensjahren zur katholischen Kirche konvertierte, hat auch mit dem Mythos von der Unvergänglichkeit des heiligen Helden zu tun.