Grüne SonneJ.R.R. Tolkien, die Schöpfung und die Technik

„Der Herr der Ringe“, weithin bekannt und anerkannt, ist das Werk eines tief religiösen christlichen Autors, John Ronald Reuel Tolkien. Er starb vor 50 Jahren, am 2. September 1973. Seine zahlreichen Schriften entziehen sich der leichten Gattungsbestimmung und sind sehr vielschichtig. Sie erzählen ein reiches Universum und enthalten eine ganz eigene Schöpfungstheologie. Benoît Gautier, Soziologe und Philosoph, führt in das Denken Tolkiens ein. Der Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Études und wurde von Stefan Kiechle SJ aus dem Französischen übersetzt.

J.R.R. Tolkien (1892-1973) war Schriftsteller und Professor für Philologie. Sein Vater starb, als er vier Jahre alt war, und seine Mutter, als er zwölf Jahre alt war. Die Mutter war 1900 zum Katholizismus konvertiert. Nach ihrem Tod wurden die beiden Tolkien-Brüder unter die Autorität und den Schutz eines Oratorianerpaters gestellt, der für ihre weltliche Erziehung sorgte und ihnen weiterhin den katholischen Glauben vermittelte. Tolkien bleibt sein ganzes Leben lang ein strenggläubiger Mensch. Tolkiens Studien wurden durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen. Er nahm an der Schlacht an der Somme teil, bevor er am Schützengrabenfieber erkrankte. Anschließend machte er eine glänzende akademische Karriere als Professor für alte Sprachen. Besonders bekannt wurde er für seine Arbeit an dem in Altenglisch verfassten mittelalterlichen epischen Gedicht Beowulf, das er übersetzte und kommentierte.

Im Jahr 1916, als er sich von der Schützengrabenkrankheit erholte, begann er mit der Arbeit an dem literarischen Werk, das ihn berühmt gemacht hat. Darin versuchte er, eine Mythologie vergessener oder erfundener Völker zu konstruieren, von denen uns einige Texte erhalten geblieben sein sollen. Das gesamte Werk, das er im Laufe seines Lebens verfasste und das Tausende von Seiten umfasst, wird oft als der Sage zugehörig bezeichnet. Es war hauptsächlich für ihn selbst und einen begrenzten Kreis von Vertrauten bestimmt: seine Familie, vor allem seine Kinder, aber auch Freunde. Es handelt sich also um ein Werk, das für die Seinen geschrieben wurde. Es wurde gewissermaßen nur durch Zufall veröffentlicht, als eine Kindergeschichte – die zunächst nicht wirklich zum Bereich der Sage gehört – in die Hände eines Verlegers geriet. Es handelte sich dabei um „Der Hobbit“, einen großen Erfolg in der Kinderliteratur. Seine Fortsetzung, die sich an ein reiferes Publikum richtet, wird „Der Herr der Ringe“ sein. Diese beiden zu seinen Lebzeiten veröffentlichten Werke stellen nur den sichtbaren (und romanhaften) Teil eines wahren literarischen Kontinents dar, den sein Sohn Christopher (1924-2020) sein Leben lang bearbeiten und veröffentlichen sollte. Diese posthumen Werke sind wie ein Eintauchen in den mythologischen Hintergrund der konventionelleren Romane „Der Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“. Man kann sie mit biblischen Büchern vergleichen: eine Sammlung von poetischen, historischen, philosophischen und mythologischen Texten, die oft in einem archaisierenden Stil verfasst sind und wenig Raum für die Psychologie und die Gefühle der Figuren lassen, sondern zur Interpretation und Meditation über ihre tiefere Bedeutung aufrufen.

Ein üppiges literarisches Universum

Tolkiens Gesamtwerk ist von atemberaubendem Umfang. Man kann es als eine verrückte Ansammlung von Texten unterschiedlichster Art beschreiben, die sich gegenseitig beantworten und erhellen und ein Sinn-Universum entwerfen, das zugleich tiefgründig, kohärent und offen ist. Tolkien, ein Philologe, dachte nicht daran, ein Universum wie ein Enzyklopädist aus der Sicht eines allwissenden Erzählers zu beschreiben. Dann hätte man die Völker menüweise aufzählen, ihre Wirtschaft, Soziologie, Biologie und Geologie beschreiben können. Das hat er zum Teil getan. Das tun auch die meisten Schöpfer, die sich im Bereich der Fantasy auf sein Werk berufen. Tolkiens Genie liegt freilich darin, dass er den Plausibilitätseffekt, der sein Werk kennzeichnet, dadurch erzeugt, dass er sich auf die literarische Produktion innerhalb seiner Fantasiewelt konzentriert. Es ist eine Welt aus Wörtern, aus Texten mit unterschiedlichen Funktionen, als hätte man Pergamentfragmente einer untergegangenen Gesellschaft gefunden. Aus diesem Grund gibt es auf einige Fragen zur Natur seiner Welt keine eindeutige Antwort.

Zwar gibt es philosophische Dialoge über das Wesen des Todes, Schöpfungsberichte und epische Gedichte, aber es gibt zum Beispiel keine überzeugende Beschreibung der Wirtschaft seines Universums. George R.R. Martin, der Autor der berühmten Romanreihe „A Song of Ice and Fire“ (Game of Thrones), hat bekanntlich festgestellt, dass wir nichts über die Steuerpolitik im Universum des Herrn der Ringe wissen. Dies lässt sich leicht aus Tolkiens Sicht erklären: Es liegt daran, dass er nicht vorgibt, eine Welt zu beschreiben, als wäre er ihr Schöpfer, sondern uns Texte zu zeigen, die innerhalb dieser Welt verfasst wurden, und dass die uns überlieferten Texte dieses Thema nicht behandeln. Und wenn es zwischen diesem und jenem Text von Tolkien Widersprüche in der Art und Weise gibt, wie eine Geschichte erzählt wird oder wie eine Zivilisation beschrieben wird, ist das kein Problem.

Tolkien behauptete, dass er als Philologe, aber vor allem als jemand, der Sprache als ästhetisches Objekt liebt, zunächst imaginäre Sprachen geschaffen habe, bevor er über die Völker, die sie sprachen, und über die Welt, die diese Völker bewohnten, nachdachte. Er lehnte jede Trennung zwischen dem Studium der Sprachen und dem der Literatur ab: Sein Werk ist ein beredtes Beispiel dafür. Hervorzuheben ist auch die Bedeutung, die er den konkreten Bedingungen der Textproduktion beimaß. Die Lektüre seiner Übersetzungs- und Kommentararbeiten, insbesondere seines Beowulf, zeigt die große Aufmerksamkeit, die Tolkien der Frage nach dem sozialen und ideologischen Kontext widmete, in dem ein Text entstand. Ebenso scheint jeder seiner Texte, wenn er Sagen schreibt, einen Autor, eine eigene Geschichte und einen Grund zu haben, aus dem er geschrieben wurde, ja manchmal scheint der Text auf seinem Weg zu uns sogar Ergänzungen erfahren zu haben. Ein Text bei Tolkien ist keine naive, transparente Beschreibung einer eindeutigen Realität, sondern etwas Verkörpertes, von der Geschichte Gezeichnetes, Gestrichenes, Manipuliertes, das von Menschen produziert wurde, die ihrerseits gute Gründe hatten, diese Texte zu einem bestimmten Zeitpunkt zu schreiben.

Das ist übrigens einer der Gründe, aus denen die „realistischen“ Illustrationen und Verfilmungen von Tolkien immer ein wenig daneben liegen: Sie beschreiben eine glasklare Realität. In seinen Werken lässt uns Tolkien in eine unerreichbare Welt blicken, zu der er jedoch Fenster mit krummen Formen und verschiedenfarbig getönten Scheiben öffnet, die mit Staub und Fingerabdrücken bedeckt sind.

Tolkiens Welt besteht also in erster Linie aus Wörtern und aus Sprachen, die eine historische Dicke tragen. Diese Welt aus Worten ist deshalb so glaubwürdig, weil unsere Welt, unsere Gesellschaft, ebenfalls durch Sprache strukturiert ist. Mit seinen Wörtern und Texten, die in die allgemeine Vorstellungswelt eingehen sollten, wollte Tolkien nicht so sehr ein Universum schaffen, in das man entfliehen kann, sondern unsere Realität beeinflussen. Wenn unsere Welt, unsere Gesellschaft auf Worten und Mythen aufbaut, dann ist Tolkiens Werk eine Möglichkeit, nicht vor der Realität zu fliehen, sondern auf das Tiefste in ihr einzuwirken.

Der Status der Technik
und des Ingenieurs

Tolkien dachte sein Werk und jede Form der Produktion als „Subkreation“, d.h. als eine neue Anordnung der von Gott geschaffenen Realität. Der Arbeiter baut ein Haus, indem er zuvor getrennte Naturelemente zusammenbringt, z.B. Lehm und Feuer, die den Ziegelstein und die Dachziegel hervorbringen, aus denen er später die Unterkunft baut. Auch Tolkien sagt uns, dass die Literatur, die er produziert, dadurch entsteht, dass die Sprache es ermöglicht, ein Adjektiv an ein Substantiv anzuhängen, um eine neue Realität zu schaffen. Er nennt das Beispiel des Wortes „grün“, das der Dichter an das Wort „Sonne“ heranführen kann, um eine „grüne Sonne“ zu schaffen und so die Türen zur Fantasie zu öffnen. So ist das, was der Dichter tut, und das, was der Handwerker oder jeder andere Arbeiter tut, gar nicht so verschieden: Sie bringen Elemente der Schöpfung einander näher, um neue Realitäten hervorzubringen.

Die großen Künstler in Tolkiens fiktionalem Werk sind große Techniker. Diese Techniker stellen Objekte von faszinierender Schönheit her, die oft zum Gegenstand von Begehrlichkeiten, Kriegen und Tragödien werden. Dies führt dazu, dass der Status der Technik in Tolkiens Werk recht zwiespältig ist. Es gibt Verurteilungen des Industrialismus, die an die Äußerungen des Autors anknüpfen, in denen er eine Form des antiindustriellen Terrorismus lobt. Das Böse wird mit einem zentralen Begriff in Verbindung gebracht, dem der „Maschine“. Im „Herrn der Ringe“ rebellieren die Bäume und ihre Wächter schließlich und zerstören das Reich des Zauberers Saruman, den Tolkien „den Ingenieur“ nennt und von dem es heißt, dass er einen „Geist aus Metall und Rädern“ hat.

Daraus könnte man eine etwas grundlegende Form der Naturverteidigung ableiten, wie sie in der amerikanischen Tolkien-Rezeption im Rahmen der Gegenkultur verstanden wurde, die in den 1960er-Jahren an den amerikanischen Universitäten wucherte. Tolkien wurde als Vorgänger der Hippies, als leicht konservativer Vater der Tree huggers [Baum-Umarmer] und anderer glühender Diener der Flower Power gesehen. Die gesamte Fantasy-Literatur mit ihrer phantastischen Beschwörung des Mittelalters und einer gewissen Naturverbundenheit kann übrigens als ästhetische Reaktion auf die Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschrieben werden. Tolkiens Werk verdankt vieles William Morris, einem Fantasy-Autor, Künstler und Handwerker der Arts and crafts-Strömung, der mit anderen den Sozialismus in das Vereinigten Königreich einführte.

Aber dieser Anti-Industrialismus, der sehr mit dem Zeitgeist übereinstimmt, darf nicht die wesentliche Aufwertung des Produktionsaktes in Tolkiens Werk verdecken. Man könnte sagen, dass er von einer partiellen Lektüre seines Werks herrührt, die sich auf den Herrn der Ringe konzentriert. In diesem Werk ist von der großen Zivilisation der Elben, die aus Künstlern und Handwerkern bestand, nur wenig zu sehen. Der Roman spielt in einem Zeitalter, in dem die letzten Überreste der Elben-Kultur verschwinden und der Welt der Menschen Platz machen.

Der Mensch als Mitschöpfer

Die Frage der Technik bei Tolkien lässt sich besser im Lichte seines katholischen Glaubens lesen als in Gegensätzen, die aus Debatten zwischen Naturschützern und Befürwortern des industriellen Fortschritts entstanden sind. Eine der großen Fragen, die sich durch die Sagen zieht, ist, inwieweit der Mensch seinen Wunsch, durch seine Arbeit an der Schöpfung teilzuhaben, erfüllen kann, ohne sie zu missbrauchen. Zwei seiner großen Werke (Das Silmarillion, Der Herr der Ringe), sind nach sagenumwobenen Schmuckstücken (die Silmarils und die Ringe) benannt, die weniger magisch als vielmehr technische Meisterleistungen außergewöhnlicher Handwerker sind. In diesem Werk hängt die Frage nach der Technik und dem richtigen Verhältnis zum produktiven Akt davon ab, wie man über die Schöpfung denkt, im Sinne des göttlichen Akts, der alles existieren lässt. Der produktive („sub-kreative“) Akt ist in der Sage gut, wenn er nicht versucht, sich mit dem göttlichen Schöpfungsakt zu überschneiden. Dazu muss man jedoch verstehen, was den Akt des Schöpfers – den man nicht zu Hause nachzuahmen versuchen sollte – im Vergleich zum Akt des „Subschöpfers“, der nachgebildet werden kann, kennzeichnet. Tolkien beantwortet diese Frage in der ihm eigenen mythologischen Sprache in seinem Schöpfungsbericht, der im Silmarillion zu lesen ist.

In dieser Erzählung komponiert der einzige Schöpfergott (Eru Ilúvatar, wörtlich „Der Eine, Vater von allem“) eine Musik, von der die ihn umgebenden Engelsmächte jeweils einen Teil aufführen sollen. Dieses Musikstück stellt die Idee der Schöpfung dar, eine Art erste Skizze. Innerhalb dieser Symphonie rebelliert eines der Engelswesen und versucht, die von Eru komponierte Musik mit einem eigenen Thema zu überdecken. Diese satanische Figur weigert sich, sich auf Interpretation zu beschränken, die eine Art persönlichen Beitrag voraussetzt, der freilich durch die Partitur begrenzt wird. Er möchte seine eigene Schöpfung haben. Doch die Dissonanz in seiner Musik wird schließlich vom Schöpfer harmonisiert. Sie wird in das Gesamtmotiv integriert und dient dazu, die Schönheit der Musik zu betonen und zu vertiefen. Wie in der Genesis kann man in dieser ersten Erzählung nicht eine Ursprungsgeschichte sehen, sondern eine in mythologischer Sprache gehaltene Beschreibung der Natur der Welt und der Stellung des Bösen in ihr.

In der zweiten Phase überrascht der Schöpfer seinen Engelschor, indem er vor dessen staunenden Augen die Welt entstehen lässt, die wie eine materielle und zeitliche Verkörperung der Musik ist, die sie aufführten. Es gibt einen Akt, der dem biblischen Fiat [lat. „es werde …“] entspricht. Es ist zu beachten, dass die ins Dasein gebrachte Schöpfung von da an ein negatives Element enthält, das aus der satanischen Störung hervorgegangen ist. So ist laut einigen Texten jede Materie in gewisser Weise zum Bösen veranlagt und beinhaltet die Möglichkeit, sich von ihrem ursprünglichen Zweck abzuwenden. Eru überträgt einigen seiner engelhaften Helfer eine demiurgische – schöpferische – Funktion: Ihre Aufgabe wird es sein, die Schöpfung zu ordnen und sie für Neuankömmlinge bewohnbar zu machen. Diese Wesen, deren Zeugung Eru bis dahin verborgen hatte, sind „die Kinder Ilúvatars“, die denkenden und sprechenden Geschöpfe: die Elfen und die Menschen. Ihre Zeugung entzieht sich den demiurgischen Engeln völlig, und sie sind für sie ein Mysterium.

Ein letztes Element dieses Mythos scheint entscheidend zu sein. Die schützende engelhafte Untergottheit der Kunst und Produktion, Aulë, wird von der Ungeduld zerfressen, Ilúvatars Kinder zu treffen, um sie in den produktiven Künsten zu unterrichten. Daher arbeitet er heimlich Kreaturen aus, die er sich selbst ausdenkt, und verleiht ihnen den Anschein von Leben. Dieses Leben ähnelt jedoch dem von Robotern. Sie bewegen sich nur, wenn Aulë seinen Willen anwendet, um sie zu bewegen. Sie haben weder einen freien Willen noch ein Eigenleben. Dieser freie Wille und das Eigenleben sind jedoch das, was die Kinder Ilúvatars auszeichnet. Eru entdeckt Aulës Werk und wirft ihm seine Ungeduld und seinen Versuch, den Schöpfungsakt nachzuahmen, vor. Dieser bereut, und als er seinen Schmiedehammer erhebt, um seine Geschöpfe zu vernichten, stellt er fest, dass sie sich schützen und Angst haben. Das liegt daran, dass Eru, als er die Reue seines Dieners sah, diesen Kreaturen ein eigenständiges Leben gab, das zum dritten Volk der Sage, den Zwergen, werden sollte.

Die Grenzen, die nicht
überschritten werden dürfen

Aus dieser mythologischen Sprache heraus lassen sich die Prinzipien ausdrücken, die das Jagdrevier des Schöpfers begrenzen, die Grenzen, über die ein kluger Techniker nicht hinausgehen kann.

Zunächst einmal ist die Bedeutung der gesamten Schöpfung allen verborgen außer dem Einen. Nur er nimmt die gesamte Musik wahr. Jeder muss sich auf seine Rolle in der Schöpfung beschränken und darf nicht versuchen, die Prinzipien und den allgemeinen Verlauf der Schöpfung zu verändern. Den Geschöpfen und demiurgischen Engeln wird jedoch eine relativ große Autonomie bei der Gestaltung der Schöpfung eingeräumt. Das ist der Interpretationsspielraum, der dem Musiker gelassen wird. Tolkien verwendet häufig die Metapher der Gartenarbeit: Es handelt sich um einen Eingriff in die Schöpfung, der es ermöglicht, ihre Schönheit zu steigern und vor allem den Geschöpfen, die sie bevölkern, ein harmonisches Wachstum zu ermöglichen.

Der Wunsch, die Welt durch Technik zu verbessern oder sie zu verschönern, wird letztlich nur durch die Art der Absichten desjenigen begrenzt, der diese Verbesserung vorschlägt. So verführt in der Sage eine dämonische Macht die Elfen mit dem Vorschlag, das vom Krieg verwundete Land zu gestalten und ihm die Schönheit des Paradieses zu verleihen, das sie verloren haben. In diesem letzten Teil des Vorschlags liegt die Übertretung. Man darf die Welt gestalten und verbessern, aber zu glauben, dass man dadurch eine Art paradiesische Vollkommenheit erreiche, bedeutet, sich ein viel zu hohes Ziel zu setzen. Vor allem aber wird der Begriff des Paradieses selbst verfälscht, indem die Glückseligkeit, die aus der Nähe zum Göttlichen erwächst, durch materiellen Komfort ersetzt wird. Das Ziel eines irdischen Paradieses ist unerreichbar und wird daher zu Enttäuschung führen. Da es überaus erstrebenswert ist, wird es auch Despotismus hervorrufen: Wenn das Ziel das Paradies auf Erden ist, werden alle Mittel, um es zu erreichen, akzeptabel.

Der Funke des Lebens, der etwas aus Nichts entstehen lässt, gehört dem Schöpfer und nur ihm. Alles, was existiert, trägt sein Zeichen. Nach einer eigenen Schöpfung zu streben, während man diese Schöpferkraft nicht besitzt, bedeutet letztlich, dieses Zeichen aus den Wesen auszurotten. Aus diesem Grund versuchen die bösen und dämonischen Mächte der Sage zwar zu erschaffen, aber es gelingt ihnen nur, bereits existierende Kreaturen zu verunstalten, insbesondere indem sie deren freien Willen einschränken.

Die letzte Grenze, die dem „Subschöpfer“ auferlegt wird, ist die des freien Willens der sprechenden und rationalen Wesen. Die Freiheit der „Kinder Ilúvatars“ ist die Domäne des einen Gottes, auf die die engelhaften und demiurgischen Mächte keinen Einfluss und von denen sie keine Vorstellung haben. Jede Handlung, die den freien Willen dieser Geschöpfe einschränken würde, wird in Tolkiens Werk als böse angesehen. Als der dem industriellen Bereich angehörige Zauberer Saruman besiegt wird, lassen ihn die Vertreter des Guten gehen, ohne ihn einzusperren oder ihn wirklich zu bestrafen. Aus der Lektüre der Sage lässt sich also eine Reihe von Grenzen für die subkreative Tätigkeit ableiten. Die Technik ist bei Tolkien durch ein Risiko gekennzeichnet. Doch wenn wir uns mit der Betrachtung dieses Risikos begnügen, erhalten wir eine verkürzte Sicht auf die Frage. Insoweit die Technik bei Tolkien ein Risiko darstellt, ist sie auch imstande, ein Faktor der Erlösung zu sein.

Eine Theologie der Schöpfung

In der augustinischen Theologie ist der Mensch Imago Dei, Ebenbild Gottes, aufgrund seiner rationalen Funktion, die er mit den Engeln teilt, die die höchst rationalen Wesen sind. In Tolkiens Theologie ist man durch die Subkreation Imago Dei, in zwei Registern oder abgeleiteten Modi: dem des Erzählers und dem des handwerklich-produzierenden Menschen. Die künstlerische und technische Produktion ist zentral für die Beziehung zur Welt und zu Gott. Daher sind die Engel bei Tolkien nicht in erster Linie Logos-Träger, Boten, sondern Demiurgen, Ordnungsgeber der Schöpfung. Die Hierarchie des Geschaffenen wird von weltordnenden Handwerkern beherrscht, unter denen der Mensch nur ein Nachahmer ist.

Was Gott eigen bleibt, ist sein Status als Autor der gesamten Schöpfung als Erzählung. Denn bei Tolkien wird die Schöpfung wie bei Hans Urs von Balthasar als ein Drama gesehen. Es geht weniger darum zu verstehen, wie Gott die Natur ordnet, als vielmehr darum zu verstehen, welche Geschichte er uns erzählt. Dies spiegelt sich in Tolkiens Verständnis seines Werkes wider: Es ist interessanter, sich für den Sinn der Erzählung zu interessieren als für die Art und Weise, wie dieser oder jener Aspekt der Schöpfung gestaltet ist, die letztlich eine Angelegenheit des Demiurgen ist. Es geht mehr darum, in die Geschichte hineinzuhören, die uns erzählt wird, als die Ordnung der Schöpfung in ihren Verwicklungen zu entschlüsseln.

Die Kunst der Ingenieure, die versuchen, die Natur zu verstehen, um sie zu verändern, ist sehr wichtig, aber geringer als die Kunst der Dichter und Geschichtenerzähler, die versuchen, den Sinn der Natur zu verstehen, und an ihrer Schönheit arbeiten. Denn es besteht die Gefahr, dass Ingenieure – vergeblich – versuchen, den Verlauf der Schöpfungsgeschichte umzukehren, die Worte und Episoden zu vermischen. Im Zentrum des subkreativen Strebens des Menschen steht die Angst vor dem Tod und der Wunsch, ihm zu entkommen – indem wir Werke schaffen, die uns überleben, aber auch indem wir versuchen, die tiefe Ordnung der Schöpfung zu verändern. Wenn Gott uns aber mit der Schöpfung eine Geschichte erzählt, dann verdreht eine grundlegende Veränderung der Position der Figuren in der Geschichte, etwa durch den Versuch, dem Tod zu entkommen, die Geschichte selbst. Dies wäre ein Sakrileg in dem Sinne, dass es den göttlichen Logos verzerrt.

Die Erzählung ist daher nach Tolkien die höchste Kunst, da sie die Produktionsform ist, die die Geste des Schöpfers am stärksten nachahmt. Er sieht das Evangelium als ein wahr gewordenes Märchen, und dies ist die Art und Weise, wie Gott die Kunst des Erzählens weiht, indem er sie zum Leben erweckt. Hier ist die Erfahrung des Schriftstellers, dass seine Figuren und Geschöpfe unter seiner Feder eine Form von Autonomie erlangen, mit der Erzählung von Aulës Erschaffung der Zwerge vergleichbar: Wesen, die nur die Verlängerung des Willens des Schöpfers sind, beginnen zu sprechen und wie von selbst zu handeln. In der Nachfolge vieler Schriftsteller berichtet Tolkien, wie er überrascht war, dass in seinen Erzählungen Figuren auftauchten, die er sich nicht im Voraus vorgestellt hatte, und er wundert sich, dass sie sich in einer Weise ausdrücken und handeln, die er nicht erwartet hatte. Das Evangelium stellt eine extreme Form dieser Erfahrung dar. Es ist die Weihe der Kunst und des Menschen als Subschöpfer. Für Tolkien ist das Evangelium eine „Geschichte, die in die Geschichte und in die Primärwelt eingegangen ist; der Wunsch und das Streben der Subkreation wurde auf die Ebene der Vollendung der Schöpfung gehoben“. Sie ist also sowohl ein literarischer Gegenstand als auch ein Akt Gottes in der Geschichte. Das Streben des Sub-Schöpfers, nicht nur an der Schöpfung teilzuhaben, sondern auch den Tod zu überwinden und in der Kunst eine Form des Trostes zu finden, wird Wirklichkeit. Der Tod wird durch diese Geschichte besiegt, die laut Tolkien alle Eigenschaften eines Märchens besitzt. Durch das Erzählen wird der menschliche Drang zu produzieren gerettet, um sich bis zum Göttlichen zu erheben. Der menschliche Erzähler wird hier mit dem göttlichen Erzähler vereint, und so wird seine Kunst vom schöpferischen Atem durchdrungen.

Die Schöpfung verbessern

Aber was ist dann mit der Demiurgie, d.h. der Fähigkeit, nicht nur Geschichten, sondern auch Gegenstände zu produzieren, die die Schöpfung verbessern und schöner machen? Ein Bild davon findet sich, wenn man die satanische Gestalt Saurons aus dem Herrn der Ringe und die engelhafte Gestalt Aulës aus dem Silmarillion gegenüberstellt.

Sauron ist ein Geistwesen, das Aulë vor seinem Fall diente. Die Werke dieses brillanten Handwerkers bestehen nur deshalb fort, weil sie mit seinem Willen durchdrungen sind. Der „Eine Ring“, seine größte Schöpfung und ein Werkzeug, das dazu dient, alle freien Völker zu beherrschen, ist somit ein Teil von ihm selbst. Als seine größte Schöpfung ist er eng mit ihm verbunden. Deshalb verschwindet Sauron, wenn der Ring schließlich zerstört wird, und wenn Sauron verschwindet, geschehen zwei Dinge. Erstens stürzen die Gebäude, die er errichtet hat, ein. Zweitens bricht seine militärische Organisation, die auf Angst und Zwang beruht, von selbst auseinander. Sauron ist vergleichbar mit Aulë, als er vor seiner Reue vor Eru die Zwerge hervorbrachte: Er bringt Dinge hervor, die nur den Anschein von Leben und Lebensunterhalt haben und die nur bestehen bleiben, weil er seinen Willen auf sie richtet.

Diese Figur des satanischen Handwerkers stellt Gegenstände her, um seine Macht über andere zu vergrößern. Der selige Aulë hingegen kennt weder Patente noch geistiges Eigentum. Er produziert und verteilt seine Schöpfungen an jeden, der sie haben möchte, und lehrt seine Kunst jeden, der darum bittet. Der Lobpreis, den er bei der Erschaffung der Zwerge anstimmt, ist ein Motto, das Tolkien allen Produzenten, ihm selbst zuerst, mit auf den Weg gibt: „Möge Eru mein Werk segnen und verbessern!“

Das größte Risiko beim Produzieren besteht also darin, dass man sein Werk zu einer Verlängerung seiner selbst macht. Wenn das, was ich produziert habe, ein Teil von mir ist, dann gehört es mir, und niemand außer mir hat das Recht, es an sich zu reißen. Ich mache mich zum Gott-Eigentümer meiner kleinen Unterschöpfung. Das tun viele, die meinen, sie würden Tolkien nachahmen, indem sie sich zu Designern von bis ins kleinste Detail abgestimmten Fantasiewelten machen, nur um des Vergnügens willen, eine Welt aus dem Nichts zu errichten, deren Herren und Meister sie sind.

Wenn das, was ich produziere, jedoch in erster Linie eine göttliche Schöpfung ist, zu der ich eingeladen wurde, dann ist die Perspektive eine andere: Das produzierte Objekt ist zum Wohle aller da und vor allem zur Ehre des einzig wahren Schöpfers. In dieser Hinsicht ist die Produktion von Mythen, der Tolkien sein Leben gewidmet hat, ein Paradebeispiel für eine Arbeit, die aus Liebe getan wird, um das Leben derer zu verbessern, für die sie bestimmt ist, ohne jemandem zu gehören. Im Gegensatz zu dem, was uns das Urheberrecht, die Rechteinhaber selbst und die großen audiovisuellen Produktionsfirmen glauben machen wollen, haben die von Tolkien produzierten Mythen keinen Eigentümer. Sie „nehmen an der Knospung und am vielfältigen Reichtum der Schöpfung teil“ und haben keinen anderen Zweck, als unser Leben schöner und unser Denken tiefer zu machen. Es ist nur ein kleiner Schritt, zu denken, dass die gesamte menschliche Arbeit diesen Zweck verfolgen sollte.

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