Utsch, Michael / Demmrich, Sarah: Psychologie des Glaubens. Einführung in die Religionspsychologie.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2023. 344 S. Kt. 28,–.
Religiosität ist ein so hoch komplexes Phänomen, dass die psychologische Forschung eine nahezu unübersehbare Fülle von Untersuchungen mit unterschiedlichen Methoden hervorgebracht hat, vor allem in den USA. Michael Utsch, Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin, Psychotherapeut und Lehrbeauftragter an verschiedenen Hochschulen sowie Sarah Demmrich, Privatdozentin für Empirische Religionsforschung an der Universität Bern, legen mit diesem Buch eine umfassende Einführung in dieses in Deutschland noch weniger bekannte Wissensuniversum vor.
In einem ersten Teil klären die Autoren die Grundbegriffe und sehen in der „Glaubensfähigkeit“ einen fundamentalen Gehirnprozess sowie die Basis von Religiosität und Spiritualität und einen breiteren Zugang als diese herkömmlichen Konzepte. Mit Blick auf die Sinnforschung (V. Frankl, T. Schnell, A. Längle, leider ohne E. Lukas) zeigen sie, wie gläubige Sinngebung Orientierung bieten und Todesangst reduzieren kann.
Es folgt der Hauptteil („Außenperspektiven“), der über evolutions- und neuropsychologische Erklärungsversuche (auch C.R. Dawkin), über Modelle religiöser Entwicklung und Stile (F. Oser, P. Gmünder, J. Fowler, H. Streib), über sozialpsychologische Untersuchungen zu den Themen Vorurteile, Prosozialität und Selbstwert sowie über die Auffassungen verschiedener psychotherapeutischer Richtungen (Psychoanalyse, C.G. Jung, Humanistische Psychologie) von Religiosität informiert. Kapitel 8 bietet einen differenzierten Überblick über die positiven und negativen Zusammenhänge zwischen verschiedenen Dimensionen von Religiosität und Gesundheit – ein Schwerpunkt der Forschung und dieser Einleitung. Zu „Schattenseiten des Glaubens“ werden Studien zu Fundamentalismus, Extremismus (einem neuen Forschungsthema!) und Missbrauch referiert.
Der kürzere dritte Teil („Innenperspektiven“) befasst sich mit positiven und negativen Glaubenserfahrungen: mit Praktiken, die sie auslösen können (Meditation, psychoaktive Substanzen, Reizdeprivation, Musik, Fasten), wobei die Autoren mit einem weiten Begriff von religiöser und mystischer Erfahrung auch in einer säkularisierten Gesellschaft ein starkes Bedürfnis danach annehmen (254). Ganz auf Beratung und Psychotherapie ausgerichtet sind ihre Ausführungen zum Umgang mit negativen Gottesbildern und Mitgliedern von sektenartigen religiösen Gruppen. Ein letztes knappes Kapitel ist den Themen Konversion/Dekonversion, Esoterik und psychologischen Hilfen zur gläubigen Identitätsbildung – praktisch „geistlicher Begleitung“ – gewidmet.
Das Buch ist leserfreundlich geschrieben, mit anschaulichen Beispielen und Grafiken mit Lernzielen und Erschließungsfragen für das Studium. Es bietet eine im deutschen Sprachraum derzeit einmalige, breite Information über die Forschung auf dem neuesten Stand. Manches hätte man straffen können, etwa die Stufenmodelle von Piaget und Kohlberg, Reinkarnation, Sterbephasen, Manches hätte man einfügen können: A. Banduras sozialkognitive Lerntheorie, Emotionstheorien, ein Prozessmodell sozialen Verhaltens. Ob sich der globale Leitgedanke der „Glaubensfähigkeit“ für die Forschung als Gewinn erweist, muss die Zukunft zeigen. Immerhin ermöglicht er es den Autoren, durchgehend zu zeigen: „Reflektierter Glaube fördert das Gemeinwohl“ (302). Dem Buch sind weitere Auflagen zu wünschen, die aber unbedingt ein Sachregister enthalten sollten.
Bernhard Grom SJ
Joskowitz, Leon: Vom Kochen und Töten. Kulinarische Meditationen über den Anfang der Menschheit.
Frankfurt am Main: Westend 2023. 187 S. Gb. 22,–.
Der Autor ist Philosoph und hat „viele Jahre auf kulinarischer Wanderschaft verbracht“, sich also weltweit in unterschiedlichen Kulturen mit Lebensmittelherstellung und -verarbeitung befasst. In diesem Buch geht es ihm um die komplexe und strittige Frage, wie es zur Entwicklung vom Tier zum Mensch kam. Wann und wie gab es erstmals Bewusstsein, Sprache, Kultur? Seine These: Auch wenn man vieles nicht wissen und erklären kann, so ist doch deutlich, dass am Anfang die Frage stand, wer wen töten und als Nahrung verwenden darf. Eine Gruppe beschloss, Mitglieder des eigenen Stammes nicht weiter zu töten, sondern nur andere Lebewesen, von denen sie sich damit absetzten. Die ersten Werkzeuge waren Faustkeile, mit denen man vom einfachen Zerreißen des Fleisches zu einem sauberen Zerschneiden kam. Kultur begann, indem Hominiden sich um ein Feuer versammelten, ihre gesammelte Nahrung zubereiteten, also kochten und sie untereinander verteilten, so dass alle etwas abbekamen. Dabei kamen sie miteinander ins Gespräch und begannen, ihr Vorgehen ethisch zu reflektieren. „Die Neugierigen, die Mutigen“ … haben „bald ihr tierisches Erbe mit Verachtung betrachtet und ihre Sprachfähigkeit als Signum einer eigenen, neuen und besseren Art angesehen. Sie nahmen Kurs auf das Reich der Kultur und der Freiheit und setzten ethische Aushandlungsprozesse in Gang, die bis heute der Schlüssel zu menschlichem Dasein sind“ (153).
Dass das Kochen der erste Kulturakt der Menschheit gewesen sei, wird alle Köchinnen und Köche freuen. Dass ethische Fragen des Tötens die Distinktion des Anfangs schufen, befremdet auf den ersten Blick, ist aber verstehbar. Dass getötete Tiere bald geopfert wurden, deutet, vom Autor eher am Rande erwähnt, auf die Entstehung der Religion hin. Vom Kochen spricht der Autor mit Freude, vom Töten und Opfern eher mit Distanz. Das Ende des gut lesbaren, bisweilen etwas redundanten Buches bildet – erwartbar – ein starkes Plädoyer für vegetarische Ernährung, um des Erhalts der Natur und damit der Menschheit willen.
Einiges wirkt doch etwas spekulativ: Warum steht gerade das „Kochen“ am Anfang? Dafür braucht man übrigens Töpfe, also meint Joskowitz doch wohl eher das Grillen am offenen Feuer? Und pflanzliche Nahrung war doch auch am Anfang wichtig? Und die Sprache hätte sich auch an anderen sozialen Aktionen entwickeln können? Und Religion hat vielleicht weitere Ursprünge? Wie dem auch sei, der eigentliche Sprung – oder besser Übergang? – vom Tier zum Mensch muss definiert werden. Er bleibt auch wissenschaftlich unergründlich. Darüber nachzudenken, regt das Buch deutlich an, und es verweist aufs Weitersuchen.
Stefan Kiechle SJ