Lienhart, Lukas: Leadership aus christlicher Perspektive. Grundlagen, Trennlinien, Mehrwert.
Regensburg: Friedrich Pustet 2024. 288 S. Kt. 32,–.
Das Buch, eine theologische Dissertation, will Leadership in sozialethischer und christlicher Perspektive behandeln. Nach der weithin üblichen Abgrenzung von „Management“ bestimmt der Autor „Leadership“ durch vier Elemente: es sei ein Prozess, der auf Einfluss basiert, in Gruppen entsteht und gemeinsame Ziele beinhaltet (Kap. 1). Kap. 2 berichtet über Rankings von Leadership-Modellen und -Autoren, also davon, welches Buch wie verbreitet, einflussreich und berühmt ist – Rankings mögen in Mode sein, aber welches Interesse an ihnen für dieses theologische Buch besteht, erschließt sich dem Rezensenten nicht. Kap. 3 behandelt die dunklen Seiten der Leadership, also Machtmissbrauch usw.; Macht wird nur hier erwähnt und fast nur negativ gesehen, ohne jede Begründung. „Machiavellismus“ kommt in wenigen Zeilen (86 f.) vor, mit nur einem Zitat aus der Sekundärliteratur – hat der Autor sich je mit dem „Fürsten“ beschäftigt? Kap. 4 behandelt die Mormonen als Beispiel für den Einfluss von Religion auf Leadership – man fragt sich, warum gerade Mormonen die gesuchte „christliche Perspektive“ erhellen sollen. Kap. 5 handelt vom katholischen Kontext; über „Führung – Leitung – Amt“ in AT und NT gibt es gerade eineinhalb Seiten, nochmals so viel über das biblische Charisma der Leitung. Kap. 6 tippt an, wie Wirtschaft und Religion und Kirche voneinander lernen könnten. Anschließend wird die Soziallehre der Kirche mit ihren wesentlichen Prinzipien vorgestellt und gesagt, dass Leadership hierzu gehöre (Kap 7). Das ausführlichere Kap. 8 berichtet über personbezogene Leadership-Modelle – vor allem werden die bekanntesten amerikanischen Autoren und Modelle vorgestellt, die meisten ohne jeden Bezug zu Religion oder Theologie; nur ein Buch (Ferguson/Birg: Hero Maker, hg. vom Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden 2018) ist dann wiederum allzu amerikanisch-fromm. Ein Fazit (Kap. 9) wiederholt knapp, was gesagt wurde.
Lienharts Buch handelt leider kaum von Leadership, sondern von Leadership-Literatur. Es bietet eine Unmenge Material und stellt sicherlich fleißig einige wichtige Ansätze vor, aber es begründet nicht die recht zufällig erscheinende Auswahl, durchdenkt und bewertet kaum, lässt einfach affirmativ und unverbunden alles von irgendwelchen Autoren Gesagte stehen, gibt keine Kriterien für „christliches“ Leadership, d. h. es bietet wenig wirkliche „Unterscheidung der Geister“ auf diesem verminten Feld, auf dem beispielsweise – das Buch ist sehr USA-lastig – sich so viel krasser ausbeuterischer und damit unchristlicher Kapitalismus unter schönen und bisweilen frommen Formeln verbirgt … Wo bleibt der eigene Gedanke, gar die theologische Bearbeitung? Als Literaturrecherche und Materialsammlung hat das Buch Niveau und ist empfehlenswert, zu christlichem Leadership wird man anderswo suchen müssen.
Stefan Kiechle SJ
Mertes, Klaus: Herzensbildung. Für eine Kultur der Menschlichkeit.
Freiburg: Herder 2024. 160 S. Gb. 18,–.
Manchmal bedarf es eines Umweges über die Perspektive einer anderen Sprache, um uns Deutsch-Sprechende an den Wert eines etwas in Vergessenheit geratenen Begriffs zu erinnern. Der US-Journalist David Brooks suchte beim Schreiben seines 2023 erschienen Bestsellers „How to Know a Person“ nach einem Wort, das er in seiner Sprache nur umschreiben konnte. „The Germans have a word for it: Herzensbildung, training one’s heart to see the full humanity in the other“. Klaus Mertes, langjähriger Rektor erst des Berliner Canisius-Kollegs, dann des internationalen Kollegs St. Blasien, hat der Herzensbildung sein neues Buch gewidmet.
„Herzensbildung“ meint beides, einerseits eine „Wahrnehmungskompetenz“ (Mertes), eine bestimmte Art andere Menschen zu sehen; andererseits den (Bildungs-)Prozess des Erwerbs dieser Kompetenz. Mertes’ Buch reflektiert beide Bedeutungen. In vier Teile gegliedert, beschreibt das Buch zunächst, was Herzensbildung meint. Im zweiten Teil geht es darum, deutlich zu machen, dass wir Menschen nicht mit Herzensbildung auf die Welt kommen, sondern sie in einem Jahrzehnte dauernden Prozess erwerben, und welche wichtige Rolle die Schulen bei diesem Prozess spielen. Im dritten Teil zeigt Mertes, dass die Herzensbildung zu jenen Voraussetzungen gehört, von denen ein Gemeinwesen zwar lebt, die der Rechtsstaat – dem Böckenförde-Theorem folgend – selbst aber nicht garantieren kann. Im vierten Teil gibt Mertes seinen Leserinnen und Lesern ein Procedere an die Hand, um eigene Herzensbildung zu vertiefen.
Unter welchen Voraussetzungen kann in Schulen Herzensbildung wachsen? Im Zentrum steht für Mertes die Beziehung zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern „von Angesicht zu Angesicht. … Digitaler Unterricht kann analogen Unterricht nicht ersetzen“. Großartig sind Mertes’ Ausführungen zum „Nützlichkeitsparadox“ der Schule: Wenn die Schule ihre Ziele auf den funktionalen Nutzen beschränkt, den das Erlernte für die Lernenden später einmal haben soll, wird sie genau diesen Nutzeneffekt verfehlen. Wo sie aber das „Übernützliche“ (Mertes) fördert, also Literatur, Musik, Kunst, Geschichte, Tanz und Naturerleben, dort wird sich das Nützliche von selbst ergeben. „Motivation und Willen brauchen den Umweg über das Übernützliche“. Nur hier begegnen Lernende sich selbst, und nur hier kann sie entstehen: Herzensbildung.
Besonders gewinnbringend fand ich das finale vierte Kapitel dieses feinen, lesenswerten Buches: Die vier, auf altem ignatianischem Wissen basierenden Stationen zur Vertiefung eigener Herzensbildung beginnen mit dem Umdenken („Veränderung von Einstellungen und Stereotypen“), gefolgt vom Handeln und der Verantwortungsübernahme („Auf den Ruf der Situation hören“), und gehen von dort zur Bereitschaft, Anfeindungen auszuhalten („Ja zu sagen zu dem Preis, den die Entscheidung kostet“). Das Versprechen, das dieser Weg bereithält – dies wäre dann die vierte Station – lautet: „Wer Wahrheit und Gerechtigkeit hinter sich hat, wird siegen“.
Joachim Bauer
Breul, Martin: Schöpfung (Grundwissen Theologie; utb 6065).
Paderborn: Brill / Schöningh 2023. 208 S. Kt. 20,–.
Schöpfung ist eine zentrale Basiskategorie des Christentums. „Würde man die Idee, dass das Universum eine Schöpfung Gottes ist, aufgeben, wäre nicht mehr viel vom christlichen Bekenntnis übrig“ (9). Im 21. Jahrhundert ist die christliche Rede von Schöpfung nicht mehr selbstverständlich, sondern erklärungsbedürftig. In vielen dogmatischen Einführungen, die in den letzten Jahrzehnten erschienen sind, nimmt die Darstellung der Genese des christlichen Schöpfungsglaubens breiten Raum ein. Gegenüber der umfangreichen bibeltheologischen Grundlegung und der peniblen theologiegeschichtlichen Entfaltung fiel die systematische Reflexion oft vergleichsweise bescheiden aus. Diese Gewichtung ist angesichts der massiven Schwierigkeiten, mit denen sich die christliche Rede von Schöpfung inzwischen konfrontiert sieht, aus heutiger Sicht problematisch. Der klar systematisch-theologische Zuschnitt der von Martin Breul vorgelegten Einführung in die Schöpfungstheologie ist vor diesem Hintergrund sehr zu begrüßen.
Breul skizziert zwar selbstverständlich auch „biblische und theologiegeschichtliche Problemhorizonte“ (Kap. 1: 17–44). Der Schwerpunkt seiner Ausführungen liegt jedoch auf Bedeutung und Geltung des Schöpfungsglaubens angesichts aktueller Herausforderungen: allen voran der Dauerbrenner „Schöpfungstheologie und Naturwissenschaften“ (Kap. 3: 73–113), gefolgt von der hochbedeutsamen Frage, wie heute noch vom Schöpfungshandeln Gottes oder wie ganz grundsätzlich vom innerweltlichen Handeln Gottes gesprochen werden kann (Kap. 4: 115–129). Auch über das „Gott-Welt-Verhältnis“ (Kap. 5: 131–148) und die Schwierigkeit, wie sich christliche Theologie in der Abwehr von Deismus und Pantheismus am besten positioniert, macht sich Breul ausführlich Gedanken. Die Aktualität des Lehrbuches zeigt sich des Weiteren im sechsten Kapitel (149–163). Unter dem Stichwort „Rede von Schöpfung jenseits eines Anthropozentrismus?“ geht Breul der Frage nach, was von der traditionellen Sonderstellung des Menschen im Christentum heute zu halten ist. Ist die Zeit für eine Dezentrierung des Menschen gekommen, um die nichtmenschliche Schöpfung stärker würdigen zu können? Oder ist die im 20. Jahrhundert von der Theologie vollzogene anthropologische Wende unumkehrbar?
Auch im siebten Kapitel geht es mit der Klimakrise, der Digitalisierung und dem Transhumanismus um gegenwärtige Herausforderungen (165–186). Trotz aller Schwierigkeiten wird die theologische Herzmitte des Schöpfungsglaubens nicht aus dem Auge verloren, nämlich die Frage: „Was bedeutet die christliche Rede von Schöpfung?“ (Kap. 2: 45–71). Neben den klassischen Themen wie „Nicht-Notwendigkeit und Geschenkcharakter der Schöpfung“ entfaltet Breul in diesem Zusammenhang die für sein Verständnis der Schöpfungstheologie leitende These: Christlicher Schöpfungsglaube dürfe nicht mit einer Weltentstehungstheorie verwechselt werden. Die christliche Rede von Schöpfung müsse als existenziale Beziehungsaussage verstanden werden (vgl. 50–56). Beim christlichen Schöpfungskonzept gehe es somit nicht um die Frage, wann Gott die Welt erschaffen habe und wie er sie im Dasein erhalte. Im Zentrum stünde vielmehr die Glaubensüberzeugung, „dass das Sein und das Leben grundsätzlich wertvoll sind und von einem letzten, lebensbejahenden Grund getragen werden“ (50).
Dass Schöpfung primär eine Qualitätsaussage über Gottes Beziehung zur Welt besagt, ist sicherlich richtig. Aber muss sich die Schöpfungstheologie deswegen Kausalaussagen verkneifen? Wenn Gott tatsächlich Ursprung und Urheber des Kosmos ist, sollte dies auch theologisch thematisiert werden. Sorgen, dass Gott dadurch zu einer innerweltlichen Größe verzwergt wird (vgl. 59 f.), muss man sich m. E. nicht machen. Wenn Gott innerhalb von Raum und Zeit handelt, büßt er seine Transzendenz nicht automatisch ein. Ganz im Gegenteil: Indem er auch im physikalischen Bereich wirksam ist, offenbart er seine Schöpfermacht.
Dieser anregenden und angenehm geschriebenen Einführung in die christliche Schöpfungstheologie sind viele interessierte Leser:innen zu wünschen.
Christoph J. Amor