Papsttum synodal?

Papst Franziskus hat verstanden: An mehr Synodalität führt kein Weg vorbei – gegen alle Beharrungskräfte der hierarchischen Kirche, wie sie sich im 19. Jahrhundert vollends ausbildete. Der Papst müht sich: Sein Ziel ist die Partizipation aller Christen an der Gestaltung kirchlichen Lebens, mit Entscheidungen nicht top-down, sondern unter Beteiligung all derer, die kraft ihrer Taufe Anteil haben an der Sendung der einen Kirche. „Demokratie“ darf man diese Beteiligung kaum nehmen, denn dieses Wort ist bei vielen noch immer tabu. Aber im Grunde geht es genau darum: dass das Volk (griech. demos) am Herrschen (kratein) Anteil bekommt, zunächst im Mitreden – das ist schon neu und bedeutet viel –, dann auch im Mitentscheiden. Wie diese Anteile zu verteilen und zu integrieren sind, insbesondere im Entscheiden, muss erwogen und ausgehandelt werden – manches kann nicht einfach per Mehrheit entschieden werden, etwa wenn es um unveräußerliche Menschenrechte geht oder um den Glauben.

In vielen Ländern sind die Menschen heute gebildeter, aufgeklärter, selbstbewusster als noch vor wenigen Jahrzehnten. Daher wollen sie partizipieren, und sie brauchen es. Ohne Partizipation verliert die Kirche Vertrauen und nimmt Schaden. Autokratische Monarchien – nach dem Prinzip (arche) des allein (monos) und selbst (autos) herrschenden (kratein) Mannes verfasst – werden auf Dauer nicht bestehen. Die Geschichte, auch die religiöse, zeigt es, auch wenn sich in der Weltpolitik derzeit viele Menschen neu autokratisch orientieren, auch gebildete.

Nun ist die Kirchenverfassung noch die alte – das Papsttum ist, staatsrechtlich gesehen, die letzte absolute Monarchie Europas. Theologisch wird diese Verfassung damit begründet, dass die Kirche „von oben“ gegründet wurde und dass ihre Leiter – nur Männer – von oben inspiriert und in die Ämter eingesetzt werden. Freilich ist das Argument biblisch nicht gut verankert und außerdem, bezogen auf die komplexe Weltkirche des 21. Jahrhunderts, nicht realistisch und umsetzbar. Der Konflikt spielt zwischen dem Ersten und dem Zweiten Vatikanischen Konzil: Das Zweite hat Neues geschaffen, indem es die Autorität der Bischöfe und die aller Getauften aufwertete, aber es hat die alte Verfassung des absoluten Primats des Papstes nicht abgeschafft. Damit können sich sowohl Konservative wie Reformer auf das Zweite Vatikanum berufen: Der Konflikt wurde perpetuiert, er führte zu den Polarisierungen der Nachkonzilszeit, und er schafft es, die Kirche heute in zwei Lager zu teilen.

Papst Franziskus müht sich – das ist sein Amt – um Einheit. Dafür fährt er zweigleisig: Er lässt „synodal“ alle mithören, mitreden und somit „die Geister unterscheiden“, aber er behält nach der alten Kirchenverfassung die Entscheidungen sich selbst vor. Er bleibt in dieser Zweipoligkeit, die im Übrigen jesuitisch ist: Alle unterscheiden, der Obere entscheidet. Was für die Gesellschaft Jesu zur Zeit ihrer Gründung innovativ und passend war (und auch heute noch ist): Genügt es für die gegenwärtige Weltkirche? Ist Franziskus unfähig, diese Ambivalenz zu überwinden? Aus Angst vor den Spaltungs-Drohungen der Konservativen? Oder weil er selbst in seinem Kirchenbild kulturell anders und außerdem sehr jesuitisch geprägt ist? Oder weil er dafür die Kraft nicht mehr hat? Bei allem Respekt vor seiner historischen Leistung, die Kirche synodal weiterzuentwickeln: Es braucht wohl einen neuen Papst, der den gordischen Knoten – hoffentlich in die richtige Richtung – durchhaut. Vielleicht ist ja das Papsttum der letzten zweihundert Jahre – und damit auch der auto- und bürokratische Vatikan – in sich ein Widerspruch zu einer synodalen Kirche.

Oder braucht es ein weiteres Konzil? Nach der alten Verfassung wären alle 5364 Bischöfe (Zahl von Ende 2019) Mitglieder eines Konzils – das ist schon wegen der schieren Größe dieser Versammlung nicht vorstellbar, und eine reine Bischofsversammlung wäre gerade nicht synodal, würde also dieser Intention widersprechen und hinter die Standards der Partizipation zurückfallen. Also besser ein Konzil mit einigen delegierten Bischöfen und einigen delegierten Laien? In der Kirchengeschichte haben Laien – etwa päpstliche Legaten – oft einen starken, ja knotenlösenden Einfluss auf Konzilien ausgeübt. Dazu bedürfte es einer Revision der Kirchenentwicklung des 19. Jahrhunderts, einschließlich des Papst-Primates (vgl. Otto Kallscheuer: Papst und Zeit; dazu der Beitrag dazu von Wolfgnag Beinert in StdZ 10/2024). Die Monarchie müsste durch eine partizipativere Verfassung ersetzt werden – ob man sie „Demokratie“ nennt oder nicht, wäre ein Streit um Worte. Die Kirche hat offiziell nie Früheres revidiert, sondern immer nur stillschweigend durch Neues ersetzt – ist sie auch darin lernfähig?

Dieses Editorial wurde Anfang Oktober 2024 geschrieben, zu Beginn der XVI. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode in Rom zum Thema „Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung“. Es will der Hoffnung Ausdruck geben, dass das Reformwerk nach Ende der Versammlung weitergeht, hin auf eine erneuerte und geistgeleitete weltweite Kirche.

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