Rezensionen: Theologie & Kirche

Rouet, Albert: Erstaunter Glaube. Dank an die religiös Uninteressierten.
Ostfildern: Grünewald 2023. 143 S. Kt. 19,–.

Die religiös Indifferenten – im Deutschen mit „Uninteressierte“ nur unzulänglich übersetzbar – sind jene, die keiner Kirche und auch keiner anderen geistigen Strömung angehören und „aufgrund oder mangels einer Entscheidung weder bewusst gläubig noch bewusst ungläubig sind“; Albert Rouet fragt: „…wie soll man sie begreifen?“ (12). Indifferente haben einfach keine Meinung, keine Position, und sie rechtfertigen diese Haltung nicht. Man kann nicht mit ihnen debattieren und schon gar nicht sie überzeugen von etwas, sie gar werben für etwas. Im stark säkularen Frankreich ist diese Haltung noch präsenter als bei uns – der emeritierte Bischof von Poitiers begegnet in seinem Buch den „Indifferenten“ in einer Offenheit und Direktheit, die bei uns noch kaum bekannt sind.

„Die Kirche kommt den Uninteressierten nahe, wenn sie auf ihre Vorrangstellung verzichtet und ihre eigene Verletzbarkeit anerkennt. Sie hatte den Traum einer perfekten Gemeinschaft geträumt, obwohl das Evangelium von ihr nur etwas ganz Einfaches verlangt, nämlich ‚schmackhaft‘ zu sein (vgl. Mt 5,13). Aber: Ein Zuviel an Salz macht die Speisen ungenießbar“ (59). Rouet verweist auf die Fehler der Kirche: Sie sind „keine offenen Wunden, sondern Aussatz und Fäulnis. Es gibt Wunden der Liebe und des Begehrens; es gibt aber auch Wunden, die daher rühren, nicht zu lieben, falsch zu lieben, sich zu wenig hinzugeben, Buch zu führen über die eigene Großzügigkeit. Die Kirche muss nicht perfekt sein, sondern zu ihrer eigenen Unvollkommenheit stehen“ (60). Wenn solche Sätze für die institutionell schwache Kirche Frankreichs gesagt werden, um wieviel mehr für die starke deutsche?

„Indifferenz macht diese Beunruhigung des Glaubens, seine Nicht-Transparenz sichtbar“. Sie zeigt dem Gläubigen die unbekehrten Teile seines Selbst und „die Tatsache, dass der Glaube nicht nach den Regeln der Evidenz gelebt wird“ (73). Indifferenz wirft den Glaubenden auf seinen wirklichen Glauben zurück – dafür ist er den Indifferenten dankbar. Religiöse Institutionen begegnen den Indifferenten unzulänglich: weil sie meinen, mit Antworten Sinn zu stiften – statt bei den Fragen zu bleiben; weil sie annehmen, viel Kenntnis über Religion wecke schon den Appetit; weil sie von oben auf die Menschen blicken, statt Anteil zu nehmen… (87 ff.). Den Glauben sollen wir Christen nicht „vorschlagen“ – so ein bekanntes Programmwort der französischen Kirche –, „sondern… mit diesen Menschen einen Glauben entdecken, der uns allen vorausliegt“ (103).

Rouets Buch ist radikal, in der eingestandenen Hilflosigkeit, in der Analyse kirchlicher Haltungen, in den Weisungen, wie Christen weitergehen können. Seine Sprache und Denkweise sind völlig anders als alle deutsche Pastoraltheologie; sie sind schwer ins Deutsche zu übersetzen und daher für uns nicht ganz leicht zu lesen, aber darum umso anregender. Interkulturelle Begegnung kann nur guttun.

                Stefan Kiechle SJ

Laudage-Kleeberg Regina: Obdachlos katholisch. Auf dem Weg zu einer Kirche, die wieder ein Zuhause ist.
München: Kösel 2023. 203 S. Kt. 20,–.

Dieses Buch handelt in 22 kleinen Episoden (Kapiteln) davon, was es bedeutet, das eigene religiöse Zuhause in der katholischen Kirche immer mehr zu verlieren, bis zu dem Punkt, an dem man sich zu fragen beginnt, ob man ganz gehen und damit in die religiöse Obdachlosigkeit ziehen soll. Regina Laudage-Kleeberg ist noch Mitglied der katholischen Kirche und sie möchte es gerne weiterhin bleiben: Sie liebt die katholische Liturgie (55 f.), die Kirchenmusik (65 f.), die Freiheitstheologie Thomas Pröppers (57 f.), die ignatianischen Exerzitien (113 ff.) und die Trinität als die beste Denkform des Göttlichen, weil sie herausstellt, dass das In-Beziehung-sein-Wollen zum Wesen Gottes gehört (54). Ihren katholischen Glauben, in den sie hineingeboren wurde, bezeichnet sie als einen biografischen „Glücksfall“ (59). Und dennoch: Ihren langjährigen Dienst als hauptamtliche kirchliche Mitarbeiterin in einem deutschen Bistum hat Laudage-Kleeberg mittlerweile gekündigt. Auslöser war, dass sie „eine Ungerechtigkeit thematisiert“ habe und dabei „nicht gehört worden“ sei. „Im Gegenteil sogar, mir wurde empfohlen, ‚die Sache ruhen zu lassen‘. Da ist etwas in mir gebrochen“ (181).

Von solchen selbsterlebten wie bei anderen wahrgenommen Bruch- und Ungerechtigkeitserfahrungen in und mit der Kirche handelt das Buch. Es handelt davon, wie die amtliche Kirche mit mitunter „menschenverachtenden Regeln“ (122) Gläubige vor den Kopf stößt und so Jesu Botschaft von der bedingungslosen Liebe und Menschenfreundlichkeit Gottes verdunkelt. Das Wertvolle am Buch ist aber, dass die Autorin nicht bei diesen Brucherfahrungen stehenbleibt. Auf vielen Seiten malt sie in leuchtenden Farben realistische Hoffnungsbilder davon, wie Kirche tatsächlich aussehen und so vielen, kirchlich oder katholisch bereits obdachlos gewordenen Menschen, wieder ein echtes Zuhause bieten könnte. Berührend wird es, wenn die Autorin aus ihrem eigenen Leben erzählt. Oft dreht es sich dabei um Erfahrungen des bedingungslosen Angenommenseins, die man in der Kirche sucht, dann aber anderswo findet: bei der irischen Gastfamilie (21 f.), beim Boxtraining (139-143) oder bei der Bahnhofsmission (185-192). Berührend sind auch ihre Schilderungen, wie sie während der Pandemie mit ihren Nachbarn zusammen im eigenen Mehrfamilienhaus das Ostertriduum feierte: „In der Osternacht 2020 sind wir mit dem Osterlicht vom Garten durch den Keller nach oben gezogen. Als mein Nachbar, der Diakon, das ‚Lumen Christi‘ im Keller angestimmt hat und wir mit einem ‚Deo gratias‘ geantwortet haben, da ist dieser Keller verwandelt worden. Seitdem wird er nie mehr nur der zugerümpelte Ort sein, der er vorher im Alltag war“ (66). Wo Menschen sich um das Osterlicht versammeln, da wird Wirklichkeit verwandelt. Diese Hoffnung hat Laudage-Kleeberg auch noch für die Kirche selbst, wenngleich sie am Ende offenlässt, wie ihre eigene Pilgerreise auf Dauer weitergehen wird: „Ich will katholisch sein, ich liebe diesen Glauben. Aber ich brauche mehr Abstand zur Institution. Mein Tank ist leer. Ich brauche die Freiheit austreten zu können, wenn es nötig wird“ (183).

Das Buch ist flott geschrieben, in einer sehr ansprechenden, ausdrucksstarken Sprache. Es ist ein inspirierendes und höchst nachdenklich stimmendes Buch. Es ist persönlich gehalten und hebt doch die Erfahrungen und Hoffnungen vieler ins Wort. Es ist ein Buch voller guter Ideen für eine zeitgemäße, attraktive Gestalt für die Kirche von morgen (oder heute?). Am Ende bleibt ein tiefes Bedauern darüber, dass der Kirche solche begeisterten und begeisterungsfähigen Köpfe (und Herzen) als pastorale Mitarbeiter:innen verlorengehen. Lang hallt die Frage nach: „Warum braucht das Katholische so viel Normierung? Warum hat es die Einheitlichkeit, den Standard so nötig, wenn doch das Gottes- und Menschenbild dahinter faszinierend weit und großherzig ist?“ (197)

Alexander Löffler SJ

Panikkar, Raimon: Leben und Wort. Einführung in meine Werke. Hg. von Christian Hackbarth-Johnson und Milena Carrara Pavan (Salzburger Theologische Studien Interkulturell 24).
Innsbruck: Tyrolia 2022. 200 S. Kt. 24,–.

Die Lektüre dieser Gesamtdarstellung des umfangreichen Œuvres des katalanisch-indischen Theologen, Philosophen und Weltbürgers Raimon Panikkar beginnt man am besten mit dem Vorwort, seiner Autobiografie und dem Nachwort der Herausgeberin. Diese kurzen Texte skizzieren seinen Weg von einer katalanischen katholischen Mutter und einem indischen hinduistischen Vater über seine Doktorate in Naturwissenschaften, Philosophie und Theologie, seine Priesterweihe, seine Stationen in Deutschland und Italien und seinen langen Aufenthalt in Indien mit gleichzeitiger Lehrtätigkeit an US-amerikanischen Universitäten und schließlich zurück zu seinen katalanischen Wurzeln. „Ich bin als Christ ‚gegangen‘, ich habe mich als Hindu ‚gefunden‘ und ich ‚kehre‘ als Buddhist ‚zurück‘, ohne doch aufgehört zu haben, ein Christ ‚zu sein‘“, beschreibt er 1990 die spirituelle Dimension dieses Weges, aus der sich seine „kosmotheandrische“, ganz der multikulturellen Welt zugewandte Perspektive entwickelte.

Seit 2008 erscheinen die Gesammelten Werke, in welche Panikkars Texte einführen, die das hier vorgestellte Buch enthält; nach der italienischen, US-amerikanischen, katalanischen, kastilischen und indischen Ausgabe ist auch eine deutsche angekündigt. Sie bestehen aus achtzehn Büchern in zwölf Bänden: Mystik und Spiritualität; Religion und Religionen; Christentum; Hinduismus; Buddhismus; Kulturen und Religionen im Dialog; Hinduismus und Christentum; Trinitarische und kosmotheandrische Vision; Mysterium und Hermeneutik; Philosophie und Theologie; Heilige Säkularität; Raum, Zeit und Naturwissenschaft.

Schade, dass ihnen nicht die entsprechenden Inhaltsangaben angefügt wurden. Aber auch so vermitteln sie einen faszinierenden Einblick in seine in sieben Jahrzenten erschienenen Veröffentlichungen. In immer neuen Anläufen versucht Panikkar, grundlegende existentielle Fragen anzugehen, die auch allgemein für den modernen Menschen von Bedeutung sind, da dieser beständig „mit Ideen, Bildern und Klängen aus allen vier Ecken der Welt bombardiert“ wird. „Die Kulturen um ihn herum vermischen sich, Ideen vermengen sich, Religionen begegnen einander, und Sprachen interagieren und entlehnen einander Vokabular wie vielleicht nie zuvor in der Geschichte der Menschheit“. Zentral für die weltweiten Kulturkontakte ist der interreligiöse Dialog, dessen Ziel weder eine die Unterschiede einebnende Homogenität noch ein sie nicht ernst nehmendes Miteinander sein darf. Hingegen wird an den Beziehungen zwischen Hinduismus und Christentum aufgezeigt, wie gewöhnlich als einander entgegengesetzt verstandene Lebensformen sich gegenseitig erhellen und befruchten können.

Viele Ausführungen Panikkars, von denen einige in einem zweiten fachkundigen Nachwort besprochen werden, warten auf eine eingehende Fachdiskussion, angefangen von seiner Ausweitung der Begriffe Spiritualität, Mystik und Religion oder seiner Unterscheidung von Christentum, Christenheit und Christlichkeit. Unterdessen kann diese Textsammlung nicht nur zu einen besseren Verständnis der wenigen auf Deutsch vorliegenden Werke von und über Raimon Panikkar beitragen, sondern auch als Anregung für den immer drängenderen interkulturellen und interreligiösen Dialog dienen.

                Stefan Krotz

Bruckner, Isabella: Gesten des Begehrens. Mystik und Gebet im Ausgang von Michel de Certeau (Innsbrucker theologische Studien 101),
Innsbruck: Tyrolia 2023. 402 S. Kt. 45,–.

Seit einigen Jahren wächst das theologische Interesse am Denken des französischen Jesuiten Michel de Certeau (1925-1986) im deutschsprachigen Raum. Isabella Bruckner legt mit ihrer Dissertationsschrift, die 2022 mit dem Innsbrucker Karl-Rahner-Preis für theologische Forschung ausgezeichnet wurde, einen wichtigen Beitrag zur Rezeption seiner Theologie vor. Chronologisch stellt die Autorin die verschiedenen Arbeiten de Certeaus zu Mystik und Gebet vor, zeigt Entwicklungen auf und systematisiert den Themenkomplex.

Nach einer kurzen biografischen Eröffnung, führt die Autorin in den sechs folgenden Kapiteln durch die verschiedenen Texte und Textgattungen, die sich dem Gebet und der Mystik widmen: Von frühen Studien zu den ignatianischen Exerzitien, über die „Mystische Fabel“ bis hin zu Verbindungen zur lacanschen Psychotherapie. Vor allem die Ausführungen zur Mystik in Kapitel sechs sind wegen ihrer Klarheit und ihres Umfangs hervorzuheben.

Der „Topos des Begehrens [désir]“ (25) nimmt als „Grundmoment der ignatianischen Anthropologie“ (51) in der Analyse der Texte zu de Certeaus Theologie des Gebets einen zentralen Platz ein. Dabei stellt Bruckner fest: „Das Gebet der Mystik scheint dann aber gerade nicht auf die Stillung des Mangels abzuzielen, sondern vielmehr in eine Offenheit und Vertiefung des Begehrens hineinzuführen“ (197). Es geht nicht darum, den Mangel zu befriedigen, sondern ihn zu genießen. Das Desiderium eröffnet einen Raum. Einem bzw. dem Anderen Raum zu geben, ist ein zentraler Aspekt des Gebets, den Bruckner in ihrer Studie herausarbeitet: „Das Gebet gestaltet sich als ein alternierendes Beziehungsgeschehen, das zuinnerst mit der Annahme der realen Differenz, in welcher das Subjekt zum Anderen – aber auch zu sich selbst – steht, verbunden ist“ (186).

Der zweite zentrale Begriff in B.s Analyse bildet das conversar als „Mittel einer noch ausstehenden Einheit von Partikularitäten, zur Erarbeitung einer gemeinsamen Sprache mitten in einer heterogenen Pluralität“ (297). Gebet ist echte Kommunikation und sucht nach einer gemeinsamen Sprache, die sowohl Rede als auch Hören ermöglicht: „Die Betonung der Notwendigkeit des rechten (Hin-)Hörens bildet neben der Frage nach der rechten Rede jeweils den zweiten Pol der mystischen Suche nach einem neuen conversar.“ (215) Allerdings besteht ein Unterschied zwischen Gebet und Gespräch darin, dass „die Initiative im Gebet nicht wie im Gespräch im wechselseitigen Verhältnis bestünde, sondern Gottes Initiative der Initiative der Betenden immer schon vorausginge und ihm die ‚absolute Initiative‘ zukäme“ (265).

De Certeau arbeitet als Historiker und als solcher markiert er den „unüberbrückbaren Abstand, der ihn von den Mystiker*innen und von deren Erfahrung trennt“ (171). Dessen bewusst, sieht Bruckner ihre Studie als „Übersetzungsarbeit“ (334). Es gelingt ihr, de Certeaus vielfältige Überlegungen für die heutige Situation zu erschließen. „Die hier vorgelegte Theologie des Gebets ist sicherlich keine vollständige“ (371), bildet aber einen soliden Ausgangspunkt für weitere Übersetzungen und regt zum Weiterdenken in unterschiedlichen Kontexten an.

Dag Heinrichowski SJ

Schwienhorst-Schönberger, Ludger: Der eine Gott und die Götter. Religions- und Theologiegeschichte Israels – ein Durchblick.
Freiburg: Herder 2023. 271 S. Gb. 26,–.

Seit es (denkende) Menschen gibt, gibt es Religion, denn Menschen aller Zeiten und Kulturen machen Transzendenzerfahrungen, an die sie erinnern, die sie feiern und reflektieren. In einer Welt, die als eine Wirklichkeit in vielen Phänomenen erfahren wird, entstehen polytheistische und schließlich monotheistische Religionen als Wirklichkeitsdeutungen. Diesen Entstehungsprozess der Religion Israels in der Religionsgeschichte des Alten Orients will der Autor, bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2022 Universitätsprofessor für Alttestamentliche Bibelwissenschaft an der Universität Wien, nachzeichnen. Nach einer Einleitung (I.), Hinführung (II.) und religionsgeschichtlichen Vorgaben (III.), folgt Schwienhorst-Schönberger in neun Kapiteln der Geschichte Israels von der Frühgeschichte bis zur Wiederherstellung nach dem Exil (mit Ausblicken in die ntl. Zeit). Dabei verschränkt er die allgemeine Ereignis-, Ideen- und Religionsgeschichte, soweit sie aus den Quellen rekonstruierbar ist (history), mit den biblischen Erzählungen (story), die Israels geschichtliche Erfahrungen reflektieren und deuten – ohne die beiden Ebenen zu vermischen. In einer Welt voller Götter (Ägyptens, Babylons und Kanaans) setzt sich in Israel allmählich die Überzeugung von einem einzigen, weltjenseitigen, aber in der Welt wirkenden Gott durch. In einer Geschichte der Abstoßung und Anverwandlung anderer religiöser Konzepte bildet sich in Israel der Monotheismus heraus, der die Götter aus der Welt vertreibt, die Welt „profaniert“ und die bildliche Darstellung Gottes ablehnt. Waren die polytheistischen Systeme ineinander übersetzbar (Aphrodite = Venus = Ištar), entzieht sich der eine Gott Israels einer solchen Vergleichbarkeit. So entsteht ein exklusiver Wahrheitsanspruch und damit die Frage nach Wahrheit und Toleranz.

Themen wie die Herkunft JHWHs aus der Wüste südlich von Kanaan, seine Übernahme des Jerusalemer Tempels, sein Zusammenhang mit den orientalischen Wetter- und Sonnengottheiten, die Frage nach Göttinnen neben JHWH in Israel – und wie sich aus all dem eine monotheistische Gottesidee entwickelte, das wird in spannender Darstellung vorgestellt. Dieser einzige Gott übernimmt Zuständigkeiten, die früher verschiedenen Gottheiten zugerechnet wurden (Fruchtbarkeit, Krieg etc.). Fragen, die sich im Laufe der weiteren Geschichte aus dieser Allzuständigkeit und Allmacht ergeben, werden in Israel theologisch reflektiert und die Antwort ins Gottesbild integriert: Ist Gott auch für das Böse verantwortlich? Nach dem Verlust der Staatlichkeit 587 v. Chr. und der Wiederherstellung Judas als Tempelgemeinwesen nach dem Babylonischen Exil, musste sich Israel als „Gottesvolk“ nichtstaatlich, als Religionsgemeinschaft neu definieren.

Der biblische Monotheismus, der dem jenseitigen Schöpfer alles andere als Geschöpf gegenüberstellt, ist die Basis der westlichen Auffassung von der Gleichheit aller Menschen (vor Gott) – so Habermas. Israels Ämter des König-, Priester- und Prophetentums (Dtn 17) führen zur Gewaltenteilung zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt im lateinischen Mittelalter, aus der sich alle künftigen Gewaltenteilungen der westlichen Moderne ergaben – so Winkler. Die Geschichte des biblischen Monotheismus zu verstehen, ist nicht nur von historischem Interesse – es ist fundamental für das Verstehen der westlichen politischen Kultur.

Der Verf. hat ein gut lesbares, auch für Nicht-Theologen verständliches Buch vorgelegt, dem eine große Verbreitung zu wünschen ist.

Dieter Böhler SJ

Jochum-Bortfeld, Carsten: Paulus in Ephesus. Eine Expedition in die Entstehungszeit des Neuen Testamentes.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2021. 272 S. Gb. 22,–.

„Wir gehen häufig davon aus, dass Paulus als der geniale Theologe und umtriebige Missionar eine einzigartige Persönlichkeit war, dem die anderen nur zugearbeitet haben. Es ist an der Zeit, sich wieder an die vielen Frauen und Männer zu erinnern, die den Glauben an den Messias Jesus im römischen Reich und über seine Grenzen hinaus verbreitet haben. Das Christentum gründet in diesem so wirkmächtigen Beziehungsnetz ganz unterschiedlicher Menschen … gezeichnet vom harten Leben im Imperium Romanum, begeistert vom Messias Jesus“ (248). Der Autor, Neutestamentler am Institut für Evangelische Theologie der Universität Hildesheim, fasst mit dieser Schlussbemerkung die Perspektive zusammen, mit der er auf die paulinischen Briefe blickt. Das harte Leben im Imperium Romanum wird am Leben und Überleben in der Stadt Ephesus dargestellt. Dabei nimmt sich Jochum-Bortfeld die Freiheit, zum besseren „Aufbau des Schauplatzes“ fiktive Elemente einzuführen – etwa, wie Paulus zusammen mit Timotheus und Titus die Stadt Ephesus betritt (54 n. Chr.), wie er bei Prisca und Aquila Obdach findet, unter welchen sozialen und religiösen Bedingungen sich sein und ihr tägliches Leben gestaltet.

Die Lebensbedingungen in Ephesus sind die Folie, auf der nun Schüsseltexte der paulinischen Briefe gelesen werden. Es handelt sich um eine Kontrastfolie: Das Beziehungsnetzwerk der „Messiasleute“ stellt eine radikale Alternative zum Machtanspruch Roms und des Kaisers dar, wie er sich in allen Facetten der Gesellschaft in Ephesus spiegelt, insbesondere im Artemis-Kult (140-161), aber auch in der Konstruktion der Staats-Agora, den extremen sozialen Ungerechtigkeiten, dem Sklavenhandel, der Bedeutung des Hafens und des Handels, der Funktion des Totengedenkens, der Wettkämpfe und der Ehrenstraßen im römischen Imperium. Im letzten Kapitel (231-249) wird die Sicht Roms auf die Völker mit der Sicht der prophetischen Tradition (Stichwort „Völkerwallfahrt“) kontrastiert, um so den missionarischen Impuls von Paulus, Prisca, Sosthenes u.a. verständlich zu machen.

Das streng durchgehaltene Kontrast-Schema bringt einige neue Aspekte zu zentralen Motiven in den paulinischen Briefen hervor. Ein Bibelstellenverzeichnis am Ende des Buches lädt dazu ein, im Einzelfall nachzuschlagen und die Deutungen mit anderen Kommentaren zu vergleichen. Das Kontrastschema bringt notwendigerweise auch einige Zuspitzungen mit, die man diskutieren kann – allerdings mit Gewinn, wenn etwa die innere Zerrissenheit des Menschen in Röm 7 einmal sozialgeschichtlich beleuchtet wird: „Die Gebote der Tora sind für Paulus gut und gerecht, aber er stellt fest: Viele aus den Gemeinden können bestimmte Gebote nicht erfüllen … Die Umstände, in denen sie leben, machen ein Leben nach der Tora unmöglich. Ein Sklave, der sich weigert, am Sabbat zu arbeiten, muss mit heftigen körperlichen Strafen oder gar dem Tod rechnen“ (51).

Nach der Lektüre bleibt die Frage für mich, wie sich die weitere Geschichte der werdenden Kirche überhaupt noch im Sinne einer Kontinuität zu den Anfängen deuten lässt, wenn das Kontrast-Schema so radikal schwarz-weiß durchgezogen wird. Das gilt dann ja auch für Aktualisierungen heute: Kirche als Kontrastgesellschaft kann auch zu einem Rückzug aus politischer Verantwortung in der säkularen Gesellschaft führen, ein Rückzug, der weder der Kirche noch der Gesellschaft auf Dauer guttut.

Klaus Mertes SJ

Knauss, Sibylle: Der Glaube, die Kirche und ich (Einsichten 7).
Stuttgart: Alfred Kröner 2022. 157 S. Kt. 16,–.

Am Anfang steht der Entschluss der damals fünfzigjährigen Autorin (*1944), aus der lutherischen Kirche auszutreten. In den 1990er-Jahren hatte die Welle der Kirchenaustritte noch nicht eingesetzt. Ihre Entscheidung war eine persönliche, keiner Mode geschuldet. Das Buch von Sibylle Knauss unterscheidet sich von den Bestsellern, die 2017 von dem katholischen Priester Thomas Frings („Aus, Amen, Ende? So kann ich nicht mehr Pfarrer sein“) und 2022 von dem Generalvikar des Bistums Speyer, Andreas Sturm („Ich muss raus aus dieser Kirche. Weil ich Mensch bleiben will“) veröffentlicht wurden. Sibylle Knauss ist nach ein paar Jahren wieder in ihre Kirche eingetreten. Von dieser Entscheidung, verbunden mit der Darstellung ihrer religiösen Sozialisation von Kindheit an, erzählt dieses Buch.

Ihrer Rückkehr zur Kirche ging kein Bekehrungserlebnis voraus. Es war die erstaunliche Beharrungskraft des Glaubens. Als Schriftstellerin – sie hat seit 1981 sechzehn Bücher geschrieben – konnte sie vom „Charme der Lutherbibel“ nicht lassen. Die Erzählung vom Leiden und Kreuzestod Jesu ist für sie „das größte Narrativ auf Erden“ (18).

Sie wuchs als vaterloses Kind heran. Der Vater, dessen Namen sie trägt, ist an der Ostfront gefallen. Ihre Mutter gab vor, ihre Tochter sei beim letzten Fronturlaub ihres Ehemanns gezeugt worden. Sie war jedoch das Produkt einer Affäre mit einem verheirateten Liebhaber, den die Mutter später heiratete. Als frommes Kind hatte Sibylle durchaus Verwendung für einen allmächtigen und grundgütigen Gottvater.

Dennoch muss sie einräumen: Gott habe sich in ihren 77 Lebensjahren weit aus ihrem Leben zurückgezogen. Ihre kindliche Frömmigkeit hat die späteren Stufen ihrer Adoleszenz überdauert. Das Studium der Theologie, Germanistik und Anglistik ermöglichten den Brotberuf als Studienrätin. Wäre damals schon die Ordination als Frau in einer protestantischen Gemeinde möglich gewesen, sie hätte diesen Beruf ergriffen. Nach ihrer Scheidung mündete eine Liebschaft in eine zweite Ehe. Sie wurde Professorin an der Filmakademie Ludwigsburg (Drehbuch) und schrieb einen Roman nach dem anderen. Zweimal spielt die Gottesthematik eine Rolle: in „Die Missionarin“ und „Der Gott der letzten Tage“ (vgl. meine Rez. in StdZ 5/2018, , 368 f.).

An dem traditionellen lutherischen Sündenbewusstsein konnte die Rückkehr nicht liegen. Sie bekennt, ein neues Sündenbewusstsein entwickelt zu haben – „als Flugreisende und Autofahrerin, als Wohlstandskonsumentin und Müllverursacherin“ (33). Ein neues Subjekt der Sünde sei entstanden, die Menschheit, von der sie ein Teil sei. Buße müsste im Konsumverzicht bestehen. Aber das sei eine Religion ohne Gott.

Sie martert sich nicht mit der Frage ab, ob es Gott gebe. Sie traut der Bibel und der christlichen Lehre. Die Bibel ist für sie ein Kompendium von Gottesbegegnungen. Jetzt erst habe sie erfahren, dass das Gebet „ein radikal Äußerstes“ (53) sei, Medium der Dankbarkeit.

Das Kapitel über Jesus Christus ist das originellste: Immer wieder sieht sie Jesus aus der Perspektive des Szenischen, in Anlehnung an Webbers „Jesus Christ Superstar“. Häufig ist es eine weibliche Sicht auf Jesus – er wirke in „ungewöhnlichem Maße anziehend“ (61). Als genialen Schriftsteller, der „zeigt“, nicht erklärt, lobt sie den Evangelisten Johannes. Mit Pilatus habe er die politischen Aspekte der „Gotteserzählung“, mit dem Hauptmann unter dem Kreuz den Zeugen von etwas Ungeheuerlichem, ja Übermenschlichem dargestellt. Es sei das „Geheimnis des Glaubens“ (103). Mit dem Schrei nach dem abwesenden Gott sterbe Christus, der die „Gegenwart Gottes in seinem Tun und Reden so glaubhaft bezeugt, dass er ihn geradezu ‚verkörpert‘“ (107).

Bei der Rede vom „sublimen Reiz der Blasphemie“ kommt Knauss auf die Freikirchen zu sprechen, die gegenwärtig so regen Zulauf fänden. Für sich hat sie die in der Schweiz entstandene „Church“ entdeckt. International, sehr fromm, modern und sehr bibelfest seien bei ihr die Übergänge zwischen Gottesdienst und Party fließend, der Predigtstil hinreißend. Die Attraktivität des Christseins werde so erfahrbar. Die „ewige Seligkeit“ stellt sie sich als einen „großen Flashmob“ vor – eine Menschenmenge, die sich in einen Chor verwandelt. Auf einmal tanzen alle, alle sind auf einmal gleich. Auch sie wird ihr Ego zurücklassen müssen. In Selbstvergessenheit ist sie Teil einer großen Bewegung, „die um eine Mitte kreist“ (157).

Knauss hofft, dass das Lebensende, dem sie sich nähert, „nicht gottverlassen ist“ (154). Ihrer religiösen Lebensgeschichte verleiht die Autorin ihre in vielen erfolgreichen Romanen erprobte dialogisch-wendige Sprache. Sie redet der „religiösen Nonchalance“ das Wort. Damit findet sie gewiss viele Gleichgesinnte.

Gerhard Sauder

Marguerat, Daniel: Jesus aus Nazaret. Heimatloser, Heiler, Poet des Gottesreiches.
Zürich: Theologischer Verlag 2022. 330 S. Kt. 29,80.

Der vorliegende Band ist die deutsche Übersetzung eines französischen Originals von 2019 „Vie et destin de Jésus de Nazareth“. Er ist mustergültig in flüssiges Deutsch übertragen. Ihm liegen Vorarbeiten des Verf. aus mehreren Jahrzehnten zugrunde. Marguerat lehrte an der Universität Lausanne in der Schweiz, dem Ort, wo auch die Bodmer Papyri gesammelt werden. Von daher kommt auch sein Interesse an apokrypher frühchristlicher Literatur und gnostischen Texten.

Die Frage nach Jesus auf der Grundlage des Neuen Testaments ist so alt wie die moderne Bibelforschung und geht auf die Zeit der Aufklärung zurück. Nach einer bewegten Phase im 19. Jhd. gab es nach dem Zweiten Weltkrieg die „new quest for the historical Jesus“ noch im Rahmen der historisch-kritischen Methode mit der Herausarbeitung von Kriterien für die Echtheit der angenommenen Jesusüberlieferung und ab 1970 im Anschluss an den Holocaust eine dritte, die von der Verwurzelung Jesu im zeitgenössischen Judentum ausgeht. Ihr fühlt sich der Verf. verpflichtet (vgl. 133-137).

Die Untersuchung gliedert sich in drei Teile: „Die Anfänge“ (17-88), „das Leben des Nazareners“ (91-234) und „Jesus nach Jesus“ (237-311). Über die Herkunft Jesu wissen wir wenig, wenn wir davon ausgehen, dass die Kindheitsevangelien des Matthäus und Lukas spät und legendär sind. Marguerat übernimmt nicht die Lehre von der Jungfrauengeburt und hält Jesus möglicherweise für „ein Kind ohne Vater“ (45-68), hervorgegangen aus einer außerehelichen Verbindung. Das erkläre auch auch Jesu späteren Verzicht auf eine eigene Eheschließung. Doch ist dies nicht die einzige mögliche Deutung der vaterlosen Herkunft Jesu. Infrage kommt der Einfluss von Jes 7,14, die Verheißung eines Kindes durch eine „junge Frau“ (Urtext) oder „Jungfrau“ (παρθένος) in der Septuaginta, bei Matthäus und Lukas. Noch zu den Anfängen des Lebens Jesu gehört sein Entschluss, in die „Schule des Täufers“ zu gehen. Doch während Johannes das Kommen des Gottesreiches als unmittelbar bevorstehend verkündet, bricht es nach Jesus jetzt in seinem Kommen an. In einer Vision scheint Jesus den Auftrag zu erhalten, es zu verkündigen und sein Kommen ins Werk zu setzen.

Den Hauptteil der Untersuchung bildet der Abschnitt „Das Leben des Nazareners“. Ein großer Teil der synoptischen Jesusüberlieferung Jesu gilt Jesus, dem Heiler. Es gibt heute keinen Grund mehr, an diesem Element der Jesusüberlieferung zu zweifeln. Jesus gleicht dabei anderen Exorzisten und Heilern seiner Zeit, unterscheidet sich von ihnen aber durch den Bezug der von ihm gewirkten Dämonenaustreibungen und Heilungen durch den Anbruch der von ihm verkündeten Gottesherrschaft. Sehr lesenswert ist der anschließende Abschnitt „Der Poet des Gottesreiches“. Für Jesu Rede vom Gottesreich in Gleichnissen gibt es keine zeitgenössischen jüdischen Parallelen. Sie nimmt ihren Ausgangspunkt beim Alltagsleben der Menschen im südlichen Galiläa und beleuchtet verschiedene Seiten der neuen Herrschaft Gottes, die mit Jesus anbricht. In allem zeigt sich Jesus als „Lehrer der Weisheit“. Vorgestellt werden in der Folge „seine Freunde und seine Konkurrenten“, vor dem Abschnitt „Jesus und seine Berufung“. Hier lässt Marguerat große Vorsicht walten. Jesus nimmt offenbar weder für sich in Anspruch, der erwartete Messias Israels zu sein (der Titel war im Übrigen damals keineswegs klar und eindeutig) noch der „Menschensohn“, von dem er zwar spricht, aber als von einer Gestalt der eschatologischen Zukunft. Er ist nur derjenige, mit dem die Gottesherrschaft anbricht, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Auf sein Geschick in Jerusalem geht Jesus entschlossen zu, ohne vielleicht genau zu wissen, was ihn erwarten würde. Die Tempelreinigung bereitet wohl sein gewaltsames Ende vor, insofern sie die Infragestellung des Tempelkultes und der sie tragenden Gruppierungen bedeutete. Das Letzte Mahl Jesu ist nach Marguerat wohl kein Paschamahl, sondern findet wie bei Johannes am Vorabend des Rüsttages statt, an dem die Lämmer im Tempelbereich geschlachtet wurden. Die Hinrichtung ist schnell erzählt. Doch damit geht es mit Jesus nicht zu Ende.

Der Schlussteil beginnt mit dem Abschnitt „Auferstanden!“. Die Auferstehung ist nach Marguerat kein Ereignis der Geschichte. Sie wird von Jesu Anhängerinnen und Anhängern visionär erfahren. Dafür muss man nicht von einem leeren Grab überzeugt sein, von dem der älteste Zeuge (Paulus) auch nichts weiß. An den Schluss stellt der Autor Abschnitte über den apokryphen Jesus sowie Jesus aus der Sicht des Judentums und Jesus im Islam. Hier hätte man sich vielleicht eher eine Konfrontation des gewonnenen Jesusbildes mit der frühen Entwicklung des christologischen Dogmas seit den späteren Schichten des Neuen Testaments gewünscht. Hierzu Marguerat: „Doch ist es ein Anachronismus, ein dogmatisches Christusbild in die Geschichte zu projizieren“ (85). Ein Blick auf den Einfluss der griechischen Sprach- und Gedankenwelt auf die Entstehung des christologischen und trinitarischen Dogmas seit dem Neuen Testament könnte hier hilfreich sein.

Johannes Beutler SJ

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