Spirituelles Ringen

Das spirituelle Ringen der Wüstenväter und Wüstenmütter des Altertums bestand im Kampf mit den Dämonen, um die störenden Einflüsse dieser widergöttlichen Mächte wahrzunehmen und trotz aller Anfechtungen und Trugbilder ein Leben der Gottsuche zu führen. In der „Unterscheidung der Geister“ geht es um die Differenzierung zwischen dem Willen Gottes einerseits und dem Wirken des „Feindes der menschlichen Natur“, wie Ignatius von Loyola in den Spirituellen Übungen (Exerzitien) formuliert.

Kenneth Pargament ist der führende Forscher auf dem Gebiet der spirituellen Krankheitsverarbeitung (Coping). Sein Fragebogen RCOPE umfasst die Unterskalen des positiven und des negativen Copings. Diese Unterskalen stellen zwei Reihen von Aussagen über die Beziehung der Person zu Gott dar: eine Reihe, die Gott als einen fürsorglichen und liebenden Anderen wahrnimmt („positives“ Coping), und eine andere Reihe, die Gott als einen feindseligen, strafenden, vernachlässigenden oder sogar dämonischen Anderen erlebt („negatives“ Coping). Der Vergleich mit der Unterscheidung der Geister liegt nahe: In seiner Führung zur Mystik legt Ignatius Wert darauf, herauszufinden, was von Gott und was vom Feind der menschlichen Natur kommt. In der Tat: Es ist so wichtig, beides zu unterscheiden, weil es schwierig sein kann und weil sich beide Tendenzen vermischen können. Diese Unterscheidung kann anstrengend sein, ein Ringen.

Spirituelles Ringen ist ein wesentlicher Bestandteil jedes spirituellen Weges, und es ist auch in der Psychotherapie kein ungewöhnliches Phänomen. Der Spiritual Turn in der Psychotherapie bedeutet, dass die Spiritualität von Patientinnen und Patienten, aber auch von Therapeutinnen und Therapeuten nicht mehr pathologisiert wird, sondern als spirituelles Ringen innerhalb der therapeutischen Arbeit betrachtet wird. Als Entwicklung „von der Gottesvergiftung zu einem erträglichen Gott“ umschreibt der Psychoanalytiker Tilman Moser seinen persönlichen Spiritual Turn. Insbesondere die psychoanalytisch begründeten Therapien richten ihre Aufmerksamkeit auf unbewusste intrapsychische Konflikte. Derartige innerseelische Spannungen, z.B. zwischen Bindung und Unabhängigkeit oder zwischen Versorgung und Autarkie, gehören zu einer gesunden seelischen Entwicklung. Wenn aber einer der Pole solcher Gegensatzspannungen zu kurz kommt und verdrängt wird, entstehen Angst, Depression, Zwang, Sucht oder andere Symptome. Derartiges Leiden an unverarbeiteten Konflikten kann auch Familien, Freundschafts-, Liebes- oder therapeutische Beziehungen in Mitleidenschaft ziehen.

Die konflikthafte Beziehung zu Gott kann auch in Psychotherapien berichtet werden oder in der unbewussten „Übertragung“ göttlicher Momente auf die Psychotherapeutin erlebt werden. Spirituelles Ringen äußert sich in einem mehr oder weniger bewussten und konflikthaften Gottesbild, das aus kognitiven und emotionalen Elementen besteht. Auch wenn diese Feststellung nicht leicht auszuhalten ist: Weder Theologie, Philosophie noch Psychotherapie haben einen archimedischen Punkt, um die Realität oder Angemessenheit von Gottesbildern zu beurteilen. Das Gottesbild ist für alle der unvermeidliche blinde Fleck, gleichermaßen für diejenigen, die mit Gott ringen, für kranke Menschen und für diejenigen, die sie begleiten. Eine Normativität, die festlegt, welches Gottesbild „richtig“ ist, ist erkenntnistheoretisch fragwürdig und kann einen Anpassungsdruck auf Menschen ausüben, die ein Bild von Gott verinnerlicht haben, das dieser Norm nicht entspricht. Sie erleben möglicherweise Gott nicht als so „positiv“, wie es der individuellen oder der kollektiven Norm entspricht. Oder sie können mit männlichen und väterlichen Gottesbildern nichts anfangen, so orthodox und biblisch fundiert sie auch sein mögen. Oder aber die Enttäuschungen und Verletzungen ihrer Bindungsgeschichte sind so gravierend, dass sie sich Gott nicht gläubig anvertrauen können.

Auf dem geistlichen Weg ist eine differenzierte Betrachtung der Gemütsbewegungen im spirituellen Ringen notwendig, um zwischen göttlichen Einflüssen und widergöttlichen Elementen zu unterscheiden. Eine solche Unterscheidung der Geister kann auch als Antidot gegen einen Normativitäts-Bias in der psychotherapeutischen Praxis und Forschung dienen: Das spirituelle Ringen in der Psychotherapie sollte behutsam erforscht werden, ohne es zu pathologisieren. In der therapeutischen Beziehung ist ein ausgewogenes Verständnis der positiven und negativen Aspekte wichtig, ähnlich wie im spirituellen Ringen selbst. Das psychotherapeutische Arbeitsbündnis, das die Grautöne zwischen Idealisierung und Entwertung wahrnimmt, kann konflikthafte Aspekte der Spiritualität besser aufgreifen. Das spirituelle Ringen vieler schizophrener Menschen, früher auf den „religiösen Wahn“ reduziert, kann als krankhaftes Leiden ernstgenommen und gleichzeitig als Coping und Ressource respektiert werden, vor allem aber, trotz aller Befremdlichkeit der Gottesbilder, als Suche nach Gott.

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