Reduzieren und fokussieren

Die Kirche schrumpft. Ihre Mitglieder werden weniger, noch schneller verringert sich das Personal. Das Geld wird weniger. Räumlichkeiten werden zu wenig genutzt und können kaum noch unterhalten werden. Klöster werden geschlossen. Verbände schrumpfen, manche verschwinden ganz. Gemeinden sind überaltert, bisweilen ausgedünnt. Nur die Verwaltung wird komplexer, professioneller, verrechtlichter und bläht sich auf. Doch der Gesamteindruck ist Schrumpfen. Andere Großinstitutionen schrumpfen ähnlich, etwa Volksparteien, Gewerkschaften, Sportvereine, kulturelle Einrichtungen. Doch bleiben wir bei der Kirche.

Organisationsberater und Generalvikare sprechen gerne von Re- oder Umstrukturierung, von Transformationsprozessen, von Neupositionierung – die Worte klingen arg technisch, sind schönfärberisch. Und man sagt, weniger sei mehr – diese Paradoxie löse sich, indem man das Weniger quantitativ, das Mehr qualitativ deute. Die kleine Herde der Glaubensstarken bleibe. Die Diasporakirche etwa der früheren DDR sei doch ein Vorbild, mit starkem Zusammenhalt gegen die feindliche Umwelt, mit mutigem Zeugnis. Nun ist das alles nicht falsch, aber trifft es die ganze Realität? Die Erfahrung sagt auch anderes. Und: Kirche ist nicht ein etwas kurioses, aber organisatorisch bewältigbares Phänomen, sondern eine theologische Größe, eine Gabe und Aufgabe Gottes.

Das Schrumpfen ist zuerst ein Verlust, der schmerzt. Klöster und Ordenshäuser als heilige Orte und als Zentren des Gebets, des Gemeinschaftslebens und der Verkündigung fehlen einfach, oft schmerzlich. Viel kirchliches Leben wird nicht umstrukturiert, sondern es stirbt. Gemeinden ohne Jugend sind müde, sie halten an altem Brauchtum so lange wie möglich fest, aber dieses ist leer geworden, starr, kaum anziehend. Das wenige Personal rackert und schafft, aber wenn die vielen Sechzigjährigen abtreten, wird niemand folgen. Die XXL-Pfarreien sind derzeit einigermaßen „besetzt“, aber in zehn Jahren wird auch dieses Modell am Ende sein. Nicht nur die Quantität kirchlicher Aktivitäten schrumpft, sondern mit dieser schrumpft auch – um ehrlich zu sein – die Qualität. Muss das alles nicht viel stärker als wirkliches Sterben ernst genommen werden? Seelsorge ist dann vielfach Trauerarbeit, ja Sterbebegleitung. Kirchliche Institutionen werden nicht um-, sondern abgebaut. Wie ein Gebäudeabriss macht er Lärm und Dreck, er weckt Zweifel und Ängste. Er erschreckt auch deswegen, weil aus der klaffenden Baugrube kein Neubau entstehen wird. Das Sterben kirchlichen Lebens betrauern und beweinen – soweit sollten wir längst sein.

Reduktion ist sehr oft wirkliche Schließung. Welche Chefs haben dafür den Mut – gegen alles Jammern, gegen die Verlustängste, gegen die Lobbyisten, die um ihre Pfründe kämpfen, gegen die Wichtigtuer, die genau ihre Arbeit und ihre Institution für unverzichtbar halten? Synodale Prozesse sind wichtig, aber sie dürfen nicht dazu führen, dass Gremien sich zu Tode beraten, dass man mit dem Abarbeiten an Strukturen den Inhalten ausweicht, dass Interessenvertreter sie instrumentalisieren, um substanzielle Entscheidungen zu verhindern, dass das Ende mit Schrecken verhindert wird zugunsten eines Schreckens ohne Ende. Gutes Schrumpfen braucht gute Führung, sonst wird es zur quälenden Agonie.

Worauf können Verantwortliche beim Reduzieren achten? Ein paar Ideen, die den Fokus auf den theologischen Auftrag der Kirche zu richten versuchen: Verkündigen des Wortes, wo es Frucht bringt, ist wichtiger als religiöses Brauchtum. Schule ist für die Hinführung Jugendlicher zu christlichen Vollzügen und Werten meist effizienter als Gemeindearbeit – fließen von den geringeren Ressourcen nicht noch zu viele in klassische Pfarreiarbeit? Spirituelle Zentren, Gemeinschaften und Bewegungen brauchen Unterstützung – die geringeren Ressourcen dienen dann einer weniger professionellen, eher laikalen Kirche statt einer teuren Hauptamtlichen-Kirche. Gesellschaftlichen Bedarf nach tröstenden Ritualen gibt es immer wieder bei großen Trauerfällen – im Münchner Olympiastadion war zur Trauerfeier für Franz Beckenbauer die Kirche sehr präsent. Auch die Nachfrage nach Kranken- und Gefängnis-, Militär- und Notfallseelsorge bleibt hoch: Schmerz und Gewalt und Tod rufen nach dem Trost des Glaubens. All dies ist nicht Spielbein, sondern Kerngeschäft.

Was in der schrumpfenden Institution Kirche weniger wird, findet sich zunehmend außerhalb: christlicher Geist, Nächstenliebe, Gebet. Freilich: Wo diese von mehreren gelebt werden, ist Kirche. Kann sich die heilsame Trauer um die Reduktion auf lange Sicht auch in Bejahung dessen verwandeln, was Kirche wirklich ist? Kann sich der allzu soziologische Blick wandeln zu einem spirituellen? In der langen Geschichte der Kirche lebten, grob vermutet, auch in christlichen Ländern nie mehr als durchschnittlich max. 20 % der Bevölkerung intensiv gläubig und spirituell. Für andere war die Kirche – das sei wertschätzend gesagt – Brauchtum und Kultur, auch Lebensraum, Ressource. Wenn Letzteres weniger wird, ein bleibender Verlust, ersteres jedoch sich fortsetzt, unmessbar, verborgen, als Ferment in der Gesellschaft präsent, bekommt das Schrumpfen auch Qualität.

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