Rezensionen: Kunst & Kultur

Bachl, Gottfried: Das flüchtige Nu des Lebens. Ein Gottfried-Bachl-Lesebuch. Hg. von Wilhelm Achleitner.
Innsbruck: Tyrolia 2024. 184 S. Gb. 22,–.

Als der österreichische Theologe und emeritierte Professor für Dogmatik Gottfried Bachl am 23. Mai 2020 starb, verstummte die Stimme eines Theologen, der wie kaum ein anderer verstand, Theologie so zu formulieren, dass sie verständlich wird, aber auch hinterfragbar erscheint, dass deutlich wird: Zweifel und Fragen gehören originär zum Glauben, bringen ihn und damit den fragenden Menschen voran und lassen Neues erahnen und erwarten von Gott und den Menschen.

Das vorliegende Buch bietet von der ersten Publikation des jungen Gottfried Bachl an bis zu seinen späten Schriften und bislang unveröffentlichten, weil privaten Gedanken und Aphorismen Texte, Gebete, Nachdenkliches und Provozierendes: Sätze, die man laut lesen möchte, die geprägt sind vom Leicht-Sinn des Glaubens, geschrieben mit Sprachwitz, Leichtigkeit und vermutlich auch mit einem Augenzwinkern – und die doch die tiefe Ernsthaftigkeit zeigen, mit der Gottfried Bachl zeitlebens die Botschaft vom Leben in Fülle interpretiert und im besten Sinne unter die Leute gebracht hat. Einige der traditionellen dogmatischen Traktate kommen zur Sprache, darüber hinaus auch die Erfahrung, die Gottfried Bachl in seinem Heimatort durch die Nähe des Konzentrationslagers Mauthausen seit der Kindheit geprägt hat – und sein Grundanliegen: eine Sprache zu finden, die versucht, Gott und Mensch neu zu denken. Dass aus solchem Bemühen auch poetische Texte entstehen, ist nur logisch – auch von ihnen bietet das Buch einige, bis hin zu Gebeten aus dem wunderbaren Buch ‚Mailuft und Eisgang‘. Aufmerksam für die Schöpfung, sinnenfreudig, provozierend, zugespitzt, anregend, fragend und Horizonte eröffnend kommen die Texte daher. Der Blick auf den Menschen in seiner Abgründigkeit (auch im Bereich der Kirche und des Klerus) und gleichzeitig der Blick auf den Nazarener und sein Menschsein lässt Leserin und Leser danach fragen, was es für sie und ihn persönlich heißt, in der Spur Jesu zu gehen, ganz abgesehen davon, wie die Kirche, die sich auf ihn beruft, seine Botschaft weitergibt: „Sollte der katholischen Glaubensgemeinschaft nicht alles daran liegen, die Leichtigkeit Jesu an ihrer eigenen Gestalt wahrzumachen? ... Seine Kraft … kommt nicht aus der Absicht, ein großes System zu schaffen, sondern aus seiner brennenden Gottesberührung“ (175).

Wenn Bachl schreibt: „Vor dem Evangelium muss auch verantwortet werden, wenn mögliche Horizonte, die der Geist im Bewusstsein der Christen öffnet, gar nicht erkundet, nicht redlich begangen, sondern verboten werden“, trifft er einen Nerv und hält der Kirche, doch auch jedem Menschen persönlich einen Spiegel vor. Wilhelm Achleitner, dem langjährigen Assistenten Gottfried Bachls, ist es gelungen, mit der Auswahl der Texte Bachl in seinen zentralen Anliegen zu Wort kommen zu lassen und die Lesenden mitzunehmen in neue Denk- und Glaubenshorizonte. Wie Achleitner selbst schreibt, gibt es zahlreiche noch nicht gehobene Schätze aus Bachls Feder – dass mehr von ihnen veröffentlicht wird, ist mehr als wünschenswert!

                Annette Traber

Hansen, Dörte: Zur See. Roman.
München: Penguin 2022. 255 S. Gb. 24,–.

Aus der Redakteurin und Journalistin Dörte Hansen von Husum ist in der zweiten Lebenshälfte eine erfolgreiche originelle Roman-Schriftstellerin geworden. Mit der Inselerzählung „Zur See“ konfrontiert sie das Publikum – wie schon in den beiden Vorgänger-Romanen – mit der komplexen Situation ihrer nordfriesischen Landsleute. Der Titel illustriert, dass sich die Inselbewohner an der ambivalenten Wasserumgebung wie an einem „mysterium tremendum et fascinans“ orientieren und ihre Männer und Söhne unter harten Bedingungen „zur See“ fahren lassen müssen. Das Buch besteht aus vierzehn Kapitel mit rätselhaft-lakonischen Überschriften, die mit relevanten Symbolgegenständen, englischen Zitaten oder Liedanfängen neugierig machen. Inhaltlich kontrastiert Hansen immer mehr die Risiken des traditionellen Insellebens mit den modernen Segnungen des Festlands, wodurch die Bewohner den sozialen und klimatischen Wandel immer stärker zu spüren bekommen. Der Leser wird von auffällig unkonventionellen Charakteren angelockt: z.B. von dem rührigen Insel-Pfarrer, der am Ende an seiner familiären und pastoralen Berufung zweifelt und mit seinem Gott noch schlimmer hadert als der biblische Hiob. Den säkularen dörflichen Gegenpol bilden die Eltern und die drei Kinder der alteingesessenen Familie Sander, die sich auf die selbstbestimmte starke Mutter und ambitionierte Museumsgründerin Hanne konzentrieren. Henrik, der Jüngste, ist der skurrile Inselkünstler, der im „Fleisch und Blut“ des verendeten Wals eine übermütige Performance präsentiert und im Ertrinken die mystische Vereinigung mit dem übermenschlichen Wasserelement sucht. Der Vater und ehemalige Kapitän lässt seine Familie für zwanzig Jahre im Stich und führt als Vogelschützer und Tierpräparator im Wattenmeer ein Eremitenleben. Der Älteste ist der Drunken Sailor Ryckmer, der zum Kapitän des Begräbnisschiffes avanciert; die Tochter Eske arbeitet im Seniorenheim, ist Heavy-Metal-Fan und Fachfrau für ausgestorbene nordische Dialekte, welche die Autos der ungeliebten Müll-Touristen von der Straße drängt. Hansen kennt keine bösen Menschen, sondern sympathisiert mit den vom Insel-Schicksal gebeutelten, eigentlich heroischen Menschen.

In kräftigen Bildern zeigt sich eine stilistische Vorliebe Hansens; das gilt besonders für die siebenhundertjährige Inselkirche mit ihrer „Sturm- und Flutengeschichte“, die in dem hängenden Votivschiff und Henriks Seepockenkruzifix ihren frommen Ausdruck findet. Zusammen mit der alten Orgel und dem alten Taufstein wird die Kirche zu einem Ort, „der was mit den Leuten macht.“ Der Friedhof ist ein Kirchhof, auf dem sich die Besucher „von den Kreuzen für die Angespülten und Heimatlosen“ zutiefst betreffen lassen. Im Gegensatz dazu steht das großbürgerliche, von den Touristen oft abgebildete „Kalenderhaus“ der Sanders mit dem sturmfesten Anschein einer heilen Familie. Es wird irgendwann wohl den Immobilienjägern zum Opfer fallen.

Dörte Hansen zeigt sich unverhofft offen für die Phänomene der Selbsttranszendenz und religiöse Wahrnehmung. Sie ist keine theologische Literatin; aber sie vermag mit der durchweg gewählten persönlichen Figuren-Rede geschickt das plurale Bild von zeitbedingter religiöser Perspektivität erzeugen. Die Erfolgsstory des Romans verdankt sich großenteils auch den geschickt eingesetzten journalistischen Stilmitteln. In dem durchgehenden Jamben-Rhythmus des Textes wird für den Leser eine „gleich-schwebende“ Poesie spürbar.

                Andreas Müller

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