Loffeld, Jan: Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt. Das Christentum vor der religiösen Indifferenz.
Herder: Freiburg 2024, 191 S. Gb. 22,–.
Dieses Buch, mit dem Jan Loffeld die zentralen Inhalte und Forschungsergebnisse seiner pastoraltheologischen Habilitationsschrift (Der nicht notwendige Gott. Würzburg 2020) für ein breiteres Publikum zugänglich macht, ist insbesondere für Menschen gedacht, die haupt- oder ehrenamtlich in der kirchlichen Pastoral tätig sind. Es will sie dazu anregen, „die eigene Praxis neu zu bedenken“ (13). Loffeld hält ein solches Neubedenken kirchlich-pastoralen Handelns für unabdingbar, weil das bisherige, immer noch weitverbreitete Optimierungsparadigma nicht (mehr) greife und bei den Engagierten auf Dauer nur zu Frustrationen führe. Das Optimierungsparadigma kirchlicher Pastoral geht nämlich davon aus, dass grundsätzlich jeder Mensch für die Gottesfrage offen und deshalb auch von der Verkündigung (des Evangeliums) erreichbar sei, wenn man dabei nur die richtige Korrelation zwischen Sender und Empfänger findet, also die seelsorglichen Stellschrauben den Bedarfen entsprechend justiert und optimiert. Neuere empirische Forschungen zeigen allerdings, dass „es zunehmend viele Zeitgenoss:innen gibt, die auch ohne Gott, Glaube und Kirche ein erfülltes Leben führen können, ohne dass ihnen dabei irgendetwas fehlen würde“ (106). Mehr noch: „Mittlerweile lässt sich (…) bei Vielen empirisch nicht nur kein Gottes-, Transzendenz- oder Spiritualitätsbedürfnis feststellen; es ist auch zunehmend fraglich, ob (…) jeder Mensch in seinem Leben nach umfassendem Sinn sucht“ (46). Kontingenzen werden zwar weiterhin wahrgenommen. Für ihre Bewältigung müsse aber nicht notwendigerweise auf eine transzendente Wirklichkeit (101) oder auf ein Konzept umfassenden Lebenssinns (meaning of life) rekurriert werden. Es reiche aus, partiell und weltimmanent solchen Sinn (meaning in life) zu finden.
Für die Kirche mit ihrem universalen Heilsanspruch stellt dies eine bislang unbekannte Herausforderung dar. Fragte sie sich bisher immer, wie sie an der Rettung der anderen mitwirken könne, so stellt sich diese Frage in bedrängender Weise nun für sie selbst: „Sind wir noch zu retten?“ (19). Angesichts der beschriebenen Faktenlage schlägt Loffeld vor, christlicherseits die Nichtnotwendigkeit von Gott und Kirche für ein gelingendes Leben anzuerkennen (100), sich also auch vom bisherigen Mangelparadigma („Dir fehlt etwas, das du bei uns findest“) zu verabschieden (105), und „unsere Gegenwartskultur in ihrem So-Sein freizulassen, ohne ihr – eventuell ressentimentgeladen – eine Dekadenz zu unterstellen“ (106). Dieser bewusste, an der Kenose des Logos orientierte Souveränitätsverzicht der Kirche könnte auf lange Sicht zu einem Souveränitätsgewinn (des im Evangelium bezeugten) Gottes führen (119 f.) Indem man Gott als mögliches, aber „nicht notwendiges Geschenk“ (123) begreift, respektiert man nicht nur die Freiheit und Unverfügbarkeit Gottes wie der Menschen. Zugleich befreit man Gott „aus allen Verzweckungen seiner selbst, die Menschen ihm aufgebürdet haben (‚wenn ich glaube oder bete, dann geht es mir besser‘)“, so dass Gott wieder – oder erstmals – „um seiner selbst willen geliebt werden“ könne (92).
Wer angesichts der gegenwärtigen religiösen Umbruchsprozesse in Deutschland und Europa nicht resignieren, sondern diese als Chance für die Entwicklung einer im säkularen Kontext inkulturierten neuen Form des Christ- und Kircheseins verstehen will, der und dem sei dieses Buch mit seinen fundierten Analysen und ersten weiterführenden praktischen Überlegungen sehr empfohlen. „Das Christentum hat zweifelsohne eine Zukunft, vermutlich allerdings eine völlig andere, als wir sie uns derzeit vorstellen oder planen können“ (19).
Alexander Löffler SJ
Schavan, Annette (Hg.): Pfingsten! Warum wir auf das Christentum nicht verzichten werden.
München: Droemer 2024. 304 S. Gb. 26,–.
Auf Einladung der Herausgeberin, ehemals Bundesministerin für Bildung und Forschung sowie Botschafterin Deutschlands im Vatikan – heute in mehreren Stiftungen aktiv –, beteiligen sich 28 Beiträger*innen, von denen hier besonders lesenswerte ausgewählt seien. Im Vorwort begründet Schavan ihre Titelwahl mit der Ermutigung und der Glaubenskraft, die der pfingstliche Geist verspricht.
Thomas Arnold beruft sich auf Václav Havel und Jürgen Opitz (29), wenn er über Hoffnungsmacher in der Gesellschaft spekuliert (33), die er in Politik und Kirche durch zunehmenden Vertrauensverlust vermisst (36 f.). Aleida Assmann beruft sich auf Traditionen und Vorbilder, die in der Bergpredigt des Matthäus grundgelegt sind (39 ff.). Markus Barth erinnert an das Schiffssymbol, das die Kirchengeschichte durchzieht, und deutet die Schiffbrüche als Wendezeichen (49 ff.), die sich aber gut in der gegenwärtigen Verfassung der Kirche wiedererkennen lassen (52 ff).
An ein Mysterienspiel bei den Bregenzer Festspielen knüpft Andreas Batlogg SJ seine pfingstlichen Überlegungen (70 ff.). Eindrucksvoll beschreibt er seine Erlebnisse auf der Bischofssynode, fokussiert auf Pfingstpredigten von Papst Franziskus.
Jacqueline Boysen sieht mit Hamlet die Zeit aus den Fugen und sie vermisst das gemeinsame feste Fundament (85 ff.) der Kirche, mahnt jedoch zur Eigenverantwortung der Gläubigen.
Ottmar Edenhofer beruft sich auf die Aktualität von Laudato si’ und beschreibt die denkwürdige Begegnung mit Papst Franziskus (105 ff.), der die Eigentumsrechte der ganzen Menschheit an der Erde betont und die Profitgier des Kapitalismus anprangert.
Fatale Folgen der zunehmend zahlreichen Kirchenaustritte erläutert Stephanie Geiger (111 ff.). Glaube und Kirche als mutiger Weg zur Vollendung in der Einheit aller Christen sieht Tomáš Halík, und er wirbt Verbündete (123 ff.).
Der optimistische Grundton, der zuversichtlich das Pfingstereignis in der heutigen Kirchensituation wiedererkennt, zieht sich wie ein roter Faden durch alle Beiträge. Bemerkenswert finde ich die Beteiligung von Politikern wie Thomas de Maizière (172 ff.), Henriette Reker (201 ff.) und Philipp Rösler (220 ff.). Inspiration scheint die gemeinsame Triebfeder für den Einstieg in das Thema zu sein, wie es Abt Schnabel formuliert (229 f). Beeindruckend finde ich, wie poetisch ein ehemaliger Messdiener, Arnold Stadler, Pfingsttraditionen verarbeitet (241 ff.). Und immer wieder springt mich das Problem an, das uns Christen alle kreativ machen sollte: die Kirchensprache für alle verständlich zu machen.
Der Pfingstgedanke, der Impuls zu missionarischem Handeln und verantwortlicher Nachfolge, lässt mich nach der Lektüre nicht mehr los. Kurz: Annette Schavan gab mit diesem Projekt einen Impuls, der vielfältige kluge Reaktionen angestoßen hat, sodass ein Glaubensbuch, sogar ein Mutmachbuch entstanden ist.
Eberhard Ockel