Croitoru, Joseph: Die Hamas. Herrschaft über Gaza, Krieg gegen Israel.
München: C.H. Beck 2024. 223 S. Kt. 18,–.
Am 7. Oktober 2023 überfielen die Hamas und verbündete islamistische Gruppierungen wie der Islamische Dschihad Israel und töteten gezielt nicht nur Militärangehörige, sondern auch Frauen, Kinder, Alte und Männer. Ein entfesselter Mob aus palästinensischen Zivilisten in ihrem Gefolge war ebenfalls an dem Überfall beteiligt. Diese brutale Invasion mag plötzlich und eskalativ wirken, vor allem auf Außenstehende. In Wahrheit jedoch folgt sie einer kontinuierlichen radikalen Konfliktlogik der Angriffe, der Vergeltungen und der erneuten Angriffe – eingebettet in eine Politik der Provokation und Eskalation. Bereits in den Jahren zuvor hatte sie Tote auf beiden Seiten gefordert, vor allem auf palästinensischer.
Der Historiker, Journalist und Publizist Joseph Croitoru legt mit seinem sehr gut lesbaren Buch zur Hamas ein Werk vor, das sine ira et studio die Entwicklung der Hamas, ihre Gewaltherrschaft in Gaza sowie ihre unversöhnliche Haltung gegenüber Israel und dessen Existenzrecht nachzeichnet. Da dieser Krieg ohne seinen historischen und politischen Kontext nicht verständlich ist, beginnt Croitoru mit der Geschichte Gazas und Israels. Schließlich sind beide eng miteinander verflochten.
In aller Deutlichkeit beschreibt er, in welchem islamistischen Kontext die Hamas 1987 als Affiliation der Muslimbrüder gegründet wurde; wie Gewalt der palästinensischen Bevölkerung sowie den politischen Feinden gegenüber ebenso in ihre Genetik eingeschrieben ist wie der unbedingte Wille, den Staat Israel zu zerstören. Obgleich der Autor die kooptative Verschlingung der Terrororganisation mit der palästinensischen Bevölkerung nicht nur im sicherheitspolitischen, sondern auch im zivilgesellschaftlichen Bereich deutlich benennt, verfällt er nicht der seit dem 7. Oktober vielfach bemühten Kriegslogik, in allen Palästinensern potentielle Hamas-Mitglieder zu identifizieren. Vielmehr wird eines deutlich: Bei dem Hamas-Regime handelt es sich um eine Autokratie, die mittels einer erheblichen Repression über die eigene Bevölkerung herrscht. Der Bürgerkrieg, der ihre kompromisslose Machtübernahme 2006 in Gaza begleitete, spricht Bände.
Doch Croitoru geht einer weiteren, relevanten Frage nach: Wie konnte die Hamas so stark werden, wie sie es wurde? Welche politischen Konsequenzen hat der israelische Umgang mit ihr, v.a. von Seiten der rechtsgerichteten Regierung um Netanjahu? Schließlich bekämpfte sie die Hamas und förderte sie zugleich als Gegenspielerin zur säkularen Fatah.
Beeindruckend nüchtern, unerschrocken und akribisch in der Argumentation macht Croitoru immer wieder deutlich, welch geringes Interesse sowohl die Terrororganisation Hamas als auch Premierminister Netanjahu mit seinen rechtsextremistischen Verbündeten an einer Zwei-Staaten-Lösung haben, die beiden Völkern ein Existenzrecht einräumen würde. Eine friedliche politische Lösung, die in „dem Anderen“ mehr sieht als ausschließlich den absoluten Feind, haben weder die Hamas noch das rechtsextremistische Lager in Israel – klein, umstritten, aber dennoch wirkmächtig – im Blick. Vielmehr heizen sie die Gewaltspirale zur Radikalisierung an, um so eine Versöhnung für beide Seiten unmöglich zu machen. Der Vernichtungskrieg, den Israel seit dem brutalen Massaker vom 7. Oktober 2023 gegen die Hamas in Gaza führt, folgt genau dem Kalkül der Terrororganisation: Die hohe Zahl an zivilen Opfern im Gaza-Krieg radikalisiert weite Teile der palästinensischen Bevölkerung – was wiederum im Interesse rechtextremer Israelis liegt, die alle Palästinenser zu Terroristen deklarieren möchten. Der Hass auf beiden Seiten wächst und befeuert sich gegenseitig. Nicht „Trotz Tod und Zerstörung sehen sich die Radikalen auf beiden Seiten […] bestärkt,“ (193) sondern genau deshalb.
Wer einen konzisen Überblick über die Gewaltherrschaft der Hamas, ihre terroristische Strategie sowie die Gründe ihres Erfolgs gewinnen möchte sowie zugleich einen Blick auf das taktische politische Handeln der Akteure in dieser so überkomplexen Gemengelage wagen will, dem sei die Lektüre dieses Buches wärmstens empfohlen.
Evelyn Bokler
Banz, Oliver / Schweyer, Stefan: Die richtige Entscheidung finden. Acht Maximen zur Lösung komplexer Geschäftsprobleme.
Freiburg: Haufe 2024. 184 S. Gb. 34,–.
Leadership-Bücher gibt es zuhauf. Dieses hier wurde von zwei Schweizern, einem Banker und einem Theologieprofessor, geschrieben und atmet einen durch und durch christlichen Geist. Es ist einfach und praxisorientiert geschrieben, leicht zu fassen und anzuwenden, dennoch ist es ungewöhnlich differenziert und komplexitätsbewusst, erfahrungsgesättigt und reflektiert. Es spricht vor allem von Unternehmensführung, ist aber auch hilfreich für anderes Leadership, etwa in Sozialeinrichtungen oder in der Kirche.
Zunächst werden acht Maximen erläutert, die später in den Beispielen immer wieder als Kriterien und Leitfäden für Entscheidungen dienen: Beim Wozu des Unternehmens gibt es die drei Maximen der Menschlichkeit (das Wohl aller, das Wir), der Glückseligkeit (das Wohl des Entscheiders, das Ich) und des Unternehmenszwecks (der Erfolg des Unternehmens, steht zwischen Ich und Wir). Beim Wie des Unternehmens folgen fünf weitere Maximen (schrittweise gehend vom Ich zum Wir): Wahrhaftigkeit (auf den Entscheider ist Verlass, sein Wort gilt), Verantwortung (er gibt Rechenschaft, trägt die Konsequenzen), Rationalität (die Entscheidung ist vernünftig, begründet, setzt die richtigen Mittel zu den richtigen Zielen ein), Fairness (die Entscheidung kommt, wie im Sport, aus Achtung und Respekt vor der Würde der Mitspieler) und Nachhaltigkeit (langfristige Auswirkungen für alle Menschen sind bedacht). Die acht Maximen werden knapp und klar erläutert. Für eine richtige Entscheidung sollen alle acht beachtet werden.
Im Hauptteil des Buches arbeiten die beiden Autoren mit den acht Maximen anhand von Fallbeispielen. Diese sind realistisch und komplex ausgewählt. Mit den Maximen werden die jeweiligen Situationen reflektiert, Entscheidungsfehler aufgedeckt und Möglichkeiten der Verbesserung aufgezeigt. Beispiele sind u.a. die Auswahl neuer Mitarbeiter und auch deren mögliche und meist schwierigere Entlassung, der Umgang mit Intrigen und Lügen in der Mitarbeiterschaft, Liebesbeziehungen im Team oder heikle Fragen einer unangemessenen Bereicherung – in den Beispielen geht es mehr um Personalführung, weniger um geschäftliche Entscheidungen. Die Maximen, so abstrakt sie zunächst klingen, werden auf diese Weise zu nützlichen und pragmatischen Helfern, die nicht nur ein christliches Menschenbild – ohne „fromm“ zu werden oder ständig „christliche Werte“ vor sich herzutragen – und damit auch Vernunft und Menschlichkeit im Unternehmen implementieren, sondern auch aufzeigen, warum man gerade mit diesen Maximen das Unternehmen und dessen Ziele klug und in einer Weise, die von allen geschätzt wird, voranbringt. Ein anregendes und nützliches Buch, nicht nur für jene, die als Christen in Unternehmen ihrer Verantwortung gerecht werden wollen.
Stefan Kiechle SJ
Schorberger, Gregor: Liebende diskriminiert und verurteilt. Römisch-Katholische „175er“ und ihre Kirche.
Stuttgart: Kohlhammer 2024. 257 S. Kt. 52,–.
Viel hat sich verändert in Kirche und Gesellschaft, wenn es um die Akzeptanz gleichgeschlechtlichen Zusammenlebens geht. Jahrzehntelanges Engagement hat positive Entwicklungen in der Anerkennung und Gleichstellung hervorgebracht. Unter allen Errungenschaften war die Streichung des § 175 im Strafgesetzbuch sicher ein Meilenstein.
Aktuell mehren sich wieder homophobe Stimmen, und insbesondere die tiefe Verunsicherung hinsichtlich der Maskulinität, die die für das männliche Geschlecht typischen Einstellungen und Verhaltensweisen bezeichnet, fordert den Unmut gegen Geschlechtergerechtigkeit heraus und belebt den Männlichkeitswahn gegen den sogenannten „Gender-Wahnsinn“.
Da kommt das jüngste Buch von Dr. Gregor Schorberger zum richtigen Zeitpunkt, um gefährliche Tendenzen an einem Wendepunkt sichtbar zu machen, Ressentiments aufzudecken und vor Rückfall zu warnen. Im Zentrum des Buches stehen sieben Zeitzeugenberichte von Männern der Jahrgänge 1929 bis 1951; dazu erläuternde Kommentare des Autors und umfangreiches Material im Anhang, das in Briefen, Verlautbarungen und Bildern die Auseinandersetzung der Betroffenen mit ihrer katholischen Kirche dokumentiert.
Nicht zum ersten Mal beschäftigt sich Schorberger mit der Thematik; sie ist für ihn als schwulen Mann in der Kirche zum Lebensthema geworden. Unter anderem veröffentlichte er 2021 zwanzig biografische Briefe in „Gregors Briefe – Ein schwuler Seelsorger im Dialog mit seinem Vater“, durch die der 1947 geborene Theologe einen anregenden Einblick in seine Persönlichkeitsentwicklung als Postbote, Student, Pastoralreferent in der Klinikseelsorge, Gründungsmitglied der Ökumenischen Arbeitsgruppe „Homosexualität und Kirche“ (HuK), Supervisor und Lehrsupervisor der „Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie“ (DGfP) und Seelsorgeausbilder gibt.
Nun gibt es also ein weiteres Werk, das die vielfachen Aspekte der unter aggressiver Verfolgung durch Kirche und Gesetzgeber leidenden Männer zeigt, deren Lebenswege oft durch Stigmatisierung und Drohgebärden der Mächtigen blockiert und deren Pläne durchkreuzt wurden. Die Schilderungen von Gewalt gegen Wehrlose, Gleichgültigkeit und Wegsehen sowie Widersprüchlichkeit und Verlogenheit können als ein Stück Gesellschaftsportrait gelesen werden.
Andererseits legen die Berichte in Verbindung mit den Kommentaren Schorbergers die Machtmechanismen einer um ihre Stellung fürchtende Organisation offen: Dagegen kommt man alleine nicht an. Deshalb ist in den Zeugnissen von Zusammenschlüssen und Bewegungen die Rede, die die Mächtigen nervös gemacht haben, sodass Veränderungen erkämpft werden konnten. Und wenn aus der Beunruhigung Einsicht entstehen könnte, wäre der Appell dieses unbedingt lesenswerten Buches umgesetzt. Schorberger fordert die weitere Aufarbeitung der Geschichte des Umgangs mit homosexuellen Menschen in einem durch die Kirche beauftragten und finanzierten Forschungsprojekt. Eine eindeutig zustimmende Antwort aus dem Bistum steht noch aus, doch die Zahl der Unterstützer*innen wächst stetig.
Bernd Nagel
Pfister, René: Ein falsches Wort. Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht.
München: Penguin 2023, 256 S. Gb. 22,–. Kt. 14,–.
Darf man so weit gehen, zu sagen, dass die rechts-völkische Identitätspolitik (zur „Cancel Culture“ von rechts vgl. 201-212) ein linkes Pendant hat? Jedenfalls kreist in den USA, so René Pfister, Büro-Leiter des SPIEGEL in Washington, eine kulturpolitische Eskalationsspirale, an der beide Seiten drehen: „Meine These ist: Linke Identitätspolitik schadet vor allem der politischen Mitte und dem aufgeklärten Lager. Sie hilft einem politischen Milieu, sich selbst zu vergewissern und sich in der Meinung zu bestärken, mit einer höheren Moral ausgestattet zu sein. Die Dogmen und Glaubenssätze in dieser kleinen Blase sind aber so rigide, dass sie auf eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler abstoßend wirken“ (220).
Pfister schildert an mehreren Beispielen, wie die neue Form von Intoleranz gegen die „repressive Toleranz“ der liberalen Mitte (vgl. 40 ff.) im Namen von Gerechtigkeit und Antirassismus (Stichwort Critical Race Theory) um sich greift. Statt sich mit dem politischen Gegner zu befassen, beschäftigt sich das demokratische Lager damit, den Feind in den eigenen Reihen auszumachen, so Ian Buruma, einer aus den Reihen derer, die das Fallbeil des neuen Dogmatismus im Herbst 2018 traf (29-38). Er wurde von den Herausgebern der „New York Review of Books“ entlassen, weil diese vor dem Druck der Empörung im juste milieu einknickten. Den theoretischen Hintergrund für solche Selbstzerfleischung liefern gefeierte Autoren wie Ibram X. Kendi („Das einzige Heilmittel gegen rassistische Diskriminierung ist antirassistische Diskriminierung“ – zitiert auf 176) oder die Bestsellerautorin Robin DiAngelo: In ihrem Buch White Fragility wird die These aufgestellt, dass jeder Weiße mit der Ursünde des Rassismus geboren sei. „Ich glaube, dass progressiv denkende weiße Menschen im Alltag People of Color die schlimmsten Sachen zufügen“, so die Autorin (zitiert auf 158). Wer sich als Weißer dieser Identität unterwirft, ist nicht weit von den Bußübungen und Selbstbeschuldigungsriten entfernt (dazu 183-200), welche beinahe schon wieder religiösen Charakter annehmen, sofern sie tatsächlich die Sehnsucht nach existentieller Befreiung von der eigenen korrupten Identität zum Ausdruck bringen.
Pfister stellt den „Terror der Minderheit“ (69-76) dar, schildert die Verengung der Diskursräume an den Universitäten (77-110), die Blasenbildung in der Szene (135-144) und ein sich selbst erhaltendes System von staatlicher Förderung, Forschung und Aktivismus (167-182). Ein Kapitel ist dem „woken Kapitalismus“ von Apple, Google, Facebook, McDonald‘s & Co (145-166) gewidmet, dem Schulterschluss der großen Konzerne mit dem links-identitären Erwachen. Das nützt dem Geschäft, deckt es doch „politisch-korrekte Ausbeutung“ (vgl. 145). Die Maske fällt allerdings, wenn es sich nicht mehr lohnt, sie zu tragen. „Als Trump noch im Amt war, arrangierten sich die meisten US-Unternehmen mit den Populisten im Weißen Haus – selbst Facebook-Chef Zuckerberg und Twitter-Gründer Jack Dorsey“ (156).
Am Ende setzt sich Pfister mit der Anfrage auseinander, ob er nicht mit seiner Kritik übertreibe. „Sind das nicht Petitessen, wenn man auf das große Bild schaut? Geht es nicht darum, sagen meine Freunde, den Kampf gegen den Rassismus aufzunehmen? Gegen Diskriminierung von Frauen und Transgender?“ (214). Seine Antwort lautet: Nein. Keine Petitesse. Denn der moralisierende Hochmut einer Elite richtet Schaden für die politische Mitte an, wenn ganze Wählergruppen sich anhören müssen, „deplorables“ (Hilary Clinton) zu sein. Gerade dieses Wort dokumentiert „ein heiteres Einvernehmen, dass man mit dem Pöbel in den flyover states im Mittleren Westen nichts mehr zu tun haben will“, ein Einvernehmen, durch das man sich zwar innerhalb des liberalen Milieus die Hände reichen kann – woraufhin allerdings der sogenannte Pöbel „sich die Freiheit nahm, für Donald Trump zu stimmen“ (217).
Eine Warnung für die entsprechenden Entwicklungen in Deutschland, zumal, wie Pfister im vorletzten Kapitel (213-228) zeigt, der linke Illiberalismus schon in Teilen über den Atlantik herübergeschwappt ist.
Klaus Mertes SJ