Beinert, Wolfgang: Die Form der Reform. Anmerkungen zur Lage und Lehre der Kirche.
Regensburg: Friedrich Pustet 2024. 238 S. Kt. 24,–.
Das titelgebende Wortspiel zeigt an, welche Frage den großen alten Dogmatiker aus Regensburg, Leserinnen und Lesern der Stimmen der Zeit als Autor wohlbekannt, bewegt: Zu welcher Form will die Re-Form nach vorne hin finden? Schon die Paradoxie in der Fragestellung zeigt, dass der Autor es sich nicht leicht macht, denn: „Zusammenfassend wird man sich eingestehen müssen, dass die Gründe für die Kirchenkrise offenkundig tiefer liegen“ (20), wie dann ja auch in den unterschiedlichen Tiefenbohrungen der folgenden Kapitel sichtbar wird. Wahrhaftigkeit (48-61), Katholizität (62-78) – deren Mangel gerade die Dialogfähigkeit behindert – sowie Empathie (79-88) sind für Beinert die Haltungen und Praktiken, an denen sich die Form der Kirche zeigt.
Es geht um weit mehr als um die Erneuerung der Außenansicht, um Image-Verbesserung oder um passgenaues Reagieren auf den gerade aktuellen Wasserstand in der Beliebtheits- oder Unbeliebtheitsskala der Kirche. Einerseits ist die spezifische Form von Konservativität, die die kirchliche Moderne seit dem 19. Jahrhundert prägt, seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in Bewegung geraten. Die Rufe nach Reform, die seither erklingen, entfalteten oder spalteten sich danach in zwei Richtungen: Reform durch Spiritualität und Frömmigkeit, programmatisch unter dem Stichwort „Neuevangelisierung“ einerseits, und andererseits Reform durch Veränderung der Strukturen, „Systemreform“, zuletzt erheblich befeuert durch die systemischen Mängel, die bei der Aufarbeitung von System- und Leitungsversagen im Zusammenhang mit sexuellen Missbrauch insbesondere durch Kleriker sichtbar geworden sind.
Natürlich sind Spiritualität und Struktur keine Gegensätze, aber die Bemühungen um Reform scheitern gerade dann, wenn sie gegeneinander ausgespielt werden. Und das geschieht ja. Dagegen gilt: „Frömmigkeit ist kein Abstraktum, sondern vollzieht sich als Habitus eines hier und heute existierenden Christenmenschen. Dort und gestern und morgen hat er jedoch unter Umständen eine völlig andere Gestalt. Also muss und wird seine Spiritualität eine andere sein, auch dergestalt, dass vergangene Formen nicht mehr förderlich sind. Gerade also wenn man zur Form sich kehren will, muss man ehemalige Ausdrucksgestalten derselben aufgeben“ (24).
Reform formt sich geschichtlich in vielerlei Formen aus. Dem widmen sich die Kapitel unter dem Titel „Ausformungen“ (107-228) ausführlich, mit reichhaltigem historischem und aktuellem Material. Einheit finden die Ausformungen in der „formenden Form“ (229-238), der Nacktheit Christi am Kreuz: „Die Form der Kirche, des Leibes Christi, ist die Nacktheit ihres Hauptes. Reform der Kirche kann dann logisch nur bedeuten, sich zu ihrer armseligen Blöße zu bekennen, sie zu leben, sie Gestalt annehmen zu lassen im Handeln all ihrer Glieder.“
Insgesamt liegt mit diesem Buch ein besonders lesenswerter Beitrag aus der unübersehbaren Fülle der Publikationen zum Thema Kirchenreform vor, herausragend deswegen, weil die Souveränität und Klarheit, mit der der Autor die Lage analysiert, den Leser anzustecken vermag. Beinert positioniert sich, inspiriert und schenkt zugleich Gelassenheit für den langen Weg, auf den man sich einzustellen hat, wenn man zur Kirchenreform Nachhaltiges beitragen will. Der Leser spürt: Die Form der Kirche wandelt sich. Der geschichtliche Prozess ist größer als wir, aber dennoch bleiben wir in diesem Prozess handelnde Subjekte, „Sauerteig“ – je nachdem wie wir handeln mit förderlichen oder toxischen Wirkungen auf das Ganze. Der „Leib Christi“ wird ausgezogen, um neu angezogen zu werden.
Klaus Mertes SJ
Schmidt-Biggemann, Wilhelm: Vom Glanz des göttlichen Wortes. Dimensionen spekulativer Bibelauslegung.
Freiburg: Herder 2024. 221 S. Gb. 26,–.
Nichts hat die religiöse Fantasie und Spekulation mehr angeregt als die Schriften der jüdischen, christlichen und muslimischen Offenbarung. In sechs Kapiteln schildert Wilhelm Schmidt-Biggemann einige mittelalterliche und neuzeitliche Stationen spekulativer Bibelauslegung.
Dem Buch Genesis zufolge erschuf Gott die Welt kraft seines Wortes. Der Prolog des Johannesevangeliums spricht von der Fleischwerdung des göttlichen Wortes. Für die Kabbalisten symbolisierten die Schriftzeichen des hebräischen Alphabets die Elemente der Schöpfung. Durch die Kombination der Buchstaben formte Gott das Wesen der Dinge; indem er die Worte aussprach, traten seine Geschöpfe ins Dasein.
Einen verwandten Gegenstand der Spekulation bildet die Sprache Adams, der die Tiere im Paradies mit Namen belegte (vgl. Gen 2,19 f.). Nach dem Sündenfall ging das Wissen Adams verloren. Stattdessen schrieb der christliche Kabbalist Johannes Reuchlin dem ersten Menschen die Erkenntnis des Namens Jesu (Jehoschua) zu, der aus dem Tetragramm des Gottesnamens (JHWH) durch die Einfügung des Konsonanten Schin entstand.
Nicht nur der Anfang, sondern auch das Ende der Geschichte beflügelte die Fantasie. So verbreitete sich die Vorstellung von der endzeitlichen Einigung der monotheistischen Religionen. Tommaso Campanella sah aus der habsburgischen Monarchie ein universales messianisches Reich hervorgehen.
Ein Ende der Menschheit eigener Art schildert die Erzählung von der Sintflut. Sie wurde nicht nur als Bild für ein göttliches Strafgericht verstanden, sondern lange Zeit bemühten sich einzelne Autoren um die naturwissenschaftliche Deutung des Geschehens. Schmidt-Biggemann zitiert exemplarisch den britischen Theologen Thomas Burnet, der eine geologische Katastrophe ausmalt, bei der die Erdrinde aufplatzt und große Mengen Wasser aus dem Erdinneren hervordringen. Das Wasser sammelte sich zu den heutigen Ozeanen, während die Trümmer der Erdrinde sich zum Festland auftürmten.
Mit Hermann Samuel Reimarus und seinen durch Lessing veröffentlichten Wolfenbütteler Fragmenten erschütterte die historische Kritik endgültig die Glaubwürdigkeit der Offenbarung. Der Philologe Reimarus schrieb unter der philosophischen Voraussetzung eines vollkommenen Gottes, der nichts anderes schaffen konnte als eine gute Welt. Entsprechend fragwürdig erschienen nicht nur die biblischen Wundergeschichten, sondern auch der Glaube an Sündenfall und Erlösung. Die Auferstehung Jesu sei nicht von diesem vorhergesagt, sondern durch seine Jünger ersonnen worden, um die messianische Erwartung wach zu halten.
Lessing schließlich machte aus der Hoffnung auf das ewige Heil die Aussicht auf den moralischen Fortschritt der Menschheit und ersetzte den Gott der biblischen Offenbarung durch ein metaphysisches erstes Prinzip. Den Titel des Buches könnte man so verstehen, dass infolge der aufklärerischen Kritik der Glanz der biblischen Texte erlosch. Doch spekulativ im Sinn des Untertitels verfährt auch die lessingsche Geschichtstheologie. Deshalb sollte das Buch eher als Werbung für eine Form von Religion gelesen werden, die vor „himmlischen Traumreisen“ (217) der Vernunft nicht zurückschreckt und die sich nicht auf „schlichte Frömmigkeit“ (221) zurückzieht.
Georg Sans SJ
Schärtl, Thomas: Gott denken – Gott glauben. Fundamentaltheologische Grund- und Grenzfragen.
Regensburg: Friedrich Pustet 2024. 856 S. Gb. 39,–.
Schon Karl Rahner beginnt seinen Grundkurs des Glaubens im „Zweiten Gang“ mit einer „Meditation über das Wort Gott.“ Das hat mich animiert, die Lektüre mit Kapitel II des vorliegenden fundamentaltheologischen und religionsphilosophischen Lehrbuches in analytischer Tradition zu beginnen: „Gott als Fremdwort“ – und das, obwohl der Autor im Vorwort empfiehlt, die Kapitel in umgekehrter Reihenfolge zu lesen: „Vom sechsten Kapitel her erschließt sich das Anliegen, vom fünften und vierten her der Ansatz des Buches, während die ersten drei Kapitel die nötigen Voraussetzungen zu klären versuchen.“
Kapitel VI (471-482) widmet sich ausführlich der Auseinandersetzung mit dem Atheismus, nachdem zuvor in Kapitel V (237-470) die klassischen Gottesbeweise rekonstruiert werden – eine Gratwanderung zwischen Kants Kritik der traditionellen Gottesbeweise einerseits, nach der angeblich eine Wiederaufnahme des Projektes „Gottesbeweise“ vergebliche Liebesmüh ist, und der theologischen Kritik an jeglicher spekulativer philosophischen Theologie andererseits, die sich ebenfalls von dem Projekt verabschiedet hat, Gott zu denken. Kapitel IV (181-238) versucht, Theologie unter ein gemeinsames Dach von Wissenschaften einzuordnen, bei Anerkennung des gegebenen Unterschiedes zwischen dem hypothetischen Charakter wissenschaftlicher Diskurse, dem sich Theologie als Wissenschaft dann auch tatsächlich zuordnet und zuordnen muss, und Vergewisserungs-Formen auf der primären Ebene religiöser Überzeugungen mit lebensweltlicher Relevanz. Unterscheidung bedeutet nicht Beziehungslosigkeit, und damit ist die Tür dafür geöffnet, um auch den Wissenschaftsbegriff selbst unter die Lupe zu nehmen.
Kapitel III (119-180) widmet sich dem Realismus-Antirealismus-Problem in der Theologie, vereinfacht gesagt der Frage nach der Wahrheitsfähigkeit theologischer Aussagen im Sinne eines theologischen Realismus, denn: „Religiöse Sprache will eben auch etwas Wahres über eine transzendente Wirklichkeit aussagen“ (119). Kapitel II (79-117) blickt auf die unterschiedlichen „Spiele“ religiöser Sprache und versucht zu verstehen, was gemeint sein könnte, wenn sich in modernen westlichen Gesellschaften das Gefühl breit macht, „religiöse Sprache“ verloren zu haben. In diesem Sinne geht es weit über die Meditation aus Karl Rahners Grundkurs hinaus. „Kohärenz“ ist, so schließlich Kapitel I über das Verhältnis von Glaube und Vernunft (1-78) „ein Basiskriterium für alles … was epistemische Dignität beansprucht“. Nicht alle Gläubigen müssen alle epistemischen Pflichten erfüllen, bevor ihr Glaubensakt als „rational“ gelten kann. Aber die Anfragen an die Vernünftigkeit des Glaubens aus theoretischen Gründen sind so grundlegend geworden, das die Ebene einer wissenschaftlichen Reflexion unausweichlich ist, um eben auch theoretische Gründe für die Tragfähigkeit des Glaubensaktes zu benennen.
Dieses Buch „ist vor allem für meine Studierenden geschrieben und für Religionslehrerinnen und Religionslehrer …“ (Vorwort), zur Vertiefung von Fragen, die in Vorlesungen oder in Curricula nur angerissen werden beziehungsweise gerade deswegen erfolgreich „angerissen“ worden sind, weil und wenn sie bei Lernenden zu weiteren, tieferen Fragen führen. Deswegen braucht man auch Schärtls monumentales Werk nicht von A-Z zu lesen. Es ist vielmehr im Inhaltsverzeichnis so gut geordnet, dass es zum Nachschlagen genutzt werden kann, wenn das Bedürfnis nach Vertiefungen besteht.
Klaus Mertes SJ
Striet, Magnus: Alte Formeln – lebendiger Glaube.
Freiburg: Herder 2024. 176 S. Gb. 18,–.
1975 gab die Deutsche Bischofskonferenz eine Erklärung zum 1650. Jubiläum des Konzils von Nizäa heraus. Am Ende steht die selbstsichere Aussage, das Konzil habe „die endgültige Antwort auf unsere Fragen nach Gott und nach uns selbst“ gegeben. Das kleine Buch, das Magnus Striet zum gleichen Anlass fünfzig Jahre später vorlegt, geht einen ganz anderen Weg. Statt dogmatische Aussagen bekräftigend zu wiederholen, möchte der Freiburger Fundamentaltheologe eher vorsichtig klären, ob das von den altkirchlichen Konzilien formulierte Glaubensbekenntnis „möglicherweise immer noch als Bekenntnistext zu verwenden ist, obwohl damals etablierte theologische Denkmuster sich längst als problematisch erwiesen haben“ (14).
Sein Essay ist keine historisch-kritische Exegese des Credos. Vielmehr nähert sich der Autor den zentralen Aussagen des trinitarischen Glaubensbekenntnisses zu Schöpfung, Inkarnation und Eschatologie in immer neuen thematischen Angängen. Dabei entwickelt er in kritischer Distanz zur traditionellen Dogmatik Gedanken zum Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit in Gott, zur Theodizee, zur Jungfrauengeburt, zur Leidensfähigkeit Gottes oder zur Sakramentalität der Kirche. Exkurshaft werden Beobachtungen zur aktuellen Situation der römisch-katholischen Kirche in die Ausführungen eingeflochten.
Besonders berührend ist das Pathos, mit dem Striet in Ablehnung der klassischen Soteriologie immer und immer wieder betont, dass die Inkarnation nicht zur Heilung der Erbsünde geschehen sei, sondern aus dem freien Willen Gottes, „durch seine eigene Menschwerdung den Menschen so nahe wie möglich zu kommen und um deren Ja zu werben“ (70).
Ein längerer Epilog widmet sich dem Begriff der Creatio ex nihilo. Die Spannung zwischen der Vorstellung einer Schöpfung aus dem Nichts, die notwendig sei, um einen freien Gott zu denken, und den Erkenntnissen der modernen Astrophysik löst der Autor dabei nicht auf, sondern er schließt mit einer Variante der Pascalschen Wette.
Das erklärte Anliegen des Buches, seine Gedanken im Gegenüber zu Hans Blumenberg zu entwickeln, wird nicht konsequent umgesetzt. Auch wenn Striet vielfach auf den Münsteraner Philosophen Bezug nimmt, hätte ebenso gut auch Immanuel Kant, dessen Werke immer wieder zitiert werden, als entscheidender Gesprächspartner genannt werden können.
Dass er bei seinem ambitionierten Vorhaben dem eigenen Anspruch nicht gerecht werden kann, ein leicht zugängliches Buch „für theologisch Interessierte“ (25) zu schreiben, liegt auf der Hand und ist dem Verfasser selber klar. Vielleicht wäre deshalb auch ein Fußnotenapparat statt der schwer zu handhabenden Endnoten sinnvoll gewesen.
Wie dem auch sei: Mit seinem Essay zum Glaubensbekenntnis hat Magnus Striet einen wertvollen Beitrag zu einer zeitgemäßen intellektuellen Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben geleistet, auf deren weitgehendes Fehlen er angesichts aktueller Strukturdebatten zu Recht kritisch hinweist: einen Beitrag, der dem 1700. Gedenken des Konzils von Nizäa angemessener erscheint als ein bloßes Wiederholen endgültiger dogmatischer Formeln.
Stephan Lüttich