Menschen suchen Sicherheit: eine feste Ordnung, die stabilisiert; psychischen, geistigen, religiösen Halt; den starken Staat; ein gesichertes Einkommen und Versicherungen gegen Risiken und Unfälle des Lebens; Perspektiven für die Zukunft. Sicherheit hat materielle und seelische, soziale und spirituelle Seiten. Wo sich Unsicherheit verbreitet, entstehen Ohnmachtsgefühle und Ängste. Diese bedrücken die Menschen, sie lähmen, blockieren und machen krank. Die gegenwärtigen multiplen Krisen schaffen Verlustängste und Verluste, und sie verunsichern die Menschen bis ins Mark. Die Kirchen werden als wenig hilfreich erlebt, denn sie haben sich moralisch kompromittiert, sie wirken ästhetisch und geistig überholt, sie sind in sich polarisiert und sie bröckeln. In der Politik zersplittern vielerorts die Parteienlandschaften, Regierungsbildungen werden schwerer oder unmöglich, am Ende übernehmen die Autoritären: so in Österreich – und bald auch in Frankreich oder in Deutschland? Die Unsicherheit wächst.
Die Unsicherheit zu bekämpfen, wird vielfach versucht. Freilich entsteht Sicherheit nicht durch Rückgriff auf bloß lokale, traditionelle Kulturen, die als Identitätsmarker und zur Abwehr des Fremden und fremder Menschen eingesetzt werden. Auch nicht durch Rückgriff auf fixe Rituale und Ordnungen, vom Staat oder von der Kirche oder von beiden durchgeführt – das funktioniert in unserer flüssig gewordenen und buntscheckigen Kultur nicht mehr. Auch nicht durch Verbleib in einer weltanschaulichen Blase mit ihren vermeintlich klaren Wahrheiten – oft passen diese nicht zur Realität und schaffen es nur mit fake news, die Wirklichkeit auszublenden. Auch nicht durch neue religiöse oder politische Dogmatiken, die mit begrifflichen Verengungen und bisweilen mit Gewalt Wahrheit und Sicherheit verheißen. Auch nicht durch autoritäre Regierungen und entsprechende politische Systeme, die Ordnung und Sicherheit versprechen, aber nur auf Macht oder Machtgelüsten ruhen – siehe die nach innen autokratischen und nach außen imperialen Bestrebungen Russlands oder vielleicht auch der neuen US-Regierung. Übrigens sind nicht einmal autokratische Regierungen sicher: Sie können schnell hinweggefegt werden – siehe Rumänien und Libyen, Irak und neuerdings Syrien.
Wie aus der Unsicherheit zu mehr Sicherheit kommen? Eine schnelle Lösung wird es nicht geben, und vermutlich ist das Ansinnen selbst zu hinterfragen: Wirkliche irdische Sicherheit ist dem Menschen nicht verheißen und nicht möglich. Sie zu versprechen oder sie zu erwarten, wäre vermessen, hybrid. Doch was hilft, auf das Bedürfnis nach Sicherheit zu antworten, vielleicht mit anderen Zugängen als dem platten Versprechen äußerer Sicherheit?
Zunächst der Dialog außerhalb der Blase: Jenen zuzuhören, die andere Meinungen, Präferenzen und Stile pflegen, verunsichert zunächst, doch auf Dauer hilft es, sie besser zu verstehen, Toleranz und Respekt zu lernen, sich von ihnen bereichern zu lassen und so ihnen gegenüber die Unsicherheit abzubauen. Sich der Wahrheit stellen: Fakten anerkennen, auch wenn sie dem früheren gesicherten Weltbild oder der schon gewählten politischen Option widersprechen. Neue Deutungen kennenlernen und prüfen. Widersprüche und Ungewissheiten, Veränderungen und Aufbrüche zulassen – nur der Blick auf die Realitäten und Unsicherheiten des Lebens macht frei und mutig und hilft auf längere Sicht, etwas aufzubauen, das mehr Sicherheit gibt. Toleranz vor Andersheit und Respekt vor Vielfalt einüben – dabei das Eigene nicht geringschätzen oder aufgeben, sondern es im Gegenteil pflegen und stärken und in den Dialog einbringen.
Das Leben ist ein Fluss: Immer in Bewegung, reißt er die Dinge mit und verwirbelt sie, lässt manches verschwinden und anderes neu auftauchen, bringt vieles durcheinander und anderes in klares Wasser. Mit Vertrauen darf sich der Mensch in die Flut stürzen, denn sie trägt doch besser als befürchtet, auch durch Abstürze und Untergänge, Verluste und Umwege hinweg. Mut zu fassen gegen die Angst, Sicherheit gegen die Unsicherheit, dazu verhilft auch der religiöse Glaube, der – bisweilen gegen die nackte Erfahrung – daran festhält, dass das Leben als Ganzes getragen und sicher ist und auf ein gutes Ende zusteuert. Das geht nicht ohne Verluste und Sterben und Tod, aber durch Negationen wird der Mensch zu neuem Leben geführt.
Ein Wort noch zur Politik: Demokratie beruht auf dem Miteinander, auf der Fähigkeit und dem Willen zum Kompromiss – unter anderem bei schwierigen Regierungsbildungen. Politischen Gegnern nicht grundsätzlich zu misstrauen oder sie zu diffamieren, sondern mit ihnen – soweit sie die demokratische und soziale Grundordnung bejahen – kreative Lösungen für komplexe Probleme und auf diese Weise mehr Sicherheit zu suchen, dazu braucht es Mut und Vertrauen. Was eigentlich religiöse Haltungen sind.