Zierer, Klaus / Gottfried, Thomas: Ehrfurcht vor Gott. Über das wichtigste Bildungsziel einer modernen Gesellschaft.
Münster / New York: Waxmann 2024. 120 S. Kt. 19,90.
Vor dem Hintergrund multipler Krisen (11-17) vertreten die Autoren, beide erfahrene Schulpädagogen, die Kernthese: „Ehrfurcht vor Gott war und ist heute sogar das wichtigste Bildungs- und Erziehungsziel“ (21). Unter dem Begriff verstehen sie eine respektvolle Haltung, „die sowohl eine transzendente Wirklichkeit als Urgrund und Bedingung allen Seins anerkennen kann, aber auch die Tugend der Toleranz gegenüber anderen sinnstiftenden weltanschaulichen Positionen umfasst und im Bewusstsein der Grenzen von Mensch und Welt demütig gegenüber der Begrenztheit menschlicher Möglichkeiten wie eingedenk der damit verbundenen Irrtumsanfälligkeit, Relativität und Vorläufigkeit aller menschlichen Bestrebungen“ ist (110). Bezugspunkt ihrer Überlegungen sind die Präambel des Grundgesetzes („Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen …“) sowie andererseits die Bayerische Verfassung als Beispiel für eine Gesellschaftsordnung mit Gottesbezug (30-37), pädagogisch konkretisiert in Artikel 131 Abs. 2 BV: „Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen …“ Diese sind aus der unmittelbaren Nachkriegszeit heraus verständlich, sollen und müssen aber in der heutigen Zeit neu übersetzt werden.
Die Autoren definieren Religion im Anschluss an Paul Tillich (43) als leidenschaftliche Fragen nach dem Sinn des Lebens (43). Gerade deswegen ist sie etwas Universal-Menschliches und nicht nur ein Thema für konfessionell-religiös gebundene Menschen. Der Begriff der Ehrfurcht wird historisch, philosophisch und psychologisch entfaltet (49-54). Es folgt die Kontextualisierung in das Erziehungs- und Schulgeschehen: Die Verbindung von Kompetenz und Haltung (73) sowie ein integrativer Ansatz der Werteerziehung vor dem Hintergrund eines verbindenden Menschenbildes (86). Der „Unterrichtqualität als Schlüssel für erfolgreiche Erziehung zur Ehrfurcht vor Gott“ ist, ausgehend von den Arbeiten John Hatties, ein Kapitel gewidmet (87-96), das nicht zuletzt zehn Leitsätze für erfolgreiches Unterrichten präsentiert, ganz im Sinne von Hatties Kernthese: The teacher makes the difference. Dass es schließlich beim Bildungsziel Ehrfurcht vor Gott um mehr als Religionsunterricht geht – der allerdings durchaus eine Leitfunktion auf dieses Ziel hin beanspruchen darf (101) –, macht die Fragestellung des vorletzten Kapitels deutlich: „Braucht Ehrfurcht vor Gott überhaupt Religionsunterricht?“
Inhaltlich kann ich den Kernthesen der Abhandlung nur zustimmen. Sie sind keineswegs, wie mehrfach betont wird, religionsfreiheit-einschränkend intendiert, im Gegenteil: Religiöse Intoleranz und Fanatismus verstoßen gegen die Ehrfurcht vor Gott (vgl. 18-22).
Allerdings: Je säkularer das Umfeld ist, umso schwieriger wird das Bildungsziel „Ehrfurcht vor Gott“ zumal in dieser deutlichen Formulierung zu vermitteln sein. Unvergessen bleibt mir der Satz eines Berliner Abgeordneten, der 2008 kritisch auf den Rahmenplan für den evangelischen Religionsunterricht Bezug nahm, worin das Lernziel formuliert wird, Schüler sollten im Religionsunterricht „lernen, die Frage nach Gott zu stellen.“ Er kommentierte: „Es mag in Regionen, z.B. im Süden Deutschlands, noch üblich sein, dass man ein solches Lernziel in der öffentlichen Schule nicht besonders infrage stellt. Aber in einer aufgeklärten, liberalen und mehrheitlich säkular orientierten Stadt wie Berlin kann ein solches Lernziel doch nicht ernsthaft Teil des staatlichen Curriculums sein.“ Ein so törichter Satz wie dieser sei allerdings hier nicht zum Zwecke der Entmutigung zitiert, sondern im Gegenteil, um darauf hinzuweisen, dass die Argumente gegen „ausgrenzendem Humanismus“ (Charles Taylor) stark sind und unbedingt auf den Tisch der öffentlichen Debatte gehören. Dazu leistet das vorliegende Buch einen wichtigen Beitrag.
Klaus Mertes SJ
Kuhn, Jan: Digital authentisch. Herausforderungen und Lösungsangebote zu pastoraler Glaubwürdigkeit in digitalen Kulturräumen (Angewandte Pastoralforschung 11).
Würzburg: echter 2024. 482 S. Kt. 42,–.
Wie kann der Glaube in der heutigen Welt weitergegeben werden? Dieser zentralen Frage der Kirche stellt sich Jan Kuhn in seiner Dissertation, die am Zentrum für angewandte Pastoralforschung (zap) entstanden ist, und er nimmt dafür digitale Kulturräume, vor allem Soziale Netzwerke wie Instagram in den Blick. Neben Leitlinien für die Praxis und Beispielen aus der Praxis gibt der Autor solide Einführungen in den Bereich der Digitalität, vor allem in die sozialen Netzwerke, in die Eigendynamiken dieser Plattformen und in die (religiöse) Identitätsbildung. Letzteres ist begründet in der „Verschiebung von Themen zu Identitäten“ (434), die mit der Entstehung der sozialen Netzwerke verbunden ist.
Die Stärke der Arbeit liegt, neben der klaren Leseführung, in der Differenzierung der Begriffe, wie z.B. der zwischen Digitalisierung und Digitalität: „Während der Begriff der Digitalisierung eine technische Übersetzung von A nach B beschreibt, nimmt der Begriff der Digitalität die sozialförmige Verbindung zwischen A und B in den Blick“ (441). Beide Prozesse reagieren wechselseitig aufeinander, so dass gesagt werden kann: „Digitalität bildet die Klammer einer gemeinsamen Lebensrealität im Analogen und Digitalen“ (182). Deshalb gilt: „Digitale Glaubenskommunikation gestaltet sich grundsätzlich unter den Anfordernissen ihrer analogen Entsprechungen“ (384). Allerdings bedarf es einer Übersetzung, wie es die ausgewählten Beispiele verdeutlichen.
Theologisch reflektiert die Arbeit eine Reihe unterschiedlicher Begriffe der Verkündigung, wie (Neu-)Evangelisierung, Glaubenskommunikation und Zeugnis, und sie nimmt dabei auch das zugrundeliegende Offenbarungs-, Kirchen- und Glaubensverständnis in den Blick. Für den skizzierten Rahmen der Verkündigung in digitalen Kulturräumen fällt die Wahl auf den Begriff des Zeugnisses, der sich durch Alltagsnähe und eine persönlich-biografische Färbung auszeichnet: „Eine gelingende digitale Glaubenskommunikation weiß darum, dass sie nicht behauptet, sondern nur erfahren werden kann“ (393). Die Begriffsgeschichte deutet Kuhn als eine Verschiebung von einer empirisch-objektiven Authentizität, die in rechtlichen Kategorien denkt, hin zu einer personal-subjektiven, die sich eher mit dem Begriff der Aufrichtigkeit umschreiben ließe. Glaubenskommunikation als Zeugnis ist vor allem ein Beziehungsgeschehen.
Die digitalen Kulturräume sind keine Sonderwelten, sondern Teil der Lebensrealität der Menschen. „Eine relevante Glaubenskommunikation setzt sich somit zum Ziel, in diesen Räumen präsent und sichtbar zu sein“ (436). Im letzten Teil werden praxisnahe Leitlinien dafür aufgestellt und durch Beispiele veranschaulicht. Dieser Mut zur Praxisnähe zeichnet die Arbeit aus, die einerseits eine gute Hinführung zur (theologischen) Bedeutung von Digitalität und Sozialen Medien darstellt und andererseits wertvolle und theologisch reflektierte Hinweise zur Glaubensverkündigung gibt, die verständlich sind und nicht nur für digitale Kulturräume gelten.
Dag Heinrichowski SJ