Am 5. Juli 2016 gab es eine Geburtstagsfeier der besonderen Art: Auf den Tag vor 20 Jahren wurde das Klon-Schaf „Dolly“ geboren. Von einem normalen Mutterschaf zwar, aber nicht durch natürliche Zeugung entstanden, sondern durch „somatischen Kerntransfer“, d.h. die Übertragung des Kerns einer ausdifferenzierten Körperzelle in eine noch unbefruchtete Eizelle, deren eigener Kern vorher entfernt worden war. Für die Generation der heute Dreißigjährigen mag das kaum mehr der Erinnerung wert sein. Für uns Ältere jedoch war es ein Fanal: der Durchbruch einer zunehmenden Bemächtigung des Reproduktionsgeschehens der Säugetiere (und damit auch des Menschen) durch die Biotechnik. Nicht mehr nur In-vitro-Fertilisation, artifizielle Befruchtungsbedingungen im Glasschälchen, sondern Nukleartransfer, Substitution des eigentlichen Befruchtungsvorgangs durch Kernersatz.
Von da an ging es Schlag auf Schlag: Gewinnung embryonaler Stammzellen, therapeutisches Klonen, adulte pluripotente Stammzellen, zelluläre Transdifferenzierung (= Verwandlung eines Zelltyps in einen anderen), induzierte Reprogrammierung von Körperzellen in den Embryonalzustand ... Der Anwendung biomedizinischer Techniken auf den Menschen schienen keine Grenzen mehr gesetzt, wenngleich medizinisch relevante Erfolge in der Regel weit hinter den jeweiligen Versprechungen zurückblieben. Ethische Beurteilung und gesetzgeberische Maßnahmen hielten bei diesem Tempo des biotechnischen Fortschritts nicht mit; das deutsche Embryonenschutzgesetz z. B. trat erst am 1. Januar 1991 in Kraft; und da war sein knapper Abschnitt, der sich auf das Klonen von Menschen bezog, schon veraltet.
Wie alles anfing
Natürlich, genau genommen begann die Lawine der unser Menschenbild verunsichernden Nachrichten erst mit der Veröffentlichung des Klonierungserfolgs von Dolly in der Nature-Ausgabe vom 27. Februar 1997 - erstaunlich genug, dass die Geheimhaltung einer solchen Sensation so lange (fast perfekt) funktioniert hatte. Und worin bestand wissenschaftlich die eigentliche Sensation? Mit dem Klonen des Schafs Dolly war gezeigt worden, was bis dahin niemand so richtig geglaubt hatte: dass auch beim Säugetier in einer reifen Körperzelle immer noch die gesamte Erbinformation steckt, die notwendig ist, um den Weg der Entwicklung von der Eizelle bis zum vollen Organismus zu dirigieren, von dem diese Körperzelle ja nur ein kleiner, spezialisierter Bestandteil ist, der für seine Funktion auch nur einen Bruchteil dieser Erbinformation braucht.
Das war die alte Grundfrage der „Entwicklungsmechaniker“ gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Bleibt die „Totipotenz“ der Eizelle, d. h. die Fähigkeit, einen vollständigen Organismus zu generieren, in jeder ihrer Tochterzellen erhalten oder geht sie im Lauf der Zellteilungen immer mehr verloren? Experimentelle Belege deuteten einmal in die eine, ein anderes Mal in die andere Richtung; eine endgültige Antwort jedoch war lange nicht in Sicht.
Es blieb dem Freiburger Entwicklungsbiologen Hans Spemann (1869-1941) vorbehalten, das entscheidende Experiment zur Klärung dieser Frage wenigstens zu formulieren: Um zu bestimmen, wie festgelegt die Determinierung von spezialisierten Körperzellen ist, müsse man deren Zellkerne auf Eizellen übertragen und sehen, in welchem Umfang sie dort den Prozess der Keimesentwicklung erneut zu starten vermögen.
Das war leichter gesagt als getan. Halten Sie einmal eine 0,1 Millimeter messende Zelle unter dem Mikroskop so fest, dass Sie den noch viel kleineren Zellkern daraus extrahieren und einen fremden Zellkern in den verbliebenen Zellleib platzieren können, ohne das ganze fragile System zu zerstören! Auch in der Zeit elektronischer Mikromanipulatoren gibt es in den Klonlabors meist nur wenige Experten mit dem dafür nötigen Fingerspitzengefühl.
1962 waren die technischen Voraussetzungen so weit gediehen, dass John B. Gurdon in Oxford das Spemann'sche experimentum crucis an Krallenfröschen durchführen konnte - allerdings nur in deren Kaulquappen-Stadium. Weiter in Frage stand, ob so etwas überhaupt nur bei Fröschen ging, den entwicklungsphysiologischen Alleskönnern der damaligen Forschung, oder auch bei anderen Wirbeltieren und insbesondere bei Säugern. Und zweitens, ob auch Körperzellen wirklich erwachsener Organismen noch die genomische Gleichwertigkeit mit der Eizelle besitzen.
Mit der Geburt der durch Kerntransfer aus adulten Euterzellen geklonten Dolly waren beide Fragen gleichzeitig beantwortet. Entwicklungsbiologisch betrachtet war dieses Experiment ein Volltreffer, eine Sternstunde nach Jahrzehnten der Totipotenz-Forschung. Entsprechend habe ich dieses Ereignis seinerzeit auch in einem Beitrag für diese Zeitschrift gewürdigt1, ohne mich von den kursierenden Horrorszenarien über eine bevorstehende Ära der Menschenzüchtung irre machen zu lassen. Habe ich recht behalten?
Ein Gespräch unter Klonforschern
In der Nature-Ausgabe vom 30. Juni 2016 ist ein Gespräch abgedruckt, das mit den seinerzeit am Roslin-Institut in Edinburgh beschäftigten Klonforschern anlässlich der Gedächtnis-Party für Dolly geführt wurde. Es ist erhellend und irgendwo auch belustigend zu sehen, wie zufällig, banal und unsensationell die Umstände im Labor waren, die zur Entstehung des ersten geklonten Schafs führten und die so ganz im Gegensatz standen zu den Unterstellungen und Befürchtungen der ethischen Beurteilungen, die darüber in der Öffentlichkeit zirkulierten. Jedem an Wissenschaftsgeschichte Interessierten sei dieses Gespräch zur Lektüre empfohlen2. Im Folgenden nur einige Stichpunkte daraus oder im Zusammenhang damit.
1. Die Erzeugung von Dolly war überhaupt nicht beabsichtigt, sondern verdankte sich einem Zufall. Gewiss war die damalige Arbeitsgruppe am Roslin-Institut mit Klonexperimenten beschäftigt, und zwar, um auf der Grundlage der Methode Gurdons mittels genetisch veränderter Embryonalzellen transgene Nutztiere zu erzeugen. Entsprechend wurden die Klonexperimente am Roslin-Institut auch von einer schottischen Biotechnik-Firma namens PPL Therapeutics finanziert. Man arbeitete mit Schafen als Versuchstieren, und bereits ein Jahr vor der Dolly-Veröffentlichung wurde die erfolgreiche Klonierung von zwei Schafen durch embryonale Kerntransplantation publiziert3. In der weiteren Verfolgung dieses Ziels passierte nun die Panne, dass eines Tages für eine ganze Menge von (mit großem Aufwand) für den Kernaustausch vorbereiteten Eizellen keine embryonalen Spenderzellen zur Verfügung standen, weil die Zellkulturen durch Infektionen für die weitere Verwendung in Klonexperimenten unbrauchbar geworden waren. Verzweifelt suchte man nach Ersatz, aber der fand sich lediglich in Form von ausgereiften Euterzellen, die für andere Zwecke kultiviert wurden. Man nahm sie wohl oder übel, hielt es aber für utopisch, dass aus solchen Konstrukten etwas werden könnte.
2. Auch der Leiter der Arbeitsgruppe, der später so berühmte Ian Wilmut, war nicht überzeugt von dieser Verlegenheitslösung und überließ deren weitere Beaufsichtigung ohne großes eigenes Engagement seinen Mitarbeitern. Wie die Protokolle ausweisen, hat man auch nur einen Teil der ohnehin nur spärlich gebildeten Klon-Embryonen zum Austragen in Leihmütter eingesetzt, wohl in der Überzeugung, für ein hoffnungsloses Unternehmen nicht mehr Material zu vergeuden als notwendig. Erst als die Ultraschall-Untersuchung ergab, dass eines der Tiere im 35. Tag trächtig sei, erwachte das Interesse schlagartig, und man hoffte inständig auf Erfolg, der sich hundert Tage später mit der Geburt Dollys (wissenschaftlich: Lamb # 6LL3) ja auch einstellte.
3. So sehr man auf die wissenschaftliche Leistung stolz war, so sehr PPL Therapeutics einen solchen Erfolg für das Image brauchen konnte, ebenso sehr versuchte sich die Arbeitsgruppe von jedem Medienrummel abzuschirmen und weiter ihrer gewohnten Arbeit nachzugehen. Das konnte natürlich nicht auf Dauer gelingen. Insbesondere die europäische Presse versuchte Wilmut hartnäckig in die Rolle zu drängen, dass es ihm eigentlich um das Klonen von Menschen gehe, und die Mehrzahl der ethischen Beurteilungen auf dem Festland folgte diesem Muster. Alle gegenteiligen Beteuerungen Wilmuts und alle seriös geführten Interviews mit internationalen Ethikkommissionen kamen dagegen nicht an.
4. Auch das Ende Dollys ist viel banaler als von der öffentlichen Mythenbildung unterstellt. Es wurde immer behauptet, Dolly leide an verschiedenen klonierungsbedingten Missbildungen, die auch für ihren frühen Tod verantwortlich seien. Aber: Weder ist Dolly mit sechs Jahren vorzeitig gestorben, sondern in einem für Schafe üblichen Alter - wenn sie nicht schon weit früher auf dem Schlachthof landen. Sie hat auch mehrere gesunde Lämmer bekommen. Allerdings wurde sie eingeschläfert. Warum? Weil sie an einem Lungentumor litt, wie mehrere ihrer nicht geklonten Stallgenossinnen auch.
5. Es dauerte noch Jahre, bis die wirklich wissenschaftliche Tragweite des Experiments von der Forschungswelt begriffen wurde. Sie bestand in der Erkenntnis, dass es - damals noch unbekannte - Faktoren im Zytoplasma der Eizelle geben müsse, die das eigentliche Wunderwerk des Klonens, die embryonale Reprogrammierung eines transplantierten Zellkerns, zustande bringen. Es sollten nach der Geburt Dollys noch einmal zehn Jahre vergehen, bis die Japaner Kazutoshi Takahashi und Shinya Yamanaka in letzter Konsequenz dieser Einsicht vier solche Faktoren identifizierten, mit denen man Körperzellen im Reagenzglas in Embryonalzellen zurückverwandeln konnte („induzierte Reprogrammierung“)4.
Seither ist keine Rede mehr vom Gespenst geklonter Menschen-Kopien als medizinischer Ersatzteil-Lager. Auch nicht (oder kaum mehr) von patientenspezifischem Gewebeersatz, der durch „therapeutisches Klonen“ gewonnen werden könnte. Stattdessen setzt man auf „induzierte pluripotente Stammzellen“ aus eigenem Körpergewebe, die dem Individuum nun buchstäblich aus dem Leib geschneidert sind und damit den Bedürfnissen einer regenerativen Medizin am besten entsprechen. Nicht Wilmut, sondern Gurdon und Yamanaka ist 2012 der Nobelpreis zuerkannt worden, und das wohl zu Recht: Der eine hat die Voraussetzungen für das Klonen durch Kerntransfer geschaffen, der andere die zellbiologischen Konsequenzen daraus gezogen.
Und das Fazit von all dem?
Zunächst einmal: Uns allen würde mehr Gelassenheit im Umgang mit wissenschaftlichen Sensationsmeldungen guttun. In der Regel enthüllt die Geschichte einer Entdeckung mehr über sie als ihre Aufmachung in den Schlagzeilen. Klonen war sicher nicht einfach ein Flop - in der Nutztierzucht spielt es inzwischen eine, womöglich sogar beträchtliche, Rolle. Und natürlich gibt es Menschen, die gegen „Klon-Fleisch“ gesundheitliche Bedenken haben - auch wenn echte Bedenken hier eigentlich nur von den betroffenen Kühen gegenüber ihren Zuchtstieren vorgebracht werden könnten.
Und dann: Gewiss ist ethische Begleitforschung wichtig. Sie täte aber gut daran, sich mehr an dem zu orientieren, was hinter den Türen der Labore tatsächlich vor sich geht, statt sich an künstlich ausgedachten Horrorszenarien der Wochenmagazine abzuarbeiten. Effekte sind unberechenbar, und es ist stets gut sich vorzusehen. Wer aber hätte vorhergesehen, was durch die Klonexperimente an Einsichten über die Mechanismen der Gen-Kontrolle auf den verschiedenen zellulären Niveaus gewonnen werden konnte? „Epigenetik“ ist heute als Schlagwort in aller Munde - wenn auch selten richtig verstanden. Unsere Vorstellungen, wie Gene die Entwicklung eines Organismus kontrollieren, steckten immer noch in den Kinderschuhen, wenn das ebenso zufällige wie folgenreiche „Experiment Dolly“ juristisch vorzeitig ausgebremst worden wäre.