Die Familie - einen Kernbegriff des menschlichen Zusammenlebens - neu bedenken, reflektieren und ins Bewusstsein heben: Diesem Ziel sollte nach dem Willen von Papst Franziskus ein synodaler Prozess dienen, den er 2014 angestoßen hatte und der dann ein Kardinalskonsistorium, zwei Versammlungen der Bischofssynode und unzählige Kongresse, Artikel, Bücher und Debatten in Gang setzte.
Das ging nicht ohne Konflikte und vor allem während der ersten Versammlung der Synode auch nicht ohne offene Auseinandersetzungen vonstatten. Doch wie das Schussdokument zeigt, ist es gelungen, eine positiv gefärbte Sprache zu finden, die mehr ist als nur das Festhalten dessen, was immer schon gesagt wurde.
Auf der Suche nach einer neuen Balance zwischen Lokalität und Universalität
Unter den verschiedenen zur Verhandlung stehenden Einzelfragen gab es aber noch ein weiteres Thema - eines das immer mit debattiert wurde. Meist lief es unterschwellig mit, wurde mitgedacht und vorausgesetzt, ab und zu auch ganz ausdrücklich debattiert, aber in der Öffentlichkeit spielte es eher eine geringere Rolle. Es geht um das Thema Lokalität und Universalität der Kirche. Es bildete die Grundlage für all das, was in der Aula und außerhalb an Beiträgen abgegeben wurde.
Während des gesamten synodalen Prozesses wurde deutlich, dass die ererbte, von der Zentrale in Rom geprägte Deutungshoheit für das Kirchliche nicht mehr in Balance ist. Bereits in den ersten Schritten, dem Wahrnehmen der Realitäten, wurde sehr deutlich, dass dieselben Antworten nicht auf unterschiedliche Realitäten passen, es sei denn, sie sind so abstrakt, dass sie fast nichts mehr sagen, oder so rigide, dass sie an der Wirklichkeit vorbei gehen.
Afrikanische, indische, US-amerikanische und europäische Familien lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Sie sind kulturell geprägt und stehen vor ganz anderen Herausforderungen. Probleme sind immer lokal und müssen lokal gelöst werden: Flucht, Migration, Armut, Umweltbedingungen, Kriege, sind ganz andere Herausforderungen für Familien, als man sie im gesättigten Europa findet.
Zu den lokalen Problemen kommt aber die Universalität der Antworten. Universalität ist ein Zeichen der Einheit der Kirche. Sie leistet darüber hinaus aber auch eine Distanz zur eigenen Kultur, aus der heraus Kritik möglich wird. Die Lokalität hört auf, Maß der Dinge zu sein und muss sich der Selbstkritik stellen. Universalität ist der Wille Christi, stellt aber auch die Grundlage sicher, prophetisch nicht nur im eigenen Horizont zu verharren.
Wie kann also eine Kirche mit einer Stimme sprechen, die genannten Fallen der Abstraktion oder der Rigidität aber vermeiden? Die Vergangenheit hatte darauf zentralistische Antworten, die aber heute so nicht mehr gehen - mindestens das hat die Debatte gezeigt. Es braucht eine neue Balance zwischen Lokalität und Universalität - das war das stille, aber auch das eigentliche Thema dieses synodalen Prozesses.
Eine weitere Komplikation kommt hinzu: die mediale Gleichzeitigkeit. Dank der Instant-Kommunikation kann jeder wissen, was der Bischof in Santiago de Chile oder Manila entschieden hat, auch wenn man in ganz anderen Umständen lebt. Probleme mögen lokal sein, die Lösungen und die Debatten darum herum sind aber immer universal. Strikt lokale Lösungen kann es also nicht mehr geben. Das ist neu.
Paradoxerweise findet man im Schlussdokument wenig zu dieser Frage. Es ist geschrieben worden, um die Debatte zusammenzufassen, um Lösungswege aufzuzeigen und um möglichst viele Meinungen abzubilden. Die Tatsache, dass alle Abschnitte weit über der erforderlichen Zweidrittelmehrheit gelegen haben, zeigt, dass es Aussagen sind, welche die Kirche gemeinsam machen kann. Es weist vom Wesen dieser Aussagen her wenig auf die Spannungen zwischen den lokalen Kirchen hin.
Eine neue Sprache
Und doch findet sich in diesem Schlussdokument auch schon eine Hermeneutik für die Spannung Lokalität - Universalität. Erstens werden dort einige Punkte nicht angesprochen. Noch im Zwischenbericht der vergangenen Versammlung der Bischofssynode im Oktober 2014 waren einige Punkte, vor allem zur Homosexualität, klar formuliert. Das fand keine Mehrheit und hat zu Konflikt und Polemik geführt, dem Gegenteil von Balance zwischen den Polen Lokalität und Universalität. 2015 war man dann so klug, diese Passagen offen zu formulieren. Sinn dieser Maßnahme ist weniger das Vermeiden von Themen, denn Themen wie dieses lassen sich nicht vermeiden. Sinn ist vielmehr, in ein positives Sprechen zu kommen. Und das hat das Papier, das Papst Franziskus zum Abschluss vorgelegt wurde, auch geschafft.
Zu viel ist in der Vergangenheit in kulturkämpferischer Perspektive gesprochen worden, zu viele auch innerkirchliche Konflikte sind zu Themen wie Sexualmoral und Homosexualität ausgetragen worden, sodass eine positive Sprache kaum noch möglich schien. Die positive Sprache, welche man jetzt gefunden hat, mag zu den kritischen Punkten wenig Präzises zu sagen haben, aber sie lässt Gespräch zu, und das ist mehr, als man über die öffentlichen Debatten der Vergangenheit sagen kann. Die medialen Polemiken und die falsche Schwergewichtsverteilung in der öffentlichen Wahrnehmung ließen sich so vermeiden - hier war Klugheit am Werk. Auch lässt diese Entscheidung Raum für theologische Debatten, ohne die Ergebnisse oder die festen Aussagen dazu bereits vorwegzunehmen. Das ist ein Fortschritt.
Synodalität als Gestaltungs- und Strukturprinzip der Kirche
Wie diese neue Balance zwischen Lokalität und Universalität bei medialer Gleichzeitigkeit über den einen Anwendungsfall Familiensynode strukturell umgesetzt werden kann, hat Papst Franziskus in einer Rede zur Würdigung der Einrichtung der Bischofssynode deutlich gesagt: Synodalität ist der Weg der Kirche im dritten Jahrtausend. Er sprach nicht von Synoden, sondern von Synodalität als Gestaltungs- und Strukturprinzip der Kirche. Sehr klar hat er die einzelnen Ebenen - lokal, national, universal - voneinander unterschieden und damit deutlich gemacht, dass ein erster wichtiger Schritt beim Finden der Balance der ist, die Fragen auf die Ebenen zu verteilen. Was muss universal besprochen werden? Was muss lokal bleiben? Hier eine Unterscheidung - wie der geistliche Terminus lautet - zu treffen, wird eine erste Aufgabe sein.
Eine zweite Aufgabe lässt sich daran erkennen, dass der Papst nicht eine Versammlung der Synode, sondern einen ganzen synodalen Prozess begonnen hat. Papst Franziskus setzt auf Dynamik, und das nicht nur im Fall Kirche und Familie.
Alles in seinem Denken ist geprägt von Dynamik, er mag in seinen Reden die Verben der Bewegung: aufstehen, losgehen, herausgehen, aufbrechen. Wenn er nun von der Synodalität als Weg spricht und davon, dass die Menschen mit ihrem Bischof gehen, dann fügt er diese Dynamik auch in die Balance Lokalität - Universalität ein. Es gibt keine festen Strukturen, schon gar keine parlamentarischen Strukturen, die den Notwendigkeiten entsprechen könnten. Hier ist der Papst sehr klar. Seine Vorstellung von Dynamik hat den Mut, Fragen offen zu lassen.
Das kann eine Antwort auf die Frage sein, wie mit der medialen Ebene umgegangen wird. Destruktiv kann ich die lokalen Entscheidungen aus ihrem Zusammenhang herausnehmen und sie gegen jemanden instrumentalisieren. Wenn die Kirche aber den Mut hat, Fragen offen zu lassen und auch Widersprüche nicht sofort lösen zu müssen, sondern dynamisch mit ihnen umzugehen, dann besteht darin eine Chance, Antworten möglich zu machen.
Die ständige Haltung des Aufbruchs
Eine ähnliche Tendenz kann man spiegelverkehrt auch bei denen erkennen, die ganz und gar nicht einverstanden sind mit diesem Papst und dem, was die Kirche sich im Augenblick als Aufgabe gestellt hat. Destruktiv versucht man, Ortskirchen gegeneinander auszuspielen. Die deutschsprachigen Bistümer hätten Angst um ihre Kirchensteuer, deswegen würde man dort die Lehre aufgeben, damit die Leute blieben - so einer der eher schlichten Vorwürfe. Überhaupt haben sich Teile der innerkirchlichen Opposition auf die deutschsprachigen Teilnehmer eingeschossen; die unsäglichen Angriffe auf Kardinal Walter Kasper selbst von normalerweise ernst zu nehmenden Quellen sprechen Bände.
Aber auch in sich kirchenpolitisch anders verortenden Gruppen wirkt die Form der Trennung. Meistens unausgesprochen gilt die Grundannahme, wenn zum Beispiel afrikanische Kirchen nur schon so weit wären wie die Kirche hierzulande, gäbe es weniger Probleme. Daraus spricht der Unwillen, die als fremd und vielleicht gefährdend wahrgenommene Realität als gleichberechtigt anzusehen. Stattdessen schwingt weiter latent die Annahme mit, dass diese Kulturen „unterentwickelt“ seien.
Es braucht für die Balance eine neue Form des Dialoges. Das Wort ist kirchlich eindeutig belegt und deswegen vielleicht nicht hilfreich. Dialog bedeutet - um noch einmal den Papst zu zitieren -, dass man bereit ist, sich zu ändern. Dialog ändert beide Partner, und keiner kommt so wieder heraus, wie er hineingegangen ist. Das ist zunächst weniger eine strukturelle Entscheidung oder die Beschreibung eines kommunikativen Vorgangs als vielmehr eine innere Einstellung.
Die Herausforderung ist also nicht nur weltkirchlich und strukturell, sie liegt vor allem in der Frage nach der Haltung. Papst Franziskus möchte die Kirche „in einer ständigen Haltung des Aufbruchs“ sehen, wie er im Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ (November 2013) festgehalten hat.
Die Debatte um die Frage nach der Familie wird weiter gehen, für ein schnelles Ende ist die Frage auch viel zu zentral für Christentum und für die menschlichen Gesellschaften. Darüber hinaus wird aber auch die Frage nach Universalität und Lokalität weiter „auf dem Schirm“ der Kirche bleiben müssen. Hieran wird sich entscheiden, wie zukunftsfähig Glaube und Kirche sein werden.