Die Kirche Jesu Christi ist arm, deswegen auch apostolisch, eins, katholisch und heiligEin Tagungsbericht

Die Option für die Armen ist "das entscheidende Kriterium" (Evangelii gaudium, 195) der Kirche, es ist der Ausweis ihrer apostolischen Authentizität. So lautet das verdichtete Ergebnis des Studientages "Eine arme Kirche für die Armen". Das Institut für Weltkirche und Mission und das Oswald von Nell-Breuning-Institut hatten dazu am 8. April 2014 in die Hochschule Sankt Georgen (Frankfurt am Main) eingeladen.

Der Studientag widmete sich dem pastoralen Konzept von Papst Franziskus, in dessen Zentrum Armut als erste theologale Kategorie steht. Dem Papst ist nicht primär die Definition in philosophischer, soziologischer oder kultureller Hinsicht wichtig, wie es sich an seinem ersten Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium (EG) vom November 2013 erkennen lässt. Vorrangig ist die konkrete Begegnung mit den Menschen, "welche die Gesellschaft aussondert und wegwirft" (EG 195). Daran anknüpfend standen im Mittelpunkt des Studientages folgende Leitfragen: Zu welcher Armut ruft Papst Franziskus auf? Welche Bedeutung hat die Kategorie Armut für die theologische Reflexion, und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Lebenspraxis der deutschen Kirche?

Ein erster Anhaltspunkt kam "vom anderen Ende der Welt" im Eröffnungsvortrag durch Francisco de Aquino Júnior, Priester in der Diözese Ceará (Brasilien). Wenn die Christen und die Kirche vor Ort sich in ihrem Leben nicht bewusst den Armen verpflichteten, hörten sie "ipso facto" auf, Christen und Kirche Jesu Christi zu sein. Sie würden sich in frontalen Widerspruch zu dem von Jesus verkündeten Evangelium des Reiches Gottes und seiner Person selbst begeben. So die These des Brasilianers. Was im Zentrum des Lebens und der Mission Jesu Christi (vgl. Lk 7, 22 f.) stehe, müsse das Wesen und die Sendung der Kirche konstitutiv definieren. Die Kategorie Armut sei deshalb als "Nota Ecclesiae" zu werten: Weil die Kirche arm ist wie ihr Gründer, ist sie katholisch, apostolisch, eins und heilig.

De Aquino Júnior berief sich in seiner theologischen Reflexion auf Evangelii gaudium und auf die lateinamerikanische Bischofssynode (CELAM) von Medellín/Kolumbien 1968. Sie stellte in die Mitte, was von Kardinal Giacomo Lercaro als "gravierende Lücke" des Konzils festgestellt worden war: die Armen. Weil die Synode das Struktur-, Organisations- und Missionsprinzip der Kirche in ihnen entdeckte und daraus lehramtliche und gesetzgeberische Konsequenzen auf ortskirchlicher Ebene zog, sei Medellín für die ganze Weltkirche bedeutsam, so de Aquino Júnior. Das zeige sich exemplarisch bei der Definition von Kirche: "Eine arme Kirche klagt den ungerechten Mangel der Güter dieser Welt und die Sünde an, die ihn hervorbringt […], predigt und lebt die geistige Armut als Haltung der geistigen Kindschaft und Öffnung zu Gott [...], und sie verpflichtet sich selbst zur materiellen Armut." (Medellin, 146) Diese Definition konkretisierte sich in der Selbstverpflichtung der lateinamerikanischen Kirche zu einem bescheidenen Wohn- und Lebensstil, "ohne Pomp und Prunksucht". In dieser Linie sieht de Aquino das Armutsverständnis von Papst Franziskus. Der Referent machte deutlich, Armut dürfe nicht in zynischer Weise nur als "geistliche Armut" verstanden werden: "Wenn wir alle arm sind, dann ist die Option für die Armen eine Option für alle, und wenn alle zur Priorität werden, ist keiner mehr Priorität." Damit war die im Publikum kontrovers diskutierte Frage nach einer Definition von Armut indirekt beantwortet.

Eine soziologische Perspektive auf den Armutsbegriff erörterte Bernhard Emunds, Professor für christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie an der Hochschule Sankt Georgen. Er thematisierte das Paradoxe einer armen Kirche mitten im Wohlstand und forderte die Konsequenzen ein, die sich aus dem christlichen Glauben für die kirchliche Lebenspraxis ergeben: Die Kirche vor Ort dürfe nicht rein bürgerlich bleiben, nicht selbstbezogen und nicht ausschließlich als amtskirchlicher Apparat mit reichen Zentralen wirken, "aus denen das Leben ausgezogen ist". Christlicher Glaube müsse die institutionelle Religion nicht nur ergänzen, sondern auch korrigieren, wenn sie gegen das Evangelium "falsche Loyalitäten" bewahre. Aus dem Glauben heraus habe die Kirche vor Ort sich der Frage zu stellen, wie viel Wohlstand, Macht und Geld sie sich leisten darf, ohne den Glauben zu verdunkeln. Ebenso aus dem Glauben heraus habe die Kirche prophetisch gegenüber systematischer Ungerechtigkeit zu handeln und sich als Kontrast- und Alternativgesellschaft zu zeigen.

Wie wichtig die Armen für die Kirche sind, zeigt sich, wenn Papst Franziskus sie nicht nur als Subjekte der Mission betrachtet, sondern auch Träger der Offenbarung Gottes nennt (vgl. EG 198). Schwester Agnes Lanfermann, Generaloberin der Missionsärztlichen Schwestern (Medical Mission Sisters), fokussierte in ihrem Vortrag genau diese Autorität. Aus der Begegnung auf Augenhöhe mit jenen, die real unter Armut leiden, erwachsen konkrete Impulse für die christliche Sendung. Als Beispiel nannte Sr. Lanfermann die Schmerzlinderung durch "dickere Sohlen unter den Latschen" von Arbeitern einer Ziegelbrennerei in Pakistan, gepaart mit dem gemeinsamen Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und der Möglichkeit zur Erziehung. Dadurch werden die Armen sich ihrer Menschenwürde bewusster.

Auch wenn es nur wenige in eine bessere Zukunft schaffen, gilt für den Missionar, bei ihnen zu bleiben auf dem Weg der Befreiung und selbst eine "Mystik der offenen Augen" zu entwickeln, um zu erkennen, was Gott und die Leidenden zu sagen haben. Anhand zahlreicher weiterer Praxisbeispiele zeigte Sr. Lanfermann, dass es gilt, a) sich dem Schmerz der Armen anzunähern - auch wenn man ihn nicht ganz versteht und erklären kann; b) den Armen ein Gesicht zu geben; c) Gott in ihnen zu suchen - auch wenn die Armen und Gott sich verstecken; d) ein compassives Echo in unserem Herzen zuzulassen - in der Spannung von Aktion und Kontemplation und in der grundsätzlichen Entscheidung, die Armen nie aufzugeben; e) vor den Notleidenden anders über Gott zu reden; f) was sie tötet beim Namen zu nennen; und g) deren Ermutigung - eine Art von Auferstehung in der Kraft des Geistes - zu erleben.

Die Suche vieler einzelner Christen nach solchen Begegnungsmöglichkeiten reicht jedoch nicht aus, um dem Ziel einer armen Kirche für die Armen gerecht zu werden. Das wurde am Ende des Studientages deutlich. Die Option für die Ausgeschlossenen verlangt eine "strukturelle Veränderung" (EG 189). Die theologische Weiterreflexion muss die gesetzliche und strukturelle Verankerung von Armut in der Kirche im Blick behalten und den "Aufbau einer neuen Mentalität" (EG 188) vorantreiben, nicht nur gegenüber der Gesellschaft. Gebildete Christen dürfen sich nicht mehr bloß bei einer Tasse Tee oder Kaffee über dieses theologische Anliegen austauschen. "Nein! Wir müssen mutige Christen werden und uns zu denen aufmachen, die wirklich der Leib Christi sind. (Pfingstvigil 2013)

Von einer "Kultur der Solidarität" (EG 188 f.) ist die Bekämpfung struktureller Ursachen globaler Armut zu erwarten. Nach innen zeigt sich diese neue Mentalität der Kirche im realen Kontakt mit den Armen, die fortan nicht mehr als bloße Objekte der Mission betrachtet werden. Dadurch wird die "Kirche der Armen" in ihrem Handeln nach außen politischer. Die kontroversen Beiträge in der Abschlussdiskussion zeigten: Das Ziel der Veranstalter wurde erreicht. Mit dem Studientag setzten sich Denkprozesse im Sinne Papst Franziskus’ in Gang (vgl. EG 223). Über hundert Teilnehmer haben die Einladung zur konkreten Reflexion über die Armen und Leidenden vor Ort und den eigenen Möglichkeiten, sich ihnen zu nähern, angenommen.

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