Vom 24. bis 26. Oktober 2010 findet in Rom eine hochkarätig besetzte, internationale Tagung statt: "Erik Peterson. La presenza teologica di un outsider. Simposio nel cinquantenario della morte".
Eröffnet wird die Tagung im Deutschen Kolleg, dem Collegio Teutonico di Santa Maria, auf dem Campo Santo Teutonico vom scheidenden Rektor Erwin Gatz, von Kardinal Raffaele Farina SDB, Bibliothekar und Archivar der Heiligen Römischen Kirche, von Professor Stefan Heid vom Päpstlichen Institut für Christliche Archäologie und - nach einer Pause - mit dem Festvortrag des Bischofs von Mainz, Kardinal Karl Lehmann: „Erik Peterson, un teologo di ieri per la Chiesa di domani" (Erik Peterson - ein Theologe von gestern für die Kirche von morgen).
Die Referentinnen und Referenten des tags darauf am Istituto Patristico Augustinianumfortgesetzten zweitägigen Symposions sind Robert Dodaro OSA (Rom), Barbara Nichtweiß (Mainz), Hubertus R. Drobner (Paderborn), Michael Hollerich (St. Paul, Minnesota), Gabino Uribarri SJ (Madrid), Thomas Söding (Bochum), Giuseppe Segalla (Padua), Romano Penna (Rom), Hans-Ulrich Weidemann (Siegen), Jörg Frey (Zürich), Gerard Rouwhorst (Utrecht/Tilburg), Christoph Markschies (Berlin), Giulia Sfameni-Gaspraro (Messina), Stefan Heid (Rom), Michael Kunzler (Paderborn), Paolo Siniscalco (Rom) und Michele Nicoletti (Trient) - alle sind ausgewiesene Experten. Informationen finden sich auf der Website des Instituts (www.patristicum.org).
Der Eröffnungsort der Tagung entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Auf dem Friedhof des Campo Santo Teutonico wollte sich Erik Peterson einmal begraben sehen. Das ging aber nicht - er fand seine letzte Ruhestätte auf dem Campo Verano. Die Tagung bringt ihn gleichsam in den Vatikan zurück, jedenfalls in den Schatten des Petersdoms.
Ein Kryptokatholik?
Erik Peterson wurde in dem Jahr geboren, in dem John Henry Newman starb: 1890, am 7. Juni in Hamburg. Der Weg beider Theologen zur katholischen Kirche - Protestant der Deutsche, Anglikaner der Brite - weist einige Ähnlichkeiten auf. Denn Peterson wie Newman - der eine konvertierte 1930, also mit 40, der andere 1845, mit 44 Lebensjahren - wurden schon, als sie noch ihrer jeweiligen Taufkirche angehörten, verdächtigt, Kryptokatholiken zu sein. Und kaum waren sie Katholiken geworden, waren sie der Kirche, die sie verlassen hatten, suspekt: Sie galten als Apostaten, als vom wahren Glauben Abgefallene. Auf katholischer Seite wiederum sahen sich beide dem Verdacht ausgesetzt, sie seien in ihrem Denken letztlich liberal-protestantischen Kategorien verpflichtet geblieben. Erich Przywara SJ, Mitglied der Redaktion der „Stimmen der Zeit", vermißte den katholischen Stallgeruch bei Peterson.
„Ich betone nachdrücklich, daß ich kein (Friedrich) Heiler bin und also auch nicht daran denke zu ,katholisieren'": Dieses und weitere Bekenntnisse konnten den Verdacht des Kryptokatholizismus nicht entkräften.
Die römische Tagung bezeichnet Erik Peterson als Outsider, als Außenseiter also - worauf immer sich das bezieht. Etwa darauf, daß er in den 20er Jahren in die Rolle des Dandys und Bohemiens schlüpfte, mit allen bizarren, ja snobistischen Begleiterscheinungen, die vielen, die ihn kannten, lange im Gedächtnis haften blieben?
Erik Peterson war jedenfalls ein Grenzgänger - und das im wörtlichen Sinn: Er lebte an der Grenze zwischen pietistischem Protestantismus und Katholizismus, an der Grenze zwischen Deutschland und Italien, an der Grenze zwischen Armut und Mittellosigkeit, an der Grenze zwischen Ordensleben und Ehe und Familie - ein Zerrissener, ein Radikaler, ein Enfant terrible, ein früh Vollendeter: „Er saß gewissermaßen", meint seine Biographin Barbara Nichtweiß, „immer zwischen allen Stühlen und hat diesen Platz trotz aller Bitternis vielleicht auch als den angemessenen empfunden."
Ein zerrissenes Leben
Im Alter von 20 Lebensjahren, während seines ersten Studiensemesters im Juni 1910, von einem Wiedergeburtserlebnis heimgesucht, das „völlige Glaubensgewißheit" zur Folge hatte, wechselte er häufig die Studienorte: Straßburg, Greifswald, Berlin, Göttingen, Basel und wieder Göttingen. Wilhelm Diltheys Lebensphilosophie faszinierte ihn, Adolf von Harnacks „Wesen des Christentums", das als Manifest des Liberalismus galt, mied er. Kierkegaard zog ihn an und stieß ihn gleichzeitig ab. Er kannte Edith Stein, Hedwig Conrad-Martius, Dietrich von Hildebrand und Max Scheler. Er hatte Vorlesungen bei Edmund Husserl gehört. Die Freundschaft mit Anne Reinach ebenso wie mit Hans Lipp half ihm über viele Schicksalsschläge und so manche Lebensuntüchtigkeit hinweg.
Biographische Skizzen bezeichnen Erik Peterson als Theologen, Patrologen und Religionshistoriker. Mit seiner Detailversessenheit erwarb er sich den Ruf umfassender Gelehrsamkeit. Im Wintersemester 1920/21 begann er als Privatdozent Vorlesungen über Kirchen- und Religionsgeschichte in Göttingen. Karl Barth war von seinem jungen Kollegen bei einer Stippvisite nach Göttingen fasziniert. Von 1924 bis 1929 Ordinarius für Kirchengeschichte in Bonn, las er dort auch neutestamentliche Exegese, weil dieser Lehrstuhl zeitweise vakant war. In Bonn weitete sich sein Bekanntenkreis. Er lernte den Maria Laacher Benediktiner Thomas Michels und den Staatsrechtler Carl Schmitt kennen. Man freundete sich an: Zeitweise überlegte Erik Peterson, bei den Benediktinern einzutreten, bei Schmitts zweiter Ehe war er Trauzeuge.
Der "Weg nach Rom"
Als Erik Peterson am 23. Dezember 1930 in Rom in die katholische Kirche aufgenommen wurde, war das der Schlußpunkt einer langen Entwicklung. Sein „Weg nach Rom" setzte in etwa mit Ende des Ersten Weltkriegs ein. 1918 lernte er in München Theodor Haecker kennen, über den Peterson erste Publikationsmöglichkeiten im „Brenner" fand. Haeckers Konversion im Jahr 1921 führte zu einer tiefgreifenden Krise bei Peterson. Das Verhältnis zur angestammten Konfession betrachtete er als ein Treueverhältnis. Doch innerlich wie theologisch hatte er sich längst zur katholischen Kirche aufgemacht.
Totgeschwiegen wurde Erik Petersons 1928/29 veröffentlichter Traktat über die Kirche. Die Konversion war der logische Schlußpunkt einer langen Entwicklung. Konnte sie noch jemanden wirklich überraschen? „Soll ich noch hinzufügen, daß mir dieser Schritt unendlich schrecklich schwer geworden ist? … Was ich getan habe, das habe ich von meinem Gewissen gezwungen - um nicht von Gott verworfen zu werden - getan."Ein John Henry Newman hat es genau so erlebt und ganz ähnlich ausgedrückt.
Als Heinrich Schlier - von 1945 bis 1952 Inhaber des einstigen Lehrstuhls von Peterson in Bonn - 1953 den Weg zur katholischen Kirche fand und in Rom konvertierte, fungierte Erik Peterson als Pate. Geistig war er es längst gewesen.
Die Bonner Professur war mit der Konversion erledigt. Bereits zum Wintersemester 1929/30 hatte sich Erik Peterson beurlauben lassen, 1930 wurde er als Professor emeritiert und wechselte als Honorarprofessor in die philosophische Fakultät. Abermals Outsider! Es folgten schwierige Jahre des Suchens, der Frustrationen, mehrere Reisen nach Rom, wo er schließlich (1933) blieb, nachdem klar geworden war, daß er in Deutschland außer kurzfristigen akademischen Gelegenheits- oder Mitleidsjobs keine Zukunft haben würde.
Römische Mangeljahre
Im Juni 1933 heiratete er, 43jährig, die junge Römerin Matilde Bertini. Innerhalb von sechs Jahren wurde er fünf Mal Vater. Etwas Geld (Pensionszahlungen) floß von Bonn nach Rom, doch diese Quelle versiegte, als das NS-Regime ab 1937 keine Devisen mehr bewilligte.
Nachdem er bis dahin in unbezahlter Stellung als wissenschaftlicher Berater am Deutschen Archäologischen Institut gearbeitet und sich zeitweise als Vatikankorrespondent für österreichische und Schweizer Zeitungen versucht hatte, verschaffte ihm Kardinal Giovanni Mercati 1937 einen kleinen Lehrauftrag am Päpstlichen Institut für christliche Archäologie. Er ließ sich für Bibliotheksarbeiten an der Gregoriana heranziehen und vertrat vier Jahre lang am Päpstlichen Institut den Liturgiewissenschaftler Kunibert Mohlberg OSB. Petersons Frau mußte dazuverdienen. In schwierigen Situationen blieb ihm nichts anderes übrig, als den Vatikan um Geld zu bitten. Barbara Nichtweiß spricht von „römischen Mangeljahren".
Erst 1947 wurde Erik Peterson zum Professor für Kirchengeschichte und Patrologie am Päpstlichen Institut für christliche Archäologie bestellt. Da war er bereits 57 Jahre alt. In seinem Todesjahr 1960 erhielt er zwei Ehrendoktorate: in Bonn (Dr. phil.) und in München (Dr. theol.) - verdiente, wenn auch verspätete Ehrungen, die ihm mehr geholfen hätten, wären sie früher erfolgt.
Theologen, die konvertieren, werden leicht zu Geächteten. Ein Outsider war Erik Peterson zweifellos. Wie vielen Theologiestudierenden ist sein Name heute geläufig? Im Jahr 1994 hat Barbara Nichtweiß mit der Edition „Ausgewählte Werke" im Echter Verlag begonnen. Bisher liegen die Bände 1 bis 7 sowie 9 (in zwei Teilbänden) vor, 2010 erschien der Sonderband „Ekklesia. Studien zum altchristlichen Kirchenbegriff". Auf dem Symposion in Rom treffen einander Peterson-Kenner und -Liebhaber. Erik Peterson hat breite Beachtung verdient.
Im August 1990 hat Barbara Nichtweiß ein Teilergebnis ihrer damals fast abgeschlossenen Dissertation in dieser Zeitschrift veröffentlicht. Aus gegebenem Anlaß machen wir diesen Text in der Rubrik „Besondere Beiträge" auf unserer Website wieder zugänglich (B. Nichtweiß, Erik Peterson. Leben, Werk und Wirkung, in: Stimmen der Zeit 208, 1990, 529-544).