Klimawandel und GerechtigkeitEin Gespräch über die Studie „Global aber gerecht“ (2010)

Stimmen der Zeit: „Im September 2010 wurde in Berlin die Studie „Global aber gerecht. Klimawandel bekämpfen, Entwicklung ermöglichen“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Diese Studie ist eines der Abschlußprodukte des Projektes „Klimawandel und Gerechtigkeit“, in dem Ihr „Institut für Gesellschaftspolitik“ (IGP) an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München zusammen mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), dem Bischöflichen Hilfswerk Misereor und der Münchener Rück Stiftung drei Jahre zusammengearbeitet hat. Was hat das IGP bewogen, bei diesem Projekt mitzumachen?“

Johannes Müller SJ: „Sowohl der Klimawandel wie die Entwicklungspolitik mit dem Schwerpunkt Armutsbekämpfung sind globale Themen, die Schwerpunkte der Forschung des IGP sind. Unser besonderes Interesse war es, die entwicklungspolitische Perspektive einzubringen - zum einen als wichtigen Aspekt von Klimapolitik, zum andern um zu verhindern, daß dieses Thema völlig in den Hintergrund gerät. Ein zusätzliches Motiv war die Kooperation mit so verschiedenen Partnern, die zugleich eine große Herausforderung war.“

Stimmen der Zeit: „Im Titel des Reports finden sich zwei thematische Schlagwörter: Klimawandel und Entwicklung. Was ist die zentrale inhaltliche Botschaft der Studie?“

Johannes Wallacher: „Klimaschutz und Entwicklungsbemühungen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt, sondern müssen eng miteinander verzahnt werden. Denn die Wechselwirkungen zwischen Klimawandel auf der einen und der weltweiten Armut auf der anderen Seite sind sehr vielfältig. So sind die armen Menschen, Länder und Regionen, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, jetzt und zukünftig besonders von seinen negativen Folgen betroffen und zudem viel weniger in der Lage, sich an die veränderten Lebensbedingungen anzupassen. Eine kohärente Verknüpfung von Klima- und Entwicklungspolitik ist daher ein Gebot der Gerechtigkeit, aber auch der politischen Klugheit. Denn die Weltgemeinschaft steht vor einer klaren Alternative. Der Kampf gegen den Klimawandel und der Kampf gegen die globale Armut werden zusammen gewonnen oder verloren.“

Stimmen der Zeit: „Der Report thematisiert auch die ethischen Aspekte, die sich angesichts massiver Klimafolgen und globaler Armut stellen. Was ist der Kern dieser ethischen Argumentation?“

Johannes Müller SJ: „Im Zentrum steht die Frage der Gerechtigkeit, wie sie vor allem von Vertretern aus dem Süden immer wieder eingefordert wird. Im Report werden drei Gesichtspunkte hervorgehoben, die eng miteinander zusammenhängen: Bedarfsgerechtigkeit im Hinblick auf Grundbedürfnisse, Chancengerechtigkeit im Hinblick auf die Stärkung der Eigenkräfte und Eigenverantwortung, Verfahrensgerechtigkeit im Hinblick auf eine breite Partizipation.“

Stimmen der Zeit: „Im letzten Kapitel des Reports wird ein Global Deal vorgestellt, ein politisches Gesamtpaket, das einerseits visionär und anderseits machbar sein will. Was sind die Eckpunkte dieses Global Deal?“

Johannes Wallacher: „Der Global Deal für Klimaschutz und Entwicklung besteht aus insgesamt fünf Säulen: 1. Begrenzung, Verteilung und Handel von CO2-Emissionsrechten, 2. Nachhaltige Nutzung von Wäldern, 3. Förderung und Austausch klimafreundlicher Technologien, 4. Internationale Anpassungsunterstützung, und 5. Stärkung von Entwicklungspolitik.“

Stimmen der Zeit: „Angesichts der aktuellen weltpolitischen Debatten hat es manchmal den Anschein, als würden Klima- und Entwicklungspolitik gegeneinander ausgespielt. Was läßt sich zu dieser Entwicklung sagen?“

Johannes Müller SJ: „Dies ist zu bedauern. Manchmal hat man den Eindruck, daß dies durchaus gewollt ist, um möglichst in beiden Feldern wenig zu unternehmen. Vor allem im Hinblick auf die Zukunft ist das jedoch sehr kurzsichtig und auch unverantwortlich.“

Stimmen der Zeit: „In dem Projekt haben vier unterschiedliche Partner drei Jahre zusammengearbeitet. Was war der besondere Reiz dieser Zusammenarbeit? Können solche Kooperationen auch Vorbildfunktion haben?“

Johannes Wallacher: „Jeder der Partner hat spezifische Kompetenzen eingebracht, die es ermöglicht haben, die notwendige Gesamtbetrachtung von Klima- und Entwicklungspolitik zu erreichen. Dies war herausfordernd und nicht immer ganz einfach, von der Sache her aber geboten und letztlich auch für alle sehr bereichernd. Sehr hilfreich war auch der Austausch mit Vertretern der Betroffenen in den Entwicklungs- und Schwellenländern. In diesem Sinn ist die Zusammenarbeit der vier Partner der vorliegenden Studie ein Beleg dafür, daß es möglich ist, jenseits traditioneller Grenzen zwischen Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft neue Formen einer „Koalition der Willigen“ zu bilden. Es wäre schön, wenn von der Studie auch ein Anstoß ausginge, mehr solche auf den ersten Blick ungewöhnliche Bündnisse des Wandels zu initiieren.“

„Stimmen der Zeit“: Innerhalb des Projektes wurden neun Dialogforen in den Ländern des Südens durchgeführt. Was stand hinter der Idee, diese Foren durchzuführen? Und was ist das wichtigste Ergebnis?

Johannes Müller SJ: „Man kann darin eine konkrete Umsetzung des Desiderats der Verfahrensgerechtigkeit sehen, in diesem Fall konkret der Einbeziehung der Länder des Südens und besonders der dortigen Zivilgesellschaft. Wir wollten nicht einfach unsere Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentieren, sondern zuvor mit den Hauptleidtragenden selbst sprechen. Dies hat sich auf jeden Fall gelohnt und zu manchen Modifikationen im Report geführt.“

Stimmen der Zeit: „Das IGP widmet sich mittlerweile seit Jahrzehnten intensiv globalen Fragen. Wie passen dieses Projekt und die neue Studie in die Grundausrichtung des IGP? Wird das Thema Nachhaltigkeit und Klimawandel auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen?“

Johannes Wallacher: „Auf jeden Fall, zumal schon absehbar ist, daß weitere Projekte am IGP offensichtlich an den Forschungen zum Klimawandel anknüpfen und diese vertiefen. So arbeiten wir bereits seit Mai 2010 - wiederum in Kooperation mit dem PIK und anderen Partnern - an einem Projekt zum nachhaltigen Wassermanagement. 2011 werden wir voraussichtlich eine Studie zu den neuen Herausforderungen der Ernährungssicherheit für die Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“ der Deutschen Bischofskonferenz vorbereiten. Beides sind Themen, die eng mit dem Klimawandel zusammenhängen.“

Prof. Dr. phil. Johannes Müller SJ ist Professor für Sozialwissenschaften und Entwicklungspolitik an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München und Leiter des Instituts für Gesellschaftspolitik. Prof. Dr. rer. pol. Dr. phil. Johannes Wallacher arbeitet am selben Institut und hat eine Professur für Sozialwissenschaften und Wirtschaftsethik inne. 
Der Report ist im Verlag C. H. Beck erschienen und kostet 19,80 €. Er kann über die Projekt-Homepage bezogen werden (www.klima-und-gerechtigkeit.de). Auf der Webseite finden sich außerdem weitere Infos zum Projekt, Berichte aus dem Süden, ein Kurzfilm von den Dialogforen und Termine zu aktuellen Veranstaltungen.

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