Papst Franziskus: zu Beginn seines Pontifikats die verbeulten Gesundheits- statt der roten Designerschuhe, das „Guten Abend“ und „Betet für mich“ auf der Loggia des Petersdomes, wenige Tage später die Gründonnerstags-Fußwaschung im Gefängnis, dann die erste, symbolisch sprechende Reise nach Lampedusa, ins Flüchtlingslager ...
Papst Franziskus war nicht der Kirchenreformer, wie ihn die deutschen Reformbewegungen gerne gesehen hätten. Er war nicht der Erneuerer der Glaubens- oder Morallehre, wie ihn Katholiken in aller Welt, je nach persönlicher oder kultureller Präferenz, erhofft oder befürchtet hatten. Papst Franziskus brachte vor allem einen neuen Stil in die Kirche. Er prägte sie damit, sicherlich bleibend über seinen Tod hinaus.
Papst Franziskus lebte und wirkte mehr aus seinem Charisma als aus seinem Amt. Er wirkte unter Menschen, „Strukturen“ oder Bürokratie interessierten ihn weniger. Er liebte die Armen und das Volk, die einfache Liturgie – ohne allen Pomp – und die Volksfrömmigkeit. Er förderte Frauen, wo er konnte, auch wenn er im Rahmen der katholischen Genderordnung blieb, was das ordinierte Amt betrifft. Er bekämpfte die Korruption der Kirche und den Machtmissbrauch, internationalisierte die römische Kurie und das Kardinalskollegium, und er mahnte stetig zu Frieden und Gerechtigkeit, zumal in dramatischen Kriegszeiten, in denen es schwierig war, eine vermittelnde Position zu beziehen, ohne sich dem Vorwurf der indirekten Parteinahme auszusetzen. Er liebte die spontane Rede ohne viel Rücksicht auf diplomatische Fettnäpfchen, und er verwendete plastische Bilder und Beispiele um den Preis, dass diese missverständlich sein könnten – und die ihm anschließend um die Ohren flogen, wenn sie tatsächlich mehr als nur missverständlich waren. Er enttäuschte die Erwartungen von Traditionalisten ebenso wie die Erwartungen von Reformern: Einerseits erschwerte er die Feier der alten Liturgie und öffnete pastorale Spielräume für die Segnung homosexueller Paare, anderseits ließ er weder verheiratete Männer zur Priesterweihe zu noch Frauen zur Diakonatsweihe. Zum Ärger der jeweils anderen Seite entzog er sich den Etiketten innerkirchlicher Lagerbildung.
Papst Franziskus’ Stil war in vielem jesuitisch: Lange ließ er zuhören und beraten und beten, in Gremien und in Synoden, ungeachtet aller Hierarchien, also auf Augenhöhe, mit großer Offenheit und Freimut – aber dann entschied der „Obere“, er selbst oder je nach Ebene der Verantwortliche. Sein Vorangehen kam aus den ignatianischen Exerzitien, mit „Verspüren und Verkosten von innen her“, mit Inspiration aus der Leben-Jesu-Betrachtung und der Heiligen Schrift, mit Unterscheidung der Geister. „Franziskus ist wie ein Exerzitienmeister, der Punkte gibt“, also Anregungen zur Betrachtung und zum Beten – so ein Jesuit über ihn. Franziskus suchte das Persönliche, das sich nicht ganz in objektiven richtig-falsch-Kategorien fassen lässt. So wollte er etwa „irregulär“ lebende Katholiken nicht nach starren Regeln von der Kommunion ausschließen, sondern er ermunterte die Seelsorger, im Gespräch und nach Unterscheidung der Geister individuelle Lösungen zu suchen. Seine Enzyklika Laudato si’ wurde weltweit dankbar rezipiert als eindringliche Mahnung, ökologische und soziale Herausforderungen gemeinsam zu meistern, zum Wohl vor allem der Armen dieser Welt.
Papst Franziskus’ Verhältnis zum Jesuitenorden war komplex. Seine Zeit als Provinzial in Argentinien endete mit einem distanzierten Verhältnis zwischen ihm und seinem Orden. Solange er Erzbischof von Buenos Aires war, blieb sein Verhältnis zur Ordenskurie in Rom gespannt. Nach seiner Papstwahl wurde deutlich, dass es wohl in den Jahren zuvor schon Klärungen und Versöhnungen gegeben hatte. Sehr schnell etablierte sich ein unkompliziertes, gegenseitig wertschätzendes und herzliches Vertrauen, das auch das Verhältnis des Ordens zur vatikanischen Kurie nachhaltig entspannte.
Papst Franziskus’ bleibendes Geschenk an die Kirche ist vor allem das Prinzip der Synodalität: In der Orthodoxie und in evangelischen Kirchen schon seit Jahrhunderten – in jeweils eigener Weise – praktiziert, führte er dieses, unerschrocken gegen alle Widerstände, behutsam und nachhaltig ein. Synodalität ist ein Erbe ignatianischer Unterscheidung in Gemeinschaft. Sie setzt auf eine gemeinsam hörende und geistliche Kirche. Wer sich auf diesen neuen Stil einließ, schätzte ihn. Er ist für künftige Beratungen in Rom und in der weltweiten Kirche nicht mehr wegzudenken.
Papst Franziskus: War er ein großer Papst? Ungeachtet des Getöses in den Medien: Es ist wohl klüger, darüber später die Geschichte urteilen zu lassen. Wenn freilich Glaube und Spiritualität nicht zuletzt auch Stil sind, dann sind Stile bedeutsamer, als man in früheren Zeiten meinte, in denen Doktrin und Moral, vielleicht auch Macht und Glanz mehr zählten. Papst Franziskus jedenfalls schuf diesen neuen Stil, der künftig, anders als manche vermutlich zeitbedingte Konkretion seinen Pontifikats, unhintergehbar sein wird. Mit ihm hat er die Kirche entwickelt und verändert – in einer vom Geist geführten und segensreichen Weise. Dem gilt unser Dank.