Spiritualität braucht Orte, an denen sie gelebt und gelehrt wird. Sie braucht Wege: konkrete, altbewährte und gangbare Wege, die zu sich selbst, zu anderen Menschen und zu Gott führen. Sie braucht Menschen, erfahrene Menschen, die andere begleiten. Und sie braucht Stille, ein in der heutigen Zeit knappes und daher sehr kostbares Gut.
Mitten in der Stadt - von der äußeren zur inneren Stille
Das bewog die Jesuiten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Kardinal König Haus in Wien-Lainz, einem großen, von Jesuiten und der Caritas in Kooperation geführten Bildungszentrum, einen Ort mitten in der Stadt zu schaffen, um sich für eine kürzere oder längere Zeit zurückzuziehen, sich wieder zu sammeln und sich neu zu orientieren. Ein Ort für Menschen in Wien und darüber hinaus, im Zentrum und an der Peripherie der Kirche, älteren wie jüngeren. Ein Ort, der der wachsenden Sehnsucht vieler Menschen nach schlichtem Dasein, nach Tiefe und Klarheit, nach Spiritualität Heimat bietet. So wurde im Oktober 2009 das Projekt "Stille in Wien" begonnen und damit ein Ort erschlossen, an dem es äußerlich still ist und an dem in die innere Stille geführt wird, damit das Ewige Wort erklingen, hörbar und wirksam werden kann. Denn das Ewige Wort Gottes wird in der Stille laut.
Abgegrenzt, geschützt vom übrigen Haus, stehen vier Einzelzimmer zur Verfügung. Eine Küche mit Esszimmer, ein heller Meditationsraum, eine moderne Kapelle und ein großer Garten stehen offen für Menschen, die die Stille suchen, um für sich oder mit Hilfe einer Begleiterin oder eines Begleiters manches zu klären. Zudem sollen eine große Zahl von Angeboten helfen, in die Stille zu führen: Einführungen in verschiedene altbewährte Gebets- und Meditationswege - Beten mit Texten der Hl. Schrift, Herzens-/Jesusgebet, Zen - Kontemplationswochen und Ignatianische Exerzitienkurse verfolgen dieses Ziel. Um möglichst vielen Frauen und Männern die Teilnahme zu ermöglichen, wurden die Kosten gesenkt. Der günstige Preis von 43,00 Euro pro Tag für Unterkunft, Verpflegung und Begleitung bzw. Kursbeitrag ist möglich durch die Unterstützung der Österreichischen Jesuitenprovinz sowie kleinere und größere Spenden, für die wir sehr dankbar sind. Die positive Resonanz der vielen Menschen, die inzwischen dieses Angebot wahrnehmen, bestätigt, dass es auf eine Sehnsucht trifft, die in uns allen lebt.
Zur Mitte kommen: Das Allerheiligste in uns
"Stille in Wien" ist eingebettet in die seit 1889 begründete Tradition des Exerzitiengebens am Kardinal König Haus, an dem das Geben von sogenannten Geistlichen Übungen auch heute neben anderen zu einem der wesentlichen Aufgabenfelder gehört. Von Anfang an war es ein Anliegen der Jesuiten in Wien-Lainz, "Gott zu ehren und den Seelen zu helfen", d. h. den Menschen zu helfen, zu ihrer Mitte zu kommen. Sie taten es bevorzugt dadurch, den Menschen zu helfen, still zu werden und ein hörendes Herz zu gewinnen und so zu verspüren, dass die Welt Gottes so voll ist.
Aber - Stille in einer Großstadt - ist das nicht ein Gegensatz? Beides scheint nicht zu passen, ja sich auszuschließen. Und doch, auf den zweiten Blick sieht es anders aus: Auch in Wien, mitten in der Stadt, gibt es sie, die Stille. Stille ist überall, sie ist immer da. Auch wenn es nicht (ganz) ruhig ist - und wann ist das in einer Großstadt schon der Fall?! - ist sie da, dazwischen, im Hintergrund. Sie wird erfahrbar, wenn wir bewußt auf sie hören. Dann spüren wir die wohltuende Wirkung, die sie auf Körper, Seele und Geist hat, spüren die Kraft, die sie uns schenkt.
Meist überhören wir jedoch diese Stille, nehmen sie nicht wahr, weil sie sich uns nicht, wie so vieles anderes, aufdrängt. Stille will erlauscht werden. Man muß seine Aufmerksamkeit auf sie richten, damit sie hörbar wird - in der freien Natur, in Räumen, zwischen Worten, Tönen, Geräuschen und in Pausen. Erst wenn man auf sie hört, merkt man, wo überall sie ist, und fängt an, allmählich ihre wohltuende Wirkung zu spüren.
Stille ist außen, sie ist aber auch innen, in uns. Äußere Stille hilft meistens, zur inneren Stille zu finden, mit ihr in Kontakt zu kommen. In uns allen gibt es einen Raum der Stille. Er ist in unserer Mitte, es ist unsere Mitte. Das Allerheiligste in uns.
Wir müssen uns dorthin wenden, um uns zu erholen und zu neuer Kraft zu kommen, um Frieden zu finden. Wir müssen uns immer wieder dorthin wenden, wollen wir uns nicht ganz verlieren. In der Stille kommen wir in Beziehung zu uns selbst, zu anderen Menschen, zu Gott. Wir ahnen etwas vom Einssein, nach dem wir alle uns so sehr sehnen.
Sich dem "Unruhegürtel" stellen
Begibt man sich in die (äußere) Stille, wagt man es, sich ihr auszusetzen, dann begegnet man so manchem "Unruhegürtel" (Romano Guardini). Und man kommt mit Kräften in einem in Berührung, die den Weg in die innere Stille, ins Still-Sein, versperren. Auf dem Weg zu ihr begegnen wir unserem Schatten. Nicht-Gelebtes, Abgewehrtes und Verdrängtes, Schmerzliches und Leidvolles - Erlebtes wie Getanes … kommt ins Bewußtsein, zeigt sich, wird sichtbar und vor allem auch spürbar. Wenn wir uns ihm mutig stellen, wenn wir es an uns heranlassen und gleichzeitig auf die noch viel tiefere Wirklichkeit in uns, die Gegenwart Gottes, schauen, unseren inneren Blick auf sie richten, dann entdecken wir, dass all das Dunkle noch einmal umfangen und aufgehoben ist in Frieden, Freude und Glück. Alles ist gut.
Dieser Weg in die Stille ist oft abenteuerlich, manchmal gefährlich. Es ist hilfreich auf diesem Weg in die eigene Mitte begleitet und geführt zu werden. Jemand, der weiß, was und wem man da alles begegnen kann und wie man damit gut umgeht, ist Gold wert.