Man darf hoffen, und das ist ja schon etwas in der Kirche: Was wir seit dem 13. März 2013, als der argentinische Jesuitenkardinal Jorge Mario Bergoglio zum Papst gewählt wurde, an Aufbruch in der Kirche erleben, erinnert an einen Roman-Titel: "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" - der tschechische Autor Milan Kundera hat dieses (später meisterhaft verfilmte) Buch 1984 im Pariser Exil veröffentlicht. Wir verdanken die neue "Leichtigkeit" der mutigen und historischen Entscheidung von Papst Benedikt XVI., der Mitte Februar seinen Rücktritt angekündigt hatte, weil er sich seinem Amt nicht mehr gewachsen sah.
Das Ergebnis des Konklaves war eine veritable Überraschung, der erstmals in der Geschichte der Kirche gewählte Papst-Name Franziskus scheint sich tatsächlich als Programm herauszustellen. Die Worte "Barmherzigkeit" und "Zärtlichkeit" fielen seither wiederholt, und es sind nicht nur Vokabeln. Der 76-jährige, so frisch wirkende Papst füllt sie mit Inhalt: im Umgang mit den Menschen, in seinen einfachen, die Herzen erreichenden Ansprachen, die an den vor fünfzig Jahren verstorbenen "papa buono" Johannes XXIII. (1881-1963) erinnern, der auch "Pfarrer der Welt" (parocco del mondo) genannt wurde.
Dass nun alle Welt wissen will, wer der neue Papst ist, woher er kommt, wie er "tickt", wie er aufgewachsen ist, wie er als Jesuit sozialisiert wurde, wie er als Weihbischof, Erzbischof von Buenos Aires und als Kardinal (seit 2001) gewirkt und welche Akzente er gesetzt hat, war zu erwarten. Auch dass sich Verlage ein Wettrennen liefern würden, um als erster über die publizistische Ziellinie zu laufen - die dadurch entstandene (künstliche) Eile merkt man manchen Neuerscheinungen freilich auch an, aber das sind offenbar die Gesetze des Marktes bzw. des Boulevards, der bedient werden will. An dieser Stelle kann es nur um eine kleine Auswahl der inzwischen auf Meterware angewachsenen Bücher über den neuen Papst gehen, zu denen sich auch erste Übersetzungen von eigenen Büchern des früheren Jesuitenkardinals gesellt haben.
Da in den ersten Wochen nach dem Konklave von dem argentinischen Journalisten Horacio Verbitsky massiv über angebliche Verstrickungen von Jorge Mario Bergoglio SJ in die dunkle Zeit Argentiniens während der Zeit der Militärjunta berichtet wurde, ist es gut, aus anderen Quellen und vom Papst selbst zu hören, wie er die Jahre während der Militärdiktatur - General Jorge Rafael Videla, im Jahr 2012 zu 50 Jahren Haft verurteilt, ist am 17. Mai 87-jährig verstorben - beurteilt. Dass Bergoglio von Friedennobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel und von Leonardo Boff, von Bischof Erwin Kräutler CPPS und von Jon Sobrino SJ, zuletzt von Juan Carlos Scannone SJ, der mit ihm jahrelang Tür an Tür im Colegio Máximo de San Miguel gewohnt hatte, gegen den Vorwurf verteidigt wurde, er habe Mitbrüder im Stich gelassen, interpretierten nämlich manche Stimmen nach wie vor als "typisch kirchliche" Vorwärtsverteidigung und vatikanische, von Federico Lombardi SJ, dem Leiter des vatikanischen Presseamtes, gesteuerte "Propaganda" - eine absurde Unterstellung. Sind die Genannten wirklich keine Personen, denen man Glauben schenken und vertrauen darf?
Mein Leben, mein Weg
Die erste und beste Quelle zur Zeit ist zweifellos das Buch "Mein Leben, mein Weg": Gespräche mit Jorge Mario Bergoglio SJ, die die beiden Journalisten Sergio Rubin und Francesca Ambrogetti über einen Zeitraum von zwei Jahren geführt haben - zu einem Zeitpunkt, als noch keine Rede davon sein konnte, dass es bald ein neues Konklave geben könnte, aus dem der Interviewte als Papst hervorgehen würde. Das Original trägt den Titel "El Jesuita" (Der Jesuit), Untertitel "Conversaciones con el cardenal Jorge Bergoglio, sj" und ist 2010 erschienen1.
Außergewöhnlich an diesen Gesprächen sind die ungezwungene Offenheit, die Einfachheit und die verwendeten Bilder, die den damaligen Erzbischof von Buenos Aires auszeichnen, den wir jetzt als Papst Franziskus kennen. Dass das Buch ein Vorwort des Rabbiners Abraham Skorka2enthält, einem argentinischen Biophysiker und Rektor des lateinamerikanischen Rabbinerseminars, ist dem Umstand geschuldet, dass Bergoglio zuvor ein Vorwort für Skorkas Buch "Sobre el Cielo y la Tierra" (2006) beigesteuert hatte.
Die beiden Männer kennen und schätzen sich: "Dieses Buch", so der Rabbi, "ist das Lebenszeugnis Bergoglios. Es trägt im Original den Titel Der Jesuit. Noch lieber würde ich es Der Hirte nennen. Es nimmt nämlich viele in die Pflicht: die, mit denen er seinen Lebensweg teilte, und auf besondere Weise seine 'Herde'." (9) Diese Charakterisierung ist sozusagen die Brille, durch die man sich durch die anregenden Gespräche lesen kann - der Rabbi hat mittlerweile in einem ausführlichen Interview in der Zeitschrift "The Tablet" (London) über seine Freundschaft mit dem Papst Auskunft gegeben und wie dies die jüdisch-christlichen Beziehungen verändern könnte3.
In ihrem Vorwort berichten die beiden Journalisten, dass sich Bergoglio aufgrund seiner häufigen Besuche in den Elendsvierteln von Buenos Aires den Ruf erworben habe, auf der Seite der Armen zu stehen: "'Wir haben das Gefühl, er ist einer von uns', so erklärten die Menschen" (19). Seine jährlichen Botschaften beim traditionellen Te Deum am 25. Mai, dem argentinischen Nationalfeiertag, in der Kathedrale der Hauptstadt, wurden "zu einer Art ziviler Lehrkanzel mit großer Resonanz" (20) - von den Regierenden gefürchtet und schließlich gemieden, von Präsident Néstor Kirchner ebenso wie von der jetzigen Präsidentin, Cristina Fernández de Kirchner, die Bergoglio einmal als den heimlichen "Chef der Opposition" bezeichnete.
"Ich bin Jorge Bergoglio, Seelsorger", so sieht sich der Kardinal selber am liebsten, so würde er sich Fremden vorstellen: "Ich bin nämlich gerne Seelsorger." (128)
Fünfzehn Kapitel, einen Bildteil (zwischen den Seiten 128 und 129), einen Anhang ("Eine Reflexion im Anschluss an das argentinische Nationalepos Martín Fierro", 184-213), einen Lebenslauf Bergoglios (214-215) sowie ein hilfreiches Verzeichnis "Zu Personen und Sachen" (216-223) enthält das Buch. Familiäre Wurzeln, Kindheit und Jugend werden erzählt, die schwere Erkrankung an der Lunge als Chemietechniker, die "an die Begrenztheit des Menschlichen erinnert" (43). Babettes Fest, ein dänischer Film von 1987, wird als Lieblingsfilm, die Weiße Kreuzigung von Marc Chagall als Hoffnungsbild erwähnt. Ungeschminkt erfährt man, dass die eigene Mutter jahrelang brauchte, um den Entschluss des Sohnes, Priester werden zu wollen, akzeptieren konnte. "Durch Erbarmen auserwählend" wurde 1992 nicht nur zum Wahlspruch bei der Bischofsweihe, sondern "ist einer der Schlüssel zu meiner religiösen Erfahrung: der Dienst der Barmherzigkeit und die Erwählung von Menschen aufgrund eines Angebots - eines Angebots, das salopp so zusammengefasst werden könnte: 'Schau mal, du bist geliebt als du selbst, du bist erwählt, und das Einzige, was von dir verlangt wird, ist, dass du dich lieben lässt.' Das ist das Angebot, das ich erhalten habe." (54)
Keine drei Jahre nach der Priesterweihe (1969) zum Novizenmeister ernannt und schon im Alter von 37 Jahren zum Provinzial der argentinischen Jesuitenprovinz, gesteht der Kardinal ungeschönt ein: "und ich musste alles an Ort und Stelle lernen, anhand meiner Fehler. Denn eines stimmt, Fehler habe ich haufenweise begangen. Fehler und Sünden." (58) Kein Wunder, dass sich Bergoglio von einem Buchtitel eines italienischen Autors angesprochen fühlte: Teologia del Fallimento - Theologie des Scheiterns (vgl. 76 f.).
Stark sind die Passagen in Kapitel 7 über die Kirche, die auf die Menschen zugehen sollte (81-93): "Wir Kleriker sind in Gefahr, der Versuchung zu erliegen, Verwalter und nicht Hirten zu sein." (83) Oder: "Einer auf sich selbst bezogenen Kirche geschieht dasselbe wie einer nur auf sich selbst fixierten Person: Sie wird psychotisch und autistisch." (84) - Ähnliche Töne schlug Kardinal Bergoglio in der später veröffentlichten Rede im Vorkonklave an. Natürlich betont Bergoglio die Versuchung einer "Religion à la carte": "Man tauscht im religiösen Supermarkt einfach um, so wie man in einen anderen Bus einsteigt." (90) Er setzt auf eine missionarische Kirche und darauf, "was das Religiöse im Kern ist: Bewegung hin zu einer wirklichen Begegnung mit Jesus Christus" (91, vgl. später auch 98: "Der Glaube ist die Begegnung mit Jesus Christus."). Interessant ist in diesem Zusammenhang, wie der Kardinal die Befreiungstheologie einschätzt, die er in einem Atemzug mit der Volksfrömmigkeit erwähnt (vgl. 92 ff.).
Wenn man danach sucht, ob der Kardinal sozusagen "auf Linie" liegt, muss man alle diejenigen enttäuschen, die spektakuläre Aussagen zu heißen Eisen wie Abtreibung, Zölibat, Frauenweihe usw. erwarten. Und trotzdem begegnet man auch ganz pragmatischen Antworten, etwa wenn Bergoglio, kurz nachdem er den Zölibat zum Beispiel als "eine Lebensoption" (108) bezeichnet hat, auch betont, dass er Priester, deren Weg eine andere Richtung nimmt, nicht allein lasse und sogar helfe, eine andere Arbeit zu finden: "Was ich nicht durchgehen lasse, ist ein Doppelleben." (109)
Aufgrund der verwirrenden Berichte in den ersten Tagen nach seiner Wahl zum Papst wird man interessiert das Kapitel 14 "Argentiniens Weg durch die dunkle Nacht" (160-174) lesen, worin er auf die beiden Jesuiten Franz Jalics und Orlando Yorio zu sprechen kommt, der später den Orden verlassen hat und mittlerweile verstorben ist.
Seine Vision von Argentinien - Bergoglio selbst nennt sich einen "casalingo", italienisch für "häuslich" (vgl. 133: "Ich liebe Buenos Aires") - kommt im Anhang sehr anschaulich zur Sprache, in dem er das Nationalepos über den Gaucho Martín Fierro auf die argentinische Gesellschaft appliziert. Der Text stammt von Ostern 2002.
Man kann dem Verlag Herder dankbar sein, dass er mit einem halben Dutzend Übersetzern schnell eine deutsche Fassung dieses Buches vorlegen konnte, das mit wichtigen Positionen des neuen Papstes bekannt macht. Ergänzt werden die Aussagen durch eine weitere Übersetzung der Originalausgabe Mente abierta, corazón creyente: "Offener Geist und gläubiges Herz"4 - biblische Betrachtungen und Homilien, die die Verwurzelung des Papstes in der Heiligen Schrift zeigen, die er einfach auszulegen versteht. Mit diesem Buch lassen sich Exerzitien im ignatianischen Geist bestreiten.
Wer er ist, wie er denkt, was ihn erwartet
Eine Reihe von Biographien bringen den neuen Papst näher: Stefan von Kempis, Redakteur bei Radio Vatikan, legt einen opulenten Bildband5 vor: "Ein normaler Mensch ist Papst" (6), heißt es im Vorwort, ein Papst, der Tango liebt und einmal eine Freundin hatte - der Band befriedigt das Bedürfnis nach Bildern und ersten Erklärungen für das, was bisher zu sehen war. Der Autor sieht das Papstamt selbst an einem "Scheideweg" angekommen: "Entweder macht er so weiter wie früher, das heißt, er kehrt trotz aller Bekenntnisse zur Einfachheit und Konzentration auf das Wesentliche de facto zur Amtsausübung Johannes Pauls II. zurück." (152)
Die andere Möglichkeit: "Aber da ist auch noch die zweite Form des Papstamtes, deren Möglichkeiten sich jetzt unter Franziskus abzeichnet. […] ein Papst-Sein, das sich auf das Wesentliche zurückbesinnt, das ihm zugefallene Aufgaben abstößt und auf andere Schultern (namentlich bischöfliche) weiterverteilt." (153) Die Frage dazu kann man nachvollziehen, und man darf hoffen: "Er hat einen neuen Stil ins Petrusamt gebracht. Aber was wird er an der Substanz des Amtes ändern?" (152)
Drei weitere Bücher weisen sich als Porträts und Biographien aus. Das Rennen machte noch im März der vom Verlag Kösel als "Vatikan-Experte" vorgestellte Journalist Simon Biallowons6: Er schildert den neuen Papst als "Außenseiter aus Argentinien" (8)
Ausgehend vom Erbe Benedikts XVI., dem "Bestseller-Papst" (13), wird zunächst eine Zustandsbeschreibung der Situation der Kirche versucht und dann auf das Konklave mit dem überraschenden Ergebnis eingegangen. Auf knapp 20 Seiten wird der bisherige Lebensweg geschildert. Dann geht es um den neuen Papstnamen Franziskus. Dazu kontrastieren die verschiedenen Papsttitel (100-107), die im Annuario Pontificio aufgelistet sind, beginnend mit "Vescovo di Roma". Der neue Papst scheint bisher nur "Bischof von Rom" und den letzten Titel ("Servo dei servi di Dio") auf sich zu beziehen - in der Tat fängt er ganz unten an: als "Diener der Diener Gottes". Und das wirkt erfrischend, nach einem eher steifen, unnahbaren, protokollarisch abgeschirmten Papst.
"Worum es geht: Die Herausforderungen für Papst Franziskus" (108-146) ist eine eilig zusammengestellte Liste, die von Neuevangelisierung über drängende Fragen wie Aids, Homosexualität, Zölibat und die Rolle der Frau, bis zu den Missbrauchsfällen, dem Problemfall Piusbruderschaft und der Kurienreform als "Jahrhundertaufgabe" (138) reicht. Der vorletzte Teil versucht eine "Agenda" zu erstellen: "Das steht an" (147-152), weniger schlüssig und inhaltsvoll als der vorige Teil. Und schließlich sind am Ende verschiedene Stimmen und Einschätzungen zur Wahl des neuen Papstes gesammelt, neben kirchlichen auch die des deutschen Bundespräsidenten oder zum Beispiel aus der Jüdischen Allgemeine - die Zusammenstellung wirkt etwas bemüht und hat eher den Charakter eines Platzfüllers.
Immerhin: Das Buch von Biallowons liest sich leicht, wenn man keine allzu großen Erwartungen in es setzt. Es ist das Produkt einer "schnellen Schreibe", Kollege Johannes Röser sprach von einem "Schnellschuss", der "inhaltlich mit diesem oder jenem manchmal eher Zufälligen aufgeblasen wurde"7.
Dies trifft indes noch viel mehr auf das von Mario Galgano veröffentlichte Papstbuch "Franziskus"8 zu, das sich mit vielen Fotos und kurzen Texten präsentiert - und ebenfalls bzw. noch viel mehr ein Schnellprodukt ist, das den Markt der Neugierigen befriedigen will, auch wenn man praktisch nichts über das hinaus erfährt, was in den ersten Wochen nicht schon in Tages- und Kirchenzeitungen, Nachrichtenagenturen oder im Fernsehen zu erfahren war. Aber immerhin: Es ist leichte, augenfällige Lektüre.
Seriöser kommt die letzte hier anzuzeigende, innerhalb weniger Tage in zweiter Auflage erschienene Biographie daher, geschrieben von einem der wohl bekanntesten deutschen Vatikanexperten: Andreas Englisch9. Dieser beginnt mit der Bemerkung, der ehemalige Kardinal sei "immer ungern nach Rom" gekommen, aber wenn, dann immer aus demselben Grund: "weil die Kurie ihm das Leben in Buenos Aires wieder einmal unmöglich gemacht hatte. […] Bergoglio hatte die unangenehme Eigenschaft, dass er nicht einfach mit sich machen ließ, was die Kurie vorhatte." (9)
Der letzte Konflikt, so Englisch, lag erst einige Monate zurück, und die Kontrahenten hießen Bergoglio und Ettore Ballestrero, Zweiter Sekretär des Staatssekretariats - und verlängerter Arm von Tarcisio Bertone SDB, dem Kardinalstaatssekretär: "Ballestrero hatte Bergoglio wieder einmal vorgeworfen, dass dieser die besten Priester in die Slums schickte anstatt in die teuren Eliteschulen der katholischen Kirche für die Oberschicht oder in die Pfarreien der eleganten Stadtviertel von Buenos Aires oder gar nach Rom, wo wegen des Priestermangels dringend Nachwuchs gebraucht wurde." (10)
Andreas Englisch behauptet, dass Bergoglio wegen seiner Option für die Armen im Vatikan als "Versager" gegolten habe, als "Mann, der keine Ahnung hat, wie man eine Diözese lenkt" (11). Mit der Annahme seines mit Erreichen des 75. Lebensjahres vom Kirchenrecht gebotenen Rücktritts sei also zu rechnen gewesen, spätestens im Sommer 2013. Und nun ist dieser Kardinal-Erzbischof zum Papst gewählt worden!
Englisch zeichnet zunächst ("Die Sensation Franziskus", 9-25) das Bild eines Antikurialen, der im Konklave unbedingt verhindert werden sollte: vom mächtigen Kardinalstaatssekretär, dem viele Kardinäle ("die gemessen an einem Genie wie dem Philosophieprofessor Bergoglio kaum bis drei zählen können", 13) viel verdankten. Dieser Abschnitt wirkt etwas mysteriös, geheimnistuerisch - erst recht, wenn man sich bewußt hält, dass die Kardinäle heilige Eide schwören, bei der Strafe der Exkommunikation, keine Details aus dem Konklave zu verraten.
Es folgen Abschnitte über Skandale und Indiskretionen im Vatikan ("Der verhängnisvolle Schreibtisch", "Korruption und Geldwäsche in Vatikan und Kirche", "Der Fall Gabriele und die Folgen" usw.), die Benedikt XVI. zermürbt und zur Aufgabe seines Amtes bewogen hätten, über den Einfluß der US-Kirche als (neben Deutschland) einer der größten Geldgeber des Vatikans - durchaus spannend geschrieben. Dann Vermutungen über die Einsamkeit von Benedikt ("Das Gefängnis des Joseph Ratzinger") und "Schatten über dem Konklave", unvermeidlicherweise ein Exkurs über "Kirche und Sex" und etliche Abschnitte mit Geschichten und Geschichtchen im Vorfeld und Umfeld des Konklaves. Fünf Kandidatenpools sind in eigenen kurzen Teilen genannt: Italiener, Amerikaner, Deutsche, Afrikaner, Lateinamerikaner. Man erfährt, dass innerhalb der Kurie "eine gewisse Panik" ausgebrochen sei: "Wer würde die Reform der Kurie überleben, und wer würde gefeuert werden?" (197)
Und schließlich liest man viele gut recherchierte Informationen über den argentinischen Jesuitenkardinal, seine Ordenslaufbahn, sein Verhältnis zur Befreiungstheologie und seine herausragende Stellung bei der fünften CELAM-Versammlung im brasilianischen Aparecida im Jahr 2007, seine "politsche" Stellung ("Sohn des peronistischen Argentiniens"), einen Exkurs über Deutschland und Israel usw. Der vorletzte berührende Teil handelt über die Begegnung von Franziskus mit dem zurückgetretenen Benedikt XVI. in Castel Gandolfo am 23. März. Und schließlich: "Ostern 2013: Neue Töne im Vatikan", wo sich übrigens ein Fehler eingeschlichen hat, weil unter den zwölf Strafgefangenen, denen der neue Papst am Gründonnerstag im Jugendgefängnis Casal del Marmo zwar zwei Mädchen waren, aber nur eine von ihnen war (bosnische) Muslima, die andere eine italienische Katholikin - Englisch schreibt von zwei muslimischen Mädchen im "Jugendknast" (281).
Schlussakkord: "Ein neues Zeitalter ist angebrochen im Vatikan, ein radikaler Schritt ist vollzogen." (283) Es wird sich allerdings erst zeigen müssen, ob eine "revolutionäre Wende" (287) etwa bei der Frage der Zulassung Wiederverheirateter Geschiedener wirklich möglich ist und kommt, aber damit hat Andreas Englisch schon recht: "Die revolutionäre Botschaft, die Franziskus in den Vatikan getragen hat, lautet, dass es keiner hohen Theologie bedarf, um zu zeigen, was Gott den Menschen sagen will: Seid barmherzig, schützt die Schwachen, die Kinder, die Kranken, liebt die Menschen so, wie Gott die Menschen liebt, stiftet Frieden, und hört nie auf, euch nach Gerechtigkeit zu sehnen." (287) Der letzte Satz könnte, mit Verlaub, von einem Jesuiten stammen: "Doch bevor ihr Gott um Hilfe bittet: Krempelt eure eigenen Ärmel hoch und macht die Welt besser!"
Das ist ein schöner Schluss, aber der gut informierte Journalist Andreas Englisch ist realistisch genug, um zu wissen, wo die Stellschrauben zu finden sind: "Entscheidend für den Kampf um die Macht wird auch für Papst Franziskus das Staatssekretariat sein." (51) Vielleicht lässt sich der neue Papst deswegen Zeit mit der Ernennung eines Nachfolgers für den glücklosen Pannen-Kardinalstaatssekretär Bertone.
Franziskus und sein Vorbild: der Poverello von Assisi
"Außer Kokurrenz" sei noch - zugegeben, in eigener Sache - auf einen Bildband hingewiesen10, den der renommierte Münchner Kunstverlag Hirmer aus dem Boden gestampft hat, indem er einen Kapuziner und einen Jesuiten zwischen zwei Buchdeckel spannte und den Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, für ein Vorwort gewann, der sozusagen als "Novize", also erstmals, an einem Konklave teilnahm.
Von dem Schweizer Kapuziner Niklaus Kuster, der an den Universitäten Luzern und Fribourg sowie an den Ordenshochschulen in Madrid und Münster doziert, ein ausgewiesener Experte über Themen franziskanischer Spiritualität und Geschichte ist und bereits mehrere Bücher über den heiligen Franziskus und Klara von Assisi verfaßt hat, stammt der Artikel "Dem Leben und den Spuren der Apostel folgen", in dem er Leben und Spiritualität des Franziskus von Assisi vorstellt (27-71). Der kundige Beitrag stammt aus einem Ausstellungskatalog von 2011, angereichert mit sehr eindrucksvollen Giotto-Bildern in bester Qualität.
Aufgabe des Verfassers dieser Literatur-Umschau war es, Papst Franziskus bzw. die "zwei Grundtöne: ignatianisch und franziskanisch" kurz vorzustellen: "Ein Name als Programm: Papst Franziskus" (13-23). Und der Konklaveteilnehmer Reinhard Marx befindet im Vorwort (7-9): "Zum ersten Mal in der Geschichte wählt ein Papst diesen vermeintlich schwachen und in seiner Demut starken Heiligen, der uns in seiner radikalen Art, das Evangelium zu leben, zugleich fasziniert und erschreckt und dadurch infrage stellt, der uns mit dem quälenden Widerspruch von Ideal und Wirklichkeit konfrontiert, uns aber dennoch immer wieder hoffen lässt, dass Träume zu Visionen und Visionen zu Wirklichkeiten werden können." (8)
Zwischen Ideal und Wirklichkeit
Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, ob die in den neuen Papst gesetzten Hoffnungen Teilrealisierungen erfahren können. Franziskus wird auch enttäuschen (müssen) - er kann die Kirche und ihre Doktrin nicht neu erfinden, manche Erwartungen sind vor dem Hintergrund eines regelrechten Papst-Hypes maßlos übertrieben. Wie sehr die Namenswahl wirklich (und wirksam) Programm sein kann, wird sich herausstellen11. Eines stimmt aber sicher: "New Pope, New Hope"12. Die in London erscheinende Zeitschrift "The Tablet" greift hoch, wenn sie die Wochen seit dem 13. März mit dem Wiedererwachen eines Tieres nach dem Winterschlaf vergleicht und in Richtung pastoraler wie theologischer Minenfelder meint, eines wäre doch jetzt möglich: "Thinking the Unthinkable"13.