Nach der Synode ist vor der Synode: Das sagt Papst Franziskus ebenso wie der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx. Und es sind keine Phrasen. Die Zeiten inhaltloser Rhetorik, die ewig Bekanntes wiederholt, die sich in Ergebenheitsadressen erschöpft und dabei sich selbst zitiert, scheinen endgültig vorbei zu sein.
Der Weg ("cammino"), der am 13. März 2013 begonnen hat, gewinnt an Konturen. "Evangelii gaudium", das Apostolische Schreiben vom Christkönigsonntag 2013, ist die "roadmap" dieses Pontifikats; es wird zitiert - aber was folgt daraus? Reine Selbstgefälligkeit, Klerikalismus, um sich selbst kreisende Geschäftigkeit - im Vorkonklave sprach der argentinische Kardinal Jorge Mario Bergoglio SJ, damals Erzbischof von Buenos Aires, bekanntlich von "autoreferencialidad" - kann (und will) nicht sehen, dass die Kirche auf dem Weg in die Moderne ist, dass sie neue Antworten und neue Methoden sucht im Umgang mit den alten Problemen - auch wenn es mittlerweile spürbaren Widerstand gegen den Kurs des Papstes innerhalb der Kirche gibt, dessen Wahl manche bereits einen "Betriebsunfall" nennen. Wäre denn, was wir seit Mitte März 2013 sehen und erleben, umkehrbar?
Bemerkenswert war die Vorgeschichte der vom 5. bis 19. Oktober dauernden außerordentlichen Bischofssynode. Bemerkenswert war ihr Verlauf - mit einem zu großen Hoffnungen berechtigenden Zwischen- und einem eher verhaltenen Schlussbericht. Bemerkenswert ist der mit dem Abschluss der Synode verbundene Arbeitsauftrag. "Am Ende", so Kardinal Marx, "steht für mich fest: Der synodale Weg geht weiter!"
"Zwei Schritte vor und einer zurück"
Der Erzbischof von München und Freising, zusammen mit der Leiterin der Ehe- und Familienseelsorge in Berlin, Ute Eberl, Mitglied der Versammlung, zog eine positive Bilanz: "Wir haben eine spannende Synode erlebt mit einer offenen und freimütigen Diskussion. Dabei sind unterschiedliche Positionen hervorgetreten und Schwierigkeiten gerade im weltkirchlichen Kontext wurden nicht verschwiegen. Gleichzeitig konnten aber auch Chancen und Herausforderungen debattiert werden. Das hat auch das Abschlussdokument der Bischofssynode gezeigt."1
Im kna-Interview, noch in Rom, verwies Marx darauf, die Synode habe "klare Fortschritte" gebracht. Zugleich räumte er mit Blick auf den Abschlussbericht, dem heftige Diskussionen vorausgegangen waren, ein: "Insofern war das tatsächlich zwei Schritte vor und einer zurück."2Damit griff er den zuvor von ihm verwendeten Vergleich mit der "Echternacher Springprozession" wieder auf. Am Wichtigsten ist für den Kardinal: "Es ist über vieles gesprochen worden, was vorher auf weltkirchlicher Ebene nicht so offen diskutiert wurde. Das Ergebnis ist ein Auftrag für die nächste Zeit. Nach der Synode ist also vor der Synode. Der Papst will, dass die Ortskirchen sich mit den Themen beschäftigen."3
Papst Franziskus hatte in seiner Schlussansprache - man konnte von einem "Paukenschlag" lesen - festgestellt: "[W]ir haben jetzt noch ein Jahr, um die hier vorgeschlagenen Ideen in einer wirklichen geistlichen Unterscheidung reifen zu lassen und konkrete Lösungen für alle Schwierigkeiten und die unzähligen Herausforderungen zu finden, welchen die Familien begegnen müssen; Antworten zu geben auf die vielen Entmutigungen, welche die Familien umgeben und einschnüren. Ein Jahr, um an der 'Relatio Sinodi' zu arbeiten, welche die getreue und deutliche Widergabe dessen ist, was in dieser Aula und in den Arbeitskreisen gesagt und diskutiert wurde."4
Das Instrument Synode - neu
Die zurückliegende Synode ist "work in progress" - im Blick auf die im Oktober 2015 beginnende ordentliche Bischofssynode. Sie ist also nicht einfach passé, sie geht weiter, auf ortskirchlicher Ebene, sie ist ein Arbeitsauftrag. Die Zeit gilt es zu nutzen. Und: Es geht wirklich um einen synodalen Weg. Die Zeiten, als mit großem Aufwand Bischöfe wochenlang berieten, Jahre später ein nachsynodales Schreiben des Papstes dazu erschien, das oft wenig von den Debatteninhalten der Synode verriet, sind vorbei. Diese Art von innerkirchlichem Debattenritual hat sich als unfruchtbar erwiesen.
Der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn OP, der auf der Synode an das bekannte Prinzip der "Gradualität", auch im Umgang mit Ehefragen, erinnert hatte, stellte in einem Interview in der Dezember-Ausgabe der "Herder Korrespondenz" freimütig fest: "Ich bin von der Synode sehr motiviert und 'energized' zurückgekehrt, weil ich es ganz schlimm gefunden hätte, wenn die Spannungen nicht herausgekommen wären. Ich habe zu oft erlebt, dass in Bischofsversammlungen und in Synoden Süßholz geraspelt wird, dass sich keiner eine Blöße geben will, Diskurse, in den x-mal Gehörtes einfach wiederholt wird, wo man sich nicht traut, offen zu sagen, wo der Schuh drückt, wo Nöte sind. Dass wir heute anders reden, ist Papst Benedikt zu verdanken. Er hat schon begonnen, die Synodenabläufe zu lockern, in dem er das 'freie Mikrophon' eingeführt hat. Aber vor allem sein Rücktritt, mit der klaren Ansage, nicht mehr die Kraft zu haben für das Amt, hat zu einer Befreiung des Wortes geführt. Ich habe in dem Präkonklave nach seinem Rücktritt so ein offenes und freies Reden unter den Kardinälen erlebt wie noch nie zuvor."5
In seiner Eröffnungsansprache hatte der Papst die Versammelten ermutigt, sich nichts vorzumachen: "Eine Grundbedingung dafür ist es, offen zu sprechen. Keiner soll sagen: 'Das kann man nicht sagen, sonst könnte ja jemand von mir so oder so denken ...' Alles muss ausgesprochen werden, was jemand sich zu sagen gedrängt fühlt!" Seine eigene Rolle definierte er dabei so, dass seine Anwesenheit gleichsam garantieren solle, dass nicht aneinander vorbei geredet werde: "Gleichzeitig sollte man auch mit Demut zuhören und mit offenem Herzen aufnehmen, was die Brüder sagen. Mit diesen beiden Haltungen (offenem Reden und bereitem Hinhören) übt man die Synodalität aus. Und darum bitte ich euch herzlich um diese brüderlichen Haltungen im Herrn: Sprecht mit Freimut und hört mit Demut! Und tut dies in aller Ruhe und in Frieden, denn die Synode entwickelt sich immer cum Petro et sub Petro. Die Anwesenheit des Papstes ist eine Garantie für alle."6
Bereits im ausführlichen Interview mit Antonio Spadaro SJ im August 2013, fünf Monate nach seiner Wahl, hatte Papst Franziskus auf die Notwendigkeit der Erneuerung des Instruments Synode in der Kirche hingewiesen: "Man muss gemeinsam gehen: Volk, Bischöfe, Papst. Synodalität muss auf verschiedenen Ebenen gelebt werden. Vielleicht ist es Zeit, die Methode der Synode zu verändern, denn die derzeitige scheint mir statisch. Das kann dann auch einen ökumenischen Wert haben - besonders mit unseren orthodoxen Brüdern. Von ihnen kann man noch mehr den Sinn der bischöflichen Kollegialität und die Tradition der Synodalität lernen."7
Gesagt, getan. Schon die Ankündigung der außerordentlichen Synode zum Thema "Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Rahmen der Evangelisierung" überraschte. Ungewöhnlich, neu, wenn nicht sensationell, war die im Herbst 2013 vorgeschaltete Umfrage unter Katholikinnen und Katholiken, ein Novum in der Kirchengeschichte: Der Papst wollte wirklich wissen, wie die Menschen in Sachen Ehe- und Sexualmoral denken.
Das Ergebnis war nicht wirklich eine Überraschung. Überraschend war allenfalls die erdrückende Evidenz, jedenfalls im deutschen Sprachraum: eine tiefe Kluft zwischen kirchlicher Lehre und Lebenspraxis. Die meisten Gläubigen können mit den Standpunkten der Kirche in Sachen Sex, Verhütungsmittel, Scheidung, Homosexualität usw. nichts mehr anfangen.
Ein Fragenkatalog war an Bischofskonferenzen und Orden geschickt worden. Nicht überall wurde die Umfrage professionell abgewickelt. Manche Bischöfe meinten, sie müssten ihre Gläubigen gar nicht erst befragen und könnten direkt nach Rom rückmelden, was ihre "Schäfchen" dachten bzw. zu denken haben. Das ging gründlich daneben. Die deutschen Bischöfe veröffentlichten die Ergebnisse der Umfrage und fassten diese auf zwanzig Seiten für den Vatikan zusammen.
Das im Juni 2014 vorgestellte "Instrumentum laboris"8, das Arbeitsinstrument der Synode, gab erste Hinweise, in welche Richtung es gehen könnte. Allgemein wurde ein Aufbruch erwartet. Im Vorfeld hatte Kardinal Walter Kasper auf Wunsch des Papstes im Konsistorium vom Februar 2014 eine sehr offene Rede gehalten und heikle Themen angesprochen9. Seine Rede ist auch auf Widerstand gestoßen; andere ergänzten um weitere Fragen10. Der emeritierte Münchner Moraltheologe Konrad Hilpert plädierte in den "Stimmen der Zeit" für eine andere Form der moralischen Kommunikation und berief sich dabei auf das Apostolische Schreiben "Evangelii gaudium", worin der Papst in Zusammenhang einer umfassenden Evangelisierung davon gesprochen hatte, "Prozesse in Gang zu setzen anstatt Räume zu besitzen" (EG 223)11.
Eine geistliche Unterscheidung - unverkennbar eine ignatianische Methode, die jedoch nicht nur in den Exerzitien zur Anwendung kommt - steht jetzt also an, und der Papst aus dem Jesuitenorden macht damit deutlich, dass die kommenden Monate zu nutzen sind. Aber wie?
Kirche der unterschiedlichen Geschwindigkeiten?
Am Ende der Synode sprach der Papst beide Lager an, die sich unübersehbar gebildet hatten - seine Ausführungen wurden da und dort als "Paukenschlag" gewertet: "Gelassen kann ich sagen, dass wir im Geist der Kollegialität und der Synodalität wirklich eine Erfahrung von 'Synode' gemacht haben, einen gemeinsamen Weg (Synode griechisch: gemeinsam gehen)"12, resümierte er zunächst.
Die Erfahrung eines gemeinsamen Weges sah der Papst allerdings auch ambivalent: "Und weil es ein Weg war, gab es wie bei allen Wegen Momente von großer Geschwindigkeit, als ob man gleichsam die Zeit besiegen wollte und mit größter Geschwindigkeit zum Ziel kommen wollte. Es gab andere Momente der Müdigkeit, als ob man sagen wollte, dass es jetzt reicht; es gab wiederum andere Momente des Enthusiasmus und des Fleißes. Es gab Momente des Trostes, beim Hören auf die Zeugnisse wahrer Hirten (Joh 10), die in ihren Herzen weise die Freuden und die Tränen ihrer Gläubigen tragen. Es gab Momente der Gnade und des Trostes beim Hören auf die Zeugnisse der Familien, die an der Synode teilgenommen haben und mit uns die Schönheit und die Freude ihres Lebens als Eheleute geteilt haben. Ein Weg, bei dem der Stärkste sich verpflichtet fühlte, dem Schwächsten zu helfen, wo der beste Experte den anderen gedient hat, auch in der Auseinandersetzung. Und weil es ein Weg von Menschen war gab es auch Momente des Misstrostes, der Spannung und der Versuchung, von denen man vielleicht die Folgenden nennen könnte."13
Er zählte dann eine Reihe von Versuchungen auf, die er wahrgenommen habe: Die "Versuchung der feindlichen Erstarrung": "Das ist der Wunsch, sich im Geschriebenen einzuschließen […]. Im Gesetz einschließen, in der Sicherheit dessen, was wir wissen und nicht dessen, was wir noch lernen und erreichen müssen. Das ist die Versuchung der Eifrigen, der Skrupulösen, der sogenannten 'Traditionalisten' und auch der Intellektualisten."
Ferner die "Versuchung des zerstörerischen Gutmenschentums, das in Namen einer falschen Barmherzigkeit die Wunden verbindet, ohne sie zuvor zu behandeln […]. Es ist die Versuchung der 'Gutmenschen, der Ängstlichen und auch der so genannten Progessiven und Liberalen'."
Sodann die "Versuchung, Steine in Brot zu verwandeln, um ein langes, schweres und schmerzhaftes Fasten zu beenden" sowie die "Versuchung: Brot in Steine zu verwandeln und sie auf die Sünder zu werfen, die Schwachen und die Kranken".
Weiter die "Versuchung, vom Kreuz herunter zu steigen, um den Menschen zu gefallen […]; sich vor dem Geist der Weltlichkeit zu verbeugen anstatt sich zu reinigen und vor dem Geist Gottes zu verneigen."
Und schließlich die "Versuchung, das 'depositum fidei' zu vernachlässigen und sich selber nicht als Hüter, sondern als Besitzer und Herren zu verstehen oder andererseits die Versuchung, die Realität zu vernachlässigen und eine einengende Sprache zu benutzen und so zu sprechen, dass man viel redet und nichts sagt!"14
Realist genug, meinte der Papst zusammenfassend, solche Versuchungen dürften "nicht erschrecken, nicht befremden, aber auch nicht entmutigen": "Ich persönlich wäre sehr besorgt und betrübt, hätte es diese Versuchungen und diese emotionalen Diskussionen nicht gegeben; das sind Bewegungen des Geistes, wie sie der Heilige Ignatius nennt. Wir hätten alle einverstanden oder schweigsam in einem falschen und ruhigen Frieden bleiben können. Stattdessen habe ich mit Dank und Freude Beiträge und Diskussionen gehört, die voller Glauben sind, voller Einsatz für Pastoral und Lehre, voller Weisheit, Offenheit, Mut und Parrhesia (Freiheit des Wortes)."
Für Papst Franziskus sind solche Versuchungen und Spannungen normal, sie sind für ihn kein Zeichen von Spaltung, sondern von lebendiger Suche nach Wegen: "Das ist Kirche […]. Sie beobachtet die Menschheit nicht aus einer Burg aus Glas, um die Menschen zu klassifizieren oder zu richten. Das ist die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche, die aus Sündern besteht, die Seine Barmherzigkeit brauchen." Denn: "Und wenn die Kirche, in der Verschiedenheit ihrer Charismen, sich gemeinschaftlich ausdrückt, dann kann sie nicht irren"15.
Ein Arbeitsauftrag …
Der Bischof von Rom ist sich seiner besonderen Rolle bewusst. Er nimmt sie keineswegs nur als Moderator wahr, wie es nach außen manchmal den Anschein haben mag. Er bringt die verschiedenen Parteien und Parteiungen miteinander ins Gespräch - um voranzukommen und nicht auf der Stelle zu treten. "Avanti" ist dabei eines seiner Lieblingswörter. Die Synode war eine realistische Bestandsausnahme. Was sich auf der Synode zeigte, versteht der Papst als Arbeitsauftrag, weswegen er auch von einem "Jahr […] einer wirklichen geistlichen Unterscheidung" sprach, wie oben ausführlich zitiert.
Mittlerweile gibt es eine Reihe von Vorschlägen, wie weiter vorzugehen sei. Ob man die außerordentliche Synode nun als Probelauf für die ordentliche Synode im Oktober 2015 versteht oder anders sieht, läuft im Ergebnis auf dasselbe hinaus. Deutlich wurde, dass sich Bischöfe aus unterschiedlichen Kulturen, mit unterschiedlichen Mentalitäten und mit unterschiedlicher theologischer Sozialisation nicht leicht tun, Konsense zu erarbeiten, eine gemeinsame Sprache zu finden, in einer Art und Weise miteinander zu ringen, die nicht Gewinner und Verlierer produziert, sondern erkennen lässt, dass es um neue pastorale Wege geht.
Komplexe Lebenssituationen erfordern komplexe Lösungen, die nicht aus einfachen Katechismuswahrheiten abgeleitet werden können. Der Verweis auf das Kirchenrecht erscheint nicht immer hilfreich bzw. die ultima ratio zu sein, wenn man wirklich das "Heil der Seelen" (salus animarum) vor Augen hat. Klar ist: Jeder Text ist schlussendlich, ähnlich wie auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, ein Kompromisstext. Christopher Lamb vom Londoner "Tablet" schrieb von einem "pastoralen Erdbeben" und zeigte sich nicht überrascht davon, dass am Ende ein Kompromiss stand, der "unvermeidlich" gewesen sei - wobei ja durchaus bemerkenswert ist, dass der Papst selbst darauf drang, alle Abstimmungsergebnisse der 62 Paragraphen zu veröffentlichen, um nach außen ein Bild von der Lage in der Synodenaula abzugeben: "Given the 'pastoral earthquake' that took place halfway through the Synod of the Family, perhaps it was inevitable that there would have to be compromise at the end."16
Haben diejenigen recht oder sollen diejenigen recht behalten, die meinen, das Lehramt habe sich in einem Maße isoliert, dass es völlig unwirksam geworden sei? Die Synode zeigte: Wo Bischöfe von persönlichen Lebenserfahrungen ausgingen, die eigene familiäre Herkunft ins Spiel brachten, die Gebrochenheit und Leid genauso kennt wie in anderen Familien, kommt Bewegung ins Spiel - das ist vielleicht die wichtigste Beobachtung. Justament-Standpunkte, untergriffige Behauptungen, wie sie von gesprächsfreudigen Synodenteilnehmern bekannt wurden, erwecken den Eindruck eines Grabenkampfes, der die Lebensrealität nicht ernst zu nehmen scheint. Subtile Hinweise, geschickt lanciert, auch der Papst könne sich nicht über das Wort Jesu stellen oder gegen ein Konzil, arbeiten mit Unterstellungen. Bis hin zu dem absurden Gerücht, die Papstwahl vom März 2013 sei kirchenrechtlich ungültig. Dass im Gefolge der Synode - im Politikteil einer überregionalen Tageszeitung - von einem "Kampf um Rom"17 die Rede war, kann von daher nicht überraschen.
Intervention "von (fast ganz) oben"?
Zufall oder nicht: Viel Staub aufgewirbelt hat unmittelbar nach Abschluss der Synode das Erscheinen von Band 4 der "Gesammelten Schriften" Joseph Ratzingers. Das Vorwort datiert zwar vom 19. März 2014. Doch erschienen ist der Band erst nach der Synode. Er enthält den 1972 veröffentlichten Beitrag "Zur Frage nach der Unauflöslichkeit der Ehe", allerdings mit völlig anderen Schlussfolgerungen18. In den bibliografischen Angaben findet sich dazu die Notiz: "der Beitrag wurde vom Autor für JRGS 4 vollständig überarbeitet"19. Der zeitliche Zusammenfall mit der eben zu Ende gegangenen Synode, auf der das Thema wiederverheiratete Geschiedene ebenso heftig wie kontrovers debattiert worden war, blieb nicht verborgen und wurde von etlichen Kommentatoren als Intervention gewertet. Erstaunlich und bemerkenswert zugleich: Die Meldung landete auf Seite 1 der "Süddeutschen Zeitung": "Die Änderung liest sich nun wie eine Antwort auf seinen Mitbruder und Konkurrenten Walter Kasper. Der Papa emeritus hätte damit sein Versprechen gebrochen, sich nicht mehr in die Kirchenpolitik einzumischen."20 Selbst die Katholische Nachrichtenagentur titelte: "Papst em. korrigiert Prof. Ratzinger"21.
Ob man so weit gehen muss wie der Münsteraner Kirchengeschichtler Hubert Wolf, der aus diesem Anlass vorschlug, der frühere Papst Benedikt XVI. sollte - vor dem Hintergrund zweier historischer Modelle von 1417 und 1449 - die weißen Papstgewänder ablegen und wieder auf die rote Kardinalsgewandung zurückgreifen, sei dahingestellt. Bedenkenswert sind zwei Bemerkungen: "Die symbolische Kommunikation durch Kleidung und Rituale ist nicht selten wirkmächtiger als alle abgezielten theologischen Argumente."22 Und, unisono mit den meisten anderen Beobachtern: "Damit positioniert er sich eindeutig in der aktuellen Debatte."23
Differenzierter und in gewisser Weise listiger sein Freiburger Kollege auf dem Lehrstuhl für Moraltheologie, Eberhard Schockenhoff, in der "Herder Korrespondenz", wo die beiden Passagen von 1972 und 2014 im Anschluss an die Analyse abgedruckt sind24: "In einem Punkt sind die Ausführungen des Artikels, sofern man die beiden Fassungen synoptisch nebeneinander hält, aber dennoch von hoher Relevanz für die aktuelle Kontroverse. Sie widerlegen nämlich ungewollt den stärksten Einwand der konservativen Gruppe auf der Bischofssynode in Rom, den diese gegen die Zulassung von in zweiter Ehe lebenden Christen zum Kommunionempfang auch öffentlich immer wieder vorbringt. Papst Benedikt XVI. / Joseph Ratzinger ist in seiner Person der beste Beweis dafür, dass die Kirche durch eine derartige Änderung ihrer liturgischen Praxis keineswegs ihrer Glaubensüberzeugung von der Unauflöslichkeit der Ehe untreu würde. Es ist nämlich kaum davon auszugehen, dass der junge Theologieprofessor Ratzinger, als er diesen Vorschlag unterbreitete, auch nur im Geringsten daran zweifelte, dass die Ehe zwischen Getauften nach der Lehre der Kirche unauflöslich ist. Vielmehr zielt der gesamte Duktus seiner damaligen Überlegungen auf den Nachweis, dass eine fallweise Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten nicht im Widerspruch zur eigentlichen Grundnorm der kirchlichen Lehre stünde; er möchte die Komplexität des Überlieferungsbefundes aufzeigen, um aus seiner Doppelgleisigkeit ein traditionsgeschichtliches Argument für seinen eigenen Vorschlag abzuleiten. Diese Klarstellung kann für die gegenwärtige Debatte äußerst hilfreich sein. Denn sie führt zu einer Entdramatisierung, die den eigentlichen Konfliktpunkt präziser benennen lässt, als es in der Argumentationsstrategie derer häufig geschieht, die die bestehende Praxis der Kirche als einzige dem Evangelium entsprechende Möglichkeit verteidigen wollen. Es geht nicht um ein Ja oder Nein zur Unauflöslichkeit der Ehe, nicht um Treue oder Abfall gegenüber kirchlichen Glaubensüberzeugungen, sondern um einen angemessenen seelsorglichen Weg, der den in zweiter Ehe lebenden Christen Gottes Versöhnungsangebot vermittelt und sie seine Barmherzigkeit erfahren lässt, ohne dies an für sie unerreichbare Bedingungen zu knüpfen."25
Unterm Strich bleibt der Eindruck: "So oder so: Benedikt ist aus dem Schweigen getreten. Mit welchen Folgen, wird sich zeigen."26
Ein notwendiger Perspektivenwechsel …
Es geht jetzt, zwischen den beiden Synoden, um einen echten Perspektivenwechsel, wie ihn schon "Evangelii gaudium" für die gesamte Kirche anpeilt27. Kardinal Schönborn spricht in dem genannten Interview von einer "als Expertin geladenen Teilnehmerin" der Synode, die gesagt habe: "Liebe Herren Bischöfe, schauen sie zuerst in das Wohnzimmer und nicht in das Schlafzimmer. Mit dieser spitzen Formulierung hat sie zu Recht angesprochen, dass es eine Perspektivenveränderung braucht. In der Tat ist in der Kirche oft zu viel über Sexualität gesprochen worden und zu wenig über Beziehung. Ich stelle dabei fest, dass obwohl wir uns vom Zeitgeist abgrenzen wollen, wir vom Zeitgeist abhängig sind. Das 'Thema Nummer eins' beherrscht alles. […] Schon Papst Benedikt hat da etwas verändert. Ich erinnere mich an den Weltjugendtag in Köln, wo er das Thema einfach einmal weggelassen hat. Stattdessen hat er gesagt: Das Christentum ist nicht zuerst Moral, sondern Beziehung, Freundschaft mit Jesus."28
Damit ist etwas Entscheidendes auf den Punkt gebracht, was in der kirchlichen Öffentlichkeit aber kaum mehr bewusst ist, die den Verantwortlichen, nicht zu Unrecht, eine Unterleibs- und Sexualfixiertheit vorwirft, die auf eine reine Kasuistik hinausläuft.
Die bei Kardinal Schönborn nicht namentlich genannte Eheberaterin Ute Eberl stellte zum Abschluss der Synode fest: "Für mich standen die zwei Synodenwochen unter der Überschrift: Raus aus der Komfortzone! In der ersten Woche hieß das: hören auf die Lebenswirklichkeiten von Familien aus der Weltkirche. Die Bischöfe aus aller Welt haben sehr plastisch und mit Herzblut berichtet. Hinter jedem Statement steht eine konkrete politische, kulturelle und ökonomische Situation, manchmal auch Krieg und Verfolgung. Und: Die Synodenväter haben frei und offen gesprochen." In der zweiten Hälfte habe weniger die Lebenswirklichkeit von Menschen im Fokus gestanden als vielmehr "eine eher bewahrende Haltung, eine Vorsicht, vielleicht auch eine Sorge. Vor und zurück, Schleifen drehen, wieder vor und zurück: So geht Prozess - der Plan von Papst Franziskus geht auf. Von außen gesehen ganz normal, wenn man mittendrin sitzt, kann man schon mal ungeduldig werden".
Man merkt ihrer Stellungnahme an, wie sehr Papst Franziskus einzelne Persönlichkeiten tiefgreifend geprägt hat: "Eine Kirche, die für die Menschen da sein will, die bückt sich. Die bückt sich, um die Lebenswirklichkeiten wahrzunehmen - und schaut nicht zuerst mit der Brille des Kirchenrechts. Das hat nichts damit zu tun, 'die Melodie der Welt' nachzupfeifen, das hat damit zu tun, bei den Menschen zu sein. Vielleicht macht eine Kirche, die dient, manchmal auch Fehler in ihrem pastoralen Engagement. Aber wer dient, der hat auch keine weiße Weste an, sondern der trägt eine Schürze. Das kann man nachlesen im Evangelium von der Fußwaschung, da hat Jesus auch eine Schürze getragen."29
Nicht von der Hand zu weisen ist die Beobachtung des Journalisten, der von einem "Franziskus-Paradox" schrieb: "Anführen, ohne auszuführen - das ist das erste Franziskus-Paradox. Und biegsam sein, ohne unbeugsam zu bleiben - so lautet die zweite Maxime. […]Il Cammino lässt jeder Seite Raum für ihr eigenes Reformtempo."30 Spekulationen, ob der "Franziskus-Frühling" nun vorüber sei - davon war schon aus Anlass des Erscheinens von "Evangelii gaudium" die Rede, worin der Satz "Diese Wirtschaft tötet" aufregte - oder ob der "Obama-Effekt" kippen könnte, wie es auch der Präfekt des Päpstlichen Hauses, Erzbischof Georg Gänswein, in Interviews durchblicken ließ, interessieren Papst Franziskus selber vermutlich am wenigsten. Er hat Verbündete gefunden und Gegner seines Kurses auf den Plan gebracht. Beide Beobachtungen scheinen mir zu stimmen: "Ihm geht es nicht um abstrakte Ziele, sondern um: Il Cammino, den Weg. […] Der Papst geht in seinem Reformprogramm viel weniger geradlinig vor, als es viele Ungeduldige erhofft hatten. Er versteht sich als Hüter des Weges, nicht als Frontmann des Fortschritts."31
Mit weiteren Überraschungen ist folglich zu rechnen. Wenn der Mensch und seine Nöte im Mittelpunkt stehen, müssen auch feste Lehren neu betrachtet und neu gewertet werden. In unseren Breitengraden tröstlich: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, gehört zu den engsten Gefolgsleuten des Papstes und spricht sehr offen von den neuen Wegen, die die Kirche, zum Wohl der Menschen, finden muss. Als sein Vorvorgänger im Amt des Vorsitzenden der DBK, Kardinal Karl Lehmann, Ende Oktober 2014 in München mit dem Romano-Guardini-Preis ausgezeichnet wurde, hielt Marx eine kurze Rede, in welcher er auch die Bedeutung der Theologie für das Lehramt hervorhob: "Wo aber sind die großen Namen, die uns heute in eine neue geistige Welt einführen und uns Lösungen zeigen", fragte er mit Blick auf Guardini. Und weiter: "Eine Theologie, die nicht in das kirchliche Leben hineinhorcht und das aufgreift, was kirchlich auf der Tagesordnung steht, leistet nicht den Beitrag, der notwendig ist für heutige Zeit"32.
In der Tat: Es war eine "Bekenntnisstunde". Es ist zu wünschen, dass möglichst viele Bischöfe den Kurs von Papst Franziskus einschlagen, den Weg mitgehen und ihn unterstützen. Übrigens: Man kann - und darf - für dieses Anliegen auch beten!