Unter Missbrauch wird generell die körperliche, sexuelle und/oder psychische Schädigung anderer verstanden, meist innerhalb eines ungleichen Vertrauensverhältnisses etwa zwischen Lehrer und Schüler, Trainer und Sportler, Priester und Gemeindeangehörigen oder Erwachsenen und Kindern. Die meisten Fälle von Missbrauch treten im nahen und erweiterten familiären Umfeld auf.
Fälle von sexuellem Missbrauch, die in der katholischen Kirche oder ihrem Umfeld erfolgen, erfahren in der Öffentlichkeit besondere Aufmerksamkeit, weil die Institution ursprünglich viel Vertrauen in Sachen Moral genoss. Die Kluft zwischen dem eigenen und allgemeinen moralischem Anspruch einerseits – formuliert in einer heute weithin als streng empfundenen Sexualmoral – und der erschütternden Realität andererseits, ist groß.
In Deutschland erfolgte die Erschütterung in bis dato unbekanntem Ausmaß 2010, als ehemalige Schüler des katholischen Gymnasiums Canisius-Kolleg in Berlin gemeinsam mit dem damaligen Schulleiter, Klaus Mertes SJ, mit ihren Leidensgeschichten an die Öffentlichkeit gingen. Seitdem befindet sich die katholische Kirche in einer Krise: Ein Großteil jener, die aus der Kirche austreten, geben mangelnde Kompetenzen oder mangelnden Willen bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen als Begründung für ihren Austritt an.
Inzwischen erschienen zahlreiche Studien, Artikel und Präventionskonzepte von Psychologen, den Deutschen Bischöfen, unabhängigen Beratern und Betroffenen. Das Thema bestimmt allerdings weiterhin den Diskurs um die Kirchenkrise und notwendige Reformen, auch auf den fünf Versammlungen des 2023 beendeten Synodalen Wegs.
Philipp Adolphs