Vor zehn Jahren, vom 3. bis 5. Januar 1971, trat die Gemeinsame Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland zu ihrer konstituierenden Sitzung im Würzburger Dom zusammen. Fünf Jahre nach Beendigung des Zweiten Vatikanischen Konzils sollte sie dessen Ergebnisse und Impulse aufgreifen und im Blick auf die Situation der Kirche unseres Landes konkretisieren. Ein erster, wesentlicher Schritt zur Aneignung des Konzils war schon die Struktur der Synode: Nicht mehr im Sinn des bisherigen Kirchenrechts bloße Klerikerversammlung ohne Entscheidungsvollmacht, sondern ein Gremium von Bischöfen, Priestern und Laien, die gemeinsam zu beraten und zu entscheiden hatten. Als die Synode im November 1975 ihre Arbeit abschloß, hatte sie 18 Beschlußtexte und sechs Arbeitspapiere zu fast allen Bereichen des kirchlichen Lebens und der kirchlichen Arbeit verabschiedet.
Kardinal Julius Döpfner, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und Präsident der Synode, faßte in seiner Schlußansprache vom 22. November 1975 die entscheidenden Ergebnisse zusammen. Er nannte vier Schwerpunkte: die Bewältigung der Spannung zwischen der Tradition der Kirche und der heutigen Situation - "wir wollten Gott und seiner Botschaft, aber auch den Fragen der Menschen und Nöten der Welt gerecht werden" -, personale Glaubensentscheidung - "der Christ bedarf in einem höheren Maße als bisher der personal verantworteten Glaubensentscheidung in der Gemeinschaft der Kirche" -, die Verlebendigung der Ortsgemeinde und schließlich ein neues Zueinander von "geistlicher Erfahrung und Zuwendung zur Welt". Döpfner sprach auch von den praktischen Impulsen für den künftigen Weg der Kirche. Er betonte vor allem den Lernprozeß, dem die Synode einen "neuen Stil des Miteinander-Redens und Miteinander-Umgehens zwischen Bischöfen, Priestern und Laien" verdanke. Dieser Stil müsse Schule machen, diese neu erfahrene Gemeinsamkeit müsse in allen Bereichen und auf allen Ebenen der Kirche praktiziert werden. Nur die "ehrliche Bereitschaft zur redlichen Kommunikation" ermögliche Brüderlichkeit, Vertrauen, Frieden und Einheit.
Was ist heute aus der Synode geworden, zehn Jahre nach dem Beginn und mehr als fünf Jahre nach dem Abschluß? Wurden ihre Anregungen aufgegriffen? Drängen die Verantwortlichen, vor allem die Bischöfe, darauf, daß die Beschlüsse durchgeführt werden und daß sich das Leben der Kirche an den Grundsätzen der Synode ausrichtet? Ein uneingeschränktes Ja auf diese Fragen ist nicht möglich. Zwar sind die Synodenbeschlüsse, soweit es sich feststellen läßt, in den Diözesen amtlich veröffentlicht und damit in Kraft gesetzt. Aber man hat nicht den Eindruck, daß sich die Kirche in der Bundesrepublik intensiv mit den Ergebnissen der Synode beschäftigte. Es sei nur auf einige Symptome hingewiesen, die diese Vermutung nahelegen.
Aufgrund des Synodenbeschlusses "Verantwortung des Gottesvolkes für die Sendung der Kirche" wurde die "Gemeinsame Konferenz" errichtet, der Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken angehören. Sie soll als eine Art Nachfolgeorgan nicht nur die von der Synode eingeleitete Entwicklung weiterführen, sondern auch die Vorgänge in Kirche und Gesellschaft beobachten und Anregungen zu den notwendigen Maßnahmen geben. Dieses Gremium tagte vor der für Februar 1981 vorgesehenen Sitzung das letzte Mal im Oktober 1979 - ein Tagungsrhythmus, der in einem krassen Mißverhältnis zu der Fülle der Aufgaben steht.
Von den fast zwanzig Voten, die die Synode an den Heiligen Stuhl richtete, hat Rom bisher nur einem einzigen zugestimmt. Dieses Votum beantragte das Recht, in jedem Jahrzehnt eine Gemeinsame Synode durchzuführen. Aus den Akten der Synode geht hervor, daß als nächster Termin der Beginn der achtziger Jahre gemeint war. Es ist jedoch nicht bekannt geworden, daß bisher jemand öffentlich die Frage gestellt hätte, ob eine neue Synode in der heutigen Situation sinnvoll oder notwendig wäre. Würde man die Synode und ihre Beschlüsse ernst nehmen, müßte wenigstens diese Erörterung stattfinden.
Es ist schließlich aufgefallen, daß der Papst bei seinen etwa dreißig Reden in der Bundesrepublik nur einmal, und zwar in Mainz vor ausländischen Arbeitnehmern, einen Synodentext zitierte. Jedermann weiß, daß sich der Papst bei diesen Reden immer auf Informationen und Vorarbeiten stützt, die von der Bischofskonferenz des jeweiligen Landes geliefert werden. Es ist schwer vorstellbar, daß der Papst häufigere Hinweise auf die Synode unterlassen hätte, wenn man ihn von deutscher Seite auf die Wichtigkeit dieses Themas aufmerksam gemacht hätte. Auch in den Begrüßungsreden deutscher Bischöfe und anderer Vertreter der deutschen Katholiken wurde die Synode während der Papst- reise mit keinem Wort erwähnt.
Ist also die Synode schon vergessen? War dieser große Aufwand an Zeit, Kraft und auch Geld umsonst? Oder haben sich die Zeiten geändert? Hat man kein Verständnis mehr für die Grundhaltungen der Synode, für die gemeinsame Beratung, für das Ernstnehmen der Welt, für die persönlich verantwortete Gewissensentscheidung? Ist das Schweigen über die Synode nur die Kehrseite des Bestrebens, in der Kirche einen anderen Stil zur Geltung zu bringen, der nicht mehr so intensiv auf die Fragen der Menschen eingeht, wie es die Synode im Gefolge des Konzils versuchte, und der von Weisung und Gehorsam mehr hält als von der offenen Auseinandersetzung und der gemeinsamen Verantwortung aller?
Stimmen der Zeit (1981) 145-146