Bei einem Treffen der österreichischen Moraltheologen und Moraltheologinnen kam die Frage auf, was den jungen Menschen als Berufsethos für seelsorgliche Berufe mitgegeben werden könne. Diese Frage löste eine intensive Diskussion aus. Es gibt Kodizes und Leitlinien seelsorglichen Handelns in Hülle und Fülle, doch richten sie ihren Fokus bisher allesamt auf die fachliche ("handwerkliche") Qualität und nicht auf das Ethos. Ebenso gibt es Ethikkodizes für alle möglichen Berufsgruppen. Einzig die professionellen Seelsorgerinnen und Seelsorger besitzen keinen Ethikkodex im umfassenden Sinn. Deshalb haben wir uns an den Versuch gewagt, analog zu den Ethikkodizes anderer Berufsgruppen einen solchen Kodex für professionelle Seelsorgerinnen und Seelsorger zu entwerfen.
Diesen Kodex legen wir nachfolgend allen Personen in der professionellen Seelsorge vor. Wir möchten sie damit zur kollegialen Diskussion über ihr vorhandenes Berufsethos anregen. Ebenso ist es uns ein Anliegen, die moraltheologische Auseinandersetzung mit dem Thema einer pastoralen Berufsethik anzustoßen. Es sollte die Zeit kommen, in der sich alle professionell in der Seelsorge Tätigen im Rahmen der Ausbildung mit diesem Thema auseinandersetzen müssen.
I. Präambel
Als Gottes Ebenbild im Lebenshaus der Schöpfung ist der Mensch gerufen, diese Welt als treuhänderischer Verwalter Gottes zu gestalten, sie zu bebauen und zu behüten und dafür zu sorgen, daß alle Geschöpfe in Frieden und Gerechtigkeit das Leben miteinander teilen (Gen 1-2). Diese Berufung trifft den Menschen insbesondere in der Verwirklichung und Ausübung des Berufs, den er ergriffen hat. Hier ist sein erster und vornehmster, wenn auch nicht einziger Platz, Welt zu gestalten.
Jedoch ist der Mensch ein schwaches, irrendes und verführbares Wesen. Für die rechte Verwirklichung seiner Berufung braucht er daher ethische Orientierung und gemeinschaftliche Unterstützung. Nur im gemeinsamen Mühen und im wechselseitigen kritischen Begleiten können Menschen dem Ziel ihrer Berufung dauerhaft näherkommen. Das gilt insbesondere im Blick auf die Gemeinschaft der Kolleginnen und Kollegen des gleichen Berufsstands. Deshalb haben viele Stände im Lauf der Geschichte berufsethische Normen oder Kodizes entwickelt, auf die sie sich verständigen und verpflichten und deren Verletzung sie gegebenenfalls auch ahnden.
Die Kirche versteht sich als pilgerndes Gottesvolk auf Erden - unterwegs mit allen Menschen guten Willens, um diese Welt menschlicher, friedlicher, gerechter zu machen (GS 1). Als von Gott erwählte und geliebte Gemeinschaft ist die Kirche heilig. Aber als schwache Menschen können ihre Glieder, auch ihre Amtsträger, irren und sündigen. Pastorales Handeln weiß sich von Gottes Gnade getragen und erfüllt, doch es ist und bleibt fehlbar - auch und gerade moralisch. Denn je größer die Aufgabe, um so größer die Versuchungen. Professionelle Seelsorgerinnen und Seelsorger sind daher der Aufgabe ethischer Normierungen ihres beruflichen Handelns nicht enthoben, sondern gerade um der Heiligkeit der Kirche willen gerufen, sich eine Berufsethik zu geben und deren Umsetzung mit höchster Sorgfalt anzustreben.
Zwar besitzt die Kirche ein Gesetzeskorpus, in dem einige herausragende berufsethische Aspekte seelsorglichen Handelns gesetzlich geregelt werden. Aber wie im weltlichen Bereich auch deckt das allgemeine Gesetz nicht den gesamten Bereich eines spezifischen Standesethos ab. Im Sinn des Subsidiaritätsprinzips (QA 79) wäre das auch gar nicht sinnvoll. Vielmehr soll das allgemeine (Kirchen-)Gesetz nur den Rahmen abstecken, innerhalb dessen sich ergänzend und konkretisierend Berufskodizes bilden, die sich die Berufsgruppen in ihrer Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit selber geben. Sie tun dies mit der Zielsetzung einer klaren berufsethischen Orientierung, der Etablierung einer Plattform kollegialer ethischer Verständigung und dem Anstoßen einer ständigen Weiterentwicklung des individuellen und gemeinschaftlichen Berufsethos.
Diesen Kodex gibt sich die Berufsgruppe der professionellen Seelsorgerinnen und Seelsorger. Sie verpflichtet all ihre Mitglieder auf die darin aufgeführten Grundhaltungen und Normen. Im Konfliktfall werden ihre gewählten Vertreterinnen und Vertreter ermutigt und autorisiert, Maßnahmen zur Einhaltung des Kodex zu ergreifen und auf schwerwiegende Verstöße zu reagieren.
II. Begriff und Selbstverständnis professioneller Seelsorge
Eine klare Abgrenzung des Profils einer Berufsgruppe erfordert einen ebenso klaren Begriff ihres Berufs. Im folgenden wird daher unter Seelsorge das verstanden, was das Zweite Vatikanische Konzil formuliert: Den Menschen in "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst" beistehen, sie begleiten und in eine je größere Fülle des Lebens führen (GS 1). Seelsorge in diesem (bewußt enger gefaßten) Sinn ist primär Hirtendienst. - Wo Menschen im Namen der Kirche lehren, wo sie Einrichtungen der Kirche leiten und verwalten, mag das mittelbar und in einem weiten Sinn ebenfalls seelsorgliches Tun sein. Da solches Tun aber von ganz anderen ethischen Problemen und Herausforderungen gekennzeichnet ist, soll es im folgenden bewußt ausgeklammert werden. Hier geht es um Seelsorge im unmittelbaren und engen Sinn.
Auch "ehrenamtliche" oder "nebenamtliche" Tätigkeiten mögen seelsorglichen Charakter im eben beschriebenen Sinn haben. Doch wendet sich der Kodex nur an jene Personen, für die die seelsorgliche Arbeit ihre Profession, ihr "Hauptberuf" (oder ein Teil ihres Hauptberufs) ist. Nicht immer muß das jener Beruf sein, aus dem sie ihren Lebensunterhalt beziehen. Es muß aber der Beruf sein, für den sie den Hauptanteil ihrer Zeit und Energie, ihrer Kreativität und Hingabe einsetzen und aus dem sie jenseits von Familie und Freundeskreis den Großteil ihrer Sinnerfüllung ziehen. Denn nur wenn dies der Fall ist, können und müssen höchste ethische Ansprüche an sie gestellt werden. Je professioneller jemand einen Beruf ausübt, um so höheren Anforderungen muß er genügen.
Die Beschränkung der Zielgruppe auf professionelle Seelsorgerinnen und Seelsorger bedeutet keine absolute Exklusivität. Auch nichtprofessionelle Seelsorgerinnen und Seelsorger können darin wichtige Orientierungen finden. Ebenso können kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in anderen kirchlichen Aufgabenfeldern aus diesem Kodex wertvolle Impulse ziehen. Sie werden aber teilweise andere, ihrem Aufgabengebiet besser angemessene Normen und Orientierungen brauchen.
III. Grundhaltungen professioneller Seelsorge - Tugendethik
Als Seelsorgerinnen und Seelsorger sind wir wie alle Getauften zur Heiligkeit und Vollkommenheit in Glauben, Hoffnung und Liebe berufen (LG 39). Diese Berufung bindet uns ein in die Gemeinschaft der Kirche, in der wir uns gegenseitig stärken und beschenken. Wir Seelsorgerinnen und Seelsorger sind daher nicht nur Gebende, sondern zuallererst Empfangende. Gleichwohl wollen wir die Berufung zur Vollkommenheit besonders ernst nehmen, denn der erste und wichtigste seelsorgliche Dienst ist das vorbildhafte Mühen im Glauben, Hoffen und Lieben. Ein fester, durch Zweifel und Schwierigkeiten gereifter Glauben, eine starke, durch Rückschläge gewachsene Hoffnung und eine leidenschaftliche, hingabefähige Liebe zu Gott und allen Geschöpfen sollen uns in der Nachfolge Jesu Christi immer tiefer prägen. Hätten wir diese drei Grundhaltungen nicht, wäre unser seelsorglicher Dienst fruchtlos und hohl (1 Kor 13).
Die drei sogenannten theologischen Tugenden werden begleitet von den vier Kardinaltugenden: Besonnenheit (Klugheit) und Klarheit (Tapferkeit), Maßhaltung und Gerechtigkeit sollen die leitenden Grundhaltungen unseres Lebens und Dienstes sein. Wir wollen sie im Leben und in der geistlichen wie pastoralen Aus- und Weiterbildung einüben und darauf achten, daß wir uns im alltäglichen seelsorglichen Handeln treu an ihnen orientieren.
Darüber hinaus wollen wir uns um jene Haltungen besonders bemühen, die für unseren Beruf als Seelsorgerinnen und Seelsorger besondere Bedeutung haben (Standestugenden): Vertrauenswürdigkeit, Diskretion, Integrität, Loyalität und Professionalität. Wir wollen uns regelmäßig selbstkritisch prüfen, ob wir ihnen gerecht werden. Im kollegialen Austausch, in der geistlichen Begleitung und in der Supervision wollen wir uns von anderen sagen lassen, wo wir hinter ihrer Verwirklichung zurückbleiben. An auftretenden Defiziten wollen wir geduldig arbeiten - in der Hoffnung, daß Gott das gute Werk vollendet, das er in uns begonnen hat.
IV. Leitlinien für einzelne Aufgabenbereiche - Normethik
Seelsorge umfaßt viele Aufgabenfelder und Tätigkeitsbereiche. Im Wissen um deren vielschichtige Verschränkung und um die notwendige Beschränkung auf die Hauptfelder geben wir uns im folgenden Richtlinien für unser Handeln. Wir blicken dabei auf die Verantwortung für das eigene Wohlergehen, für die eigenen beruflichen Kompetenzen, für die beruflichen Beziehungen, für den Umgang mit Macht, für den Umgang mit kirchlichem Besitz und Geld, für den Umgang mit Sexualität und emotionaler Nähe, für den Umgang mit vertraulichem Wissen.
Verantwortung für das eigene Wohlergehen
Seelsorge als Dienst am Nächsten schließt Verantwortung für sich selbst nicht aus, sondern ein - und das an allererster Stelle. Wer nicht für das eigene psychische und physische Wohlergehen sorgt, kann sich nicht wirksam um andere sorgen.
Wir bemühen uns um physische und emotionale Gesundheit durch geeignete Ernährung und angemessenen Schlaf, Bewegung, freie Tage und Ferien, durch die Pflege von Freundschaften außerhalb unserer pastoralen Beziehungen und durch Vorsicht gegenüber dem Mißbrauch von Alkohol und Drogen, übermäßigem Fernseh- oder Internetkonsum und der Arbeitssucht (workoholism). Wir bemühen uns um eine Zeiteinteilung gemäß den Prioritäten unseres Dienstes. Für die Verheirateten darf die Familie, für die Unverheirateten der Freundeskreis bzw. die Gemeinschaft im Presbyterium oder Orden nicht zur Nebensache werden. Wir bemühen uns um ein Zeitmanagement zwischen Selbstausbeutung und Dienst nach Vorschrift und um eine rechte Balance zwischen Arbeit und Erholung.
Wir bemühen uns um eine lebendige Spiritualität, indem wir eine reguläre Disziplin reflektierenden Lesens, privaten und öffentlichen Gebets, spiritueller Anleitung und anderer Praktiken befolgen, die unsere Aufmerksamkeit gegenüber Gott stärken. Wir bemühen uns um moralische Integrität, um Übereinstimmung von Reden, Denken und Handeln. Wir suchen die Teilnahme in einer vertraulichen und unterstützenden Gemeinschaft von Kolleginnen und Kollegen und Freundinnen und Freunden, um Rat und Unterstützung für unsere Visionen und unsere Werte zu bekommen. Wir bemühen uns um die richtige Berufseinstellung. Diese beinhaltet unter anderem die Bejahung der pastoralen Arbeit und ihrer Verankerung in der Kirche, das Meiden von Resignation und Rigorismus, die Fähigkeit und den Willen loszulassen (z.B. bei Stellenwechsel oder Pensionierung). Wir vermeiden eine Totalidentifikation mit dem Beruf, die eine distanzierte Selbstreflexion ausschließt.
Verantwortung für die eigenen beruflichen Kompetenzen
Kompetenzen sind einerseits die Fähigkeiten und das Wissen, welche eine Person benötigt und sich aneignen muß, um den spezifischen Herausforderungen ihres Berufs gerecht werden zu können und den entsprechenden Anforderungen gewachsen zu sein (Fähigkeitskompetenzen). Kompetenzen sind andererseits Verantwortungsbereiche, die man als professionelle Seelsorgerin bzw. als professioneller Seelsorger übertragen bekommt, um in ihnen eigenverantwortlich wirken zu können (Zuständigkeitskompetenzen).
Im Hinblick auf professionelle Seelsorge müssen drei Kategorien von Kompetenzen unterschieden werden: erstens die humanen Grundkompetenzen, zu denen unter anderem die Selbstkompetenz (Umgang mit sich selbst, Selbstorganisation) und die personal-kommunikativen Kompetenzen (Umgang mit Menschen, Empathiefähigkeit u.a.) gehören; zweitens die spirituell-gläubigen Kompetenzen (persönliche Fähigkeiten des Glaubens und Betens); drittens die berufsspezifischen Fachkompetenzen (z.B. Führungskompetenz, organisatorische Kompetenz, liturgische oder exegetische Kompetenz). Professionelle Seelsorge braucht Kompetenzen in allen dieser drei Kategorien.
1. Wir anerkennen, daß es für die eigene berufliche Zufriedenheit entscheidend ist, sich der eigenen Kompetenzen bewußt zu werden, sie zu entwickeln und sie richtig einzusetzen. Kontinuierliches theologisches Studium und beständige pastorale Fortbildung sind dafür unabdingbar. Wir schulden sie all jenen, für die wir als pastoral Handelnde da sein möchten. Wir wollen dazu beitragen, daß unsere Fähigkeiten möglichst den uns übertragenen Zuständigkeiten entsprechen.
2. Wir wollen uns der Grenzen der eigenen Kompetenzen bewußt bleiben und bereit sein, Menschen von anderer Seite kompetente Hilfe zuteil werden zu lassen, sobald dies nötig ist (z.B. Personen an professionelle psychologische oder psychotherapeutische Beratung zu verweisen). Pastorales Handeln kann dort, wo wir keine ausreichenden Kompetenzen besitzen, mehr schaden als nützen.
3. Persönliche Frömmigkeit und spirituelle Tiefe dürfen den Blick für die Notwendigkeit einzelner Fachkompetenzen, aber vor allem auch der sozial-kommunikativen Kompetenzen nicht trüben. Umgekehrt wollen wir Sorge dafür tragen, daß unsere menschlichen Kompetenzen und Fachkompetenzen in spirituelle Grundhaltungen eingebettet bleiben und von diesen durchdrungen werden. Ansonsten wird aus professioneller Seelsorge beliebig austauschbare pastorale Technik.
4. Wir wollen besonders darauf achten, daß im Lauf unseres beruflichen Lebens die sozial-kommunikativen Kompetenzen gegenüber den spezifisch-fachlichen Herausforderungen nicht verkümmern. Der pastorale Beruf fordert uns dazu heraus, uns im Wissen um die allen Menschen entgegenkommende Liebe Gottes immer wieder neu auf Menschen einzulassen.
5. Wir sind bereit, uns immer wieder aktiv der Kritik anderer zu stellen, um auf Schwächen und Defizite in unserer eigenen Arbeit aufmerksam zu werden und unsere berufliche Praxis dem Blick von erfahrenen Kollegen auszusetzen (Supervision).
6. Bewußt wollen wir unser eigenes Können und unsere eigenen pastoralen Ziele in das größere Ganze übergeordneter pastoraler Einheiten (Pfarrei, Krankenhaus usw.) einordnen und von dort her reflektieren.
7. In all unserem seelsorglichen Tun wollen wir mit größtmöglicher Sorgfalt vorgehen. Je gewichtiger die Folgen unseres Handelns oder Unterlassens sein können, um so mehr ist diese Sorgfalt von uns gefordert.
Verantwortung für die beruflichen Beziehungen
Seelsorge ist Dienst an der Einheit der Kirche. Sie soll Menschen im Namen Jesu zusammenführen und Gemeinde aufbauen (1 Kor 14,12). Dafür bedarf es einer Kultur der wechselseitigen Wertschätzung und Anerkennung. Wir Seelsorgerinnen und Seelsorger wollen die ersten sein, die diese Kultur leben und fördern. Um Gemeinde aufzubauen, braucht es aber auch den uneigennützigen Einsatz der einzelnen. Verfügbarkeit und Dienst-Bereitschaft sollen daher selbstverständliche Kennzeichen unserer Arbeit mit und für die Menschen sein.
Seelsorge ist aber auch Dienst an der Welt. Die Kirche soll für alle Welt Zeichen und Werkzeug des Heils sein (LG 1). Mit allen Menschen guten Willens soll sie uneigennützig zum Wohl der Schöpfung zusammenarbeiten (GS 21). Wir wollen allen außerkirchlichen Einrichtungen und Bewegungen mit Offenheit und Kompromißfähigkeit begegnen.
1. Die Residenzpflicht ist uns keine ungebührliche Last und Einschränkung, sondern ein Zeichen unserer freien Bindung an den konkreten Aufgabenbereich, der uns anvertraut ist. Dort wollen wir den Menschen in Freud und Leid nahe sein. Sie sollen unsere Nähe spüren und sich auf uns verlassen können.
2. Gegenüber den uns ehrenamtlich oder hauptamtlich Unterstellten wollen wir auf eine Mitarbeiterführung achten, die den geltenden Maßstäben gerecht wird. Die Fürsorgepflicht für diese Menschen mahnt uns, auf ihr Wohlergehen und ihre physische wie psychische Gesundheit zu achten und sie nicht zu überfordern. Sofern wir dafür zuständig sind, werden wir auch die finanzielle Verantwortung für unterstellte Personen sorgfältig und weitblickend wahrnehmen (bei Ehrenamtlichen: Kostenerstattungen, Versicherungsschutz usw.; bei Hauptamtlichen: Gehalt, Sozial- und Rentenversicherung usw.).
3. Unseren gleichgestellten Kolleginnen und Kollegen bzw. den in einem Team gleichberechtigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen wir mit aufrichtiger Kooperationsbereitschaft, Teamgeist, Kollegialität und Geschwisterlichkeit begegnen. Wo immer ein Gremium Verantwortung trägt, wollen wir in ihm gemeinsam nach dem richtigen Weg suchen und diesen dann auch in Solidarität miteinander gehen. Auch wenn wir einer Mehrheitsentscheidung persönlich nicht zustimmen können, werden wir sie mittragen, solange sie nicht eindeutig gegen unser Gewissen verstößt. Zur Kollegialität gehört auch die Sorge um die Kolleginnen und Kollegen. Wenn wir überzeugt sind, daß sie in ihrem pastoralen Wirken eine falsche Richtung einschlagen, werden wir ihnen diskret und respektvoll unsere Bedenken mitteilen (correctio fraterna).
4. Unseren Dienstvorgesetzten, insbesondere dem Bischof und dem Papst, begegnen wir mit Respekt vor der Person und mit Gehorsam gegenüber ihren Entscheidungen. Wir sind ihnen loyal verbunden in der Gemeinschaft der einen Kirche. Die Verfügbarkeit für eine neue oder zusätzliche Aufgabe - so weit diese uns nicht eindeutig überfordert - ist der Prüfstein unseres guten Willens. Das (Kirchen-) Recht werden wir als die uns vorgegebene Rahmenordnung achten und befolgen. Zugleich verstehen wir unseren Gehorsam nicht als blinden Gehorsam, sondern als ein gemeinsames Hören auf das, "was der Geist den Gemeinden sagt" (Offb 2f.). Ein diskretes und respektvolles, aber klares Widersprechen gegenüber den Oberen kann daher geboten sein. Das offene Zuwiderhandeln gegen gesetzte Normen wird hingegen nur der äußerste Fall sein, wenn das Gewissen dies zweifelsfrei befiehlt.
5. Die amtlichen Beziehungen zu nichtkirchlichen Institutionen wollen wir sorgsam pflegen und weiterentwickeln. Besonders zu staatlichen Stellen und zu Vereinigungen im Dienst am Menschen und an der Schöpfung (Nichtregierungsorganisationen) wollen wir ein vertrauensvolles Verhältnis aufbauen. Wo dem Mißverständnisse und Konflikte der Vergangenheit entgegenstehen, wollen wir diese bestmöglich abbauen. Kirchliche Eigennützigkeit soll kein Motiv unserer Zusammenarbeit sein. Unser Ziel ist es, durch optimale Kooperation das Wohlergehen aller heute und künftig lebenden Geschöpfe zu befördern.
6. Treten in irgendeiner der genannten Beziehungen Konflikte auf, die wir nicht selber lösen können, sind wir offen für Konfliktmanagement und Mediation durch professionelle Dritte. Von unserer Seite her wollen wir die Bereitschaft aufbringen, moralische Schuld oder professionelle Fehler einzugestehen und um Vergebung zu bitten. Wir vertrauen darauf, daß uns dies letztlich am ehesten Verständnis und Akzeptanz der Betroffenen bringt und einen Neuanfang im Namen Jesu ermöglicht.
Verantwortung für den Umgang mit Macht
Leitungsfunktionen haben immer mit der Übertragung und Ausübung von Macht zu tun, sei sie geistlicher oder kirchenpolitischer Art. Macht ausüben aber bedeutet im christlichen Sinn immer, Verantwortung zu tragen. Macht ist kein Selbstzweck und darf daher nur gebraucht, nicht aber mißbraucht werden.
1. Wir nehmen die uns übertragene Macht an und gebrauchen sie in Verantwortung für die und vor der Aufgabe, mit der sie verbunden ist. Dazu suchen wir die rechte Mitte zwischen Eigenmächtigkeit (Willkür, Machtmißbrauch) und Verantwortungsscheu (nichts entscheiden wollen, sich hinter anderen Instanzen verstecken, nicht zu Entscheidungen stehen).
2. Wir gebrauchen Macht im Sinn von Leitungsverantwortung so, daß sie für das Gelingen des Gemeindelebens förderlich ist. Wir streben eine möglichst hohe Beteiligung der Gemeindemitglieder in Entscheidungsprozessen an und sind bereit zu Kompromissen, wo sie nötig sind.
3. Wir teilen Macht mit anderen, insbesondere dort, wo haupt- wie ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besondere Kompetenzen zeigen oder entwickeln können (Talente einsetzen). Dadurch schützen wir uns vor Machtkonzentration und Überlastung.
4. Wir sind uns bewußt, daß wir zwar die an uns delegierte Macht, nicht aber die Verantwortung für die uns übertragene Aufgabe weiterdelegieren können.
5. Wir gebrauchen spirituelle Macht im Kontext der seelsorgerlichen Begleitung und im sakramentalen Bereich so, daß wir sie in den Dienst der anderen Menschen stellen und sie einfühlsam auf ihrem je eigenen Weg mit Gott begleiten. Persönliche Konflikte und seelsorgerliche oder sakramentale Handlungen trennen wir streng, so daß es zu keinem Mißbrauch von Macht im spirituellen Bereich kommt (z.B. Verweigerung des Friedensgrußes aufgrund von persönlicher Abneigung; Diskriminierung von Menschen, die einen spirituellen Weg einschlagen, den man selbst nicht teilt; Aufdrängen der eigenen Spiritualität).
6. Erfahrungen der Ohnmacht nehmen wir an. Erfahrungen der Ohnmacht machen uns sensibel für den rechten Gebrauch von Macht und bewahren uns vor einer rücksichtslosen Machtausübung. Wir überprüfen sie im Gebet darauf, ob sie uns als Hinweis auf eine nötige Neuorientierung unseres Handelns oder der Strukturen in der Gemeinde dienen können.
7. Wir sehen nüchtern auf die Grenzen unserer Macht und gebrauchen sie in Bescheidenheit und in Achtung vor den Aufgaben, mit denen sie verbunden ist.
Weil materielle Güter unweigerlich die Grundlage pastoraler und spiritueller Aktivitäten sind, ist der seriöse Umgang mit kirchlichem Geld und Besitz ein entscheidender Faktor unseres seelsorglichen Dienstes. Das bedeutet nicht nur einen Ausschluß jeder Selbstbereicherung, sondern ebenso jeder Unkorrektheit aus wohlwollenden Motiven.
1. Bei der treuhändischen Verwaltung kirchlicher bzw. pfarrlicher Gelder und Güter gehen wir mit höchster Sorgfalt vor. Alle Einnahmen und Ausgaben werden mit Beleg in einer genauen Rechnungslegung dokumentiert.
2. Unsere eigenen materiellen Ansprüche an die Kirche bzw. Pfarrei (z.B. bei der Renovierung eines Pfarrhauses oder beim Einrichten des Büros) werden das rechte Maß nicht überschreiten.
3. Die für fremde Zwecke eingenommenen Gelder werden wir korrekt zuordnen und in der Rechnungslegung ausweisen. Bei zweckgewidmeten Kollekten werden wir den Zuwendungszweck immer streng beachten und niemals umwidmen. Auch bei dringendem Bedarf werden wir aus dem Sozialtopf oder dem Jugendfonds keine anderen Aufgaben querfinanzieren.
4. Wir wollen mit Spendengeld oder mit kirchlichem Besitz nicht Macht ausüben. Deshalb werden Gelder oder kirchliche Güter nie „nach Gutsherrenart", sondern immer nach transparenten und gerechten Maßstäben verteilt bzw. zur Nutzung überlassen. Schlüssel für kirchliche Räume werden all jenen gegeben, die diese Räume für kirchliche Aufgaben brauchen.
5. Nach Möglichkeit werden wir in den Fällen großzügig sein, wo Hilfe oder Unterstützung dringend notwendig erscheinen.
6. Indem wir jeder Korruption widersagen und eine innere Festigkeit erstreben, wollen wir spirituell wachsen in Treue und Unbestechlichkeit.
7. Im Umgang mit kirchlichen Geldern und Gütern achten wir auch darauf, daß nicht Gewinnmaximierung und Gruppenegoismus an erster Stelle stehen, sondern die Verantwortung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Faire Preise für Produkte aus der Region wie aus der Einen Welt, gerechte Produktionsbedingungen und ökologische Standards sollen oberste Kriterien für Geldanlagen sowie Einkauf und Nutzung von Gütern sein.
Verantwortung für den Umgang mit Sexualität und emotionaler Nähe
Sexualität gehört zu jedem Menschen, und jeder Mensch bedarf in seinem Leben emotionaler Nähe. Im Zusammenspiel von Gefühlen, Bedürfnissen und ihrem körperlichen Ausdruck ist jedoch eine besondere Klarheit nötig, um Mißverständnisse zu vermeiden und einen vorbehaltlosen Umgang miteinander zu ermöglichen.
1. Wir nehmen unsere eigene Sexualität wie die anderer Menschen an und berücksichtigen sie im Umgang miteinander.
2. Wir sind aufmerksam auf die eigenen Regungen und Wünsche. Dazu bemühen wir uns um eine ehrliche Selbsterkenntnis. Nehmen die eigenen Regungen und Wünsche ein Maß an, das wir nicht mehr verantwortlich bewältigen können, suchen wir kompetenten Rat.
3. Wir halten eine freundliche, aber klare Distanz und vermeiden Doppeldeutigkeiten in Worten und Handlungen. Wir achten auf eigene unbewußte und unbeabsichtigte Signale und auf die der uns Anvertrauten. Im Zweifel halten wir Distanz und prüfen uns redlich.
4. Wir nähern uns niemals sexuell den uns pastoral Anvertrauten und geben sexuellem Begehren insbesondere von Menschen, die zu uns in einem Vertrauensund Abhängigkeitsverhältnis stehen, nicht nach. Wir sind bereit, bewußt Grenzen zu setzen und ihre Beachtung einzufordern. Wo wir diese Grenzen nicht aus eigener Kraft sichern können, nehmen wir die Hilfe Dritter in Anspruch.
5. Auf Bemühungen um besondere emotionale Nähe, die sich auch indirekt ausdrücken können (z.B. häufige Besuche oder Einladungen nach Hause, Suche nach Familienersatz) reagieren wir mit der gebotenen Zurückhaltung. Wo es möglich ist, untersuchen wir diese auf ihre Hintergründe und bemühen uns um eine sachgerechte Lösung. Wo nötig, ziehen wir die persönliche oder professionelle Hilfe anderer hinzu (Familienberatung, Besuchsdienste usw.).
6. Wir bemühen uns durch angemessene Aufmerksamkeit und den verantwortungsvollen Einsatz von Personal, sexuellem Mißbrauch von Kindern und Jugendlichen vorzubeugen.
7. Wir achten und pflegen einen eigenen Freundes- und Familienkreis und suchen Freizeitaktivitäten (Sport, Kultur, Kunst, Beteiligung am gesellschaftlichen Leben usw.), die uns erfüllen. Dadurch bemühen wir uns, daß die aus unserer Sexualität entspringende Energie zum eigenen Wohl genutzt wird und unser Bedürfnis nach Nähe, Anerkennung, Geborgenheit und innerer Zufriedenheit in hohem Grad und in verantwortlicher Weise außerhalb der dienstlichen Beziehungen erfüllt wird.
Verantwortung für den Umgang mit vertraulichem Wissen
Die Intimität und Privatsphäre einer Person zu achten ist Ausdruck des Respekts vor ihrer Würde und Voraussetzung einer freien und ungehinderten Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Um wirksame Hilfe erhalten zu können, müssen Personen anderen oft ein Wissen anvertrauen, mit dem vertraulich umgegangen werden muß. Dies betrifft nicht nur die Beichte, die besonders geschützt ist, sondern vielfältige andere und analoge Situationen. Verletzungen der Vertraulichkeit verletzen die Würde der Person, zerstören, wenn sie bekannt werden, das Vertrauensverhältnis und können schwere nachteilige Folgen für die betreffende Person haben.
Der pastorale Dienst umfaßt eine Vielfalt an Begegnungen und Gesprächen. In vielen Situationen ist von vornherein klar, daß alle gewonnenen Informationen vertraulich zu behandeln sind (Beichte, Beratungssituationen, geistliche Begleitung). In anderen bedarf es eines wachen und aufmerksamen Gespürs, sich des vertraulichen Charakters bestimmter Informationen bewußt zu werden und diesen zu achten (z.B. informelle Gespräche im Rahmen der Sakramentenpastoral).
1. Immer, wenn wir über Dritte sprechen, wollen wir aufmerksam für mögliche nachteilige Folgen weitergegebener Informationen für die Betroffenen bleiben. Von Geschwätzigkeit und dem unbedachten Ausplaudern vertraulicher Informationen aus Geltungssucht halten wir uns strikt fern.
2. Als in der Pastoral tätige Personen tragen wir Verantwortung für die entsprechende Rahmenbedingungen wie zum Beispiel geschlossene Räume, Verschluß vertraulicher Aufzeichnungen usw.
3. Der pastorale Dienst erfordert den Austausch von Informationen innerhalb des pastoralen Teams. Wir wollen diesen Kreis klar definieren und Wissen innerhalb dieses Kreises schützen und nicht nach außen dringen lassen. Wir wollen Wissen auch im Rahmen von Supervision nur geschützt weitergeben.
4. Sensible Informationen wollen wir ansonsten nur mit Zustimmung der Betroffenen weiterverwenden. Wenn irgend möglich, sollte solches Wissen nur anonymisiert weitergegeben werden.
5. Wir sind uns bewußt, daß bestimmte pastorale Aufgaben zu Konflikten bezüglich der Vertraulichkeit führen können (z.B. forum internum und externum in der Priesterausbildung). Solche Rollenkonflikte wollen wir möglichst von vornherein meiden.
6. Wenn akuter und schwerer Schaden für Dritte oder akute Gefahr für die betreffende Person selbst droht (z.B. Suizidgefährdung), kann die überlegte und begrenzte Offenlegung von Wissen notwendig werden.
7. Unbeschadet des Beicht- und Amtsgeheimnisses wollen wir uns als in der Pastoral Tätige in keiner Weise an der Verschleierung kriminellen Handelns beteiligen (z.B. wenn es um sexuellen Mißbrauch geht). Der Schutz von Tätern und das Ansehen von Institutionen - auch der Institution Kirche - dürfen nicht über dem Schutz und der notwendigen Sorge für Opfer stehen.
V. Abschließende Bemerkungen
"Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut" (Ps 127,1). Wir bitten daher Gott um seinen Geist, der uns das rechte Verständnis dieser ethischen Orientierungen gibt und uns in unserem professionellen seelsorglichen Handeln leitet und stärkt.
Ein Kodex lebt davon, daß er mit Leben erfüllt wird. Wir wollen daher in unserer Berufsgruppe im lebendigen Austausch über die hier vorgelegten Orientierungen und Richtlinien bleiben. Wir wollen uns gegenseitig Rat und Bestärkung geben in dem festen Bemühen, sie im beruflichen Alltag umzusetzen. Außerdem wollen wir beständig im Gespräch bleiben, um diesen Kodex weiterzuentwickeln und ihn im Hören auf das Evangelium den je neuen Herausforderungen der Seelsorge anzupassen.
Diesen Kodex hat sich die Berufsgruppe der professionellen Seelsorgerinnen und Seelsorger in ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen und in Beachtung der kirchlichen Lehren und Gesetze gegeben. Sie erwartet keine offizielle Stellungnahme oder Autorisierung der kirchlichen Oberen, zählt aber auf deren Wohlwollen, die Charismen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Sinn des Dienstes am Aufbau der Gemeinde zu stärken und zu fördern.
Stimmen der Zeit (2009) 447-458