Nachdem es in den vergangenen Jahren stiller um Scientology geworden war, ist die Organisation durch verschiedene Ereignisse der letzten Zeit wieder in die Schlagzeilen geraten. Bundesweit für Aufmerksamkeit hat die Eröffnung der 4000 Quadratmeter großen Hauptstadt-Repräsentanz in Berlin im Januar 2007 gesorgt. Die heftigen Auseinandersetzungen in der deutschen Öffentlichkeit um den Hollywood-Schauspieler Tom Cruise, der die Rolle des Widerstandskämpfers Claus Schenk Graf von Stauffenberg in dem Filmprojekt „Valkyrie" spielt, spalteten monatelang das Feuilleton(1).
Von großer Relevanz für die politische Bewertung der Gruppierung ist die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Februar
2008, daß Scientology auch künftig durch das Bundesamt für Verfassungsschutz mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden darf(2). Wie bereits das Verwaltungsgericht in Köln im Jahr 2004, sah das Oberverwaltungsgericht Münster in den Schriften der Organisation und dem tatsächlichen Verhalten von Mitgliedern konkrete Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die Verfassung gerichtet sind. Worin diese hauptsächlich bestehen, werde ich nach Klärung von Begriffen am Ende summarisch zusammenfassen. Scientology hatte gegen die seit 1997 laufende Observierung durch den Verfassungsschutz mit dem Argument geklagt, man sei eine Religionsgemeinschaft und verfolge keine verfassungsfeindlichen Ziele. Letztere Behauptung bestritten die Gerichte, erstere ließen sie als für die Entscheidung unerheblich offen.
Religion oder therapeutisches Dienstleistungsangebot?
In einem vor kurzem erschienen Sammelband hat Andreas Grünschloß(3) in einer synoptischen Gegenüberstellung die Gründe zusammengetragen, die für und gegen die Annahme sprechen, Scientology als Religion zu betrachten und dabei auf den internen Widerspruch einer nichtreligiösen Begründung der Religion, namentlich des moralischen Verhaltenskodex, hingewiesen. Grünschloß zählt in seiner Analyse der scientologischen Primärliteratur eine Reihe weitgehend plausibler Gründe(4) als Beleg für das „Religions-Label" auf. Dabei handelt es sich um Kriterien, die jedoch in der alltäglichen Praxis der Gruppierung eine untergeordnete Rolle spielen oder ambivalent sind, wie der Ausschließlichkeitsanspruch. Jedenfalls berichten Aussteiger in einer der wenigen empirischen Studien zu Scientology(5), daß nur „sechs Prozent vorwiegend und 19 Prozent etwas" an den religiösen Aspekten der Vereinigung interessiert waren.
Die entscheidenden Motive für die Kontaktaufnahme der befragten Probanden waren die Suche nach Selbsterfahrung, Selbsterkenntnis, Sinn, Orientierung und Hoffung auf Hilfe bei seelischen Problemen, konkret bei Schwierigkeiten in der Ehe/Partnerschaft (46%), mit den Eltern (30%) oder am Arbeitsplatz (26%)(6). Auch wenn Spiritualität im Sinn von Suche nach Bewußtseinserweiterung ein weiterer Anlaß war, sich mit Scientology zu beschäftigen, so ist dennoch dem Resümee von Grünschloß zuzustimmen: „Mit der Erkenntnis, daß Scientology religiöse Züge besitzt, verbindet sich jedoch keinerlei positiv wertendes Qualitätsurteil."(7) Dessen ungeachtet will die Organisation mit dem Hinweis auf ihren reklamierten Religionsstatus die Privilegien des Art. 4 GG in Anspruch nehmen.
Ich werde im folgenden zentrale Aussagen und Techniken von Scientology vorstellen, welche sowohl im Kontext des behaupteten Religionscharakters wie eines therapeutischen Versprechens stehen, und sie einer fachlichen Kritik unterziehen. Hatte kürzlich Michael Utsch(8) seine theologischen Vorbehalte gegenüber der Anthropologie von Scientology maßgeblich aus der Perspektive des Christentums formuliert, werde ich insbesondere die behauptete Kontinuität von Scientology mit den östlichen Religionen in den Blick nehmen, da sich der Gründer der Vereinigung vorrangig auf diese Traditionen bezieht.
Scientology ist das Werk von L. Ron Hubbard, der ab den 30er Jahren ein produktiver Autor von Zukunfts- und Horrorromanen war. Nach seiner legendenhaften Biographie machte er schon als Jugendlicher auf Weltreisen Bekanntschaft mit „buddhistischen Priestern" und dabei habe er in Indien und Tibet durch die „Lehren des Buddhismus und die Schriften der Veden ... sein grundlegendes Verständnis vom Menschen" geformt. Er will Blutsbrüderschaft mit Schwarzfußindianern geschlossen haben und sei durch einen Freund seines Vaters in die Psychoanalyse eingeführt worden. Die mehr oder minder geheimnisvollen Ingredienzien Buddhismus, indianische Initiationen, Psychoanalyse, Hinduismus und Mythologie brachte Hubbard mit etwas in Verbindung, das die Ebene des bloß „mystischen Hokuspokus" transzendierte. Er wandte die „Präzision der westlichen Technik auf die Erforschung ... des menschlichen Geistes an"(9).
Die Argumentation ist charakteristisch: Wie alle bisherigen Religionsgründer war auch der Buddha letztlich „erfolglos"(10) in seinem Bemühen, „geistige Freiheit zu erreichen"; erst durch die „religiöse Technologie" oder „Ingenieurswissenschaft" von Scientology sind die Menschen in der Lage, „alle Aspekte des Lebens zu verstehen und zu verbessern". Der permanent wiederholte Exklusivitätsanspruch findet sich in allen Schriften Hubbards(11).
Innerweltliche Dianetik
Hubbards wichtiges Werk „Dianetics: The modern Science of mental Health"(12) ist 1950 in einer Science-Fiction-Zeitschrift erschienen. Der Titel leitet sich vom Griechischen „dianoetikos" her, was so viel bedeutet wie „den Geist (nous) betreffend". Dieser Geist wird von Hubbard zu verschiedenen Zeiten verschieden gedacht. In der Dianetik-Version von 1950 dominiert die Analogie zum Computer. Dessen Hardware besteht aus dem menschlichen Gehirn. Die Software bezeichnet er als „Mind", der entsprechend seiner Funktionen in einen analytischen, reaktiven und somatischen Mind gegliedert ist. Die dem Computer zugeschriebene Genauigkeit der Operationen sei auch beim analytischen Mind anzutreffen, welcher aus den Wahrnehmungen blitzschnell seine Schlüsse zieht und Probleme adäquat löst. Der reaktive mind reagiert lediglich auf Erfahrungsdaten nach dem Reiz/Reaktionsmuster und speichert in erster Linie schmerzliche Eindrücke. Ausschließlich auf der physischen Ebene agiert der somatische Mind.
Das durch Sinnesleistungen dem analytischen mind zur Verfügung gestellte Material wird in sogenannten Standardgedächtnisbanken jederzeit abrufbar festgehalten und ermöglicht Orientierung in der dreidimensionalen Welt. An sich funktioniert das System perfekt, aber da es Momente gibt, in denen die angemessene Sinneswahrnehmung gestört ist, wie zum Beispiel Bewußtlosigkeit, Verletzung und Betäubung durch Drogen, betätigt sich der reaktive mind als Sicherheitsventil und leitet die schmerzlichen Energien auf die Engrammbanken ab. Diese verdrängten Engramme entwickeln im Untergrund eine destruktive Wühlarbeit (sie „aberrieren", wie es im Jargon heißt), was sie zur Ursache von allen psychosomatischen Krankheiten und neurotischen oder psychotischen Persönlichkeitsstörungen werden läßt. Der Verlust der ursprünglichen Klarheit des Denkens (Clear) führt dazu, daß wir uns in einer Welt von Geisteskranken bewegen, weil alle, ohne Ausnahme und ohne bewußtes Wissen, frühkindliche Schmerzen verdrängt haben, die als Engramme den analytischen mind aberrieren.
Mit Hilfe einer bestimmten Technik, nämlich dem Rückruf früherer Ereignisse auf der biographischen Zeitspur, soll es möglich sein, mit der zurückgerufenen Situation auch die gefühlsmäßige Qualität des damaligen Ablaufs der Dinge zu reaktivieren. Das soll bedeuten, daß mit dem Schmerz auch alle anderen unterdrückten Emotionen wieder erfahren werden können. In Anlehnung an den englischen Terminus „tone" (Stimmung), werden bei Hubbard die Gefühle in einer schwer zu durchschauenden Reihenfolge auf der sogenannten Tonskala von null bis vier angeordnet. Der Tod wird am einen Ende der Skala, bei null, angesiedelt, auf der gegenüberliegende Seite, bei vier, der Zustand des Glücks. Apathie, Furcht, Freude und Wohlergehen liegen dazwischen. Aberrierte schwanken täglich zwischen 0,5 und drei, während der Clear sich im Bereich der Zone vier bewegt. Nur mit Hilfe der Therapie des Rückrufs kann die letztere Stufe erreicht werden(13).
Die Technik des Rückrufs wird Auditieren genannt, was vom lateinischen „audire" (hören) abgeleitet ist. Mit therapeutischen Risiken verbunden ist die Anordnung Hubbards, daß der Auditor (Therapeut) während des Rückrufs dem Nichtgeklärten, dem Preclear, kein Mitgefühl zeigen soll. Der Auditor sollte es dem Patienten nicht zu leicht machen und vermeiden, Zeichen der Zuneigung zu geben. Um die Wiederbelebung seiner verschütteten Gefühle insgesamt zu erfahren, muß der Patient notwendigerweise jenen Schmerz in der Therapie auf sich nehmen, der ihn als Kind überforderte und unerträglich erschien. In dieser Theorie von der Einheit des Gefühlslebens stimmen Hubbard und der Gründer der Urschrei/Primärtherapie Arthur Janov überein(14).
Der Auditor hat offiziell die Einstellung mitgeteilt bekommen, jede Kritik an Hubbard oder an Dianetik als falsches Bewußtsein zu entlarven: „Stößt der Auditor auf Abwehr, Feindseligkeit gegenüber der Dianetik ... usw., so hört er keine analytischen Daten, sondern reaktive Engramminhalte."(15) Wenn 77 Prozent der Teilnehmer der Studie von Heinrich Küfner(16) von einem sanktionsbewehrten Verbot berichten, Kritik zu äußern, dann läßt sich erahnen, mit welch rigiden Maßnahmen Immunisierungsstrategien durchgesetzt werden.
Die Hauptthese Hubbards lautet, daß die Überlebenssicherung die oberste Maxime des menschlichen Organismus sei. Schmerzvermeidung ist ein Element der Sicherung des Überlebens(17). Auf dem Weg vom Aberrierten zum Clear über die Brücke zur totalen Freiheit, spielen die „Dynamiken" als Ebenen des Seins die Rolle von „Überlebensrouten". In einer Reihe von konzentrischen Kreisen wächst das Individuum über sich selbst hinaus und kommt schließlich in Kontakt mit der Unendlichkeit(18). Von den existentiellen „Triebkräften" wird die letzte, der „Drang zum Dasein als Unendlichkeit", von den Scientologen zur Legitimation ihrer Lehre als Religion benutzt. Die achte Dynamik sei mit dem „höchsten Wesen" identisch, „weil das Symbol für Unendlichkeit aufrecht stehend die Ziffer ,8' ergibt"(19). Im Dianetik-Buch Nr. 1 von 1950 ist nur vom Überleben als Individuum, in der Familie, als Gruppe und als Menschheit die Rede. Die Impulse aus dem Bereich der Tier- und Pflanzenwelt, dem physikalischen Universum, der geistigen Wesenheiten und der Unendlichkeit, also die Dynamiken fünf bis acht, kamen erst 1955, bei der Weiterentwicklung zur okkult-transzendenten Scientology hinzu.
Der Clear ist ein Wesen mit übermenschlichen Fähigkeiten, da er seine reaktiven Engrammbanken komplett entrümpelt hat. Er hat natürlich einen wesentlich größeren Intelligenzquotienten als die Masse der Menschen, er steuert sein Leben nach rationalen Gesichtspunkten und ist darüber hinaus „völlig unfähig, sich zu irren" (20). Er ist zentrales Subjekt des Menschenbildes der ursprünglichen Dianetik. Seine paranormale Begabung wurde im „Buch Nr. 2"(21) 1955 als Fähigkeit des Exteriorisierens beschrieben, als die Kunst, sich vom eigenen Körper zu lösen und Astralreisen zu veranstalten(22).
Okkulte Scientology
Genaugenommen besitzt nicht der Clear die Fähigkeit des Exteriorisierens, sondern eine geistige Grundpersönlichkeit, für die die Welt der Sinneserfahrungen nur eine Zwischenstation ist. Die von der Materie unabhängige, personal gedachte Wesenheit trägt den Namen „Thetan". Der Thetan steht nicht nur außerhalb des materiellen Universums, sondern ist sogar „völlige" Ursache der MEST-Welt, d.h. der Welt aus „matter, energy, space and time". Mit der Konzeption des Thetan ist der Schritt über den innerweltlichen Bereich hinaus zur spiritualistischen Scientology getan:
„Dianetics wendet sich an den Körper, Scientology wendet sich an den Thetan. Während der Thetan Krankheiten produzieren kann, ist es der Körper, der krank ist. Deshalb gebraucht man Dianetics, um Krankheiten, unerwünschte Empfindungen ... usw. zu beseitigen. Scientology und ihre Grade werden niemals für solche Dinge verwendet, Scientology wird angewandt, um geistige Freiheit, Intelligenz und Fähigkeiten zu steigern und somit das Bewußtsein von Unsterblichkeit hervorzubringen."(23)
Dianetik wird dadurch zu einem Teilgebiet von Scientology herabgestuft, das für somatische, allenfalls psychosomatische Defekte zuständig sein soll.
Das anthropologische Grundschema wurde dabei kaum verändert: Der Thetan verfügt ebenfalls über ein Archiv gespeicherter Daten auf seiner Zeitspur, die durch Engramme, welche nun Faksimiles heißen, aberriert werden. Sie behindern zwar den Thetan in seinen Ausdrucksmöglichkeiten, können aber - dank des Kurssystems von Scientology - nicht endgültig verhindern, daß er seine Beziehung zur achten Unendlichkeits-Dynamik aufnimmt. Der Stufenweg des aberrierten Thetans hin zur totalen Freiheit, zum operierenden Thetan (OT), verläuft in seinen Anfangsschritten analog zu den acht Dynamiken. Wenn in den OT-Kursen I bis VIII davon die Rede ist, daß „das Tor zum Selbst" geöffnet, die „Richtung auf volle Ursache über das Leben" eingeschlagen und der „Hauptgrund für das Vergessen auf Gesamtzeitspur"(24) enthüllt wird, dann braucht man sich nur die Kurzbeschreibung der acht Dynamiken in Erinnerung zu rufen, um zu erkennen, wie sich die Gedanken Hubbards unter leicht geänderten Vorzeichen wiederholen.
Wenn es in einer Werbeschrift der Scientology-Organisation heißt: „Das bist DU, das unsterbliche geistige Wesen, die Person selbst, symbolisiert durch den griechischen Buchstaben Theta"(25), dann scheint bis in die Wortwahl hinein der Thetan mit dem Selbst der Upanischaden identifiziert zu werden. „Tat Tvam Asi", die eigentliche Botschaft der Chandogya-Upanishad, wird übersetzt mit „Das bist du selbst", nämlich der unzerstörbare Allgeist (Brahman), der sich im Einzelwesen inkarniert (Atman). Zwar werden Atman und Thetan als jenseits des Körpers gedacht, doch ist neben diesem Minimalkonsens die Anzahl der Unterschiede erheblich. Dadurch daß der Atman mit Brahman identisch ist, ist er ein unpersönlicher, unbeteiligter Beobachter jenes sterblichen Selbst (Jiva), das Dualität und Kausalität hervorbringt, sich mit Körper und Denken identifiziert und dem Kreislauf der Wiedergeburten unterworfen ist. Der Thetan ist demgegenüber nicht nur personal, sondern erschreckend anthropomorph konstruiert. Aggressionen, Neid und Haß sind ihm nicht fremd, was sich darin zeigt, daß er auch anderen Thetanen Stromstöße versetzt, die Augen aussticht und sie in zwei Hälften zerteilt(26).
Es ist fast überflüssig zu sagen, daß das Konzept der Thetanen weder mit der vedischen noch mit der buddhistischen Tradition in Zusammenhang gebracht werden kann. Die antisubstantielle Haltung buddhistischer Philosophie verneint ein ewiges, immaterielles Selbst (Atman) als letzten Grund des materiellen Daseins. Die Parallelen zwischen Scientology und Hinduismus bzw. Buddhismus auf das Deutungssystem der Reinkarnation zurückzuführen, hat eine ziemlich schmale Basis, da die Vorstellung wiederholter Erdenleben zum dogmatischen Allgemeingut der meisten esoterischen Gruppen im Westen gehört. Im Gegensatz zu den Jenseitskonzepten zum Beispiel von Anthroposophie/Theosophie und damit in Übereinstimmung mit den hinduistisch/buddhistischen Vorstellungen kann sich die scientologische „Seele" auch wieder in Tieren und Pflanzen verkörpern(27).
Das Erklärungsmodell der Reinkarnation und damit des Thetan markiert die in der Entwicklung der Dianetik zur Scientology liegende Zäsur. In der Theorie vom analytischen und reaktiven mind spielten „frühere Leben" keine Rolle. Das änderte sich mit der metaphysischen Spekulation vom Menschen als Thetan, welche von Anhängern der ursprünglichen Dianetik nicht mitvollzogen wurde. Im Moment des körperlichen Todes(28) exteriorisiert, laut Hubbard, der Thetan endgültig und nimmt sich einen neuen Körper, in dem er „alte Blechbüchsen, rasselnde Ketten ... und andere Energiephänomene"(29) deponieren kann, welche ihm bereits in seinem früheren Körper liebgeworden waren. Anders gesagt, erschafft sich der Thetan in jeder neuen Existenz einen Körper derselben Art, wie er ihn zuvor hatte, was von den Scientologen mit der Existenz des Karma-Gesetzes begründet wird. In den klassischen fernöstlichen Religionen ist die Vergeltungskausalität durch das Gesetz von Ursache und Wirkung geregelt. Scientology ermögliche es dem Thetan, durch Auditieren der aberrierenden Faksimiles sich nicht mehr den Wirkungen ausliefern zu müssen, sondern schließlich alleinige Ursache des physikalischen Universums zu werden.
Das Ziel des Auditierens ist die Umwandlung reaktiver Engramme in Erinnerungsmomente, die nicht nur nicht belasten, sondern die Standardgedächtnisbanken des analytischen mind und damit die Intelligenz schlechthin vergrößern. 1950, zur Zeit von Dianetik eins, war das Auditing-Verfahren noch nicht so ausgereift, daß der angestrebte Befreiungszustand beobachtbar überprüft werden konnte. Das sollte sich mit der Benutzung eines einfachen Geräts zur Messung des elektrischen Hautwiderstands ändern. Der Preclear hält in jeder Hand eine Blechdose, die über Kabel mit einem Ampere-Meter (E-Meter) verbunden ist. Die Erregung des Nervensystems verändert den Widerstand durch die Aktivität der Schweißdrüsen.
Stromstärke und Hautwiderstand stehen in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zueinander. Der Psychiater Hans Kind betont, daß die Bewegung der Nadel allenfalls die Intensität, nicht jedoch die Art einer Emotion widerspiegeln kann. Das steht im Widerspruch zu der Behauptung der Scientologen, den emotionalen Zustand des Klienten durch E-Meter-Auditing auf der Tonskala einordnen und die Qualität seiner Gefühle, nicht bloß deren Quantität, bestimmen zu können.
Hubbards Theorie geht davon aus, daß ein Engramm dann gelöscht ist, wenn keine innere Beteiligung des Preclears bei einem bestimmten Rückruf mehr zu verzeichnen, also sein Hautwiderstand so groß und die Schweißabsonderung so gering ist, daß die Stromstärke gegen null tendiert. Aus Untersuchungen zur Störanfälligkeit von Lügendetektoren, die nach einem ähnlichen Prinzip wie die E-Meter funktionieren, weiß man, daß meßbare physiologische Reaktionen und entsprechende Gefühle und Gedanken des Probanden keineswegs immer in einem direkten Zusammenhang stehen müssen. Durch mentales Training und Kontrolle kann es vielmehr zur Entkoppelung und paradoxen Phänomenen kommen.
Wenn also das E-Meter nach wiederholtem Insistieren des Auditors auf einem angeblichen Engramm einen hohen Widerstand und geringen Stromfluß signalisiert, kann dies auch andere Gründe als das Verschwinden der Ursache von Aberrationen haben: Zum Beispiel kann das permanente „Herumreiten" auf einem Punkt zu Abstumpfung, Ermüdung und Überdruß auf Seiten des Preclears führen. Hansjörg Hemminger weist auf weitere Systemmängel des E-Meters hin30: Die zu messenden Ströme sind so gering, daß bereits eine bloße Veränderung der Griffhaltung erhebliche Nadelausschläge zur Folge haben kann. Um die Konstanz der Leitfähigkeit aufrechtzuerhalten, werden bei medizinischen Untersuchungen Elektroden unter Verwendung von Elektrolytpaste am Körper (und nicht an den Händen) angebracht. Es würde keinem Mediziner einfallen, mit Konservendosen zu hantieren.
Kritische Bewertung
Hubbards Auditoren-Kodex verstößt gegen die Behauptung, Scientology stehe in der Tradition des frühen Buddhismus. Empathisches Mitfühlen und Mitleiden (mahakaruna und mudita) zählen in allen buddhistischen Schulen, besonders in der des „Großen Fahrzeugs", zur Vollkommenheit der Weisheit. Mit dem Buddhismus und dem Hinduismus unvereinbar ist auch das okkulte Konstrukt eines immateriellen Thetan. Dieser ist zwar nicht Tod und Geburt unterworfen, aber seine allzu menschliche Eigenschaft der Aggression erlaubt es nicht, ihn mit dem Atman oder der innewohnenden Buddha-Natur in Verbindung zu bringen. Scientologen behaupten gern, ihr Thetan habe „ähnliche Qualitäten wiedererlangt, wie im Bodhisattva-Ideal des Buddhismus beschrieben"(31) und übersehen dabei nur zu leicht, daß jenes Bodhisattva-Ideal durch die vollkommene Ausübung der vier „göttlichen Verweilungszustände" (brahma-viharas) gekennzeichnet ist, zu denen neben Mitleiden (mahakaruna) und Mitfreude auch grenzenlose Güte und Gleichmut gehören.
Buddhistische Gruppierungen, die sich in der Bundesrepublik in der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) organisiert haben, sind von Scientologen zur Zusammenarbeit aufgefordert worden. Die Reaktion war eine unmißverständliche Abgrenzung. In den „Lotusblättern", dem vormaligen Mitteilungsorgan der DBU, wurde offen über „Sektenprobleme" innerhalb und außerhalb dieses Dachverbands diskutiert.
Als Beispiel für Vereinnahmungstendenzen wurde das Bemühen der Scientologen genannt, sich mit buddhistischen Gruppierungen gegen „gemeinsame Diskriminierung" zur Wehr zu setzen. Dabei wurde seitens der DBU festgestellt, daß das „Menschenbild der Scientology nichts gemein (hat) mit dem buddhistischen". Überhaupt gebe es keine Gemeinsamkeiten zwischen Scientology-Lehre und Buddhismus(32).
Obwohl Hubbard nicht müde wird, Analogien zwischen Gehirn und Computer herzustellen, muß sein Wissen im Hinblick auf Datenverarbeitung als dürftig und oberflächlich bezeichnet werden. Er wird dabei weder den Funktionsweisen und Wahrnehmungsstrukturen des menschlichen Zentralnervensystems noch den spezifischen Rechenoperationen dessen gerecht, was künstliche Intelligenz genannt wird. Dasselbe kann mit Recht hinsichtlich seiner Kenntnis östlicher Religionen gesagt werden. Hubbard addiert unzusammenhängende Versatzstücke und verbiegt sie derart, daß bei der Beschreibung des unsterblichen Geistwesens, das der Mensch im Innersten sei, der Kern der buddhistischen und hinduistischen Vorstellungen verfehlt und ins Gegenteil verkehrt wird.
Das Ergebnis der zu Scientology aufbereiteten Mixtur von Buddhismus, Schamanismus und Psychoanalyse einerseits und Computertechnologie andererseits, ist ein technisches, letztlich verdinglichtes Verständnis von Wirklichkeit und Geist. So liegt die eigentliche Bestimmung des Menschen nicht mehr jenseits der Reichweite von Sprache und Gedanke, sondern im handfesten Bereich des Meß- und Kalkulierbaren.
Daher kann Hubbard am 11. Mai 1963 von einer Jenseitsreise berichten, die „abends um 10 Uhr und eine halbe Minute für 43891832611117 Jahre, 344 Tage, 10 Stunden, 20 Minuten und 40 Sekunden"(33) andauerte. Damit ist der Käfig von Raum und Zeit nicht überwunden, er ist lediglich ins Unheimliche vergrößert. Der Ursprung von Hubbards Antwort auf die Sinnfrage ist nicht im Urbuddhismus zu suchen, sondern dort, wo er seine tatsächliche Begabung hat: in der phantastischen Welt der Science-Fiction-Romane(34). So bleibt nicht nur die positivistische Dianetik, sondern auch die spiritualistisch gedachte Scientology, wie jede okkulte Metaphysik, im Bereich des Innerweltlichen.
Das Jenseits der Scientologen ist quantifizierbar, denn solange mit Hilfe von Zahlen (und seien sie noch so groß) gemessen werden kann, bewegen wir uns im sinnlich erfahrbaren Diesseits. Das gilt auch für alle Formen des empirischen Be- und Nachweises. Wenn die Anhänger Hubbards meinen: „In der Scientology ist heute ... der Nachweis für die Existenz früherer Leben eine Tatsache"(35), so stellen sie mit dieser Aussage ihrer Absicht, eine gültige Antwort auf die Frage nach dem Woher und Wohin des Menschen zu geben, in mehrfacher Hinsicht ein Bein. Laut Definition ist das Be- und Nachweisbare in Experiment, Verifikation und Falsifikation intersubjektiv überprüfbar. Der Gegenstand, nämlich die mit dem Gesetz der Reinkarnation vorgeblich zugänglich gemachte Transzendenz, wäre damit im Raum des Beobachtbaren und der Natur verfügbar.
Scientology offeriert ein spezifisches Dienstleistungsangebot: auf der Ebene des Individuums ein weltanschaulich aufgeladenes Therapieversprechen mit dem Ziel der Befreiung von belastenden Symptomen und der Leistungsmaximierung, auf der globalen Ebene nichts Geringeres als die Rettung der Menschheit (Clear the planet).
Hubbards Entwurf der Dianetik von 1950 kann als Variante der Freudschen Vorstellung vom psychischen Apparat als Ich, Es und Über-Ich verstanden werden. Neben dem Postulat des Un- und Vorbewußten gibt es Übereinstimmungen in der Traumatheorie. Die Bewußtmachung verdrängter Erlebnisse sollte nach dem frühen Sigmund Freud und nach Hubbard Heilung garantieren. Aber die Praxis der Therapie zeigt, daß die Aufdeckung der Ur-Szenen, die kathartische Methode allein, das Symptom eben nicht für alle Zeiten verschwinden läßt. Die psychiatrische Analyse von Hans Kind konnte der Auditing-Technik keinen eigentlichen therapeutischen Effekt, sondern bestenfalls die Möglichkeit einer Abreaktion affektiver Spannungen attestieren.
Dem steht eine Vielzahl von Risiken gegenüber, welche gerade bei wenig resistenten Klienten zur Verfestigung des Krankheitsbildes führen können. Die mangelnde Transparenz des Verfahrens wurde von Hubbard im sogenannten Auditoren-Kodex ebenso festgeschrieben wie das Verbot der emotionalen Zuwendung zum Preclear. Dadurch besteht die Gefahr, daß Auditing zu einem mechanischen Ritual verkommt, dessen Sinn dem Klienten um so mehr verborgen bleibt, je weniger ihm an Hintergrundinformationen gegeben werden.
Schlimmer noch: Mit seinen Anweisungen verstößt Hubbard gegen fundamentale therapeutische Einsichten. Die grundlegende soziale Interaktion im Therapieprozeß, nämlich die Qualität der Beziehung zwischen Therapeut und Patient, ist ausschlaggebend für den Erfolg psychologischer Behandlung36. Die in dieser Beziehung auftretenden Übertragungsphänomene können ebenso wie die auf Seiten des Therapeuten ausgelösten Gegenübertragungen zum Fortschritt der Behandlung beitragen, wenn sie thematisiert und bearbeitet werden. Aber genau das geschieht während des Auditings nicht. Bearbeitung von Widerständen und Konflikten sowie konkrete Hilfestellung bei der Bewältigung und aktiven Gestaltung des eigenen Lebens wird durch Dianetik nicht geleistet(37).
Darüber hinaus kommen Methoden zum Einsatz, die mit „psychologischen Manipulationstechniken vergleichbar sind, wie sie zur ,Aufweichung der Persönlichkeit' in totalitären Staaten" (38) Verwendung finden. Es werden Ängste geschürt, Double-bind-Konstellationen hergestellt und unter Gruppenzwang müssen stumpfsinnige, monotone und frustrierende Aufgaben erfüllt werden, ohne daß dem einzelnen die Möglichkeit zum Einspruch gegeben wird. Ein ausgeklügeltes System von Belohung und Strafe, das mit krassen Sanktionen wie der Bloßstellung von Teilnehmern arbeitet, schränkt gezielt die Autonomie der Mitglieder ein.
Mit rechtsstaatlichen Vorstellungen kollidiert vor allem die institutionelle Seite der redefinierten „Ethik". Um der sogenannten „antisozialen Persönlichkeit" auf die Schliche zu kommen, die nicht durch fehlende Individualmoral, sondern durch „fallende Statistiken", also mangelnde Arbeitsleistungen auffällt, wurde ein Bündel von internen Kontrollmaßnahmen ersonnen, wie Ethik-E-Meter Checks, Security-Überprüfungen und Wissensberichte. Zu „unterdrückerischen" Personen werden einzelne, zum Beispiel kritische Familienmitglieder erklärt, von denen sich ein Scientologe zu trennen hat, oder auch ganze Berufsgruppen, zu denen vorrangig Psychiater und Psychologen gehören. Juristen haben zu prüfen, ob hier der Straftatbestand der Volksverhetzung vorliegt.
Ein Normenkatalog dient der Disziplinierung und gegenseitigen Überwachung der Mitarbeiter. Seine Regeln dienen ausschließlich der Durchsetzung der Interessen der Organisation, es geht nicht um die Belange des einzelnen(39). Geradezu paranoide, verschwörungstheoretische Definitionen sind im Blick auf die Begriffe „Verbrechen" und „Schwerverbrechen" anzutreffen40, welche in Apostasie gipfeln. Bereits minimale Fehlleistungen werden als Verbrechen eingestuft.
Die Grenze der Legalität ist spätestens da überschritten, wo „schwarze Propaganda" zur Anwendung kommt, wie „Telefonkampagnen gegen Kritiker, Bespitzelung durch Privatdetektive, Einschleusen von Scientologen in Kritikerorganisationen, Überziehen von Kritikern mit Strafanzeigen und Zivilklagen, Anstrengung von Prozessen, um Kritiker finanziell zu ruinieren, Verleumdung, üble Nachrede und Falschaussagen, Einbruch bei Behörden"(41).
Die unerlaubte Ausübung der Heilkunde ist eine weitere kriminelle Handlung, sofern die staatlichen Vorgaben für eine Heilpraktikertätigkeit oder für jene eines Psychotherapeuten nicht erfüllt sind. Nach Recherchen eines Juristen im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen 42 haben sich allein in Deutschland bis Mitte der 90er Jahre die Gerichte in über 300 Fällen mit der Scientology-Organisation beschäftigen müssen. In der von der „Church" herausgegebenen Broschüre „Verfassungsschutz als Rufmordinstrument" behauptet ein Anwalt, in Deutschland fahre man den „gesamten staatlichen Repressionsapparat" gegen die Scientology-Organisation auf, was in Kombination mit „journalistischem Schurkentum .. . die eigentliche Gefahr für den Fortbestand unseres freiheitlich demokratischen Rechtsstaats" (43) darstelle.
Mit dieser Argumentationsfigur versucht Scientology, den Spieß einfach umzudrehen. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz erfolgt wegen verfassungsfeindlicher Ziele. Es gibt konkrete Anhaltspunkte dafür, daß die Menschenwürde und das Recht auf Gleichbehandlung eingeschränkt oder aufgehoben werden sollen, wie das Verwaltungsgericht Köln in einer Entscheidung vom 11. November 2004 festgestellt hat44. Wenn niemandem vom Bereich 2,0 an abwärts auf der Tonskala bürgerliche Rechte zugestanden werden, dann liegt dieser scientologischen Vorstellung eine Ablehnung der Demokratie zugrunde, zu der selbstverständlich auch eine Opposition gehört. Kritiker der Organisation würden durchweg als Geisteskranke, Aberrierte und Verbrecher angesehen, die man verklagen, belügen und zerstören dürfe.
Phantasie, genauer: Allmachtsphantasien im Kontext von realer Ohnmachtserfahrung, spielten im Denken Hubbards eine große Rolle. Die Unfähigkeit zum konstruktiven Umgang mit Kritik war einerseits Anlaß, ein pathologisches Bedrohungsszenario zu entwerfen und andererseits penetrante Höchstgeltungsansprüche zu propagieren. Seinen Nachfolgern ist eine realistische Einschätzung der Leistungen Hubbards zu wünschen.
Stimmen der Zeit (2008) 795-807