Es unterliegt keinem Zweifel, daß jeder Versuch, in einem knapp bemessenen Text wie diesem zu schildern, was die Opposition im kommunistischen Staat gewesen ist und was sie für die polnische Wirklichkeit getan hat, zu einer groben Vereinfachung und sicher auch zu einer Verflachung ihrer Rolle führen muß. Zum Thema der polnischen Opposition erschienen in letzter Zeit umfängliche Bücher. Hier möchte ich jedoch weniger auf das Faktenmaterial eingehen - überaus ausführlich dargelegt ist es zum Beispiel in der neuesten Arbeit von Andrzej Friszke: Die politische Opposition in der Volksrepublik Polen 1945-1980 -, als vielmehr auf gewisse Probleme und Dilemmas hinweisen, mit denen es diese Opposition zu tun hatte.
Man darf wohl mit Recht behaupten, daß die oppositionelle Tätigkeit in Polen fast unmittelbar nach Kriegsende aufgenommen wurde, als bereits offensichtlich war, daß die nach dem Krieg eingeführte Gesellschaftsordnung weder den Erwartungen noch den Ansprüchen ganzer Gruppen von Polen entsprach, die unter der deutschen Besatzung um die Unabhängigkeit gekämpft hatten.
Opposition in demokratischen und totalitären Systemen
Das Phänomen Opposition ist auf der ganzen Welt bekannt. In normalen demokratischen und parlamentarischen Systemen nimmt es aber ganz andere Dimensionen an als in einem totalitären Staat. Ausschlaggebend dafür sind folgende Unterschiede:
1. In einem Staat mit stabiler parlamentarischer Demokratie ist die Opposition eben eine parlamentarische Opposition. Sie stellt eine Alternative zur Regierung dar, die nach dem Wahlsieg der einen oder der anderen Partei gebildet wurde. Es handelt sich hier um eine offizielle, legal tätige Opposition, die darüber hinaus zur normalen politischen Landschaft gehört. Das gesamte politische System beruht darin, daß es eine Regierung und eine Opposition gibt. Daher werden dieser Opposition keine axiologischen Attribute beigegeben, wie etwa "moralische" Opposition. Ihre Aufgabe ist es, die bestehende Regierungskonstellation zu kritisieren und auf ein positives Wahlergebnis zu warten, um aus einer Oppositionspartei zur Regierungspartei zu werden. Die unter solchen Umständen betriebene Kritik ist nie eine Kritik am gesamten System noch an den fundamentalen Grundsätzen der Gesellschaftsordnung, sondern eine Kritik an den Richtungen der Politik und an den Methoden der Machtausübung.
2. Dagegen hat in einem totalitären Staat die Opposition im normalen institutionellen Rahmen des parlamentarischen Systems keine Existenzgrundlage. Das Parlament, falls es überhaupt existiert, wird "von oben" konstruiert, nicht aber als Ergebnis freier Wahlen gebildet, so daß es darin keinen Platz für eine Opposition gibt. Die eingeschränkte Presse- und Koalitionsfreiheit verhindert jeglichen Pluralismus, und die Tätigkeit von Organisationen sowie jegliche Strukturen, die sich der bestehenden Konstellation widersetzen, sind verboten. Aus diesem Grund ist die Opposition illegal und bildet kein natürliches Gegengewicht zu den Regierenden.
Diese zwei Unterschiede sind derart fundamental, daß sie über die grundsätzliche Andersartigkeit der Opposition als Institution in beiden Systemen entscheiden: dem demokratischen und dem totalitären. Diese Andersartigkeit schlägt sich folglich darin nieder, daß die Opposition in einem totalitären Staat nicht nur ein besonderer politischer Begriff ist, sondern vor allem zu einer grundlegenden moralischen Kategorie wird. Hauptziel dieser Opposition ist es nämlich nicht, im Ergebnis der nächsten Wahlen die Macht von der regierenden Partei zu übernehmen, sondern vielmehr bewußtseinsbildend zu wirken und bei der unterdrückten Bevölkerung, die sich oft nicht einmal der eigenen Unterdrückung und Bevormundung bewußt ist, staatsbürgerliches Verhalten zu entwickeln.
Die Rolle der Kirche in der Opposition
Die Umstände in Polen unmittelbar nach Kriegsende brachten es mit sich, daß sich die Opposition im Land praktisch schon damals herauszubilden begann. Im Juni 1944 riefen die Kommunisten, politisch von Stalin und militärisch durch die Rote Armee unterstützt, ihre eigenen staatlichen Institutionen ins Leben und übernahmen die Macht im Staat. Der legalen, im Untergrund wirkenden Staatsführung wurde das Recht verweigert, die polnische Bevölkerung zu repräsentieren. Es wurde ein politisches System geschaffen, das keine Möglichkeit eines legalen Wirkens der Opposition zuließ. Auch wenn man anfänglich, in den ersten Nachkriegsjahren, noch gewisse Illusionen über ein funktionstüchtiges Mehrparteiensystem nährte, wurde es immer offensichtlicher, daß das anvisierte Ziel ein Einparteiensystem unter Ausschluß einer jeden Oppositionspartei war. Solch ein System begann sich Ende der vierziger Jahre schon deutlich abzuzeichnen. Zunächst gab es die manipulierte Volksabstimmung von 1946, dann 1947 die gefälschten Ergebnisse der Wahlen in den Sejm und schließlich den Prozeß der Auflösung der politischen Parteien.
Das Jahr 1947 war zweifellos eines der tragischsten in der Geschichte der antikommunistischen Opposition in Polen. Die Verhaftung zahlreicher Kämpfer für die Unabhängigkeit löste eine Angstpsychose aus und erzeugte eine Atmosphäre der Unsicherheit sowie das Gefühl der Allgegenwart der Sicherheitsorgane. Aus Angst vor Inhaftierung verließen viele Politiker das Land. Ins Exil gingen damals der Vorsitzende der Partei der Arbeit, Karol Popiel, der Vorsitzende der Polnischen Bauernpartei PSL, Stanislaw Mikolajczyk, sowie seine Mitarbeiter Kazimierz Baginiski und Stefan Korbonski. Die Ausreise Stanislaw Mikolajczyks beendete praktisch den Kampf um eine legale politische Opposition in Polen.
Man kann auch feststellen, daß sich die besondere Rolle der katholischen Kirche in Polen eben damals herauszukristallisieren begann. Nachdem die gesamte Opposition zerschmettert und verstreut worden war, wurde die Kirche die einzige Kraft, die sich der unterdrückten Bevölkerung angenommen hat. Es unterliegt keinem Zweifel, daß es dem Primas von Polen, Kardinal Stefan Wyszynski, in beträchtlichem Maß zu verdanken ist, daß die Kirche diese Rolle übernommen hat. Er war es, der ständig auf die Bedeutung der Nation in der Geschichte der Menschheit hingewiesen hat; ebenso betonte er das Recht des Volkes auf Unabhängigkeit sowie das Recht der Gesellschaft darauf, Subjekt zu sein. Auch ihn ereilte das Schicksal eines Oppositionellen: Im Zug einer vehementen Hetz- und Verleumdungskampagne wurde er inhaftiert und von der Bevölkerung isoliert. Damals, in der düsteren Zeit Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre, war die Stimme der katholischen Kirche als die Stimme des Primas Poloniae die einzig tragende, die den Menschen Mut machte und sie aufrichtete. Daher wurde gerade er zum Symbol der Opposition und des Widerspruchs gegenüber der neuen kommunistischen Staatsmacht.
Etappen in der polnischen Opposition
Die Geschichte der Volksrepublik Polen läßt sich in mehrere Etappen aufgliedern, die durch gesellschaftliche Proteste gekennzeichnet waren. Es lohnt sich, noch einmal an diese wichtigen, umwälzenden Etappen im Leben des polnischen Volkes in dieser Zeit zu erinnern. Jede dabei geweckte Hoffnung führte zu einem Ausbruch von neuem Enthusiasmus, brachte aber auch ihre eigene Opposition hervor, die dann zwischen der einen und der nächsten Etappe in den Untergrund gedrängt wurde. Aus diesen einzelnen Etappen setzt sich aber die gesamte Geschichte der Volksrepublik Polen zusammen, die jetzt ans Tageslicht gebracht wird. Kennzeichnend für diese Etappen sind die Jahre 1956, 1968, 1970, 1976 und 1989. Diese Etappen sollen im folgenden in aller Kürze charakterisiert werden.
Im Jahr 1956 wurde die erste Periode der Volksrepublik Polen dadurch abgeschlossen, daß die Machthaber alle Traditionen, Bräuche sowie Wertvorstellungen, die einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft eigen sind, ausrotten wollten. Die Geschehnisse des Jahres 1956 wurden durch die sogenannten Posener Ereignisse eingeleitet, als die Arbeiter zum ersten Mal auf die Straße gingen und sich getrauten, gegen die kommunistischen Machthaber zu protestieren. Die Bevölkerung wurde damals an Wahrheiten erinnert, die in diesem System bereits vergessen schienen. Dann folgte der Herbst und der Machtantritt Wladyslaw Gomulkas, in dem man zu jenem Zeitpunkt einen Helden sah, der noch vor kurzem im Gefängnis saß und nun vermochte, der Sowjetunion Bedingungen zu stellen. Bis heute wird darüber diskutiert, wie weit Gomulka in seinem Widerspruch gegenüber der Sowjetunion hätte gehen können, und man kommt dabei zu neuen Erkenntnissen. Das bleibt eine wichtige Frage, doch sie ist hier nicht Gegenstand unserer Überlegungen. Man kann sagen, daß mit dem Jahr 1956 der Zeitraum einer permanenten Angst abgeschlossen wurde. Die Angst war seitdem nicht mehr ausschließliches Mittel der Machtausübung.
Dieses Jahr weckte sehr viel Optimismus und die Hoffnung, nun beginne der Aufbau eines neuen Staates und einer neuen Gesellschaft mit allen einem solchen Staat eigenen demokratischen Strukturen und einem echten parlamentarischen System, einer eigenen Regierung und einer legalen Opposition, mit unabhängigen Gerichten und wirklichen Kontrollinstitutionen über die Staatsmacht. Es hatte den Anschein, als ob man jetzt alles schreiben und sagen dürfte. Aber die Hoffnung auf ein solches demokratisches System, das man aus der Vergangenheit kannte und das auch in Westeuropa bestand, verflog sehr schnell. Mancher Forscher stellt über diese Periode mit Bitterkeit fest, daß sie zu Ende war, noch bevor sie richtig begonnen hatte.
Aus historischer Perspektive läßt sich das plötzliche Ende dieses Aufbruchs klarer erkennen. Im Jahr 1956 oder 1957 selbst zeichnete sich diese zeitliche Zäsur nicht so deutlich ab. Die Bevölkerung schloß sich dem Aufbau des sozialistischen Staates deswegen an, "weil es schien, sie tue jetzt etwas für ihr eigenes Land. Hier sei noch einmal hervorgehoben, daß die katholische Kirche auch in jener Zeit eine äußerst wichtige Rolle dadurch spielte, daß sie ihr Möglichstes tat, um diese nationale Identität aufrechtzuerhalten. Die Kirche in Polen ging keine Pakte mit dem Staat ein, die ihre Autonomie und Unabhängigkeit hätten zunichte machen und sie daran hindern können, ihren Protest wo immer nur möglich und in jeder möglichen Form zum Ausdruck zu bringen. Darin bestand der Unterschied zwischen der polnischen und der ungarischen oder der tschechischen Kirche, und daher rührte ihre größere Stärke und ihre größere Bedeutung.
Der Abgeordnetenkreis "Znak"
Im Zusammenhang mit dem Versuch, den Parlamentarismus wiederherzustellen und die Zusammensetzung des Parlaments im Vergleich zum vorangegangenen Zeitraum zu ändern, entstanden in jenen Jahren auch neue Organisationen im polnischen Sejm. Eine Gruppe von unabhängigen Abgeordneten, die mit der katholischen Kirche verbunden waren, bildete den Abgeordnetenkreis "Znak" (Zeichen). Diese Gruppe war bestrebt, die Rolle einer normalen, legalen Opposition zu spielen, wie sie für ein parlamentarisches System kennzeichnend war, auch wenn ihre eigene Situation grundverschieden war. Vor allem gründete ihre Daseinsberechtigung in diesem Parlament auf dem Willen der Staatsmacht. Da die Institution der freien Wahlen fehlte, entschieden nicht die Wähler, sondern die kommunistische Staatsmacht über die Sitzverteilung im Parlament. Darüber hinaus strebte diese Gruppe keine Machtübernahme an, wodurch sie sich grundsätzlich von einer typischen parlamentarischen Opposition unterschied. Sie wollte gegenüber der kommunistischen Staatsmacht einen anderen Standpunkt vertreten.
Heute, nach vielen Jahren, versucht man hin und wieder, die Rolle und Bedeutung dieses Abgeordnetenkreises zu schmälern, ja sogar ein abwertendes Urteil über ihn zu fällen. Dabei wird argumentiert, Znak sei in das System der kommunistischen Staatsmacht einbezogen gewesen und damit Bestandteil ihrer Legitimierung geworden. Diese Sicht teile ich keineswegs. Der Kreis spielte eine sehr wichtige moralische Rolle. Bei zahlreichen Initiativen stimmten die Znak-Abgeordneten gegen die Mehrheit der kommunistischen Machthaber mit Nein. Die Namen der Abgeordneten aus diesem Kreis wie J. Zawieyski, S. Kisielewski, S. Stomma oder T. Mazowiecki sind in die Geschichte Polens eingegangen, und zwar unter anderem wegen ihrer damaligen Tätigkeit im Sejm.
Vom Standpunkt der politischen Effizienz aus betrachtet konnte dieser Kreis im Parlament selbst keine größere Rolle spielen; zählte er doch nur fünf Abgeordnete. Und dennoch repräsentierte er etwas sehr Wichtiges: Er war eine moralische Instanz für die Bevölkerung. Er zeigte, daß man sich nicht immer mit allem abfinden mußte, und daß man selbst in der heikelsten Situation einen anderen Standpunkt beziehen konnte.
Der Höhepunkt der Tätigkeit dieses Kreises war die 1968 nach den sogenannten Märzereignissen eingebrachte Interpellation. Dies war eine für die parlamentarische Demokratie typische Maßnahme. Wichtig dabei ist, daß diese Maßnahme zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte Polens ergriffen wurde. Die Interpellation war eine scharfe Kritik an der Politik der Staatsmacht. Sie fand ein starkes Echo in der Bevölkerung, weil man hier eine ganz andere Darstellung der Ereignisse lieferte als in den Massenmedien. Diese Interpellation konnte natürlich die Entscheidung der Staatsmacht nicht ändern, da das System damals noch ein ganz anderes war; doch immerhin weckte sie Zweifel bei der Bevölkerung, die sonst einer massiven einheitlichen Propaganda der zentralen Staatsmacht ausgesetzt war.
Das Jahr 1968 ist ein weiteres wichtiges Datum in der Geschichte Polens. Es lastet heute noch auf uns, und es ist gut, daß alle Tatsachen und komplizierten Umstände jenes Zeitraums immer gründlicher und gewissenhafter aufgeklärt werden. Die damals verbreiteten Lügen und Verleumdungen haben das Bewußtsein der Bevölkerung und ihr Urteil über jene Ereignisse wie auch über einzelne beteiligte Personen wie Kuron, Michnik und Litynski für lange Zeit beeinflußt.
Dann führte im Jahr 1970 ein Aufstand der Arbeiter an der Ostseeküste zu einem Regierungswechsel. Wie schon im Jahr 1956 brachte die polnische Bevölkerung Edward Gierek als dem neuen Mann an der Spitze Vertrauen entgegen, auch wenn ihre Begeisterung sicher nicht so groß war wie damals. Man glaubte jedoch, daß eine Modernisierung möglich sei. Man war bemüht, dieses System dahingehend zu entwickeln, daß im bestehenden Rahmen die Modernisierung durchgeführt werden konnte. Die erste Hälfte der siebziger Jahre wird als der ruhigste Zeitraum in der Geschichte der Volksrepublik Polen angesehen. Es war ein Zeitraum einer relativen Öffnung gegenüber der Welt; man nahm Kredite auf und glaubte, daß dieser zeitweilige Wohlstand ewig fortdauern würde. Zu Beginn der siebziger Jahre hat die polnische Bevölkerung die Opposition nicht so sehr gebraucht. Alles verlief unter dem berühmten Appell Edward Giereks: Wollt ihr helfen? - Ja, wir wollen!
Zu einer Störung dieses Bildes kam es im Juni 1976. Die Arbeiterunruhen in Radom ließen erkennen, daß dieses System nicht so vollkommen und kollisionsfrei war, wie es offiziell in den Massenmedien präsentiert wurde. Man darf aber auch nicht vergessen, daß in jener Zeit die Medien unter Kontrolle standen und daß es unmöglich war, öffentlich einen anderen Standpunkt zu beziehen als den von der Staatsmacht offiziell vertretenen. Es gab ja eine strenge Zensur. Unter den Bedingungen dieser relativen Ruhe und des Wohlstands fiel es immer schwerer, der Bevölkerung ein Bild von dem Staat am Rand des Bankrotts zu vermitteln.
Den Wendepunkt brachten zweifellos die Repressalien gegenüber den Arbeitern im Juni 1976. Damals hat man nicht nur protestiert, sondern auch einen offenen Kampf gegen die kommunistischen Machthaber aufgenommen, der sich institutionell in der Gründung des Komitees für die Verteidigung der Arbeiter (KOR) verkörperte. Damals wurden Namen wie H. Mikolajska, S. Baranczak, Pater Jan Zieja, B. Borusewicz, H. Wujek und andere in der Öffentlichkeit bekannt. Man begann eine Bewegung zu organisieren, die sich mit den Regeln und Aktivitäten des Systems des "entwickelten Sozialismus" nicht mehr vereinbaren ließ. Diese Bewegung formulierte schon eindeutig neue soziale und politische Ziele, die in die Struktur des bestehenden Staates nicht mehr hineinpaßten. Sie entfaltete nicht nur Aktivitäten zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter, sondern auch solche, die das System der zentralisierten und monopolisierten Staatsmacht zu zerstören beabsichtigten. Man begann, politische Ziele in Kategorien zu formulieren, die einer pluralistischen Gesellschaft eigen sind. Von 1976 an tauchte in den Programmen und Veröffentlichungen der Opposition die Forderung auf, den Kampf um Unabhängigkeit aufzunehmen. Sie wurde von verschiedenen oppositionellen Kreisen erhoben, ungeachtet ihrer unterschiedlichen politischen Orientierung, das heißt sowohl von denjenigen, die mehr nach rechts orientiert waren (wie die Konföderation Unabhängiges Polen), als auch von weiter links stehenden Gruppen (wie eben das KOR). Ungeachtet der bestehenden Unterschiede strebten die oppositionellen Zentren nach der Wiederherstellung der nationalen, staatsbürgerlichen und sozialen Rechte. Man kämpfte für das Recht auf eine unpolitisierte, nicht ausschließlich im staatlichen Auftrag geschaffene Kultur; man wollte die verdrängten und verfälschten nationalen Traditionen und die historischen Tatsachen von Lügen reinigen, und schließlich forderte man eine volle Gleichberechtigung der im Exil geschaffenen Kultur.
Fehlende ökonomische Konzepte
Das alles war selbstverständlich. Die oppositionellen Gruppierungen schlugen eine Änderung der Gesellschaftsordnung vor. Doch ökonomische Probleme erregten weitaus größere Bedenken. Hier gab es keine derartige Übereinstimmung. Im Grunde genommen forderte keine der wichtigsten und stärksten oppositionellen Gruppierungen eine Rückkehr zur kapitalistischen Gesellschaftsordnung und zur freien Marktwirtschaft. In ihrer Suche schwankten sie zwischen einem sogenannten dritten Weg, einer erweiterten Betriebsselbstverwaltung und einer größeren Beteiligung der Belegschaften an der Leitung der staatseigenen Unternehmen. Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre wurde von niemandem die Privatisierung und Auflösung großer staatlicher Betriebe als zentrales Problem erwähnt. Das Wirtschaftssystem des real existierenden Sozialismus sollte lediglich reformiert werden. Die Unternehmen als staatliches Eigentum, die Planwirtschaft, das Fehlen größerer Unterschiede bei den Vermögensverhältnissen: all diese Merkmale der Gesellschaftsordnung wurden von der Opposition akzeptiert. Daher war die Bevölkerung auf den Kapitalismus und auf die Marktwirtschaft nicht vorbereitet.
Auch später verharrte die stärkste oppositionelle Bewegung, die Solidarnosc, auf diesem Standpunkt. Diese Bewegung erhielt eindeutig die gesellschaftlichen Erwartungen sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit aufrecht, und zwar im Grunde genommen unter den Bedingungen eines "korrigierten" sozialistischen Systems, in dem die dominierende Rolle des Staates verankert war. Der Zusammenprall der für die Bevölkerung vertrauten linken Rhetorik mit späteren, erst seit 1989 verkündeten Losungen von Marktwirtschaft und freier Konkurrenz führte unweigerlich zu einer Verwirrung und zu einer Frustration der Bevölkerung. Die Menschen waren verunsichert und wußten im Grunde genommen nicht, in was für einem System und in was für einer Gesellschaftsordnung sie künftig leben würden.
Dieses Fehlen klarer Wirtschaftskonzepte war zweifellos eine schwache Seite der oppositionellen Kreise. Die politischen und freiheitlichen Konzepte erregten keinerlei Bedenken; sie waren unumstritten, und man konnte sich mit ihnen identifizieren. Unklar dagegen waren die ökonomischen Konzepte. In dieser Hinsicht war das von der Opposition entworfene Modell sehr unpräzise. Darauf ist wohl auch der schwere Schock zurückzuführen, den das von L. Balcerowicz entwickelte Konzept bei der Bevölkerung auslöste. Die Erwartungen der Gesellschaft gingen in eine andere Richtung. Die gesamte Hauptströmung der Opposition stützte sich auf die Arbeiterklasse. Und plötzlich zeigte es sich, daß diese Arbeiterklasse nach dem Sieg der Opposition, nach dem Wahlsieg von 1989 und der Bildung der ersten nichtkommunistischen Regierung zur größten Last und im Grunde genommen recht überflüssig wurde.
Alles in allem soll darauf hingewiesen werden, daß der Personenkreis der polnischen Opposition zahlenmäßig gering war. Obwohl er sich mit der Zeit erweiterte, werden von 1969 bis 1989 immer wieder dieselben Namen genannt. Diese zahlenmäßig schwache Opposition hat die riesige Staatsmaschinerie herausgefordert. Auch wenn sie von verschiedenen Seiten kritisch beurteilt wurde, so spielte sie doch eine fundamentale Rolle, und zwar in vielerlei Hinsicht. Erstens rüttelte sie den Geist und das gesellschaftliche Bewußtsein wach. Zweitens bemühte sie sich, das künstliche und zugleich utopische Bild der Gesellschaft der Gierek-Ära zu zerstören. Drittens - auch das ist nicht zu unterschätzen - gab sie der Bevölkerung, ohne es einzugestehen, das Gefühl, daß jemand über die Grundwerte wie Recht, persönliche Freiheit und Unabhängigkeit des Staates wacht.
Die Beziehung zwischen Opposition und Gesellschaft
Die Rolle der Oppositionellen war äußerst schwierig nicht nur deswegen, weil sie in einem totalitären Staat wirkten und stets von Repressalien, Schikanen und Gefängnis bedroht waren. Ich glaube, daß der gesellschaftliche Aspekt weitaus schwieriger war: die Beziehung zwischen der Opposition und der Gesellschaft. Man sollte diesem Aspekt etwas Aufmerksamkeit widmen. Er ist nämlich von außerordentlicher Bedeutung vor allem dafür, was in Polen bei den letzten Parlamentswahlen 1993 geschehen ist, aber auch dafür, was eine solche Einstellung ankündigte, nämlich die Präsidentschaftswahlen von 1990.
In der Literatur über die Opposition streitet man darüber, was als Opposition zu bezeichnen ist und wie weit man zurückgreifen soll. Manchmal wird geradezu behauptet, die polnische Bevölkerung sei an sich schon oppositionell, was eine sehr weite Definition darstellt. Diese Auffassung vertritt der bekannte Oppositionelle und spätere Sejmabgeordnete Stefan Niesiolowski. Er spricht von einem beständigen, ununterbrochenen und kaum wahrnehmbaren Widerstand des unterjochten Volkes, das sich größtenteils mit der kommunistischen Lüge und Gewalt nicht abgefunden hat.
Ich bin nicht geneigt, den Begriff Opposition so weit zu fassen. Näher sind mir die Äußerungen von Teresa Bogucka, die schreibt, daß die Gesellschaft als ganze nur dann kämpfe, wenn sie biologisch bedroht sei, und daß sie in jeder anderen Situation zu überleben versuche, indem sie nach Kompromissen und Verständigung strebe, um sich in dieser Wirklichkeit zurechtzufinden, in der sie aus verschiedenen Gründen, oft ohne es zu wollen, zum gegebenen Zeitpunkt leben müsse. Wenn man an dieses Problem so herangeht, dann wird der Begriff der Opposition enger. Oppositionelle sind in der Tat Personen, die unter bestimmten Umständen klar und deutlich ihr Nein sagen. Dieses Nein entspringt nicht ihren eigenen Ambitionen, sondern der tiefen Überzeugung, dies sei eine Forderung der Zeit und die Räson des Staates, der Nation, der Bevölkerung, ohne daß sich die unterdrückte Bevölkerung dessen bewußt sein muß. In dieser Hinsicht war die Rolle der Opposition meines Erachtens am schwierigsten. Die Opposition mußte sich nicht nur der Staatsmacht, sondern in vielen Situationen auch der Bevölkerung widersetzen, einer Bevölkerung, die in Ruhe und ohne Gewissensbisse leben wollte; gleichwohl ließen sie die Aktivitäten der Opposition an Gewissensbissen leiden.
In kritischen Momenten, in jenen Jahren der Umwälzung, identifizierte sich diese Bevölkerung vollauf mit der Opposition; damals brauchte sie sie und vertraute ihr, und die Opposition hatte ihren "Erfolg". Nachdem aber die Euphorie verflogen und alle gegen die Staatsmacht gerichteten Aktivitäten wieder unterbunden worden waren, zog sich die Bevölkerung bald aufs neue zurück, gab nach und zeigte wieder Angst. Die Opposition blieb wiederholt allein mit ihren Idealen, Flugschriften und mit ihrer tiefen Überzeugung, daß man das gesellschaftliche Bewußtsein trotz aller Widrigkeiten bilden müsse; denn jeder Ausbruch gesellschaftlicher Unruhe und jede weitere kritische Etappe bringe uns voran, so daß wir als Gesellschaft allmählich voranschreiten und nie wieder zum Ausgangspunkt zurückkehren. Darin besteht eben die historische Notwendigkeit und das Bedürfnis, Opposition zu sein: nicht in der Tatsache allein, daß man der Opposition angehört, sondern darin, daß die Identität der Gesellschaft erhalten bleibt. Dies trifft keineswegs nur auf das polnische Volk und auf die polnische Gesellschaft zu; man kann feststellen, daß sich die Beziehungen zwischen der Opposition und der Bevölkerung in verschiedenen Staaten und in verschiedenen historischen Epochen stets so gestaltet haben.
Die polnische Opposition bereitete seit den sechziger Jahren durch verschiedene Aktivitäten die Gesellschaft darauf vor, was im Jahr 1980 und dann 1989 geschah, obwohl sich 1982 nach der Verhängung des Kriegsrechts ein Teil der Bevölkerung, die noch ein Jahr zuvor die Solidarnosc unterstützt hatte, wieder ziemlich von der Opposition distanzierte und es vorzog, in Ruhe und ohne Risiko zu leben. All diese Widersprüche und Verwicklungen der Bevölkerung, die sich im System der Volksrepublik Polen verloren fühlte, mußte die Opposition berücksichtigen, um nicht den Mut zu verlieren.
A. Friszke schreibt in seiner neuesten Arbeit zu Recht über die verschiedenen Widersprüche im gesellschaftlichen Bewußtsein und wohl auch im Bewußtsein eines jeden Staatsbürgers in den über vier Jahrzehnten der Volksrepublik Polen. Er nennt dabei: Unzufriedenheit wegen der fehlenden Freiheit und unzulängliche Befriedigung der materiellen Bedürfnisse; Angst vor politischen Repressalien, verbunden mit der Überzeugung von einer allgemeinen Bespitzelung und der Furcht vor einem Konflikt des hilflosen Individuums mit der allmächtigen staatlichen Organisation; das Gefühl der Hilflosigkeit (die Verankerung in der bipolaren Jaltaer Aufteilung der Welt); die bewußte Annahme der Gesellschaftsordnung und die über Jahre währende Überzeugung von der drohenden Gefahr sowohl seitens Rußlands als auch Deutschlands.
Diese Empfindungen, die mit verschiedener Intensität und in unterschiedlichen Verhältnissen auftraten, prägten das Klima in der Volksrepublik Polen. Einmal herrschte die eine, dann wieder eine andere Stimmung vor. Aus diesen unterschiedlichen Stimmungslagen baut sich nach wie vor das Bild einer Gesellschaft auf, die sich mühsam, aber doch erfolgreich von ihrem Joch befreit. Dieses Unterfangen wird um so schwieriger, als die Ursachen dieser Unterjochung äußerst differenziert und komplex sind. Während es ein leichtes war, sich in Fragen wie freie Parlamentswahlen, Redefreiheit oder persönliche Freiheit vollauf mit der Opposition zu identifizieren, so ist es sicher schwieriger, sich Leitworte wie Unternehmensfreiheit und Auflösung von Industriegiganten anzueignen, zur Selbsthilfe überzugehen und die Verantwortung für das eigene Schicksal zu übernehmen. Hier wird vom Staat immer noch viel erwartet, nämlich Unterstützung in allen, selbst den persönlichen Bereichen des einzelnen.
Durch die Solidarnosc-Bewegung während der Zeit des Kriegsrechts und schließlich durch die Verhandlungen des Runden Tischs haben die oppositionellen Kreise Unabhängigkeit und Freiheit für Polen erkämpft. Das ist eine Tatsache. Aber nachdem so viel erreicht worden war, nachdem die aus der Solidarnosc hervorgegangenen Gruppen die Macht von den Kommunisten übernommen hatten (dafür bleibt die Bildung der Regierung von Tadeusz Mazowiecki für immer ein Symbol), begannen die früheren Oppositionellen und jetzt Regierenden einen Krieg untereinander zu führen, obwohl nun die große Chance bestand, all das zu verwirklichen, worum sie so viele Jahre mit solcher Aufopferung gekämpft hatten.
Die mit der Solidarnosc verbundenen Kräfte gingen aus den Wahlen von 1989 siegreich hervor. Ich habe jedoch den Eindruck, daß man damals nicht gründlich und sorgfältig alle Voraussetzungen und Ursachen dieses Sieges analysiert hat. Man nahm an, daß die von der Solidarnosc vorgeschlagenen Veränderungen von der Gesellschaft voll und fortdauernd unterstützt wurden. Zu wenig wurde meiner Meinung nach in den späteren politischen Aktivitäten der Solidarnosc-Eliten die Tatsache beachtet, daß gerade das Programm der Solidarnosc mit seinen auch recht demagogischen Losungen einen Nährboden in der gesellschaftlichen Frustration fand und deswegen starke Unterstützung erhielt. Die Solidarnosc-Kräfte, die von der Gesellschaft so stark legitimiert wurden, haben die Beständigkeit dieser Unterstützung nicht realistisch eingeschätzt. Sehr bald setzte ein Demontageprozeß dieses Lagers ein.
Zweifellos begann die Destruktion dieses Lagers mit dem 1990 ausgerufenen "Krieg an der Spitze" und der Aufforderung zum Pluralismus. Die Losung des Pluralismus ist durchaus richtig, denn man kann kaum von einem demokratischen Staat sprechen, wenn seine politischen Kräfte monolithisch sind. Dabei unterlief jedoch ein fundamentaler Fehler: Man hat nämlich die Tatsache übersehen, daß diese Gesellschaft bereits pluralistisch organisiert war. Vollkommen ignoriert wurde das Maß, mit dem die politischen Kräfte des früheren Systems gesellschaftlich unterstützt worden waren. Obwohl jene Parteien die Wahlen von 1989 nicht gewonnen haben, bedeutet dies nicht, daß die Bevölkerung ihnen für immer die Daseinsberechtigung abgesprochen hätte. Diese Parteien sind auf der politischen Bühne geblieben; darüber hinaus waren sie gut organisiert. Den Prozeß der politischen Pluralisierung betrieb man also nur auf der einen Seite der politischen Bühne, das heißt auf jener der Solidarnosc; man vergaß dabei aber, daß es auch noch eine andere Seite gab.
Die Solidarnosc-Kräfte lagen ständig im Streit miteinander. Die neuen politischen Parteien klagten sich gegenseitig an und suchten sich ihre politischen Gegner hauptsächlich in einer anderen, auch aus der Solidarnosc hervorgegangenen Partei aus. Ein besonderes geschichtliches und politisches Paradoxon war es, daß das Mißtrauensvotum gegen meine Regierung gerade aus dem Kreis der parlamentarischen Klubs der Solidarnosc hervorgegangen ist, obwohl die Regierung nur aus Kräften aus den Solidarnosc-Strukturen bestand. Man gewinnt den Eindruck, daß die neuen Wirkungsmöglichkeiten unter demokratischen Bedingungen und alle zugänglichen demokratischen Mechanismen leider nur genutzt wurden, um zu zerstören, nicht um aufzubauen.
Selbst nach der Auflösung des Parlaments vermochten die Solidarnosc-Kräfte keine gemeinsame Wahlplattform zu bilden, nicht einmal angesichts der real drohenden Wahlniederlage. Zusammen mit der zunehmenden gesellschaftlichen Frustration erklärt dies, warum die entmutigte Bevölkerung eine andere politische Entscheidung traf.
An dieser Stelle erhebt sich unvermeidlich die Frage: Wie soll es weitergehen? Ein bezeichnendes Beispiel für die Auffassung von Demokratie in der neuen polnischen Wirklichkeit war die Art und Weise, wie das Parlament funktionierte. Die parlamentarische Demokratie wurde vereinfacht verstanden. Einerseits wurde der Wille der Wähler weitgehend mythologisiert, andererseits stellte man die Wahrung der Identität der eigenen Partei über das Interesse des Gemeinwohls. Demokratie heißt nicht nur, auf die Forderungen der Wähler zu hören und sie einfach in die Sitzungen des Parlaments einzubringen, sondern auch, die Wählerschaft von der Richtigkeit politischer Entscheidungen zu überzeugen. Aus Angst vor Verlust an Wählerstimmen verfolgten die Parteien partikuläre Gruppeninteressen und verloren dabei den Wert aus den Augen, den ein demokratischer Staat darstellt. Man führte ständig demokratische Phrasen im Mund und verfolgte dabei ein Ziel, das mit demokratischen Methoden wenig gemein hatte. Angesichts der starken Zersplitterung der Parteien und einer vehementen Konkurrenz von Gruppeninteressen suchten die Parteien, die aus den früheren oppositionellen Kreisen hervorgegangen sind (außer der Demokratischen Union) nach keinem gemeinsamen Nenner und haben dadurch alles verloren: sowohl eine Chance für sich selbst - denn sie kamen nicht in das Parlament -, als auch eine Chance für die Gesellschaft, denn das Ziel - vor allem der Aufbau eines modernen Staates - ist in eine noch weitere Ferne gerückt.
Die Funktionsweise unserer Demokratie erinnert lebhaft an ein bekanntes Bild aus der Literatur. Auf der einen Seite stellt sie einen Fluchtversuch vor dem autoritären System dar, auf der anderen Seite jedoch bewegte sie sich gleichsam mit all den individuellen Schritten auf eine Machtkonzentration in einem einzelnen zu. Man wollte, wie Hallowell schrieb, einen Weg zwischen der Szylla der Tyrannei und der Charybdis der Anarchie finden. Es ist jedoch möglich, daß wir infolge einer moralischen Anarchie und einer politischen Lähmung auf einer Sandbank von Zynismus steckenbleiben und uns auf diese Weise eine Tyrannei einhandeln werden, vor der man uns schützen wollte. Das wäre jedoch ein Paradoxon der Geschichte.
Stimmen der Zeit (1995) 651-662