"Wir Muslime erkennen Jesus als einen Propheten an und verehren ihn. Warum akzeptiert Ihr Christen Muhammad nicht in gleicher Weise als Propheten?" - Unter Christen, die muslimische Bekannte haben und sich mit ihnen auch über religiöse Fragen austauschen, wird vielen diese Frage schon einmal gestellt worden sein. Nicht selten wird die Rede darauf gekommen sein, wie unverschämt und verletzend Muhammad im Westen bis in unsere Tage in Bild und Wort verunglimpft worden sei, durch unsägliche Verleumdungen seines Charakters und durch gröbste Verletzungen seines Namens.
Als Antwort auf diesen Vorwurf werden Christen mit tiefem Bedauern auf die maßlose Unwissenheit vergangener Generationen hinsichtlich anderer Kulturen und Religionen hinweisen, die sich über Jahrhunderte hinweg im Schatten militärischer Invasionen muslimischer Armeen in den Westen oft mit Angst und tiefem Unmut über "die Muslime" (Sarazenen, Türken usw.) verband. Ein neuerliches Wiederaufleben solcher Verunglimpfung, zumindest hie und da, hängt sicher mit den unterschwelligen Ängsten weiter Bevölkerungskreise in Europa vor islamistischen Terroranschlägen zusammen, hat aber wohl auch mit der zunehmenden sichtbaren Präsenz muslimischer Gruppen und Bewegungen in islamspezifischer Kleidung und durch Moscheen in den Zentren der Städte Westeuropas zu tun.
Die zu Beginn erwähnte Frage muslimischer Gesprächspartner mit der kaum verhehlten Forderung gegenseitiger Anerkennung Jesu und Muhammads als Propheten reicht jedoch tiefer. Sie scheint zunächst eine gewisse vordergründige Plausibilität zu haben. Bei genauerem Hinsehen stellt sich allerdings bald heraus, daß die Parallele zwischen der muslimischen Verehrung Jesu und der christlichen Ablehnung Muhammads als Propheten irreführend ist. Denn wenn Muslime Jesus als Propheten im Sinn ihres koranischen Glaubens achten, folgen sie damit einfach ihrem Credo. Der Jesus des islamischen Glaubens identifiziert sich mit der Botschaft des Korans und lebt nach koranischer Vorschrift. Diesen Jesus anzuerkennen kostet den Muslim sozusagen nichts. Akzeptiert dagegen ein Christ ernstlich Muhammads Anspruch, der wahre und letzte Prophet zu sein, dann wendet er sich gegen das Zeugnis der wichtigsten Glaubensdokumente der Christenheit. Worum geht es unseren muslimischen Partnern mit ihrer Anfrage an die Christen also? Der gläubige Muslim ist überzeugt, daß der Islam die wahre Religion, "die Religion der Wahrheit" (Sure 9, 33) ist. Auf der Grundlage dieser Überzeugung wissen die Muslime sich beauftragt, die Christen zur Anerkennung der Wahrheit des Islam und zum Übertritt in die Gemeinschaft der Muslime einzuladen.
Der Begriff Prophet im Islam
Für gläubige Muslime ist ein wahrer Prophet derjenige, der eine Botschaft von Gott überbringt und sich entschieden für die wirksame Umsetzung dieser Botschaft einsetzt. Die in islamischer Glaubenssicht stets gleiche Botschaft der wahren Propheten beinhaltet in ihrem Kern die Lehre von der Einzigkeit und Einheit Gottes und von der Verantwortung jedes einzelnen vor Gott, dem Schöpfer und Richter. Es ist die Botschaft, die von Adam an alle wahren Propheten verkündet haben. Sie ist in die Natur jedes Menschen eingeschrieben (vgl. Sure 30, 30), und jeder Mensch hat nun die Pflicht, diese Botschaft in ihrer endgültigen, vollendeten und überaus klaren Form - der von Muhammad verkündete Islam - anzuerkennen und anzunehmen, zumal wenn sie explizit durch das Zeugnis der Muslime an ihn herangetragen wird. Damit legt der Mensch das Zeugnis der Wahrheit ab und kämpft für den "klaren Sieg" (z.B. 48, 1) des Islam in dieser Welt.
Christen haben also mit der Aufforderung, Muhammad als Propheten anzuerkennen, dann ein Problem, wenn ihnen Muhammad und seine Lehre als endgültige und universale Norm präsentiert werden. Muslime werden ja nicht müde, den Christen zu versichern, daß Muhammad der letzte Gesandte Gottes und das "Siegel der Propheten" sei, dessen Kommen von Moses und Jesus vorhergesagt worden sei. Und ferner sagen sie, es sei eine zentrale Lehre des Islam, daß Muhammad der von Gott zu allen Völkern gesandte Prophet sei. Der Koran sei Wort für Wort die unverfälschte Botschaft, die Muhammad Stück für Stück, über einen Zeitraum von 21 bis 22 Jahren, durch Vermittlung des Engels Gabriel von Gott erhalten und bis auf den Buchstaben getreu verkündet habe. So sei der Koran für die Völker aller Zeiten gültig. Jede andere, von irgendeinem authentischen Propheten empfangene Botschaft sei dagegen nur für ein bestimmtes Volk einer bestimmten Zeit gültig. Die Propheten vor Muhammad - einschließlich Jesus (Isà ibn Maryam) - hält der islamische Glaube für Muhammads Vorläufer oder Repräsentanten. Sie hätten sozusagen im voraus Muhammads prophetische Führerschaft und Überlegenheit akzeptiert.
Dagegen finden Christen keine Spur von einer Vorhersage des Propheten Muhammad in ihren Schriften, selbst wenn einige Muslime mit tiefer Überzeugung die Verse des Johannesevangeliums (14,16-17), in denen Jesus vom Kommen eines Trösters, des Parakleten, spricht, als die Vorhersage des Kommens Muhammads in der Zukunft auslegen.Christen teilen ferner die Glaubensvorstellung der Muslime nicht, Jesus habe genau so wie Muhammad, durch die Vermittlung des Engels Gabriel von Gott eine Offenbarungsschrift, das indschil, erhalten. Im Gegenteil: Christen glauben, Jesus selbst sei in Person die endgültige und unüberholbare Offenbarung Gottes.
Falls man überhaupt einen solchen "strukturellen" Vergleich anstellen will, könnte man sagen: Dem Rang, den Jesus im christlichen Glauben als das vor aller Zeit ungeschaffene, mit Gott koexistente Wort Gottes einnimmt, entspricht jener Rang, den der Koran im Gesamt des muslimischen Glaubens dadurch einnimmt, daß er als ungeschaffenes Wort Gottes geglaubt wird. Nach muslimischem Glauben ist Gottes Wort im Koran sozusagen Buch geworden.
Christen können also von ihrem Glauben her der Behauptung des Korans - und damit Muhammads - nicht zustimmen, Jesus sei Repräsentant Muhammads, und er sei mit einer Botschaft nur an ein bestimmtes Volk einer bestimmten Epoche beauftragt gewesen. Vielmehr ist Jesus für den christlichen Glauben die entscheidende Offenbarung Gottes für alle Menschen aller Zeiten und Orte. In ihm hat sich Gott in souveräner Freiheit mit den Menschen solidarisiert. Von daher erhellt, daß die oben genannten Glaubensüberzeugungen der Muslime hinsichtlich Muhammads und des Korans für Christen weder annehmbar sind, noch ein Ort der Begegnung zwischen Christen und Muslimen sein können.
Möglichkeiten einer christlichen Anerkennung Muhammads als Propheten
Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts haben einige katholische Theologen gewisse neue Perspektiven entwickelt und Prinzipien freizulegen versucht, aufgrund derer es möglich sein soll, Muhammad als Propheten anzuerkennen. Sie sehen im Hinblick auf die mächtige prophetische Erfahrung, die den Beginn der gewaltigen Bewegung des Islam markiert, kein Problem darin, Muhammad als Propheten zu bezeichnen.
In dieser Perspektive nimmt der Begriff Prophet allerdings eine neue Bedeutung an, die sich sowohl von den biblischen wie auch den koranischen Bedeutungen des Begriffs entfernt. So darf gefragt werden: Treten diejenigen, die das Wort Prophet so wie dargestellt verstehen, damit auch für den bedingungslosen Gehorsam gegenüber dem Propheten und seiner Lehre ein? Oder überlassen sie es jedem einzelnen, beliebig aus den Lehren des Propheten auszuwählen und den Rest auf sich beruhen zu lassen?
Viel hängt dabei davon ab, wie man mit der unleugbaren Tatsache umgeht, daß die Botschaft des Propheten des Islam aus christlicher Sicht eindeutige theologische Irrtümer enthält. Sicher gibt es die Auffassung, die Botschaft des Korans enthalte im Grund nichts, was der christlichen Botschaft widerspreche, und die Ablehnungen und Verurteilungen des Korans bezögen sich nur auf verzerrte Darstellungen des Christentums, die auch Christen ablehnen. Ebenso gibt es solche, die es kaum stört, daß eine prophetische Botschaft dogmatisch zweifelhafte Ausdrücke enthält. Im übrigen wird dann zuweilen auch gefragt: Was bedeutet heute schon eine dogmatische Aussage?
Muslime reagieren jedenfalls sehr emotional und negativ, wenn und in welcher Form auch immer der Begriff Prophet entwertet wird. Beim Zweiten Kolloquium von Cordoba im März 1977 präsentierte der christliche Referent Gregorio Ruiz einen Überblick über die Bedeutungen des Wortes Prophet. Insofern man unter einem Propheten eine mit außerordentlicher Einsicht und Intuition begabte, gegenüber spezifischen gesellschaftlichen Situationen sensible Person verstehe, könne man auch beispielsweise Karl Marx (1818-1883) als Propheten bezeichnen. Er habe persönlich kein Problem damit, Muhammad in diesem soziologischen Sinn als Propheten zu bezeichnen. Weitaus die meisten der anwesenden Muslime konnten sich mit dieser Position und den dort aufgezeigten Parallelen nicht anfreunden, vielmehr waren sie unangenehm berührt1.
Wäre es deshalb vorzuziehen, von Muhammad als einem Propheten im Sinn der Propheten des Alten Bundes zu sprechen? Es ist kaum anzunehmen, daß die Muslime diese Option zufriedenstellen würde. Wenn ein Christ sagte, Muhammad ist ein Prophet, ohne Muslim zu werden, dann kennt er in ihren Augen entweder seine eigene (christliche) Religion nicht, oder er ist ein Heuchler.
Kritische Offenheit für Muhammads Lebensweg und Lehre
Es geht in unserer Frage hier eben nicht nur um ein Wort oder den Titel "Prophet", sondern um das Bekenntnis zu bzw. die Anerkenntnis der Wahrheit, die mit dem Titel Prophet bezeichnet wird und die, auf Muhammad bezogen, den zweiten Teil des muslimischen Glaubensbekenntnisses ausmacht. Prophet in dem Sinn, der diesem Titel im Koran und folglich im islamischen Glauben zukommt, kann Muhammad für Christen als Christen nicht sein. Muhammad im koranischen und damit islamischen Sinn als Propheten zu akzeptieren heißt schlicht und einfach: die Lehre des Korans über Muhammad und Muhammads prophetischen Anspruch zustimmend anzunehmen und folglich auch das Leben Muhammads als "schönes und gutes Modell" (33, 21) für das eigene Leben und das Leben aller Menschen zu betrachten.
Gleichzeitig werden sich Christen entschieden von jeglicher Verleumdung und Verfemung Muhammads distanzieren, und sie werden darüber hinaus versuchen, seine außergewöhnliche historische Persönlichkeit, seine Rolle als Gründer des Islam sowie seine hervorragende Stellung im Glauben, der Frömmigkeit und dem religiösen Denken der Muslime zu erkennen und zu würdigen. Sie werden dann erklären, ob Muhammads Lehre und Leben für sie als gläubige Christen schlicht abzulehnen ist oder doch auch wesentliche Elemente der göttlichen Wahrheit eindrucksvoll ans Licht bringt, die Christen ihrerseits als dem Licht der menschlichen Vernunft vermittelt und im Glauben an Person und Lehre Jesu Christi erkennbar wissen.
Es geht hier also letztlich darum, der Aufforderung des Korans (5, 47) an "die Leute des Evangeliums" nachzukommen, "nach dem zu entscheiden, was Gott in ihm herabgesandt hat". Es soll ausgelotet werden, was sich am Leben und an der Lehre des Muhammad für gläubige Christen als akzeptabel oder gar als vorbildlich und bewundernswert erweist, sowie welche Aspekte seines Lebens und seiner Lehre aus der Sicht des christlichen Glaubens fragwürdig, unakzeptabel und erlösungsbedürftig erscheinen.
Die Option des Korans und Muhammads für politische Macht
Unsere Aussagen über das Leben und die Lehre Muhammads basieren auf dem Text des Korans, gelesen im Kontext der Grunddaten der klassischen Biographie Muhammads (sira)2. Keine Beurteilung Muhammads des Gesandten kommt an einer aufmerksamen Begegnung mit seiner Botschaft vorbei, wie sie uns durch den Wortlaut bzw. Text des Korans vermittelt wird.
Der gesamte Text des Korans versteht sich als Verkündigung im Namen des Herrn (vgl. Sure 96). Von der ersten Sure (609 bzw. 610 n.Chr.) bis zur letzten (632) ist der Koran Anspruch und Herausforderung an seine Adressaten. Er fordert von ihnen, an Muhammads Berufung durch Gott zu glauben und verteidigt den direkten göttlichen Ursprung dieser Berufung gegen alle möglichen Infragestellungen und Zweifel.
Der christliche Beobachter hat hier vor allem die Qualität dieser Auseinandersetzung als Gegnerschaft zwischen Prophet und Hörerschaft zu bedenken. Die Frage lautet: Wie weit entspricht die Botschaft des Korans den von Muhammad gewählten Mitteln, um dieser Botschaft in seiner Zeit und in seinem Raum die Oberhand zu verschaffen? Dabei ist die Auswanderung von Mekka nach Medina (Hidschra) im Jahr 622 der Angelpunkt der Geschichte des Propheten, die Wasserscheide des Korans und der prophetischen Lebensbahn: Die Hidschra initiiert die prophetische Herrschaft Muhammads.
Die Eckdaten der Botschaft, aufgrund derer die offene Feindschaft zwischen dem Propheten und den Mekkanern entstand, lassen sich schnell benennen: erstens die Aufforderung zur bedingungslosen Anerkennung des einen und einzigen Gottes und, damit gegeben, die Verurteilung der Vielgötterei und des Götzendienstes als Torheit; zweitens die Verkündigung der Wirklichkeit des alle Menschen ohne Ausnahme betreffenden göttlichen Gerichts und, damit gegeben, der Ruf zur Überwindung bequemer Vergeßlichkeit und aller möglichen Formen verantwortungslosen Verhaltens. Seine Hörer warfen Muhammad vor, "ein Besessener" zu sein (81, 22), nicht mehr als ein bloßer "Wahrsager" (52, 29), als ein bloßer "Dichter" (37, 36; 52, 30), als ein Kopierer von "Fabeln der Früheren" (68,15), sich der "Zauberei" (vgl. 43, 30) zu bedienen. Hätte Gott jemanden berufen, dann doch wohl eine große Persönlichkeit, "einen mächtigen Mann" (43, 31). Eine solche wäre glaubwürdiger gewesen als dieser Muhammad. Ferner zerstöre Muhammad die alte Tradition und verunglimpfe die Vorfahren (43, 21-23).
Über zehn Jahre ertrug Muhammad Spott, Verleumdung, Verschwörung und Anklage. Die koranischen Patriarchengeschichten dieser Periode spiegeln deutlich die Tugend treuen Ertragens und Durchhaltens um Gottes willen, freilich auch den schlußendlichen Triumph der Karriere und der Botschaft der Patriarchen. Auch sind die Texte dieser frühen mekkanischen Jahre von der messerscharfen Dichotomie zwischen den Rechtgeleiteten einerseits und den Irrenden andererseits, den muslimun und kafirun, den sich der Botschaft Zuwendenden und den sich von ihr Abwendenden, den Gewinnern und Verlierern geprägt. Die Schrift tadelt unmißverständlich die Verhärtung der Herzen der Adressaten des Propheten und den Widerstand gegen die Wahrheit seiner Predigt und droht mit dem nahen Endgericht und seinen Strafen.
Die Auswanderung aus Mekka
Angesichts der sich verhärtenden Opposition während der späteren mekkanischen Jahre bewegten sich der Koran und sein getreuer Anwalt Muhammad hin auf Hidschra (Auswanderung, nicht Flucht!) aus der beengenden Konfrontation mit der verbohrten Ablehnung seines Stammes, der Quraysch. Damit machte er den Schritt von der bloßen Predigt hin zum Kampf mit den Mitteln physischer Macht. Nach 13 Jahren geduldigen Zeugnisgebens durch das Wort allein und aufgrund der Ablehnung Muhammads und seines Anspruchs von seiten der mekkanischen Gesellschaft entschied sich Muhammad für Auswanderung. Ein Scheitern des göttlichen Wortes und ein Vereiteln des "klaren Sieges" der "Religion der Wahrheit" waren nicht vorstellbar und mußten mit allen Mitteln verhindert werden.
Es ist ein Mißverständnis, die Auswanderung aus Mekka (Hidschra) als ein Versagen zu betrachten, so als habe sich Muhammad mit ihr gleichsam aus seiner Berufung und Verantwortung verabschiedet oder sie verraten. Vielmehr ist die Hidschra im Horizont der gesamten koranischen Botschaft die Konsequenz dieser Berufung in Gehorsam. Denn mit der Einladung Muhammads nach Yathrib/Medina und dem Versprechen der beiden heidnischen Stämme Yathribs, ihn, seinen prophetischen Anspruch und seine Gefolgschaft zu verteidigen, bot sich für Muhammad eine einmalige Gelegenheit, mit seiner Gefolgschaft, gestrafft und geeint durch freiwilliges Exil, eine solide Ausgangsbasis und ein Instrument zu schaffen, mit dem die noch neutralen Stämme und Personen in Yathrib mittels diplomatischem Geschick und politischem Druck zum Islam gebracht werden konnten. Das eröffnete die Aussicht, daß sich das dem Islam und seinem Gesandten verweigernde Mekka schließlich als verwundbar gegenüber zurückdrängenden Auswanderern erweisen werde.
Mit seinen Waffengängen, den Gefechten von Badr (624), Uhud (625) und dem Grabenkrieg (627), folgte Muhammad einfach der Logik der grundsätzlichen Infragestellung der Macht des Mekka beherrschenden Stammes der Quraysch und des Angriffs auf diesen Stamm als Beschützer des heidnischen Glaubens und seiner Strukturen. Diese radikale Infragestellung der Macht der heidnischen Herrscher Mekkas war von Anfang an ein Ziel und Kennzeichen der Sendung Muhammads gewesen. Nach dem Sieg von Badr, den der Koran als yawm al-furqan (Tag des Kriteriums bzw. der Entscheidung; 8, 41) beschreibt, ging es darum, in steter - teils politisch- religiöser, teils militärischer - Konsolidierung die Ressourcen Medinas zu stärken, sein Prestige zu mehren und die umliegenden Stämme zu gewinnen und schlußendlich siegreich nach Mekka zurückzukehren.
Der Konflikt mit Mekka brachte für die Nichtmuslime Medinas die Verdächtigung oder die Anschuldigung mit sich, mit dem Gegner geheim im Einverständnis zu sein oder gar mit ihm zu kooperieren. Selbst Neutralität wurde verdächtig. Die jüdischen Stämme Medinas standen dabei in besonderem Verdacht, denn die anfängliche Annahme des Propheten, daß sie ihn akzeptieren würden, hatte sich als irrig erwiesen. In ihrer erzwungenen Vertreibung, in Konfiskation ihres Besitzes und in der Zerstreuung der Stämme kommen sira und Koran zu ihrem traurigsten Kapitel. Die denkwürdigsten Opfer dieser Vorgänge waren die jüdischen Stämme Banu Nadir, die Qaynuqa' und die Qurayza, wobei die letzteren, mit ausdrücklicher Billigung Muhammads, die Hinrichtung aller ihrer männlichen Stammesmitglieder und den Verkauf aller ihrer Frauen und Kinder in die Sklaverei erlitten 3.
Unter Berücksichtigung des gesamten Komplexes von Stammesbrauch, kultureller Psychologie und rechtlichen Regelungen sowie von kollektiver Strategie in einer Kriegssituation könnten die Härte der Strafe legitimiert und die Vorwürfe qualifiziert werden. Allerdings, je nachdrücklicher diese Umstände als Erklärung und Entschuldigung geltend gemacht werden, desto bohrender erweist sich die tiefere, theologische Frage: Wie soll der Gläubige die Befürwortung des Einsatzes von politischem und militärischem Arm durch den Propheten und den Koran mit dem Anspruch der sira und des Korans auf religiöse Letztgültigkeit verbinden können?
Der bewaffnete dschihad gegen Mekka führte zu einem Sieg und zugleich auch zum islam, zum Akt der Unterwerfung der Besiegten unter die Herrschaft Allahs sowie seines Gesandten und seiner umma. Freilich sollten die blutigen Kämpfe der ersten beiden Kalifen gleich nach Muhammads Hinscheiden zeigen, wie sehr der islam der Stämme - oft nicht mehr als äußere Unterwerfung unter die Macht des Gesandten - zerbrechlich war und des Glaubens entbehrte (vgl. 49, 14).
Die uralte Inschrift auf dem Grab Muhammads in Medina lautet:
"Friede sei auf Dir, o Gesandter. Wir bezeugen, daß du die Botschaft getreu übermittelt hast, daß du auf dem Wege Gottes gekämpft hast bis Gott Seine Religion verherrlicht und vervollkommnet hat."4
Die Inschrift bringt prägnant die vitale Einheit des Wortzeugnisses und der politisch-militärischen Anstrengung in der Karriere des Propheten - und damit im Verständnis des Islam - zum Ausdruck.
Die politisch-miltärische Dimension des Lebens und der Botschaft Muhammads
Wenn Muslime von den Christen die Anerkennung Muhammads ersuchen, kommen sie nicht daran vorbei, die historischen Daten der sira sowie die entsprechenden Texte des Korans und deren normative Bedeutung im Gesamt der islamischen Glaubensvision ernst zu nehmen. Islamische Mystiker und moderne muslimische Idealisten haben in verschiedenen Weisen von der politischen und militärischen, d.h. der dschihad-Dimension der sira und den entsprechenden Texten des Korans abstrahiert. Aber kein Bild von Muhammad kann letztlich die historischen Fakten und ihren normativen Anspruch einfach beiseite schieben oder negieren, und sicher muß sich eine christliche Beurteilung Muhammads mit dieser Dimension seines Lebens und seiner Botschaft auseinandersetzen. Das Grundproblem für die Christen in bezug auf Muhammads Verständnis seiner Sendung ist die Anwendung von Gewalt aus heiliger Empörung über die Ablehnung der Autorität Gottes und seines Gesandten. Denn indem die prophetische Sendung auch unter Anwendung politischer und militärischer Gewalt vollzogen wird, büßt sie - in biblisch-prophetischer und in christlicher Sicht - die Qualität der Wahrheit und Gerechtigkeit ein, die sie zu rechtfertigen sucht.
Der bedeutende zeitgenössische islamische Denker Fazlur Rahman (1919-1988) ist da allerdings ganz anderer Meinung:
"Muhammad verlor niemals die Hoffnung auf Erfolg, noch, in der Tat die entsetzlich-brutale Erkenntnis, daß es ihm als Pflicht aufgetragen war, erfolgreich zu sein. Es ist Bestandteil der koranischen Lehre, daß das bloße Überbringen der Botschaft, die Erfahrung von Enttäuschung und das Erleiden von Mißerfolg, unreife Spiritualität darstellt."5
Hier stellt sich die Frage, was genauer unter "unreif" und "spirituell" zu verstehen sei. Im Zusammenhang mit dieser Frage ist die Beobachtung von Bedeutung, daß der Koran und damit Muhammad die politisch aktiven Patriarchen und Richter des Alten Testaments zu den wahren Vertretern prophetischer Aktion machen: Mose, David und Abraham; Noah, der den Fluten trotzt. Sie, alle Helden des Erfolgs, sind die Vorbilder für den Propheten des Islam, während "die Heilige Schrift der Muslime ganz und gar über die geduldigen Diener des Wortes, über Amos, Hosea, Jesaja, und vor allem auch Jeremia schweigt, die alle um der Integrität des Wortes willen der Macht abschwören und mit leidenschaftlicher Hingabe glauben, daß es getreuer ist, würdig zu scheitern als unwürdig erfolgreich zu sein"6.
Dieses Schweigen ist kein Zufall, es stimmt mit den Normen und dem Geist des Korans überein. Hätte der Koran und die Verkündigung Muhammads Jeremia und all die leidenden Knechte der biblischen Tradition miteinbezogen, dann hätte dies eine unerträgliche Infragestellung fester muslimischer Grundüberzeugung bedeutet. Umgekehrt heißt dies: Muhammad steht nicht in der Reihe der Prophetengestalten, die für das Bild des biblischen Propheten und den Charakter seiner Botschaft maßgebend geworden sind.
Die getreue "bloße" Übermittlung der Botschaft, die Rahman kategorisch als Indiz unreifer Spiritualität brandmarkt, setzt den Menschen nach unserer Überzeugung nicht in der gleichen Weise der Versuchung aus, sich dessen zu bemächtigen, was allein Gottes ist (vgl. Sure 3, 79-80), wie eine Verkündigung der Botschaft, die sich gewaltsamer bzw. zwingender Mittel bedient. Denn solche politisch-militärische Macht benötigt und rechtfertigt zugleich Selbstinteresse und Feindschaft, welche dann die Botschaft diskreditieren. So "mußte" ein Jeremia, eben um die Freiheit seines Zeugnisses für das göttliche Wort zu wahren, penibel auf seine geistliche Unabhängigkeit achten und sich aller möglichen politischen Instrumentalisierung seiner Person und Botschaft energisch erwehren. Und er zahlte den Preis dafür.
Prophetische Wehr- und Gewaltlosigkeit sind das Korrelat dazu, was der göttliche Wille vom Menschen als Antwort auf seine Einladungen und Willensäußerungen in Aufrichtigkeit erwartet. Eine Antwort, die einzig in der Liebe zu diesen gründet und nicht in der Angst vor Strafen und Konsequenzen, die der Mensch durch die Hand des Propheten selbst im Fall der Zurückweisung zu erwarten hätte. Das Leiden der Propheten im Dienst des Wortes ist nicht mehr und nicht weniger als ihre Partnerschaft mit der göttlichen Gnade in ihrer wesensgemäßen Freiheit von jeglichem Zwang (2, 256) im Angesicht gewaltbereiter Ablehnung des Anspruches Gottes seitens der Menschen.
Muslimische Denker deuten nicht von ungefähr die Tatsache, daß Jesu prophetischer Weg der politisch-militärischen Dimension entbehrte, als eine von der römischen Macht erzwungene "Entbehrung" und eben nicht als die vollkommene und letztgültige Form prophetischer Existenz und prophetischen Schicksals7. Kenneth Cragg bemerkt zu dieser Frage in Anspielung auf Paulus' berühmte Aussage in 1 Kor 1, 24 treffend: "Die Macht und die Weisheit Gottes erweisen sich - in der Darstellung des Korans - nicht in der Kreuzigung seines Dieners Jesus sondern vielmehr in der Errettung von ihr."8 Das Muster der sira Muhammads - über die Hidschra als bewußte Auswanderung bis hin zur glorreichen Eroberung Mekkas - steht im Konflikt zum Weg Jesu, des Messias: über die Erniedrigung des Kreuzes hin zur Auferstehung, deren sichtbare Macht und Glorie erst in der kommenden Welt voll aufscheinen werden.
Koran und Muhammad gemessen am Maßstab des Evangeliums
Statt einer kontroversen Auseinandersetzung traditionellen Stils über die zentralen Themen der jahrhundertealten Kontroverse (z.B. Korruption oder Zuverlässigkeit der biblischen Schriften, Ablösung der Autorität Jesu durch jene Muhammads, der Weg durch das Kreuz zur Auferstehung und schließlich die Frage der Endgültigkeit des Botschafters und der Botschaft) soll hier von dem ausgegangen werden, was zentrale Lehre von Koran und Muhammad selbst ist: die Wahrheit von Gott und Mensch. Christologie und Erlösungslehre sollen also dort verortet werden, wo sich tiefste islamische und christliche Überzeugungen zunächst einmal treffen.
Auf diesem Weg befinden wir uns näher am Denken und an der Vorgehensweise, die Paulus so zum Ausdruck bringt: "Wir verkündigen nämlich nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns selbst aber als eure Diener um Jesu willen" (2 Kor 4, 5). Von daher fragen wir aus der Perspektive des christlichen Glaubens: Ist die Darstellung der göttlichen Souveränität im Koran vollständig, tiefgreifend und konsequent genug? Kann das koranische Verständnis von Letztgültigkeit, also von der Letztgültigkeit einer Botschaft, die den Rahmen der Gesetzgebung nicht überschreitet, zutiefst überzeugen? Ist der im koranischen Sinn rechtgeleitete Mensch wirklich und ganz Mensch im Heil?
Das Prophetische des Korans kommt in Rechtleitung, Belehrung, Direktive, Warnung, Ermahnung zu seinem Höhepunkt. In der Prophetie wird die Relevanz des Schöpfers als eine wesentlich erzieherische und aufs Erzieherische beschränkte verstanden. Propheten werden im Koran gesehen als Tutoren der Menschheit. Gottes Tutorium erleuchtet, informiert, leitet, ermuntert, warnt. Es diszipliniert, verhindert und verpflichtet. Die ganze Welt ist sozusagen eine Schule. Die göttliche Rechtleitung durch den Propheten instruiert den Menschen, die ihm von Gott aufgetragene Herrschaft als Gottes "Stellvertreter" (2, 30; 38, 26) in den rechten Bahnen zu vollziehen. Darin besteht die Pflicht und Würde des rechtgeleiteten Menschen.
Schöpfung, Offenbarung und Gesetzgebung im Koran
Wie anerkennenswert und großartig die koranischen Aussagen zu Gott, Schöpfung und Rechtleitung auch sind, gemessen am Maßstab der Offenbarung in Jesus Christus sind sie unvollendet und Stückwerk. Ist Erziehung von seiten Gottes wirklich alles, dessen die Menschheit bedarf? Sollte es nicht ein "Mehr" geben? Erfüllt die Belehrung des Gesetzes mittels Verbot und Gebot die tiefste Intention des Gesetzes und seines Gebers? Entdecken wir nicht von den biblischen Propheten und von Jesus her in der göttlichen Souveränität Dimensionen, die die Kategorien "Erziehung" und "Befehl" weit übersteigen?
In Mt 11, 9 hören wir: "Ihr habt sogar mehr gesehen als einen Propheten." Dieses "Mehr" bestimmt das ganze Neue Testament, es handelt sich um das Mehr des messianischen Handelns auf Erlösung hin. Das Mehr liegt im liebenden Engagement Gottes über die Erziehungsmaßnahmen des Gesetzes hinaus, die der Mensch immer wieder abgelehnt hat und ablehnt. Das Mehr zeigt sich im Kommen Gottes selbst in Fleisch und in Person, in Leiden und Erlösung - weit über das gesprochene Wort hinaus.
Rechtleitung und gesetzliche Weisung (schari'a) haben ihre Würde und ihren Segen. Jedoch darf gefragt werden, ob sie eine letztgültige und "letztlich wirksame" Antwort auf des Menschen fortwährende Halbherzigkeit, Auflehnung gegen das Gesetz, ja auf die Infragestellung des Anspruchs des Gesetzes und seines Gebers bis hin zur Pseudoanbetung und zu einem Leben unter Ausschluß Gottes (2,107) sind? Denn trotz göttlicher Weisung, Drohung und Strafe dauern die Wurzelsünden fort: Herzenshärte, Heuchelei, Stolz, Selbstbewunderung. Ist Prophetie das alleinige, unübertreffliche und letztgültige Mittel für die Heilung dieser Wunden? Nur wer den Ernst der Situation des Menschen und die Reichweite der Kompetenz Gottes unterschätzt, wird diese Frage mit einem schlichten Ja beantworten. Das Evangelium legt uns nahe, das Bekenntnis Allahu Akba (Deus semper maior - Gott ist je größer!) weiter und tiefer zu verstehen. Das Bemühen um solch tieferes Verständnis der wahren Bedeutung der Größe Gottes erscheint wesentlich und anregend für das geistliche Gespräch zwischen Christen und Muslimen. Es geht um den Kern unseres jeweiligen Glaubens an Gott!
Das Evangelium Jesu Christi sagt: Der Verweis auf Gottes Transzendenz allein genügt nicht zur Einschätzung Gottes. Der Akzent auf der Transzendenz Gottes "muß" ausgeglichen und ergänzt werden durch einen weiteren: den Akzent auf das Engagement Gottes, das sich erweist in der von Gott selbst eingegangenen "Bindung seiner selbst" an den Menschen, der ein Wesen der unendlichen Sehnsucht und Großmut, aber auch der Schwäche und Verfallenheit an die Macht der Sünde ist.
Nun spricht der Koran durch Muhammad in der Tat eindrucksvoll von Gottes Nähe zum Menschen: "Wir sind ihm näher als die Halsschlagader" (50,16). Solche Nähe wird im Koran zusammengedacht mit Ferne und Unnahbarkeit, denen gehorsame Unterwerfung und Willfährigkeit des Geschöpfes entsprechen. Das Evangelium jedoch spricht von noch einer anderen Dimension der göttlichen Transzendenz, die sich in göttlicher Liebe verwirklicht, von der Verbindung Gottes mit der Menschheit rein aus Gnade. Hat der Islam in Folge seiner äußerst prononcierten Ablehnung jeglicher Anbetung von Götzen sowie jeglicher Verbindung des Menschen mit den Götzen im Hinblick auf das, was wir die göttliche Verbundenheit mit der Menschheit in Gnade nennen müssen, nicht doch einen tragischen Verlust erlitten? Dieser Verlust hat sich vielleicht deshalb ergeben, weil Muhammad so kompromißlos dazu aufrief, die Verbindung Gottes mit Götzen zu denunzieren.Christen werden fragen: Wird nicht Gottes Transzendenz ursprünglich dann gewahrt und geschätzt, wenn wir sie nicht nur gegen Götzen verteidigen, sondern auch gegen die menschliche Sünde? Allahu Akbar: "Gott ist der je Größere" ist, christlich verstanden, ein Ruf der Freude über die gottgewirkte Erlösung von der Sünde, die endgültige Heilung ihrer tödlichen Wunde. Der Ruf ist mehr als bloßer Triumph über Vielgötterei.
Muslime und Christen sind im Glauben an den einen Gott geeint. Der christliche Glaube aber sagt: Es gibt ein unbedingtes und unbegrenztes Interesse Gottes am Wohl der Menschheit. Schöpfung bedeutet von seiten Gottes auch Risiko und Verbindlichkeit: Gott geht eine Art von Haftung freiwillig ein.
Die Schöpfung ist nach dem Plan Gottes angelegt auf Mitwirkung, auf islam als Hingabe des Geschöpfes, zu der Gott es ruft und in der das menschliche Geschöpf antwortet. Diese intendierte freie Antwort des Menschen in Hingabe kann weder automatisch noch garantiert sein. Zu Puppen brauchen Propheten nicht gesandt zu werden. Was dem Menschen also durch Rechtleitung als Wille des Schöpfers und Herrn zu wissen gegeben wurde, muß vom Menschen als solchem gewollt werden. Wenn aber Schöpfung so angelegt ist, geht sie dann zusammen mit der im Koran so stark betonten "Immunität", "Unverletzlichkeit" und, in diesem Sinn, "Erhabenheit" Gottes über das undankbare Vergessen Gottes und den rebellischen Ungehorsam gegen ihn?
Die gleiche Logik obwaltet im Hinblick auf Gott, den Offenbarenden und Gesetzgeber, denn Rechtleitung und Gesetz liegen auf einer Linie mit der Schöpfung und bringen ihre Zielgerichtetheit zum Ausdruck. Grundsätzlich divergieren die Lehre Muhammads und die Lehre Jesu hinsichtlich der Frage des göttlichen Engagements in der Situation des Menschen nicht. Zur Debatte stehen Maß und Grad. Sind Transzendenz und Größe Gottes einerseits und radikales Engagement Gottes für den Menschen andererseits wirklich als gegensätzlich und miteinander konkurrierend zu verstehen? Oder anders gefragt: Muß Gottes Art, sich um den Menschen zu kümmern, als wesentlich auf Gesetz, rechtliche Ermahnung und Gericht beschränkt gesehen werden?
Der Maßstab Christi reicht weiter, bis hin zur Gnade der Selbstgabe in Inkarnation und leidender Liebe. Während der Koran Erlösung als der göttlichen Souveränität ungemäß ablehnt, lebt das Evangelium von der freien Gabe Gottes in Jesus Christus. Als Christen meinen wir: Dieses Geschenk kann angesichts des Glaubens an den je größeren Gott kaum ausgeschlossen werden. Der christliche Glaube schreibt Gottes Größe eine letzte Freiheit zu, die ihr alleiniges Maß in sich selbst gebender Liebe hat. Angesichts der Behauptung des Korans, Gott dürfe und könne nicht mehr tun als zu senden, muß das christliche Bekenntnis Gott als den bekennen, der kommt und sich gibt als Logos-Liebe.
Im Gottesbild des Korans bzw. Muhammads ist kein Platz für einen leidenden Gott. Hier wird das Leiden als von außen auferlegt, Gott begrenzend und entwürdigend gesehen. Deshalb muß Gott leidensfrei und unfähig zu jeglichem Leid gedacht werden. Einer so verstandenen Leidensfreiheit Gottes stimmt die christliche Lehre zunächst einmal zu. Beim christlichen Bekenntnis zu Gott als dem Vater des Gekreuzigten wird jedoch eine Liebe bekannt, die souverän und frei, eben ganz aus Liebe leidet. Und so gesehen - im Licht der inneren Bedeutung von Schöpfung und Prophetie, die uns die Offenbarung Jesu erschließen - wird Gottes Souveränität viel grundsätzlicher in Frage gestellt, wenn der Glaube es Gott untersagt - und sei es aus den frömmsten Motiven -, seine Souveränität gegen alles Böse aufrechtzuerhalten durch die alles besiegende Majestät seiner barmherzigen Liebe. Die Sorge um die Immunität Gottes von Risiko, Beziehung und Mitleiden erweist sich so, christlich betrachtet - paradoxerweise - als das eher "ungläubige" Bekenntnis einer falsch verstandenen göttlichen Einheit.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Muhammad eine überragende religiöspolitische Gründergestalt ist, die viele Menschen zu Gott geführt hat, die jedoch die Liebe Gottes und die Größe der Berufung des Menschen, die in Jesu Leben, Leiden, Kreuzestod und Auferstehung offenbar geworden sind, nicht erkannt hat.
Stimmen der Zeit (2007) 291-303