Wasser - Erde - Theologie

Fragen des Zugangs zu Wasser sind Fragen der Gerechtigkeit. Diese Erkenntnis setzt sich zunehmend in der internationalen Wasserdebatte und auch im kirchlichen Diskurs durch. Damit verlagert sich die Beschäftigung mit Wasserthemen immer stärker von der naturwissenschaftlich-technischen auf die politisch-soziale Ebene. Dieser Paradigmenwechsel der letzten zwei Jahrzehnte hat auch Konsequenzen für die theologische Reflexion und dies besonders in Ländern, die unter Wassermangel und einem sehr ungleichen Zugang zu sauberem Wasser leiden. In seinem Buch „Gottes Geist kommt im Wasser. Wasserkrise, Religionen und ökologische Spiritualität" arbeitet der brasilianische Theologe Marcelo Barros heraus, wie eng Wassernutzung und ökonomisches System zusammenhängen:

„Es nützt nichts, die Natur zu verteidigen und sich Sorgen um das Wasser zu machen, wenn sich das System nicht ändert, das die wahre Ursache für das beunruhigende Bild ist. Wenn das herrschende sozioökonomische Entwicklungsmodell nicht revidiert wird, gibt es keine wirkliche Abhilfe für die ökologische Zerstörung und die Wasserkrise."(1)

Solche Einschätzungen gewinnen in der katholischen Kirche, aber auch in vielen evangelischen Kirchen der Welt sowie in den kirchlichen Hilfswerken an Zustimmung und sind Antriebsfedern für ein Engagement für das Wasser und ein Leben in Fülle. Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, daß das „Dritte Weltforum Theologie und Befreiung", das im Januar 2009 in Belem/Brasilien stattfindet, unter dem Motto „Wasser, Erde, Theologie - eine andere Welt ist möglich" steht(2).

Immer knapper und immer teurer

Sauberes Trinkwasser wird auf der Erde immer knapper. Weltweit leiden mehr als eine Milliarde Menschen unter akutem Wassermangel. Die Gründe dafür sind vielfältig, die Folgen katastrophal. Das trinkbare Wasser ist auf der Welt sehr ungleich verteilt. Wasserreichen Ländern wie Finnland und Kanada stehen Länder mit großer Wasserknappheit wie zum Beispiel Mali oder Jemen gegenüber. Eine wachsende Bevölkerung, der große Wasserbedarf von Landwirtschaft und Industrie sowie die hohe Schadstoffbelastung vieler Flüsse und zunehmend auch der Grundwasservorräte verschärfen die Probleme. Etwa 70 Prozent des Wassers, das von Menschen genutzt wird, dient der Landwirtschaft, 20 Prozent der Industrie und zehn Prozent den privaten Haushalten(3). Der Konkurrenzkampf um sauberes Wasser nimmt in vielen Regionen der Welt zu, und wer in Ländern mit „Wasserstreß" nicht über genug Geld und Einfluß verfügt, der ist häufig auf das Wasser aus verschmutzten Flüssen oder Seen angewiesen. Jedes Jahr sterben mehrere Millionen Menschen auf der Welt an wasserbedingten Krankheiten, darunter ein hoher Anteil von Kindern. Nach UNICEF-Schätzungen sterben jeden Tag 4000 Kinder, weil ihnen sauberes Trinkwasser fehlt(4).

In den armen Ländern der Welt ist nur eine Minderheit der Bevölkerung an öffentliche Wasserversorgungssysteme angeschlossen(5). Häusliche Wasseranschlüsse gibt es meist nur in den Städten und dort wiederum nur in den Stadtvierteln der wohlhabenden und reichen Bevölkerung. Und selbst für diese privilegierte Minderheit ist die Versorgung oft unzureichend. In vielen Großstädten armer Länder muß das Leitungswasser abgekocht werden, bevor man es trinken kann. Nicht selten kommt nur einige Stunden am Tag Wasser aus der Leitung, manchmal sogar nur an einigen Tagen in der Woche. Ein Grund dafür ist, daß die Bereitstellung von ausreichend Trinkwasser immer schwieriger wird, weil die Grundwasservorräte übernutzt worden sind und das Oberflächenwasser verschmutzt ist.

Um so fataler wirkt sich aus, daß in vielen dieser Städte zwischen einem Drittel und der Hälfte des Wassers zwischen Wasserwerk und Wasserhahn verloren geht. Ein Teil des Wassers wird illegal abgezapft, und zwar nicht nur von durstigen Bewohnern der Armenviertel, sondern manchmal auch von prosperierenden Unternehmen, die Kosten sparen wollen. Aber der größte Teil der Wasserverluste resultiert aus Leckagen. In Städten wie Dar es Salaam in Tansania stammen die meisten Leitungen noch aus der Kolonialzeit und wurden seither nur schlecht gewartet. Lediglich acht Prozent der Einwohner der Millionenstadt verfügen über einen Wasseranschluß. Steigenden Wasserpreisen stehen oft völlig unzureichende Leistungen der Wasserversorger gegenüber. Zu den undankbarsten Aufgaben gehört in Dar es Salaam und anderen Großstädten in Afrika, Asien und Lateinamerika deshalb das Eintreiben des Wassergelds von Kunden, die nicht einsehen wollen, warum sie immer mehr Geld dafür zahlen sollen, daß sie nur selten Wasser aus der Leitung bekommen(6).

Auch diejenigen, die über keinen Wasseranschluß verfügen, sind von dieser Misere mitbetroffen. Wer in Slumgebieten wenigstens über etwas Geld verfügt, bezieht sein Trinkwasser in Kanistern und Eimern von Wasserverkäufern. Diese kommen mit Handkarren oder mit Tanklastwagen in die Armenviertel und bieten Wasser an, das sie oft aus einem privaten Wasserhahn in einem wohlhabenden Stadtteil bekommen haben. Steigt dort der Wasserpreis, müssen auch die Armen Preiserhöhungen hinnehmen. Dabei zahlen sie für ihr Wasser ohnehin weit mehr als die Wohlhabenden, denn die Wasserhändler wollen ihre Kosten decken und einen Gewinn erzielen.

In vielen ländlichen Gebieten im Süden der Welt ist die Trinkwasserversorgung sogar noch prekärer. Frauen und Mädchen müssen oft viele Kilometer laufen, um den nächsten Brunnen oder Fluß zu erreichen und dann mühsam einen schweren Kanister Wasser auf dem Kopf nach Hause zu tragen. Oft muß der lange Weg mehrmals am Tag zurückgelegt werden, um eine Großfamilie mit einem Minimum an Wasser zu versorgen. Die Folge ist, daß viele Mädchen keine Schule besuchen können und der Arbeitstag der Frauen noch länger wird. Besonders in Afrika müssen die Frauen sich nicht nur zusätzlich um den Haushalt und die Kinder kümmern, sondern tragen auch die Hauptlast der landwirtschaftlichen Arbeit. Gender-Ungerechtigkeit wird also durch einen prekären Zugang zu Wasser wesentlich verschärft. Entsprechend groß ist das Interesse der Frauen an Brunnen in der Nähe ihrer Häuser. Auch einfache technische Anlagen zum Sammeln von Regenwasser, wie sie von Hilfswerken wie Misereor gefördert werden, stellen eine Entlastung für die Frauen dar.

Wachsende Konflikte um Wasser und Land

„Whisky ist zum Trinken da, Wasser, um darum zu kämpfen", so soll der amerikanische Schriftsteller Mark Twain die Konflikte um das knappe Gut Wasser in der Zeit des „Wilden Westens" in den USA beschrieben haben. Seither haben sich global die Auseinandersetzungen verschärft, und zwar sowohl innerhalb einzelner Länder als auch zwischen Staaten. Bedrohliche Ausmaße haben die Konflikte zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern in verschiedenen regenarmen Ländern Afrikas angenommen. Kenia ist ein Beispiel dafür. Wenn Viehzüchter im kargen Norden des Landes erleben, daß der Regen ausbleibt und die ersten Rinder verdursten, kommt es häufig zu bewaffneten Konflikten zwischen den Hirtengruppen um verbliebenes Weideland und Brunnen. Während solche Konflikte früher mit Speeren ausgetragen wurden, fordert heute der Einsatz von Kalaschnikows eine große Zahl von Menschenleben(7).

Viele Hirtenfamilien ziehen bei lang anhaltenden Dürren weiter in den wasserreicheren Süden Kenias, in Gebiete, in denen sich inzwischen dicht an dicht die Felder der Ackerbaufamilien ausdehnen. Unvermeidlich nähern sich die Herden diesen Feldern und fressen nicht selten die angebauten Getreide- oder Gemüsepflanzen. In der Folge kommt es zu verbalen und oft auch gewaltsamen Konfrontationen(8), die in der internationalen Presse dann vereinfacht als „ethnische Konflikte" bezeichnet werden.

Tatsächlich kommen viele Faktoren zusammen, um aus Streit blutige Kämpfe werden zu lassen. Der globale Klimawandel hat zur Konsequenz, daß es in ohnehin niederschlagsarmen Regionen Ostafrikas noch seltener regnet. Zudem wird unberechenbarer, wann Niederschläge fallen; auf traditionelles Wissen über Regenzeiten ist kein Verlaß mehr. Und wenn es endlich regnet, sind die Niederschläge oft kurz und heftig und tragen wenig zum Wachstum der Pflanzen und zur Grundwasserbildung bei. Gleichzeitig steigt der Druck auf die Ackerbauern, immer mehr zu produzieren, um sich auf einem liberalisierten, für ausländische Konkurrenten geöffneten Agrarmarkt zu behaupten.

Gekoppelt mit einem raschen Bevölkerungswachstum führt das dazu, daß in weiten Teilen Kenias jede noch so kleine Fläche für Acker- und Gartenbau genutzt und das Ackerland weiter in die Savannengebiete ausgedehnt wird. Diese Landnahme raubt den Viehzüchtern den Zugang zu bisherigen Weideflächen. Besonders konfliktträchtig ist die rasche Ausweitung der Bewässerungslandwirtschaft (besonders beim Blumenanbau für den Export) entlang der kenianischen Flüsse und Seen(9). Die moderne exportorientierte Landwirtschaft bringt hohe Deviseneinnahmen, raubt den Viehzüchtern aber den Zugang zum Wasser. Vor die Wahl gestellt, ihr Vieh verdursten zu lassen oder es über die neuen Felder ans Wasser zu treiben, entscheiden sie sich oft für den zweiten Weg.

Nicht nur in Kenia sind die Konflikte um Land und um Wasser aufs engste miteinander verwoben. Ein weiteres Beispiel ist Ägypten: Seit dem Bau des Assuan- Staudamms in Oberägypten fällt am Unterlauf die jährliche Nilflut aus, die jahrtausendelang die Felder rechts und links des Flusses mit Wasser und Nährstoffen versorgte. Jetzt sind die Bauern auf Motorpumpen angewiesen, um ihre Felder zu bewässern. Kleinbauern müssen oft Pumpen von Großbauern ausleihen, die sich zudem häufig den bevorzugten Zugang zum Wasser sichern. In die Enge getrieben, bleibt vielen Kleinbauernfamilien nichts übrig, als ihr Land an die Großbauern zu verkaufen und in die Armenviertel der großen Städte zu ziehen(10).
In Indien gibt es ähnliche Konflikte um Pumpen und Wasser, und hier bestehen zusätzliche Konflikte mit großen Konzernen wie zum Beispiel der Coca-Cola Company. Der Boom der Softdrink- und Flaschenwasserverkäufe in Indien stellt die Anbieter vor das Problem, wie sie die erforderlichen großen Mengen Wasser für die Füllung der Flaschen, vor allem aber für die Reinigung der gebrauchten Flaschen beschaffen können. In einigen indischen Bundesstaaten reicht der Besitz eines Grundstücks aus, um das Recht zu haben, Brunnen zu bohren und eine beliebig große Menge Wasser zu fördern. Diese Bestimmungen stammen aus der Zeit der handgegrabenen Brunnen und der Wasserförderung mit Eimern. Jetzt aber werden Tiefbrunnen gebohrt und mit Motorpumpen große Mengen Grundwasser zur industriellen Nutzung gefördert. In Plachimada im Bundesstaat Kerala in Südindien hat dieses Vorgehen von Coca-Cola zu einem landesweit beachteten Konflikt mit den lokalen Bauernfamilien geführt. Die starke Übernutzung der Wasserressourcen durch den internationalen Konzern hatte nämlich zur Folge, daß die Brunnen der örtlichen Bevölkerung, die nur eine geringe Tiefe haben, trocken fielen(11).

Zwischenstaatliche Konflikte

Zunehmend treten Konflikte um das knapper werdende Wasser auch zwischen benachbarten Staaten auf. Weltweit gibt es über 200 grenzüberschreitende Flüsse. In manchen Fällen, so am Rhein, gibt es Verträge der Anrainerstaaten, die eine Übernutzung des Wassers oder eine zu große Schadstoffbelastung verhindern. In anderen Fällen gibt es immer wieder Konflikte darum, wer wieviel Wasser nutzen darf. Die politischen Konflikte der Anrainerstaaten des Jordans - Israel, Libanon, Syrien, Jordanien und Palästina - werden durch den Streit um die Nutzung des Jordanwassers verschärft(12). Israel ist bisher nicht bereit, die Golanhöhen an Syrien zurückzugeben, weil befürchtet wird, das Nachbarland könnte dann Wasser aus den Quellflüssen des Jordans ableiten und so weniger Wasser in den Fluß und den See Genezareth gelangen, eine der wichtigsten Trinkwasserquellen Israels. Die Palästinenser sind verbittert, weil Israel ihnen den Zugang zum Jordanufer und die Nutzung des Jordanwassers verwehrt. Zur Zeit nutzen Israel, Syrien und Jordanien so viel Wasser des Jordans und seiner Zuflüsse, daß nur noch ein Bruchteil der früheren Wassermenge von der Jordanmündung in das Tote Meer fließt. Als Folge sinkt der Wasserspiegel des Toten Meeres ständig, dessen Länge von 80 auf 50 Kilometer geschrumpft ist(13).

Dies ist kein untypischer Fall für die „Lösung" grenzüberschreitender Wasserprobleme. Mangels einvernehmlicher, verbindlicher Vereinbarungen übernutzen alle Anrainerstaaten mancher grenzüberschreitender Flüsse und Seen die vorhandenen Ressourcen. Im Fall des Ganges und weiterer Flüsse, die aus Indien nach Bangladesch fließen, hat die indische Übernutzung zur Konsequenz, daß so wenig Wasser das riesige Mündungsdelta des dicht bevölkerten Bangladesch erreicht, daß immer mehr salziges Ozeanwasser eindringt und die Landwirtschaft und den Fischfang schwer schädigt(14). Beim Mekong sind es die vietnamesischen Bauernfamilien im Flußdelta, die darunter zu leiden haben, daß eine wachsende Zahl von Staudämmen am Oberlauf des Flusses die Wassermenge und die Strömungsverhältnisse gravierend verändern(15).

International ist in den letzten Jahren das Bewußtsein dafür gewachsen, welches Konfliktpotential die wachsende Knappheit von Trinkwasser und die Konkurrenz um das verbleibende Wasser haben. Es wird befürchtet, daß es in den Kriegen des 21. Jahrhunderts nicht mehr um Erdöl, sondern um Wasser gehen wird. Erfreulicherweise gibt es jedoch eine ganze Reihe von Initiativen, um solche Auseinandersetzungen zu verhindern.

Ein wichtiger Schritt war, daß bei einem Millenniumsgipfel der Regierungschefs von 189 Ländern im Jahr 2000 in New York die Millenniumsentwicklungsziele formuliert wurden, darunter das Ziel der Verbesserung der Wasserversorgung. Bis zum Jahr 2015 soll die Zahl der Menschen halbiert werden, die ohne einen gesicherten Zugang zu ausreichend sauberem Trinkwasser leben müssen. Als Ausgangsjahr wurde 1990 gewählt. Damals fehlte etwa 1,2 Milliarden Menschen eine Wasserversorgung. Problematisch ist, daß die Regierungschefs einen ebensowichtigen Bereich „vergaßen": die sanitäre Versorgung. Sanitäre Fragen, Toiletten und menschliche Fäkalien sind nicht nur in vielen Gesellschaften eine Thematik, über die man nicht spricht; auch in den entwicklungspolitischen Verhandlungen war dies lange ein totgeschwiegenes Thema. Immerhin wurde 2002 beim UN-Gipfel für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg beschlossen, zusätzlich die Halbierung der Zahl der Menschen ohne sanitäre Versorgung bis 2015 in den Katalog der Millenniumsentwicklungsziele aufzunehmen. Hierbei geht es um die tagtäglichen Probleme von über zwei Milliarden Menschen.

Parallel dazu gibt es zahlreiche Initiativen, um den Wasserstreß in vielen Ländern des Südens dadurch zu vermindern, daß effizientere Formen der Bewässerungslandwirtschaft eingeführt, der industrielle Wasserverbrauch vermindert und die Belastung des Wassers durch Schadstoffe reduziert wird. Nachfolgend soll es exemplarisch um Konzepte und Initiativen für eine grundlegende Verbesserung der städtischen Trinkwasserversorgung gehen.

Privatunternehmen - besser und preiswerter?

In den 80er und 90er Jahren machte sich bei der Weltbank und anderen Trägern von Entwicklungsprogrammen eine große Frustration im Blick auf die öffentlichen Wasserversorgungsbetriebe in Afrika, Asien und Lateinamerika breit. Ineffizienz und Korruption waren vielerorts so weit verbreitet, daß Entwicklungsgelder ebenso versickerten wie das kostbare Trinkwasser. Viele dieser Betriebe schienen nicht in der Lage zu sein, die Versorgung für die vorhandenen Kunden nachhaltig zu verbessern und zusätzlich die wachsenden Armenviertel mit Anschlüssen zu versorgen, und seien es auch nur Gemeinschaftsanschlüsse. Fairerweise muß gesagt werden, daß die meisten dieser Betriebe unter einem chronischen Finanzmangel litten und daß Behörden und das Militär ganz oben auf der Liste derer standen, die ihre Wasserrechnungen nicht beglichen. Die Weltbank und staatliche Träger der westlichen Entwicklungsunterstützung setzten zur Lösung der Misere auf private Akteure. International tätige Wasserunternehmen sollten ihr Know-how und Kapital bereitstellen, um die städtische Wasserversorgung grundlegend zu verbessern und auszuweiten. Dabei spielte auch die neoliberale „Glaubensüberzeugung" eine Rolle, daß private Unternehmen immer effizienter arbeiten als kommunale und staatliche.

Das Interesse vieler geldgebender Stellen an einer privaten Beteiligung traf sich mit dem Interesse einiger internationaler Unternehmen, als „Global player" am Geschäft mit dem „blauen Gold" zu partizipieren. Neben den großen französischen Wasserkonzernen Suez und Veolia waren es zunächst vor allem britische Unternehmen, die auf die internationalen Märkte drängten. Aber auch der deutsche RWE-Konzern wollte Ende der 90er Jahre von dem anscheinend lukrativen internationalen Wassergeschäft profitieren. Durch den Erwerb von Thames Water (dem privaten Wasserversorger Londons mit vielen internationalen Aktivitäten) und American Water Works (dem größten privaten US-Versorger) stieg RWE zu einem der großen Drei der Branche auf.

Allerdings erbte RWE damit auch Konfliktfälle, zum Beispiel in der indonesischen Hauptstadt Jakarta: Thames Water und Suez hatten unter dem Diktator Suharto 1997 die Konzession erhalten, jeweils die Hälfte der Bevölkerung der Millionenstadt mit Trinkwasser zu versorgen. Aber die asiatische Wirtschaftskrise Ende der 90er Jahre zerstörte alle Hoffnungen, rasch Gewinne mit dem Wasser zu machen. Die Aufsichtsbehörden stimmten angesichts wachsender Verarmung der Bevölkerung den beantragten drastischen Preissteigerungen nicht zu, und schon die genehmigten Erhöhungen lösten großen Unmut in der Bevölkerung aus - dies um so mehr, als die ausländischen Betreiber angesichts der eigenen Verluste ihre Investitionstätigkeit stark einschränkten. Zudem gab es immer wieder Konflikte mit den unzufriedenen Beschäftigten, die ihre bescheidenen Gehälter mit den Einkünften der europäischen Manager verglichen. Beträchtliche Verluste und eine schlechte Presse in Ländern wie Indonesien ließen RWE rasch erkennen, daß der Traum vom schnellen Wassergeld sich nicht erfüllen würde. 2005 beschloß der Essener Konzern, sich wieder auf das Strom- und Gasgeschäft zu konzentrieren und seine internationalen Wasseraktivitäten auf Mittel- und Osteuropa zu begrenzen(16).

Auch Suez und Veolia mußten die Erfahrung machen, daß dort keine glänzenden Geschäfte zu erwarten sind, wo die Kaufkraft der Bevölkerung zu gering ist. Dabei hatten sie sich ohnehin auf die „Rosinen" im Wassergeschäft konzentriert, also auf einige große Städte wie Manila, Buenos Aires und Johannesburg. Aber auch das rechnete sich in vielen Fällen nicht. Die von der Weltbank erhofften Milliardenbeträge wollten sie ohnehin nicht investieren, sondern verzichteten meist auf den Kauf der eher maroden Wasserwerke und Leitungsnetze. Sie schlossen statt dessen Managementverträge ab, die keinen nennenswerten Kapitaleinsatz erforderten. Aber das schützte nur vor Kapitalverlusten, nicht vor Konflikten und geschäftlichenRückschlägen.

Außerdem hatten die Konzerne den Widerstand breiter Kreise der Bevölkerung gegen die Privatisierung der Wasserversorgung unterschätzt. Die Menschen fürchteten zu Recht, daß private Unternehmen die Wasserpreise noch stärker als kommunale Betriebe erhöhen würden, um einen Gewinn zu erzielen. Im bolivianischen Cochabamba kam es sogar zu einem Volksaufstand, der die Regierung 2005 zwang, den Vertrag mit dem US-Konzern Bechtel und seinen Partnern wieder zu kündigen(17). Im tansanischen Dar es Salaam waren die Leistungen eines Konsortiums aus einem britischen, einem deutschen und einem einheimischen Unternehmen von 2003 an so unzureichend, daß die Regierung den Vertrag 2005 fristlos kündigte. Ein britisches Gericht sprach dem tansanischen Staat ob der schlechten Arbeit der privaten Betreiber inzwischen eine Entschädigung zu(18).

Auch in der westlichen Welt haben die privaten Betreiber mit einem schlechten Ruf zu kämpfen. In London hat der private Betreiber Thames Water das Leitungsnetz so stark vernachlässigt, daß die Wasserverluste durch Leckagen auf über 30 Prozent gestiegen sind. Dem Unternehmen schien es preiswerter zu sein, diese Verluste in Kauf zu nehmen, statt teure Reparaturen und Erneuerungsarbeiten durchzuführen. Angesichts der Wasserknappheit in Südengland überzeugte dieses Vorgehen die Aufsichtsbehörden aber nicht, und Thames Water ist jetzt gezwungen, Milliardenbeträge zu investieren, um das Leitungsnetz zu erneuern(19). Ebenso ist die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe im Jahr 1999 zu einem Fehlschlag geworden. Selbst der Präsident der Berliner Industrie- und Handelskammer sprach 2004 von einer mißglückten Teilprivatisierung(20). In den letzten Jahren sind die Wasserpreise in Berlin so stark gestiegen, daß die Wirtschaft mit Wettbewerbsnachteilen zu kämpfen hat. Hinzu kommt, daß der Berliner Senat schon mehrfach Verluste des Unternehmens ausgleichen mußte, während den privaten Betreibern Veolia und RWE ein hoher Gewinn garantiert ist - unabhängig vom Geschäftsergebnis(21).
Im Süden der Welt, aber auch in Europa wollen ob solcher Erfahrungen viele Kommunen ihre Wasserversorgung lieber selbst betreiben und diese so effizient wie möglich gestalten. In Lateinamerika ist die brasilianische Großstadt Porto Alegre zu einem Vorbild dafür geworden, die Wasserwerke effizient kommunal zu betreiben, die Beschäftigten durch Mitbestimmung zu motivieren sowie die Bürgerinnen und Bürger in Entscheidungsprozesse einzubeziehen und damit die Identifikation mit dem Versorgungsunternehmen zu erhöhen. In Porto Alegre sind inzwischen fast alle Familien an die Wasserversorgung angeschlossen, der Wasserpreis gehört zu den niedrigsten des Landes und für arme Familien gibt es einen Sozialtarif(22).

Ware oder gemeinsames Gut der Menschheit?

Bei der Debatte um die Privatisierung der Wasserversorgung und bei Konflikten um das knappe Gut Wasser geht es nicht nur um Fragen der Betriebswirtschaft und der Effizienz. Institutionen wie die Weltbank, aber auch internationale Wasserkonzerne haben völlig unterschätzt, welche elementare Bedeutung die Menschen dem Wasser zumessen. Leonardo Boff hat diese Überzeugung vieler Menschen so formuliert:

„Wasser ist kein wirtschaftliches Gut wie jedes andere. Wasser ist so eng mit dem Leben verbunden, daß wir es als Teil des Lebens und als etwas Heiliges betrachten müssen. Das Leben kann nicht zur Ware gemacht werden. Wasser ist ein natürliches Gut, eine grundlegende Quelle, aus der vor 3,8 Milliarden Jahren das Leben auf der Erde entstanden ist."(23)

Wasser, die Grundlage allen Lebens, darf nicht zu einer Ware wie jede andere werden. Davon waren zum Beispiel viele Tausend Bürgerinnen und Bürger in Hamburg überzeugt, die mit einem Volksbegehren eine Privatisierung der Hamburger Wasserversorgung verhindern wollten. Angesichts der breiten Unterstützung dieser Initiative verabschiedete die Hamburger Bürgerschaft ein Gesetz, mit dem eine Privatisierung der Wasserwerke ausgeschlossen wird.
In Südafrika gab es vor einigen Jahren massiven Protest dagegen, daß das Management von Wasserbetrieben internationalen Konzernen übertragen wurde. In Städten wie Johannesburg ist es zu Demonstrationen gegen die Privatisierungspolitik gekommen, und in einer gemeinsamen Erklärung des südafrikanischen Kirchenrates und der katholischen Bischofskonferenz Südafrikas vom 6. Juni 2002 heißt es:

„Europäische Unternehmen haben ein großes Interesse daran, ihre Wirtschaftsinteressen auf die Wasserprivatisierung auszudehnen und profitieren in erster Linie von solchen Maßnahmen. Aber die Ergebnisse der bisherigen Privatisierungen im Wasserbereich sind furchtbar. So sind zum Beispiel für viele Menschen in Südafrika, vor allem für Menschen mit minimalem Einkommen und arbeitslose Frauen, die Wasserrechnungen plötzlich auf die Hälfte ihrer Monatseinkünfte hochgeschnellt."(24)

In Ghana haben sich auch kirchliche Kreise dem Widerstand gegen die Privatisierung der staatlichen Wasserbetriebe angeschlossen.
Die katholische Kirche in Brasilien stellte die „Geschwisterlichkeitskampagne 2004" unter das Thema „Wasser - Quelle des Lebens". Die Kirche wollte mit dieser Kampagne die Bewahrung des Wasserreichtums Brasiliens erreichen und eine Privatisierung dieses gemeinsamen Gutes verhindern. Die Bischofskonferenz kritisierte, daß Wasser im Interesse transnationaler Unternehmen zu einer Ware werde, mit der Profite gemacht werden sollten. In einem Basistext zur Kampagne steht:

„Es gehört in die Verantwortung einer jeden Person, vor allem derer, die Macht und Entscheidungsbefugnis haben, über die Qualität der Gewässer und den Zugang zu ihnen für alle Menschen und Lebewesen zu wachen."

Als wichtigstes Ziel der Kampagne wurde formuliert, „in der Gesellschaft ein Bewußtsein dafür zu schaffen, daß Wasser die Quelle des Lebens ist und daß jeder ein Recht auf Wasser hat". Es wurde ein Wassergesetz gefordert, das die Wasserversorgung als staatliche Aufgabe festschreibt. Kardinal Geraldo Majella Agnelo betonte: „Wir werden keinerlei Privatisierung akzeptieren." Stattdessen müßte die demokratische Kontrolle im Bereich der Wasserversorgung verstärkt werden(25).

Religiöse Überzeugungen und politisches Engagement

In den Auseinandersetzungen um das knappe Gut Wasser wird vielen Gläubigen wieder sehr viel bewußter, welche große Bedeutung das Wasser in ihren Religionen hat. Dies gilt besonders für die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam, die in Wüstengebieten oder am Rand von Wüstengebieten entstanden sind. Ebenso kommt dem Wasser im Hinduismus eine große Bedeutung zu, besonders deutlich sichtbar an heiligen Flüssen wie dem Ganges. Auch in den anderen großen Religionen, aber auch in indigenen afrikanischen und lateinamerikanischen Religionen wird Wasser als Quelle des Lebens und als Geschenk des Schöpfers oder der Schöpfer verstanden.
Diese religiösen Überzeugungen beeinflussen nicht nur den Widerstand gegen Privatisierungspläne, sondern auch das Engagement für die internationale Anerkennung des Rechts auf Wasser. Während in verschiedenen nationalen Verfassungen dieses Recht verankert ist, fehlt es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 sowie den Pakten für wirtschaftliche, soziale und kulturelle sowie für bürgerliche und politische Rechte aus dem Jahr 1966. Kirchliche und nichtkirchliche Initiativen in vielen Teilen der Welt setzen sich für die internationale Anerkennung dieses Rechts ein, so die kirchlichen Hilfswerke Brot für die Welt und Misereor. Unterstützung haben sie bei Papst Johannes Paul II. gefunden, der gefordert hat, das Menschenrecht auf Wasser anzuerkennen und allen Wasser zugänglich zu machen(26).

Im November 2002 verabschiedete der UN-Ausschuß für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte den „Allgemeinen Kommentar Nr. 15" zum Recht auf Wasser. Diese Kommentare sind Auslegungen der internationalen Menschenrechtsvereinbarungen. Es sind also keine völkerrechtlich verbindlichen Verträge, aber die Kommentare haben doch eine große Bedeutung dafür, das Völkerrecht zu interpretieren und Vorgaben für die Umsetzung der Rechte in den einzelnen Ländern zu machen. In dem Kommentar Nr. 15 wird dem Recht auf Wasser eine zentrale Bedeutung eingeräumt: „Das Menschenrecht auf Wasser ist unumgänglich, wenn Menschen in Würde leben wollen. Es ist eine Vorbedingung für die Verwirklichung anderer Menschenrechte."

Daß die Verankerung eines solchen Rechts eine praktische Relevanz hat, zeigt sich in Südafrika. Die Forderung der Menschen in städtischen Armenvierteln und in ländlichen Gebieten, nach dem Ende der Apartheid endlich ausreichend sauberes Trinkwasser zu erhalten, gewann durch die Berufung auf die Verfassung an politischem Gewicht. 2000 kündigte Präsident Thabo Mbeki daraufhin vor einer Wahl an, daß in Zukunft jeder südafrikanische Haushalt kostenlos 6000 Liter Wasser im Monat erhalten sollte. Die Zusage wurde tatsächlich schrittweise verwirklicht. Gleichzeitig wurde das Leitungsnetz so ausgebaut, daß der weitaus größte Teil der südafrikanischen Bevölkerung inzwischen zumindest einen Gemeinschaftswasserhahn in der Nähe hat. Jetzt wird mehr getan, um die sanitäre Versorgung ebenfalls flächendeckend zu verbessern. Bemerkenswert ist auch, daß angesichts der Protestaktionen gegen ein halbes Dutzend Beteiligungen internationaler Unternehmen an der Wasserversorgung südafrikanischer Kommunen diese Politik revidiert wird. In den letzten Jahren ist kein neuer Managementvertrag mit Unternehmen wie Suez oder Veolia mehr abgeschlossen worden. Religiöse Überzeugungen und das Verfassungsrecht auf Wasser haben diese Veränderungen nicht allein bewirkt, aber doch sehr wesentlich dazu beigetragen.

Weltweit nimmt die Vernetzung der christlichen Initiativen für die Verwirklichung des Rechts aller Menschen auf Wasser zu. 2006 wurde das „Ökumenische Wassernetzwerk" (Ecumenical Water Network - ENN) ins Leben gerufen. Dieses Netzwerk greift nationale Initiativen wie die Kampagne „Menschenrecht Wasser" von Brot für die Welt auf und bemüht sich, das kirchliche Engagement zu bündeln und die Kirchen darin zu bestärken, sich gemeinsam für die Verwirklichung des Rechts auf Wasser einzusetzen. In einer Selbstdarstellung des Netzwerks heißt es:

„Das Ökumenische Wassernetzwerk ist eine Initiative von Kirchen und kirchlichen Organisationen, die gemeinsam das Ziel verfolgen, den Zugang insbesondere der Ärmsten zu Wasser weltweit zu schützen und zu fördern, indem wir ein christliches Zeugnis in die globale Debatte um Wasser einbringen, gemeindebasierte Initativen und Lösungen fördern, für Wasser als ein Geschenk Gottes werben und uns lokal, national und international für die Achtung und Umsetzung des Menschenrechts auf Wasser einsetzen."(27)

Ein Sekretariat des Netzwerks wurde beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf eingerichtet. Es gelingt dem Netzwerk, bei Konferenzen und Seminaren den Erfahrungsaustausch von kirchlichen und kirchennahen Wasser-Initiativen zu fördern und die Basis für das weltweite ökumenische Wasser-Engagement zu verbreitern. Das Wasser verbindet Menschen unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften auf der Welt miteinander. Nach einer ausführlichen Beschäftigung mit dem Wasser in der Bibel und in anderen religiösen Traditionen kommt Marcelo Barros in seinem Buch „Gottes Geist kommt im Wasser" zu der Einsicht:

„Alle Religionen und spirituellen Traditionen glauben, daß das Wasser Sakrament der göttlichen Gegenwart ist. Wir sind aufgerufen, mit dem Wasser zusammenzuleben - nicht nur mit einem praktischen und nützlichen Werkzeug, sondern mit einem Zeichen der Liebe, das es zu ertragen, zu respektieren, ja sogar zu verehren gilt ... Es geht dabei um eine persönliche, innere Umkehr, kraft derer wir die göttliche Gegenwart in der Schönheit des Wassers verteidigen und die Wasserquellen und die flußnahe Natur schützen. Doch diese innere Bekehrung bleibt möglicherweise wirkungslos, wenn sie nicht unmittelbar begleitet ist von dem Bemühen, eine soziale und gesellschaftlich-strukturelle Bekehrung einzuleiten."

Stimmen der Zeit (2009) 17-28

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