Im Rahmen jüdisch-christlicher Gläubigkeit steht die Apokalyptik im Gegensatz zu der traditionellen Hoffnung auf ein rettendes und die Not wendendes Eingreifen Gottes innerhalb der Geschichte. Die Apokalyptik beurteilt die gegenwärtige Zeit als böse (Äon), die bisherige Geschichte als heillos negative Entwicklung, und erwartet, dass Gott ihr ein Ende machen und in einer Geschichtswende seine Herrschaft herbeiführen wird. Kennzeichnend für die Literaturgattung der Apokalyptik ist die literarische Fiktion, dass ein Verfasser vom Ende her schreibt, die Umstände des Endes beschreibt und eventuell das Kommende ansagt, alles dargestellt als Offenbarung Gottes. Die Interessen sind eindeutig von Aufforderungen zur Umkehr, von Warnungen vor dem Gericht Gottes und von Vermittlungen des Trostes und der Zuversicht an die Gläubigen, die sich in Bedrängnis befinden, bestimmt.
Zur Geschichte der Apokalyptik
Nach gelegentlichen Ansätzen apokalyptischer Motive, z. B. in der Rede vom „Ende der Tage“, stellt Dan 2,28–49 die erste eigentliche Apokalypse (= Offenbarungsschrift) innerhalb des AT dar. Der Blick über die Abfolge der Weltreiche und ihr Geschick enthält eine frühe Periodisierung der Geschichte. Eine große Wirkungsgeschichte hatte die Ansage einer Auferweckung der Toten mit doppeltem Ausgang (das Motiv der ausgleichenden Gerechtigkeit): die einen zum „ewigen Leben“, die andern „zu Schmach, zu ewigem Abscheu“ (Dan 12,2). Das außerbiblische Judentum erbrachte vom 3. Jahrhundert v.Chr. bis zum 7. Jahrhundert n.Chr. zahlreiche apokalyptische Schriften, deren Motive z.T. Einfluss auf das NT hatten oder die anderseits später christlich überarbeitet wurden und die auch bei Rabbinen wiederkehren. Zur Sicherung ihrer Autorität schreiben die „Geheimnisträger“ pseudonym (unter den Namen Henoch, Baruch, Esra, Mose, Abraham u. a.). Die Hoffnung auf Fortschritte in der Geschichte ist überall aufgegeben, Schilderungen der Welt-, Natur- und Geschichtskatastrophen am Ende dominieren. Da Gott selber geschichtswendend eingreift, sind Rettergestalten nicht überall vorgesehen (Menschensohn, Messias).
Über apokalyptische Texte und Inhalte im NT ist die Diskussion weiterhin im Gang. Ungeklärt ist vor allem, ob Jesus selber eine apokalyptische Sicht auf die Geschichte und ihren Ausgang hatte. Unzweifelbar apokalyptisch sind die Jesus zugeschriebene Parusierede Mk 13, in der paulinischen Tradition 2 Thess 2,1–12 und die einzige „komplette“ neutestamentliche Apokalypse, das Buch der Offenbarung. Kennzeichnend für die spezifisch christlich-apokalyptische Sicht sind die Überzeugung, dass die Mächte der alten Welt (des alten Äons) bereits entmachtet sind, in der Auferweckung Jesu das (zeitlich sich erstreckende) Ende bereits angebrochen ist und die Parusie Jesu (als des von Gott eingesetzten Richters) nahe bevorsteht (Naherwartung). In der nachbiblischen christlichen Tradition entstanden zahlreiche apokalyptische Schriften, die dasjenige detailreich ausmalen, was in der Hl. Schrift allenfalls angedeutet war, mit Schilderungen von Jenseitsreisen und mit geradezu sadistischer Freude an Höllenvorstellungen. Die älteste ist die Petrusapokalypse aus der 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts, zu nennen sind ferner die Ascensio Jesaiae, die wohl vom 2. bis 4. Jahrhundert entstand, und die Paulusapokalypse Ende des 4. Jahrhunderts, die in der Kirchenväterzeit oft als Autorität galt. Einflüsse dieser Enthüllungsliteratur zeigen sich drastisch in apokalyptischen Bewegungen des Altertums und Mittelalters, in Endzeitberechnungen und Ängsten, in religiösen phantasievollen Publikationen von Gregor I. († 604), Hildegard von Bingen († 1179), Dante († 1321) bis Fatima 1917 und in großem Umfang in der Kunst.
Theologisch
Apokalyptische Enthüllungen können nach christlichem Verständnis der Offenbarung Gottes inhaltlich über diese hinaus nichts Neues erbringen. Die apokalyptischen Einzelheiten in der Bibel sind im Horizont der zentralen Glaubensoffenbarungen als paränetisch und pädagogisch instrumentell eingesetzte Bilder zu verstehen, die Hoffnung und Vertrauen nicht zerstören dürfen. Gefährdungen und Konflikte der Glaubenden in der heutigen Situation können so wenig als Vorzeichen des nahen Endes gedeutet werden wie die Naturkatastrophen von Erdbeben, Dürre usw. oder wie die allezeit wütenden Kriege.
Quelle: Herbert Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch, Neuausgabe 2008 (6. Aufl. des Gesamtwerkes), Verlag Herder