Der Fall Wucherpfennig Wie frei ist die Theologie?

Der Neutestamentler Ansgar Wucherpfennig soll erneut Rektor der Jesuiten-Hochschule in Sankt Georgen werden. Jetzt hat der Vatikan endlich seine Zustimmung dazu erteilt. Strittig waren Wucherpfennigs Äußerungen zum Thema „Homosexualität“.

Pater Ansgar Wucherpfennig
© KNA-Bild

Der Jesuitenpater Ansgar Wucherpfennig hat sich mit dem Vatikan gütlich geeinigt. Ihm ist nun das "Nihil obstat" erteilt worden, er habe jedoch nicht "widerrufen". Das sagte er im Interview des Portals katholisch.de. Wucherpfennig darf nun doch wieder als Rektor der katholischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt arbeiten . Die Bildungskongregation des Vatikan habe die Unbedenklichkeitserklärung "nun erteilt, nachdem Pater Wucherpfennig eine Erklärung abgegeben hatte, in der er betonte, dass er als Ordensmann und Priester dem authentischen Lehramt der Kirche verpflichtet sei", hieß es. 

Bereits im Februar war der Neutestamentler Ansgar Wucherpfennig für eine dritte Amtszeit als Rektor der Theologisch-Philosophischen Hochschule der Jesuiten in Sankt Georgen wiedergewählt worden. Dieses Amt konnte er lange Zeit nicht antreten, weil die Unbedenklichkeitserklärung aus dem Vatikan ausstand.

Vordergründig ging es dabei um Wucherpfennigs Anschauungen zur Homosexualität. Der Theologe hatte der „Frankfurter Neuen Presse“ im Jahr 2016 ein Interview gegeben. Darin sprach er neben anderen Dingen auch über die kirchliche Ablehnung von Homosexualität. Er sagte: „Mein Eindruck ist, dass das tiefsitzende, zum Teil missverständliche Stellen in der Bibel sind“. Über diese Aussagen Wucherpfennigs waren im Vatikan Beschwerden eingegangen, was schließlich, 2018, dazu führte, dass Rom ihm bisher nicht die nötige Unbedenklichkeitserklärung („Nihil obstat“) erteilt hat.

In einem neuerlichen Interview mit der „Frankfurter Neuen Presse“ bekräftigte Wucherpfennig seine Sichtweise. „Das Verständnis von Homosexualität hat sich gegenüber Paulus komplett geändert", erklärte der Neutestamentler. Die scharfen Aussagen des Apostels Paulus im Neuen Testament gegen „gleichgeschlechtliche Begierde“ träfen „nur sehr bedingt die Situation Homosexueller heute und sind auch in einem größeren Zusammenhang zu lesen“, so Wucherpfennig.

Das Ausbleiben der vatikanischen Bestätigung für eine weitere Amtszeit des Hochschulrektors hatte beim Jesuitenorden, dem Limburger Bischof Georg Bätzing und zahlreichen Theologie-Professoren für Unverständnis gesorgt und eine Welle von Solidaritäts-Bekundungen für Wucherpfennig ausgelöst. Wucherpfennig selbst äußerte sich unterdessen kritisch zum Verständnis von Wissenschaftsfreiheit in der Kirche. Die Theologie könne nicht „nur Papstpredigten nachbuchstabieren“, sagte er der „Zeit“. Auf die Frage, ob die katholische Kirche die Wissenschaftsfreiheit unterminiere, sagte Wucherpfennig: „Ja.“ Wissenschaft müsse verschiedene Positionen darstellen, die Lehre der katholischen Kirche also würdigen, aber auch kritikwürdige Punkte aufzeigen.

Für die beiden Journalisten Benjamin Leven und Lucas Wiegelmann von der „Herder Korrespondenz“ ging die Sache jedoch noch weiter. „Vordergründig dreht sich diese Affäre um den Fall eines einzelnen Hochschullehrers, der sich theologisch etwas aus dem Fenster gelehnt hat. Dahinter geht es aber um viel mehr. Um die Frage etwa, ob die katholische Kirche einen anderen Umgang mit Homosexualität braucht. Darum, ob Wissenschaftsfreiheit und Kirchenautorität im 21. Jahrhundert neu miteinander harmonisiert werden müssen. Und schließlich geht es auch immer um das ewige Rätsel Franziskus: Was hat der Papst wirklich vor mit seiner Kirche? Wohin will er sie führen? … Alle Beteiligten suchen hinter den Kulissen fieberhaft nach einer Lösung des Konflikts. Wie aus dem Vatikan zu hören ist, will sich der Heilige Stuhl dabei nicht um jeden Preis durchsetzen, sondern setzt gegenüber der Hochschule Sankt Georgen auf Deeskalation. ‚Rom hat das Rennen um die öffentliche Sympathie sowieso verloren‘, sagt ein Insider. Selbst Konservative befürchten: Wenn sie in der Causa Wucherpfennig jetzt auf Härte setzen, könnte das am Ende zum Pyrrhussieg werden. Die allgemeine Empörung wäre womöglich so gewaltig, dass dann die Zuständigkeit des Vatikans für ähnliche Berufungsverfahren insgesamt infrage gestellt werden könnte. Ein denkbares Szenario ist daher, dass die Kurie dem Generaloberen der Jesuiten freie Hand gibt: Wenn er die Verantwortung für die Rechtgläubigkeit von Pater Wucherpfennig übernehmen will, so heißt es, werde sich die Kurie wahrscheinlich dem ‚Nihil obstat‘ nicht verweigern, und die Hochschule Sankt Georgen bekäme doch noch ihren ursprünglich gewählten Rektor. Der stünde weiter bereit, hat allerdings durchblicken lassen, dass er mit dem aktuellen Schwebezustand und der ihm entgegenschlagenden Sympathie eigentlich ganz gut leben kann.“

Den ganzen Artikel „Viel Lärm ums Nihil“ lesen Sie hier oder in der „Herder Korrespondenz“ (November 2018).

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