Voraussetzungen
Ein „Beweis“ im Sinn der heutigen Wissenschaftssprache ist eine logische Schlussfolgerung aus vorgegebenen Sachverhalten oder Sätzen („Prämissen“), die als wahr oder richtig ausgewiesen worden sind. Bestimmte Grundfiguren gelten in allen nichttheologischen Wissenschaften: Widerspruchsfreiheit, experimentelle oder logisch zwingende Bestätigung von Hypothesen, Ausschluss von Alternativen, Kontrollierbarkeit. In der aus vielen Einzeldisziplinen zusammengesetzten Theologie gibt es Wissenschaften, in denen Beweisführungen in diesem Sinn notwendig und üblich sind, z. B. in der Ethik oder in der Kirchengeschichte. Bei allen religiösen Aussagen, die aus dem Glauben hervorgehen, sich interpretierend auf ihn beziehen, ist eine solche Beweisführung nicht möglich. Das gilt auch und besonders für die sogenannten Gottesbeweise. Sie gehören zu den Bereichen, in denen Beweise im naturwissenschaftlichen Sinn von vornherein gar nicht in Frage kommen., sondern zu denen, in denen sogenannte Vernunftbeweise geführt werden. (Es gibt im individuellen Bewusstsein Gewissheiten, die für Einzelne evidente Kraft haben, z. B. durch intuitive, mystische Erfahrungen; da sie jedoch nicht kommunikabel sind, kommen sie für eine theologische Vergewisserung nicht in Betracht.) Inhaltliche Vernunftbeweise sind bei strikten Glaubensaussagen ebenfalls nicht möglich. Da diese aber nicht nur Geltungsansprüche, sondern Wahrheitsansprüche erheben, müssen sie wenigstens vernünftig vertretbar und ethisch verantwortbar sein (die nicht vertretbare Alternative wäre ein argumentationsblinder Fundamentalismus). Die Bemühungen darum heißen, auf die Existenz Gottes bezogen, Gottesbeweise Im Hinblick auf das Verfahren ist ihre Methode deduktiv, weil sie Schlussfolgerungen aus „Prämissen“ sind, die aus Bereichen menschlicher Erfahrung genommen werden (ein induktives Vorgehen würde bedeuten, von vereinzelten Erfahrungen aus Verallgemeinerungen, Wahrscheinlichkeitsvermutungen, vorzunehmen).
Grundvorgang
Ein möglicher „Gottesbeweis“ im Sinn einer vor Verstand und Vernunft gültigen Vergewisserung könnte nach K. Rahner († 1984) davon ausgehen, dass in jedem geistigen Akt des Menschen (also in jedem Urteil und in jeder freien Entscheidung) notwendig „Gott“ bejaht wird. Der Gedankengang will und kann nicht beanspruchen, Kenntnis über einen sonst schlechthin unbekannten (und darum gleichgültigen!) Gegenstand zu vermitteln. Es geht um das reflexe Selbstbewusstsein darüber, dass ein Mensch es in seiner geistigen Existenz immer und unausweichlich mit Gott zu tun hat (ob er ihn „Gott“ nennt oder anders, ob er darauf reflektiert oder nicht, ob er es wahrhaben will oder nicht). Es handelt sich um etwas, was jeder Mensch „eigentlich“ immer schon weiß und was er sich darum nur sehr schwer in begrifflicher Objektivität sagen kann. Denn das so begrifflich Vergegenständlichte holt die „unthematische Gewusstheit“ des Gemeinten nie adäquat ein, so wie jemand in seinem Alltag mehr, als er sich selber und andern reflex sagen kann, weiß, was Liebe, Zeit, Freiheit, Verantwortung usw. ist. Die im Lauf der Geistesgeschichte vorgetragenen Gottesbeweise laufen alle darauf hinaus, dass sich in jeder Erkenntnis, ja sogar im Zweifel, sogar in der Weigerung, sich auf Metaphysik einzulassen, womit auch immer sie sich beschäftigt, ein Geschehen ereignet vor dem Hintergrund des bejahten Seins überhaupt. Jedes Ist-Sagen geschieht vor dem Horizont eines tragenden Grundes (sonst hätte es keinen Sinn), vor einem Horizont, der ein „asymptotisches Woraufhin“ darstellt. Jede Erkenntnis geschieht vor einem „namenlos abweisend Anwesenden“, wobei es zweitrangig ist, wie man es nennt (Sein schlechthin, Geheimnis oder, wenn man mehr die Freiheit bei der Erkenntnis betont, das absolute Gut, das personale Du, Grund letzter Verantwortung usw.). Indem ein Mensch mit der gegenständlichen Wirklichkeit seines Alltags umgeht, im „Zugriff“ und im umgreifenden „Begriff“, vollzieht er als Bedingung der Möglichkeit eines solchen zugreifenden Begreifens einen „unthematischen“, ungegenständlichen „Vorgriff“ auf die unbegreifliche eine Fülle der Wirklichkeit. Dieses Ganze der Wirklichkeit ist in seiner Einheit zugleich Bedingung der Erkenntnis und des einzelnen Erkannten und wird als solches unthematisch immer bejaht, selbst noch in einem Akt, der das thematisch bestreitet (weil auch dieser „das ist – nicht“ sagen muss). Der einzelne Mensch erfährt diese unentrinnbare Grundverfassung seines geistigen Daseins in der je individuellen Grundbefindlichkeit seines Daseins: als ungreifbar lichte Helle seines Geistes; als Ermöglichung jener absoluten Fraglichkeit, die ein Mensch sich selber gegenüber vollzieht und in der er sich selber radikal übergreift; in der nichtigenden Angst (die etwas anderes ist als gegenständliche Furcht); in der Freude, die keinen Namen mehr hat; in der Gewissensverpflichtung, in der ein Mensch wirklich sich „loslässt“; in der Erfahrung des Todes, in der er um seine absolute Entmächtigung weiß. In solchen und vielen anderen Weisen der „transzendentalen Grunderfahrung“ seines Daseins ist dasjenige gegenwärtig (ohne „geschaut“ zu werden), was schlechthin alles ist und was gerade darum erst recht Person ist, und was der Mensch als den Grund seines geistigen Daseins erfährt, ohne sich selber, den Endlichen, mit diesem Grund identifizieren zu dürfen: „Gott“.
Einzelvorgänge
Dieser Grundvorgang wird in den einzelnen „Gottesbeweisen „ in unterschiedlichen einzelnen Überlegungen thematisiert. Die Erfahrung, dass jedes Urteilen („das ist“) durch das schlechthinnige Sein getragen und bewegt ist, das nicht durch das Denken erdacht ist, sondern das als notwendiges Tragendes erfahren wird, ist Gegenstand der Formulierungen des metaphysischen Kausalprinzips. Es darf nicht mit dem naturwissenschaftlichen funktionalen Kausalgesetz verwechselt werden, nach dem jedes Phänomen die Wirkung eines anderen ist, das dessen Ursache ist. Das „metaphysische Kausalgesetz“ besagt vielmehr: Das kontingente Endliche, das als faktisches und nicht notwendiges (weil es seinen hinreichenden Grund nicht in sich selber trägt) bejaht wird, existiert so wie auch seine Bejahung selber als „bewirkt“ vom absoluten Sein als seinem Grund, von einer Ursächlichkeit, die anderer Art ist als die innerweltliche Kausalität. Diese besondere Ursächlichkeit des anwesenden Seins, das die geistigen Vollzüge trägt und das wesentlich von jedem gegenständlichen Seienden verschieden ist, kann hinsichtlich der verschiedenen formalen Aspekte eines Seienden formuliert werden.
a) Das Seiende einfach als kontingentes betrachtet (Kontingenz) weist auf das absolute Sein als seinen Grund: kosmologischer Gottesbeweis oder Kontingenzbeweis, wobei noch einmal Einzelmomente unterschieden werden können, etwa aa) im Hinblick auf die dem Seienden eingestiftete Finalität: teleologischer Gottesbeweis, oder bb) im Hinblick auf die Seinsabhängigkeit jedes Aktes von einem früheren und im Hinblick auf den reinen Akt („actus purus“) ohne jede Potentialität, im Hinblick auf den ersten Beweger: kinesiologischer Gottesbeweis, oder cc) im Hinblick auf den notwendigen ersten Anfang der Welt: Entropiebeweis, oder dd) im Hinblick darauf, dass jedem Endlichen alle reinen „Seinsvollkommenheiten“ nur durch Teilhabe zukommen: der Stufenbeweis bei Thomas von Aquin († 1274).
b) Der absolute Sollenscharakter des personalen Seienden, die ihm innewohnende absolute sittliche Verpflichtung, verweist auf die Wirklichkeit des absoluten Wertes: deontologischer, axiologischer, moralischer Gottesbeweis.
c) Die Absolutheit der (real vollzogenen) Wahrheit verweist auf die reale Absolutheit des notwendigen Seins: noetischer Gottesbeweis.
d) Die übereinstimmende Überzeugung aller Völker vom Dasein Gottes muss im wirklichen Gott ihren Grund haben: historischer, ethnologischer Gottesbeweis.
K. Rahner ist die Einsicht zu verdanken, dass alle diese Gottesbeweise ihr Ziel einer vernünftigen, aber nicht zwingenden Vergewisserung des Daseins Gottes nur in dem Maß erreichen, als sie in je einzelner Artikulation die transzendentale Grunderfahrung des menschlichen Daseins reflektieren. Einen Sonderfall bildet der Ontologische Gottesbeweis Anselms von Canterbury († 1109). Der moralische Gottesbeweis beruht bei I. Kant († 1804) auf der Voraussetzung, dass das Sittengesetz unabhängig von der Existenz und Erkenntnis Gottes als verpflichtend erkannt wird und dass sein Zweck, durch Tugend zur Glückseligkeit zu gelangen, nur dann verpflichtend sein kann, wenn er auch erreichbar ist, und das ist nur dann der Fall, wenn Gott existiert. Darum ist die Existenz Gottes nicht „beweisbar“, aber ein Postulat der praktischen Vernunft.
Ontologischer Gottesbeweis
Ontologischer Gottesbeweis heißt ein Gedankengang bei Anselm von Canterbury († 1109), der (im „Proslogion“) von Gott als dem schlechthin vollkommenen Sein („das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann“) ausging und in der neuplatonisch-augustinischen Tradition Erkenntnis- und Seinsordnung als Einheit ansah: Die Gesetze des Denkens sind auch solche des Seins und umgekehrt. Daher wäre von dem allgemein geltenden Begriff „Gott“ zu sagen, dass ihm nicht nur gedankliche Geltung zukommt, sondern dass er die Realität der Existenz Gottes einschließt, weil bei einer Nichtexistenz Gottes Größeres, nämlich seine Existenz, gedacht werden könne. Diesen Schritt vom Denken zum Sein lehnten Thomas von Aquin († 1274) und I. Kant († 1804) ab; positiv wurde er von R. Descartes († 1650) u. G. W. F. Hegel († 1831) aufgenommen. K. Barth († 1968) bejahte die Intention Anselms, die er so verstehen wollte, dass das Denken von der Existenz Gottes ausgehe, und nicht so, dass ein in sich begründetes Denken erst nachträglich „Gott denke“.
Quelle: Herbert Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch, Neuausgabe 2008 (6. Aufl. des Gesamtwerkes), Verlag Herder