Heilsgeschichte bedeutet sodann die Geschichte dieser Konkretisierungen der Heilserfahrungen innerhalb der Menschheitsgeschichte. Vertreter einer strengen Christozentrik haben zudem geltend gemacht, dass der Begriff Heilsgeschichte auch besage, dass die vor- und außerchristlichen Heilserfahrungen auf die Heilszeit in Jesus Christus hingeordnet sind. Voraussetzung für diesen Begriff Heilsgeschichte ist somit, dass die Menschen nicht nur innerhalb ihrer Geschichte auf Gottes Gnade hoffen und sie, von Gott dazu befähigt, auch annehmen und in sich wirksam werden lassen können, sondern dass die Gnade selber geschichtlich und die Geschichte in einer bestimmten Hinsicht, aber in ihrer ganzen Konkretheit selber Gnade ist. In einem engeren Sinn bezeichnet der Begriff Heilsgeschichte die Geschichte jener Heilserfahrungen und -konkretionen, die sich innerhalb der allgemeinen Heilsgeschichte von dieser in der Reflexion unterscheidend abheben lassen. Analog zu dem Begriff einer „amtlichen“ Offenbarung kann man diese eigens bezeugte Heilsgeschichte auch amtliche, spezielle oder besondere Heilsgeschichte nennen.
Biblisch
Der Beginn dieser besonderen Heilsgeschichte wird in der Befreiungserfahrung des Exodus gesehen. Die theologische Reflexion Israels erbrachte die Einsicht, dass diese besondere Heilsgeschichte aus der allgemeinen Heilsgeschichte hervorgegangen ist (ohne diese aufzuheben); der Glaube Israels lässt die allgemeine, von der unerschütterlichen Treue Gottes gekennzeichnete Heilsgeschichte mit der Erschaffung der Welt und der Menschen beginnen. Der Glaube Israels ist davon überzeugt, dass Gott allen gegenteiligen Vorkommnissen zum Trotz die Geschichte in der Hand behält und seinen Heils- und Vergebungswillen wirksam werden lässt. Die Erinnerungen an die Machttaten Gottes in der Vergangenheit werden allerdings immer stärker durch Verheißungen ergänzt. Diese Geschichtsauffassung ist und bleibt diejenige des NT, das jedoch die Perspektiven unterschiedlich zeichnet. In apokalyptischer Sprache werden das Kommen und Wirken Jesu als eschatologische Erfüllung der Verheißungen am „Ende der Zeit“ (als die Zeit „erfüllt“ war) gesehen. Sein Auftreten gilt im lukanischen Doppelwerk als „Mitte der Zeit“ (Heilsgeschichte Conzelmann †1989). Viele Schriften des NT befassen sich mit noch nicht erfüllten Verheißungen und mit der noch ausstehenden Vollendung des Heils, während das johanneische Schrifttum das Ewige Leben im Jetzt beginnen lässt. Die Ekklesiologie des NT reflektiert die Aufgabe der Kirche in der weitergehenden Heilsgeschichte Die Bedeutung von Glaubensabfall und Sünde wird im NT unterschiedlich akzentuiert, doch bleibt es bis einschließlich der Offb die feste Glaubensüberzeugung, dass Gott die Menschheitsgeschichte in Liebe und Vergebung zum vollendenden Ende führen wird.
Theologiegeschichtlich- systematisch
Mit dem Eintritt des Christentums in die „große Weltgeschichte“, in der es sich in zunehmendem Maß nicht (wie das Judentum) als bloßes Objekt politischer Mächte erfuhr, wurden der theologische „Wert“ der weltgeschichtlichen Ereignisse und Institutionen und das Verhältnis der Heilsgeschichte zur Weltgeschichte diskutiert (Geschichtstheologie). Im Zusammenhang mit dem Versuch, die Geschichte zu periodisieren, kam es zu der Auffassung von dem erschöpften Kosmos und der zu Ende gehenden Geschichte. Der Gedanke, dass die weltliche Macht eine positive heilsgeschichtliche Funktion habe, verschwand jedoch nie ganz, er lebte neu auf, als das Papsttum des 11. Jh. diese Macht für sich beanspruchte. Für die mittelalterliche Theologie war die Zentrierung der Heilsgeschichte im Heilsereignis Jesus Christus selbstverständlich. Ein eigenes Interesse richtete sich auf die im Evangelium erwähnten Anzeichen des Endes der Welt und ihrer Geschichte (zuweilen verbunden mit dem Chiliasmus oder mit der Erwartung des Antichrist). Die Überzeugung, dass Gott die Weltgeschichte durch Vorsehung und gezieltes Eingreifen lenkt und mitten in ihr und teilweise durch ihre weltlichen Ereignisse die Heilsgeschichte planvoll verwirklicht, hielt sich bis ins 19. und 20. Jh. durch und führte zu viel diskutierten heilsgeschichtlichen Darstellungen (K. Barth †1968, O. Cullmann † 1999 und a.). Diese kamen bei aller Verschiedenheit darin überein, dass sie zwischen Heilsgeschichte und Profangeschichte als zwei parallel („koextensiv“) verlaufenden, dem Wesen nach strikt geschiedenen Wirklichkeiten unterschieden. Die Kritik an diesen Darstellungen bezog sich darauf, dass in der Sicht des Glaubens eine wesentliche Scheidung von Sakral und profan nicht möglich ist, weil sie der Selbstmitteilung Gottes an die ganze geschaffene Wirklichkeit und der Annahme der weltlichen Wirklichkeit durch Gott widersprechen würde. Außerdem haben die Theorien der gezielten punktförmigen Eingriffe Gottes in den Geschichtsablauf die von Gott gewollte und bewirkte Einsetzung der Menschen in ihre Freiheit und Autonomie als positive Geschichtsfaktoren minimalisiert (oft fast nur unter dem Gesichtspunkt der Sünde gesehen). Schließlich musste die Theologie einsehen, dass ihr eine Entschlüsselung des Heilsplans angesichts des unbegreiflichen Geheimnisses Gottes und der nicht beantwortbaren Theodizee-Frage nicht möglich ist. Die von Menschen herbeigeführten Katastrophen und ausgeübten Verbrechen können nicht als Gerichtsinszenierungen Gottes ausgegeben werden. Es ist der erneuerten Christologie auch nicht gelungen, die Zäsur der Heilsgeschichte im Ereignis Jesu Christi, seine universale (universalgeschichtliche) und kosmische Bedeutung überzeugend herauszuarbeiten. Der versuchsweise eingeführte Begriff eines vorweggenommenen Endes der Geschichte bei weitergehender Geschichte (Antizipation) erwies sich als unbrauchbar (widersprüchlich). So ist eine fundamentale Krise der Theologie der Heilsgeschichte nicht zu übersehen.
Quelle: Herbert Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch, Neuausgabe 2008 (6. Aufl. des Gesamtwerkes), Verlag Herder