Sozialethik ist eine im 20. Jahrhundert ausgebildete eigene, die Individualethik ergänzende theologische Disziplin, die in besonderem Maß auf interdisziplinäres Vorgehen innerhalb der Theologie und über sie hinausgreifend angewiesen ist. Sie hat sich informierend (unter Rückgriff auf "empirische Sozialforschung") und analysierend mit Problemen und Konflikten der jeweiligen Gesellschaften zu befassen. Als Teil der theologischen Ethik sollte sie christliche Normen für gesellschaftliches Handeln in jeweiligen Situationen entwickeln, wobei sich ein ökumenischer Konsens herauszubilden scheint, dass unter den komplexen sozio-kulturellen Verhältnissen der neuesten Zeit aus der Bibel höchstens gewisse grundsätzliche Impulse, nicht aber konkrete Regeln abgeleitet werden können. So ist die Sozialethik sehr stark philosophisch-ethisch und soziologisch orientiert.
Im Hinblick auf die Verantwortung der Kirche für die Welt muss die Sozialethik versuchen, den christlichen Beitrag für das Gemeinwohl des Ganzen der jeweiligen Gesellschaft öffentlich kommunikabel zu machen. In katholischer Sicht gehört dazu die Soziallehre des Lehramts (das jedoch nicht über eigene Erkenntnisquellen verfügt), während in evangelischer Sicht verbindliche sozialethische Prinzipien sich aus einem kirchlichen Konsens ergeben müssen, dem im deutschen Bereich die "Denkschriften" dienen. Die Sozialethik ist durch die völlig verschiedenen gesellschaftlichen Strukturen und Probleme (Industriegesellschaften, "Dritte Welt" usw.) eine plural differenzierte Wissenschaft geworden.
Quelle: Herbert Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch, Neuausgabe 2008 (6. Aufl. des Gesamtwerkes), Verlag Herder