Zusammenfassung / Summary
Angesichts des von Lyotard proklamierten Endes der großen Erzählungen und nach der Durchsetzung des Prozesses der Enttraditionalisierung scheint die Bibel so fremd und unverständlich wie eine schlecht übersetzte Bedienungsanleitung eines japanischen DVD-Players. Der Artikel fragt nach einem Modell, das dennoch plausibel machen kann, dass und wie heute die biblischen Erzählungen gehört, verstanden und wirksam werden können. Dazu werden Gegentendenzen zu den beiden genannten gesellschaftsanalytischen Annahmen beschrieben, die spezifische Stärke der Bibel in der Spannung von Kohärenz und Vielfalt aufgewiesen und anhand der Modelle der narrativen Identität (Paul Ricœur), der Geschichtenverstrickung (Wilhelm Schapp) und des inneren Parlaments (Helm Stierlin) aufgezeigt, dass und wie (biblische) Geschichten und ihr Einfluss notwendig und gefragt sind. Es ist also weder zu verbissener Gegenwehr Anlass noch zu ängstlichem Rückzug; vielmehr gilt es zuversichtlich, sich selbst und andere Menschen immer wieder neu in biblische Geschichten zu verstricken.