Die Rede von Hegels philosophischer Theologie nach Kant lädt zu Rückfragen ein. War der Königsberger nicht mit dem Anspruch aufgetreten, die rationale Theologie so gründlich zu kritisieren, dass alle philosophische Gotteslehre mit ihm als erledigt gelten konnte? Gäbe es bei Hegel tatsächlich so etwas wie eine philosophische Theologie, wäre daher zu fragen, ob darin nicht ein Rückfall hinter Kant liegt. Doch enthält der dritte Teil des hegelschen Systems, die Philosophie des Geistes, bekanntermaßen keine rationale Theologie, sondern eine Philosophie der Religion. Einiges spricht dafür, dass Hegel die neue Disziplin aus Unzufriedenheit mit der alten einführte. Auch bei Kant selbst ist die Lage weniger übersichtlich, als sie auf den ersten Blick erscheinen mag. In der Transzendentalen Dialektik kritisiert er zwar alle „Theologie aus spekulativen Prinzipien“, aber das hindert ihn nicht daran, die Möglichkeit einer auf moralische Gesetze gegründeten „Theologie der Vernunft“ einzuräumen.1 In der Tat betrachtet Kant neben Ontotheologie, Kosmotheologie und Physikotheologie auch die Moraltheologie als Teildisziplin der philosophischen Gotteslehre. Diesen einzigen nach Kant noch offenen Weg einer rationalen Theologie scheint Hegel allerdings nicht einschlagen zu wollen.
Was also wird bei Hegel aus der philosophischen Theologie? Eine mögliche Antwort könnte lauten: Wer bei Hegel nach philosophischer Theologie sucht, wird in der Wissenschaft der Logik fündig. Dafür spricht nicht zuletzt seine Behauptung, die Logik sei eigentlich nichts anderes als „die Darstellung Gottes“, wie er „in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist“.2 Mit dieser Bestimmung ist der Inhalt der philosophischen Theologie freilich keineswegs erschöpft. Von den gerade angeführten vier Teildisziplinen sieht lediglich die Ontotheologie vom Verhältnis Gottes zur Welt gänzlich ab, indem sie beansprucht, den Begriff und das Dasein Gottes a priori, durch reines Denken, zu erkennen. Schon die Kosmotheologie setzt die Erfahrung irgendwelcher endlicher, das heißt von Gott geschaffener Dinge voraus. Die Physikotheologie stützt sich darüber hinaus auf die Ordnung, die wir in der Natur beobachten können. Die Moraltheologie schließlich erwägt den Zusammenhang der sittlichen Freiheit mit dieser natürlichen Ordnung. Kant fasst die beiden zuletzt genannten Disziplinen unter dem Stichwort „natürliche Theologie“ zusammen und stellt ihnen die sogenannte „transzendentale Theologie“ gegenüber. Die erste denke Gott „durch einen Begriff, den sie der Natur (unserer Seele) entlehnt, als die höchste Intelligenz“, die zweite denke ihn „durch reine Vernunft vermittels lauter transzendentaler Begriffe“.3
Hegels Wissenschaft der Logik lässt sich am ehesten mit der transzendentalen Theologie, genauer gesagt mit der Ontotheologie, in Zusammenhang bringen. Was die übrigen Teilbereiche der rationalen Theologie anbelangt, setzen sie die Erschaffung der endlichen Wirklichkeit voraus und können daher nicht unabhängig von der Realphilosophie verstanden werden. Diese Beobachtung legt die Vermutung nahe, dass die Entsprechung zu Kants natürlicher Theologie, wenn überhaupt, in Hegels Philosophie des absoluten Geistes anzutreffen ist. An die Stelle des praktischen Vernunftglaubens und der Ethikotheologie tritt bei Hegel die geoffenbarte Religion. Ihr ist der vorletzte Abschnitt seiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften gewidmet. Angesichts der unübersichtlichen Lagewerde ich im Folgenden genauer darlegen, warum Hegels Logik für sich genommen nicht als philosophische Theologie gelten kann. Danach will ich die theologischen Lehren erörtern, die sich aus Hegels Philosophie des Geistes im Allgemeinen und aus seiner Philosophie der Religion im Besonderen ziehen lassen. Zum Schluss soll mit Blick auf zwei Beiträge zur philosophischen Gotteslehre der jüngsten Zeit verdeutlicht werden, warum es sich nach wie vor lohnt, an Hegel anzuknüpfen.
1. Von der transzendentalen Theologie zur Wissenschaft der Logik
Die hegelsche Wissenschaft der Logik ist in erster Linie einmal das, was ihr Titel sagt, nämlich eine Abhandlung über die Bestimmungen des Denkens. Genauer gesagt enthält Hegels Logik reine Gedanken. Rein sind Gedanken dann, wenn ihnen nichts empirisch Gegebenes beigemischt wird. Die Bestimmungen, die Hegel in seiner Logik entwickelt, erhalten ihre Bedeutung nicht aus den Vorstellungen, die wir möglicherweise mit ihnen verbinden, sondern allein aus der Bewegung des Denkens selbst. Insofern das reine Denken voraussetzungslos ist, kreisen seine Gedanken um das Unbedingte. Für Kant bildete der Begriff oder die Idee des Unbedingten den Gegenstand alles Strebens der Vernunft. Hegel spricht in der Regel nicht vom Unbedingten, sondern zieht den Ausdruck ‚das Absolute‘ vor. Deshalb bedeuten die logischen Bestimmungen für ihn eine Reihe von „Defi nitionen“ des Absoluten.4
Wird das Absolute rein in Gedanken gefasst, entsteht eine Figur, die sich am besten mit der Formel des Denkens seiner selbst beschreiben lässt. Es muss darum nicht verwundern, dass Hegel ans Ende seines philosophischen Systems ein Zitat aus dem zwölften Buch der Metaphysik des Aristoteles stellt. Dort heißt es von der höchsten Tätigkeit der Vernunft, sie sei ein Denken ihrer selbst. Der Zusammenfall des Denkens mit dem Gedachten wiederum mache das Wesen Gottes aus.5 Der ausdrückliche Hinweis auf den unbewegten Beweger des Aristoteles ist der letzte einer langen Reihe von theologischen Bezügen in Hegels Enzyklopädie. Sie beginnt in der Einleitung mit der Feststellung, Philosophie und Religion hätten zu ihrem gemeinsamen Gegenstand die Wahrheit, „und zwar im höchsten Sinne – in dem, dass Gott die Wahrheit und er allein die Wahrheit ist“.6 Am Anfang der „Logik“ stellt Hegel klar, dass die im weiteren Verlauf sich ergebenden Defi nitionen des Absoluten ebenso „als die metaphysischen Defi nitionen Gottes angesehen werden“ können.7
Das erste logische Element überhaupt ist für Hegel bekanntlich das reine Sein. Darunter versteht er „das unbestimmte Unmittelbare“8 , das heißt ein Denken oder eine Anschauung, die noch keinerlei Differenz enthalten. Da am Anfang der Logik nichts als gegeben vorausgesetzt werden darf, ist die Bestimmung des Seins zunächst leer und abstrakt, ja sogar dürftig.9 Hegel erinnert an Parmenides, der den Gedanken des reinen Seins „mit der reinen Begeisterung des Denkens, das zum ersten Male sich in seiner absoluten Abstraktion erfasst, ausgesprochen“ habe.10 Mit dem abstrakten Sein des Parmenides assoziiert Hegel den Gottesbegriff der rationalistischen Schulphilosophie. Indem sie Gott als den „Inbegriff aller Realitäten“ und „das Allerrealste“ (ens realissimum) betrachte, sehe sie gerade von der Zuschreibung bestimmter Prädikate ab.11 Für eine solche Metaphysik sei Gott „nur das höchste Wesen und sonst weiter nichts“.12
Hegels Klage über die Abstraktheit des Gottesbegriffs richtet sich weniger gegen die Kategorie des reinen Seins als gegen die irrige Auffassung, mit ihr sei bereits viel erkannt. Verstünde die philosophische Theologie unter Gott nicht mehr oder nichts anderes als das reine Sein, so leistete ihr Begriff nicht das, was sie vorgibt.13 Gegen eine solche Kritik lässt sich die Tradition leicht mit der Bemerkung in Schutz nehmen, dass die Bestimmung des Seins im Kontext der jeweiligen Metaphysik eine durchaus reichere Bedeutung hat als die erste Kategorie der hegelschen Logik. Beispielsweise kennzeichnet Thomas von Aquin in seiner „Summe der Theologie“ das göttliche Sein als ipsum esse subsistens. 14 Im Hintergrund steht die aristotelische Lehre von Akt und Potenz. Da in Gott alle Seinsmöglichkeiten vollständig verwirklicht sind, ist er reine Tätigkeit. Das durch sich selbst bestehende Sein ist demnach keine abstrakte Bestimmung, nicht die Abwesenheit von Potenzialität, sondern unendliche aktuale Fülle.
Der Unterschied zu Hegel ist offensichtlich. Für ihn beinhaltet das reine Sein keine weiteren Bestimmungen, weshalb er es wegen seiner Abstraktheit mit dem Nichts gleichsetzt. Unter dieser Rücksicht kann Hegel behaupten, das Nichts der Buddhisten sei im Grunde „dieselbe Abstraktion“ wie der Begriff Gottes als des höchsten Wesens.15 Als abstrakt bemängelt Hegel auch die dem ontologischen Gottesbeweis zu Grunde liegende Gleichsetzung des Begriffs mit dem Sein Gottes. Er erinnert an Kants Kritik des Beweises und dessen Vergleich mit hundert möglichen Talern, die von hundert wirklichen Talern durchaus verschieden seien. Doch dann dreht Hegel den Spieß um und bemerkt ironisch: „Wenn es nun allerdings seine Richtigkeit hat, dass [der] Begriff vom Sein verschieden ist, so ist noch mehr Gott verschieden von den hundert Talern und den anderen endlichen Dingen.“16 Denn während Sein und Begriff im Bereich des Endlichen tatsächlich nicht miteinander übereinstimmten17, besage „die abstrakte Defi nition Gottes“ gerade das Gegenteil, nämlich „dass sein Begriff und sein Sein ungetrennt und untrennbar sind“. Deswegen, so fährt Hegel wiederum mit einer Spitze gegen Kant fort, bestehe „die wahrhafte Kritik der Kategorien und der Vernunft“ darin, über den Unterschied zwischen Gott und den anderen Dingen aufzuklären und das Erkennen „abzuhalten, die Bestimmungen und Verhältnisse des Endlichen auf Gott anzuwenden“.18
Die Verständigung über den Unterschied zwischen Gott und den endlichen Dingen kann naturgemäß nicht schon am Anfang der Logik erfolgen, der es nur mit dem reinen und unbestimmten Sein zu tun hat. Infolgedessen stehen die Überlegungen zum Verhältnis zwischen der logischen Kategorie des Seins und dem Begriff Gottes in den Anmerkungen zum ersten Kapitel. Im weiteren Verlauf der Wissenschaft der Logik führt Hegel unter anderem die Bestimmungen des Daseins, der Realität, der Existenz und der Wirklichkeit ein, die als Ausdeutungen oder Anreicherungen des reinen Seins verstanden werden können. Am Ende der Schlusslehre erreicht der Gedankengang der Logik einen Punkt, an dem die im ontologischen Beweis gedachte Einheit von Begriff und Sein eigens zum Thema wird.
Nachdem das reine Denken seine Bestimmungen in der Form des Urteils einander entgegengesetzt und diese Extreme durch den mittleren Term des Schlusses wieder aufeinander bezogen hat, wird ihm klar, dass seine Folgerungen nur so lange schlüssig sind, wie der vermittelnde Begriff als „objektive Allgemeinheit“ aufgefasst wird.19 Ein objektives Allgemeines ist für Hegel der mittlere Term unter der Voraussetzung, dass er die beiden Extreme als notwendige Momente in sich enthält. Dann hängt die Geltung des Schlusses nicht mehr von zufälligen oder willkürlichen Bestimmungen ab, sondern liegt im Wesen des mittleren Terms begründet. Mit der objektiven Allgemeinheit ist zugleich eine neue Art von Unmittelbarkeit erreicht. Für Hegel hat sie „die Bedeutung des anundfürsichseienden Seins des Begriffes“, das heißt „des Begriffes, der die in seiner Selbstbestimmung gesetzte Vermittlung zur unmittelbaren Beziehung auf sich selbst aufgehoben hat“.20 Die Aufhebung der das Urteil kennzeichnenden Trennung durch den mittleren Term des Schlusses gelingt deshalb, weil sich das Allgemeine selbst als unmittelbare Einheit des Besonderen und Einzelnen erweist. Genau das aber meinen wir laut Hegel, wenn wir von ‚Objektivität‘ oder ‚Objekt‘ sprechen, nämlich „ein konkretes, in sich vollständiges Selbständiges“.21
Gleichwohl beansprucht Hegel auch im Schlusskapitel der Logik nicht, einen ontologischen Beweis des Daseins Gottes geführt zu haben. Die Bestimmung der Objektivität sei „noch nicht die göttliche Existenz, noch nicht die in der Idee scheinende Realität“.22 Die Bemerkung ist so zu lesen, dass Hegel zufolge erst am Ende der Logik, in der absoluten Idee, jener Gedankengang abgeschlossen ist, der dem „einen Argument“ von Anselms Proslogion zu Grunde liegt und den Kant als „ontologisches Argument“ bezeichnet. An der zitierten Stelle geht es Hegel allerdings weniger um den Abschluss der Wissenschaft der Logik als um die Abgrenzung vom Gottesbegriff der herkömmlichen philosophischen Theologie. Obwohl es sich bei dem Gedanken der Objektivität noch nicht um die absolute Idee handle, sei sie „gerade um so viel reicher und höher als das Sein oder Dasein des ontologischen Beweises, als der reine Begriff reicher und höher ist als jene metaphysische Leere des Inbegriffs aller Realität“.23
Während die bisherige Metaphysik also dem Inbegriff aller Realität lediglich die abstrakte Bestimmung des Seins oder Daseins zuschreibt, erkennt Hegels Logik den reinen Begriff als ein konkretes Selbstständiges. Mit dem Schritt zur Objektivität unterläuft Hegel alle Einwände und Bedenken, die Gott oder das Absolute einseitig in den Bereich des Subjektiven verweisen wollen. Dem bloß Gedachten gegenüber stünde dann die Sphäre des Seins oder der Wirklichkeit, in der wir zwar die endlichen Dinge vorfänden, die aber nichts der Idee Gottes entsprechendes Objektives enthielte. Eine derartige Entgegensetzung, so Hegels Argument, treffe auf den Gegenstand des reinen Denkens nicht zu. Die objektive Allgemeinheit, von der die Begriffslehre handelt, sei sowohl eine Gedankenbestimmung als auch wirklich. Am Übergang vom subjektiven Begriff zum Objekt erweise sich die „spekulative Identität“ beider.24
Hat Hegel damit die Existenz Gottes bewiesen? Lässt sich die Wissenschaft der Logik im Ganzen als eine Art transzendentaler Theologie verstehen? Für eine solche Annahme spricht, dass Hegel sowohl den reinen Begriff als auch die absolute Idee mit dem Attribut „göttlich“ belegt.25 Doch reicht meines Erachtens dieser Befund nicht aus, um eine theologische Lesart der Logik zu rechtfertigen. Anders als an dem Gottesbegriff der transzendentalen Theologie kann an der hegelschen Idee des Absoluten nicht kritisiert werden, sie bleibe abstrakt. Das Ungenügen betrifft hier nicht die zur Anwendung kommenden metaphysischen Bestimmungen, sondern die Schwierigkeit, sie mit Gott zu identifi zieren. Die Rede von dem reinen Begriff oder der absoluten Idee als ‚göttlich‘ hat im Rahmen der hegelschen Logik nicht mehr als illustrierenden Charakter. ‚Gott‘ gehört ebenso wenig wie die ‚Welt‘ oder die ‚Seele‘ zu den im reinen Denken gelegenen Bestimmungen. Insofern ist die Wissenschaft der Logik weder rationale Theologie noch Kosmologie oder Psychologie.
2. Von der natürlichen Theologie zur Philosophie des absoluten Geistes
Thomas von Aquin beschließt jeden seiner fünf Wege zu beweisen, dass Gott ist, mit der lapidaren Feststellung: „Und das ist es, was alle Gott nennen“. Die Behauptung birgt durchaus Probleme, denn es ist etwas ganz Verschiedenes, von dem gelten soll, dass alle es Gott nennen: ein erstes Bewegendes; eine erste Wirkursache; etwas an sich Notwendiges; die Ursache jedweder Vollkommenheit; eine Intelligenz, von der alle natürlichen Dinge auf ihr Ziel hin geordnet werden.26 Unabhängig von der Frage, ob, und wenn ja, welche der fünf Beweisgänge jemand für überzeugend hält, setzt Thomas offenbar ein gewisses Vorverständnis des Begriffs von Gott voraus. Er geht nicht nur davon aus, dass es sich bei seinen Lesern um gläubige Christen handelt, de nen die dogmatischen Bestimmungen Gottes ohnehin geläufi g sind, sondern er verlässt sich darüber hinaus auf ihre Fähigkeit, den Gott des religiösen Glaubens eindeutig den genannten metaphysischen Bestimmungen zuzuordnen. Dem Gläubigen muss ohne Weiteres klar sein, dass beispielsweise ein erstes Bewegendes nichts anderes als Gott sein kann. Noch augenfälliger ist ein solches Vorgehen bei Anselm von Canterbury, wenn er am Anfang seines Proslogion nicht nur dem Gläubigen die Überzeugung zuschreibt, Gott sei „etwas, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann“, sondern außerdem auch dem Gottesleugner unterstellt, er bestreite die Existenz von „etwas, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann“.27 Also stimmen Gläubige und Ungläubige laut Anselm in ihrem metaphysischen Begriff von Gott überein.
Doch unter welchen Bedingungen kann von einem philosophischen Begriff gesagt werden, dass er Gott bezeichnet? Die Frage ist weniger trivial, als sie vielleicht klingen mag. Denn woher nimmt die philosophische Theologie ihren Gottesbegriff? Bereits Kant wandte gegen den kosmologischen Beweis vom Dasein Gottes ein, er enthalte zwar den Schluss auf die Existenz eines absolut notwendigen Wesens, aber um dieses näher zu bestimmen, müsse wiederum auf den Begriff des allerrealsten Wesens aus dem ontologischen Argument zurückgegriffen werden.28 An der Physikotheologie bemängelte Kant, sie beweise „höchstens einen Weltbaumeister, […] aber nicht einen Weltschöpfer“.29 Andererseits scheint Kant die Gleichsetzung Gottes mit dem ens realissimum als unproblematisch angesehen zu haben. Der Verdacht, dass der Begriff des allerrealsten Wesens unvollständig oder gar leer sein könnte, kam ihm offenbar nicht.30 Der Kritik Hegels an der Abstraktheit des Gottesbegriffs der rationalistischen Metaphysik sind wir bereits begegnet. Für Hegel ist der konkrete Begriff Gottes nichts, das die Philosophie einfach voraussetzen könnte, sondern er ist selbst das Ergebnis einer Entwicklung des Denkens. Hegel spricht zwar von dem „unbestrittensten Recht“ Gottes, „dass mit ihm der Anfang gemacht werde“, fügt aber einschränkend hinzu, dass alles das, was im Gedanken Gottes „mehr liegt als im reinen Sein“, „ins Wissen als denkendes, nicht vorstellendes, erst hervortreten“31 müsse.
Trotz seiner Kritik am Begriff des allerrealsten Wesens, und obwohl der konkrete Gedanke Gottes nicht den Anfang des philosophischen Systems bilden kann, schreibt Hegel in dem eingangs erwähnten ersten Paragraphen der Enzyklopädie, dass die Philosophie deshalb „eine Bekanntschaft mit ih ren Gegenständen“ voraussetzen könne, weil sie diese mit der Religion teile.32 Demnach besitzt der Gedanke des Absoluten einen vorphilosophischen Ursprung in der religiösen Vorstellungswelt.33 Nimmt man den Ausdruck ‚Gott‘ als die im Kontext der Religion gebräuchliche Bezeichnung für das Absolute, so lassen sich Hegels Bedenken gegen die philosophische Theologie dahingehend umformulieren, dass sie die Rede von Gott aus der Religion übernimmt, ohne die Bedeutung des Begriffs mit philosophischen Mitteln geklärt zu haben. Was Philosophen meinen, wenn sie von Gott sprechen, entstammt also mehr oder weniger diffusen religiösen Vorstellungen.34
An dem kontingenten Ursprung der Rede von Gott ist für Hegel insofern nichts auszusetzen, als jeder religiöse Inhalt als solcher „zunächst in der Form der Vorstellung vorhanden ist“.35 Wie er in seinen Berliner Vorlesungen darlegt, sind religiöse Überzeugungen nichts dem Subjekt unmittelbar Gegebenes, sondern etwas durch Vermittlung anderer Empfangenes. Im Regelfall sei es eine Frage der Erziehung und des Unterrichts, ob ein Mensch die Lehren und Gebräuche einer bestimmten Religion kenne. Selbst dann, wenn das religiöse Wissen auf Offenbarung zurückgeführt wird, handelt es sich dem Wortsinn nach um keine unmittelbare Einsicht, sondern etwas dem Subjekt Mitgeteiltes. Immer erklären die „äußerlichen Umstände“ der Vergangenheit, warum jemand mit dem Ausdruck ‚Gott‘ diese oder jene Bedeutung verbindet. Anders als philosophische Gedanken, die dem Subjekt selbst entspringen, gehört „zur Wirklichkeit der Religion“ ihre historische Bedingtheit „wesentlich und nicht zufällig“36. Thomas Buchheim drückt diesen Sachverhalt so aus, dass die philosophische Vernunft Gott immer nur vom Hörensagen kenne.37 Ohne die Religionsgeschichte mit ihren vielfältigen Erzählungen besitzt der Philosoph keine Vorstellung von dem, was mit dem Wort ‚Gott‘ gemeint ist.
Die Aufgabe der Philosophie besteht nunmehr darin, die religiöse Vorstellung von Gott zu dem Gedanken des Absoluten in Beziehung zu setzen. Gemäß der Einleitung zur Enzyklopädie soll die Philosophie ihre Fähigkeit erweisen, die Gegenstände der Religion „von sich aus zu erkennen“.38 Nach dem bisher Dargelegten kann damit nur gemeint sein, dass die Philosophie denjenigen Inhalt in Gedanken hervorbringt, den sie mit der Religion gemeinsam hat und über den letztere in der Form von Vorstellungen bereits verfügt – nämlich das Absolute. Anders als die natürliche Theologie bei Kant stützt sich der Prozess dieser Klärung nicht auf irgendeine der Selbsterfahrung des Menschen entlehnte Bestimmung.
Kant fasste die Physikotheologie und die Moraltheologie unter der Überschrift „natürliche Theologie“ zusammen, weil sie Gott in Analogie zur Natur des Menschen als intelligentes Wesen verstehen. Wenn etwa die Physikotheologie Gott als eine Art unendlicher Baumeister, Techniker oder Künstler begreift, der die Welt gemäß seinen Plänen und Absichten geordnet hat, liegt darin für Kant eine „anthropomorphistische Vorstellungsart des höchsten Wesens“.39 Die Moraltheologie verfährt in der entscheidenden Hinsicht ähnlich. Sie stützt sich auf die Annahme eines mit Verstand und Willen begabten Wesens, das die Absichten der Menschen erkennt und jedem, der sittlich handelt, diejenige Glückseligkeit zuteilwerden lässt, die er auf Grund seiner Taten verdient. Dem Postulat der praktischen Vernunft vom Dasein Gottes liegt demnach die Vorstellung eines heiligen Gesetzgebers, gütigen Regierers und gerechten Richters zu Grunde, die wiederum in der Natur eines vernünftigen Wesens fußt.40
Die hegelsche Philosophie des absoluten Geistes ist keine natürliche Theologie im kantischen Sinne. Hegel gewinnt seinen Begriff des Geistes nicht aus der menschlichen Selbsterfahrung. Der absolute Geist ist kein in Analogie zu endlichen Subjekten gedachtes unendliches Wesen. Am Gottesverständnis der natürlichen Theologie könnte Hegel vielmehr bemängeln, dass sie die unendliche Intelligenz und den ewigen Willen einseitig als bloßes Gegenüber zur Welt und zum Menschen auffasst, ohne die übergreifende Einheit des Endlichen mit dem Unendlichen, des Seins mit dem Denken, des Objektiven mit dem Subjektiven zu berücksichtigen.41 Hegels eigenes Verständnis des Absoluten hindert ihn keineswegs, den Ansatz der philosophischen Theologie beim Wesen des Geistes überhaupt gutzuheißen. Unter der – von ihm selbst nicht geteilten – methodischen Voraussetzung, dass „das Denken sich einen Ausgangspunkt nimmt und den nächsten nehmen will“, sei die geistige Natur „allein der würdigste und wahrhafteste Ausgangspunkt für das Denken des Absoluten“.42 Solange die Philosophie sich in Analogien bewegt, ist die Vorstellung von Gott als einem selbstbewussten und vernunftbegabten Wesen jedem anderen Vergleich mit endlichen Begebenheiten vorzuziehen.43
Gleichwohl beansprucht die hegelsche Philosophie, religiöse Vorstellungen – und seien sie auch noch so angemessen – in Begriffe zu verwandeln. Mit Blick auf den Gegenstand der natürlichen Theologie ergibt sich die Forderung, einen Begriff von Geist zu gewinnen, der in seiner Geltung nicht von vornherein auf den Bereich menschlicher Subjekte beschränkt ist. Nur wenn die Bedeutung von ‚Geist‘ ohne Bezugnahme auf den Menschen geklärt werden kann, lässt sich Gott als absoluter Geist bestimmen. Genau das leistet der dritte Teil des hegelschen Systems: Hegel entwickelt einen Begriff von Geist, dessen Merkmale nicht der Erfahrung entnommen und dessen Verwendung deshalb von den endlichen Erscheinungsformen des subjektiven und objektiven Geistes unabhängig ist.
Tatsächlich nennt Hegel als das „Wesen des Geistes“ in der Einleitung lediglich „die absolute Negativität des Begriffes als Identität mit sich“.44 Während diese Bestimmung, wie Hegel betont, abstrakt bleibt, insofern in ihr vom unmittelbaren Dasein des Geistes – beispielsweise als einzelner Mensch oder als konkreter Staat – abgesehen wird, besteht das entscheidende Kennzeichen des Geistes gerade darin, sich selbst zu besondern. Die einschlägigen Termini in diesem Zusammenhang lauten ‚Manifestation‘ und ‚offenbaren‘. Der Geist setzt nicht nur irgendeine von ihm unterschiedene oder ihm äußerliche Bestimmtheit, sondern in seinen Erscheinungsformen ist der Geist er selbst. „Die Bestimmtheit des Geistes ist daher die Manifestation“ oder „dieses Offenbaren selbst.“45
Von der Bestimmung des Geistes als Sichselbstoffenbaren erklärt Hegel schließlich, sie sei „die höchste Defi nition des Absoluten“.46 Doch was berechtigt ihn zu der Annahme, dass es sich bei der Defi nition des Absoluten als Geist zugleich um den Begriff Gottes handelt? Auf diese Frage antwortet meines Erachtens die Philosophie der Religion. Der gleichnamige Abschnitt der Enzyklopädie handelt bekanntlich vom Christentum als der geoffenbarten Religion.47 Hegel greift auf die herkömmlichen Vorstellungen und theologischen Lehren zurück: die Trinität, die Erschaffung der Welt, den Sündenfall des Menschen, die Menschwerdung und den Tod des Sohnes Gottes, die Einwohnung des göttlichen Geistes in der Gemeinde der Gläubigen.48 In allen diesen Elementen offenbart Gott sich selbst als das, was er ist, nämlich als absoluter Geist. „Der Inhalt der christlichen Religion ist, Gott als Geist zu erkennen zu geben.“49 Die Erkenntnis des Absoluten geschieht in der Religion dadurch, dass Gott sich selbst als Geist offenbart. Hegels Auffassung von Gott als Geist schließt das Verhältnis des Absoluten zum endlichen Subjekt ein. Gott wird nicht losgelöst von der Welt und vom Menschen gedacht, sondern als der sich in seiner Beziehung auf Anderes „Selbstbestimmende“.50
Mit der Bestimmung Gottes als Geist steht Hegel, wie er selbst meint, fest auf biblischem Grund.51 Gleichwohl lässt er sich den einschlägigen Begriff des Geistes nicht von der christlichen Tradition vorgeben, sondern gewinnt ihn, ausgehend von der absoluten Idee, in den realphilosophischen Teilen seines Systems. Solange die Kennzeichnung als absoluter Geist philosophisch ungeklärt ist, bleibt Gott „für das begreifende Erkennen nur ein Name“.52 Hegels Geistbegriff unterscheidet sich von der Idee des allerrealsten Wesens durch die Bezugnahme auf den Menschen als dasjenige Andere, in dem Gott sich offenbart und selbst erkennt. Im Gegensatz zum reinen Sein der Ontotheologie ist das hegelsche Absolute in sich differenziert. Der Geist „ist nur Geist, insofern er für den Geist ist“.53 Da es sich um das Absolute handelt, müssen der Geist, der für den Geist ist, und der Geist, für den er Geist ist, zwei Momente ein und desselben sein. Dennoch wird die religiöse Beziehung des Geistes auf sich selbst als Verhältnis Gottes zur Welt und zum Menschen vorgestellt.54
Betrachtet man Hegels Philosophie der Religion im Zusammenhang seines Systems, erweist sie sich demnach als philosophische Theologie. Durch die Einbeziehung des endlichen Subjekts in den Prozess der Selbstbestimmung Gottes verschränkt Hegel die philosophische Theologie mit der Religionsphilosophie. Losgelöst vom religiösen Verhältnis zum Absoluten gibt es kein philosophisches Wissen von Gott. Hegels Interesse gilt nicht nur der Religion oder den Religionen als psychologischem und kulturellem Phänomen, sondern dem begriffl ichen Bedeutungsgehalt religiöser Vorstellungen. Im Mittelpunkt seiner philosophischen Theologie steht die Bestimmung Gottes als Geist. Insofern sich der absolute Geist in der Religion manifestiert, holt die Philosophie den in religiösen Vorstellungen gelegenen Inhalt begriffl ich ein und zeigt von den einzelnen Elementen der Religion, dass sie dem Wesen des Geistes entsprechen.
Die Philosophie des absoluten Geistes ist gleichermaßen philosophische Theologie und Philosophie der Religion.55 Hegel überwindet die Trennung der Disziplinen, indem er das (objektive) Wesen Gottes an das (subjektive) religiöse Bewusstsein bindet und umgekehrt. Als rationale Theologie verhilft die Philosophie des absoluten Geistes zu der Einsicht, dass das Wesen Gottes darin besteht, sich selbst zu offenbaren;56 als Philosophie der geoffenbarten Religion schließt sie an eine bestimmte geschichtliche Gestalt des Geistes an. An diese spezifi sche Zuordnung der philosophischen Begriffsbildung zur Refl exion auf historisch bedingte religiöse Vorstellungen lohnt es sich meines Erachtens anzuknüpfen.
Fassen wir das Ergebnis der bisherigen Überlegungen kurz zusammen: Während Hegel sich vordergründig der kantischen Kritik der rationalen Theologie anschließt und die philosophische Gotteslehre durch eine Philosophie der Religion ersetzt, entwickelt er zugleich einen an die christliche Religion rückgebundenen Begriff Gottes als Geist. In der Wissenschaft der Logik kritisiert Hegel den Gottesbegriff der transzendentalen Theologie als leer und abstrakt. Dem Gedanken des allerrealsten Wesens stellt er sein Konzept der absoluten Idee gegenüber, die den Bezug auf ihr Anderes (das Sein, die Wirklichkeit) in sich fasst. Was allerdings fehlt, ist die Möglichkeit, das Absolute als Gott zu identifi zieren. Hegels Logik bietet demnach einen konkreten Begriff des Absoluten, ohne selbst philosophische Theologie zu sein. Die Bestimmung Gottes als Geist tritt erst im letzten Teil des Systems hervor. Dabei greift Hegel, wie deutlich geworden ist, auf die Vorstellungen zurück, die sich das Christentum von Gott gemacht hat. In der Philosophie der geoffenbarten Religion setzt er den Begriff des absoluten Geistes ins Verhältnis zum Gott des christlichen Glaubens. Im Unterschied zur natürlichen Theologie gewinnt Hegel seinen Begriff des Absoluten nicht durch die Entgegensetzung zum endlichen Subjekt, sondern mittels des Gedankens des Offenbarens seiner selbst. In der Philosophie der Religion bezieht er den Begriff des absoluten Geistes auf die Vorstellung, die sich vor allem das Christentum von Gott macht.
3. Hegel und die philosophische Theologie der Gegenwart
Beim Blick auf die Neuerscheinungen der letzten Jahre wird sich mancher verwundert die Augen reiben angesichts der Fülle philosophischer Bücher, die ‚Gott‘ oder ‚Theologie‘ im Titel tragen. Es lässt sich kaum bestreiten: Der Gott der Philosophen ist wieder im Kommen. Nachdem sich die Religion schon seit einiger Zeit nicht mehr totschweigen lässt, mehren sich neuerdings die Stimmen, die Gott als Thema für die Philosophie reklamieren. Richteten sich Henning Tegtmeyers „Prinzipien und Probleme der Natürlichen Theologie“ (Tübingen 2013) eher an das Fachpublikum, erreichen Volker Gerhardts mittlerweile in dritter Aufl age vorliegender „Versuch über das Göttliche“ (München 2014) und Holm Tetens’ „Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie“ (Stuttgart 2015) einen breiteren Leserkreis.57 So verschieden die zuletzt genannten Essays im Einzelnen sein mögen: Ihnen ist erstens gemeinsam, dass sie sich ausdrücklich in den Horizont des christlichen Glaubens stellen. Zweitens spielt bei der Klärung des Wesens Gottes sowohl für Gerhardt als auch für Tetens das Verhältnis zur Welt und zum Menschen eine entscheidende Rolle. Diese beiden Aspekte sollen hier etwas genauer beleuchtet werden.
Nachdem Tetens im ersten Abschnitt seines Buchs einige der Schwierigkeiten aufgezeigt hat, vor die sich der Naturalismus heute gestellt sieht, entwickelt er im zweiten und dritten Abschnitt seine Auffassung von Gott als Schöpfer und Erlöser der Welt. Zuvor zählt der Autor in einem einleitenden Kapitel einige Bedingungen auf, unter denen eine rationale Theologie möglich sei.58 Als Inhalt des von ihm vorgeschlagenen Gottesglaubens zitiert Tetens sodann mehrere Artikel aus dem christlichen Credo: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. […] Ich glaube an den Heiligen Geist, […] Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben.“59 Er wolle das Christentum nicht verteidigen, sondern orientiere sich lediglich an dessen Gottesbegriff.60 Obwohl der Glaube an Jesus Christus keinen Bestandteil von Tetens’ rationaler Theologie bildet, erläutert er seine Hoffnung auf die Auferstehung der Toten unter anderem mit dem Hinweis auf das Gleichnis vom Weltgericht aus dem Matthäusevangelium.61 Die Worte Jesu machten deutlich, dass der Gradmesser des Vertrauens auf Gott in der Solidarität liege, die der Gläubige seinen Mitmenschen gegenüber erweist. Wie der Rückgang auf den „antiken Text“62 des christlichen Glaubensbekenntnisses und das lange Zitat aus dem Neuen Testament belegen, entspringen die religiösen Vorstellungen, die Tetens’ Versuch, Gott zu denken begleiten, nicht der philosophischen Einbildungskraft, sondern haben ihren Ursprung in der Geschichte des Christentums.
Vergleichbares gilt für Gerhardts Versuch über das Göttliche. Er unterscheidet zwischen dem metaphysischen Begriff des Göttlichen63 und dessen religiöser Deutung als Gott. Im sechsten Kapitel seines Buchs bezieht Gerhardt die beiden Begriffe aufeinander. Er spricht, seiner „kulturellen Herkunft folgend, vom christlichen Gottesbegriff“ und fragt „nach den Chancen einer rationalen Theologie unter den Bedingungen des christlichen Glaubens“.64 Den wichtigsten Beitrag des Christentums erblickt Gerhardt in seiner „ganz auf die Individualität des Menschen gegründeten Universalität“.65 Aus ihr ergebe sich sowohl die Personalität Gottes als auch die Gotteskindschaft eines jeden Menschen. Während Tetens mit den christologischen Glaubensartikeln wenig anfangen kann, betont Gerhardt die „überlieferte Vorbildlichkeit des Lebens und Leidens des darin als göttlich erscheinenden Jesus von Nazareth“.66 Wie bei Hegel steht auch hier die christliche Religion als geschichtliche Erscheinung im Hintergrund der philosophischen Theologie.
Die zweite Rücksicht, unter der die rationalen Theologien Gerhardts und Tetens’ sowohl einander ähneln als auch eine gewisse Nähe zu Hegels Philosophie des absoluten Geistes aufweisen, betrifft das Verhältnis Gottes zur Welt und zum Menschen. Gerhardt beklagt die Einseitigkeit sowohl der Rede von der Transzendenz Gottes als auch des Begriffs des Pantheismus. So dürfe das Göttliche nicht „unter die Quarantäne der Transzendenz“ gestellt, Gott nicht „als transzendente Größe im Jenseits der Welt“ verstanden werden.67 Denn „als wahrhaft transzendentes Wesen“ könnte Gott „denen, die an ihn glauben, noch nicht einmal etwas bedeuten, außer vielleicht, dass er von Ewigkeit zu Ewigkeit das vollkommen Andere und notwendig Fremde bliebe“.68 Deshalb spricht Gerhardt von Gott als einem Moment der Welt und versteht unter dem Begriff des Göttlichen die Bedeutung, die das Ganze der Welt in den Augen des Menschen besitzt.69 Der Bezeichnung ‚Pantheismus‘ kann Gerhardt insoweit etwas abgewinnen, als es sich um eine Auszeichnung der Welt handle. Eine Welt, die göttlich heiße, könne niemand einfach verachten. Allerdings verwahrt sich Gerhardt gegen den „metaphysischen Egalitarismus“ des Pantheismus. Dass alles als göttlich gelte, sage zu wenig aus „über die Bedeutung der Welt in ihrer Relation zu uns und unserer Stellung in ihr“.70
Tetens überschreibt seine Metaphysik als „Panentheismus“.71 Ob es sich dabei um eine glückliche Wortschöpfung handelt, muss hier ebenso dahingestellt bleiben wie die Frage, welche anderen Denker als Panentheisten zu gelten haben.72 Tetens defi niert Gott als unendliches Ich-Subjekt oder unendlichen Geist. Gott sei der Urgrund des Seins und der Wirklichkeit, der alles, was der Fall ist, mit vernünftigen Gründen denkt und erkennt.73 Da Gott weder in der Welt noch außerhalb der Welt sein kann, ist alles ‚in‘ ihm, und zwar „in dem Sinne, dass es Inhalt vernünftiger Gedanken Gottes ist“.74 Wie für Gerhardt ist Gott auch für Tetens kein Gegenstand direkter Erfahrung, sondern dort gegenwärtig, wo Menschen in einer religiösen Beziehung zu ihm stehen, das heißt, wo sie „in ihrem Leben auf Gott hoffen, ihn loben, ihn in ihren Nöten anrufen, ihn fürchten und – das gerät angesichts der Theismusphobie so vieler Philosophen leicht in Vergessenheit – ihn vernünftig zu denken versuchen“.75
Die Art, wie Tetens Gott denkt, steht in Einklang mit der philosophischen Theologie Hegels. Gott gilt nicht nur (seinslogisch) als das Unendliche, in dem alles ist, oder (wesenslogisch) als das Absolute, das in allem wirkt, sondern er ist (begriffslogisch) zu fassen als Geist, der in seinem Anderen sich selbst erkennt. Hegels Philosophie des absoluten Geistes und Tetens’ „theistischer Idealismus“76 kommen in der Auffassung überein, dass rationale Theologie nur möglich ist als eine Theorie der (übergreifenden) Subjektivität. In ihr erfolgt die Bedeutungsklärung des Gottesbegriffs in eins mit der Bestimmung des Verhältnisses von endlichem Subjekt und unendlichem Geist.77 Der Gedanke der Selbstbestimmung und Selbsterkenntnis des Geistes im Anderen tut der Unendlichkeit oder Absolutheit Gottes keinen Abbruch. Im Gegenteil ergibt sich der Begriff Gottes als Geist – zumindest bei Hegel – überhaupt erst aus dem Versuch, Unendliches und Absolutes konsequent als solche zu denken. Dass es sich bei dem Unendlichen oder Absoluten um Gott handelt, kann der Philosoph nur dann einsehen, wenn er zuvor die Religion von Gott reden hört. Deshalb ist philosophische Theologie nach Kant nicht möglich ohne Philosophie der Religion.