Einen herausragenden Ansatz für die Erforschung der römischen Seefahrt bietet die Analyse der Schiffstypen und ihrer Leistungsfähigkeit. Erst wenn man die Eigenschaften und das Potenzial der römischen Schiffe kennt, lassen sich der Verlauf und die Kapazitäten antiker Seerouten berechnen und damit die kostenrelevante Dauer der Seereise ermitteln. Dabei kommt es darauf an, für jede Phase im Jahr die potenziellen Fahrzeiten zwischen den anzusteuernden Zielen zu ermitteln, mit denen der vormoderne Reeder oder Kaufmann angesichts seiner eigenen Erfahrung und der seiner Vorgänger bestens vertraut war und aufgrund derer er die Wirtschaftlichkeit seiner Handelsunternehmungen kalkulierte. Das ist der Grund, weshalb die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Rekonstruktion und Erforschung eines kaiserzeitlichen Handelsseglers gefördert hat, welche die Basis für die digitale Simulation von Seerouten und Fahrten liefert.
Benannt nach einer alamannischen Sklavin
Forschende und Studierende von Universität und Hochschule Trier haben das Schiff nach dem Wrack eines Anfang des 3. Jh. in der Bucht von Laurons zwischen Fos-sur-Mer und Marseille gesunkenen römischen Frachters bis ins Detail originalgetreu nachgebaut. Die Rekonstruktion war eine interdisziplinäre Anstrengung, bei der Fachwissen aus den Bereichen Geschichte, Technik und Archäologie gebündelt wurde. Das Schiff erhielt den Namen »Bissula« als Hommage an die Geschichte einer gleichnamigen Alamannin, die im 4. Jh. n.Chr. in römische Kriegsgefangenschaft geriet und später von dem aus Bordeaux stammenden und lange in Trier lebenden Senator und Dichter Ausonius freigelassen und geheiratet wurde. Das Hauptziel des Projekts besteht darin, die Leistungsfähigkeit dieses seetauglichen römischen Handelsschiffs zu untersuchen, um Einblicke in den antiken Seehandel zu gewinnen. Dabei kommen moderne Technologien wie elektronische nautische Messmethoden zum Einsatz.
Die »Bissula« ist ein reines Segelschiff, etwa 16 m lang und 5 m breit, mit einem Mast von 15 m Höhe. Obwohl sie zu den kleineren römischen Handelsschiffen gehört, konnte sie bei einem Eigengewicht von etwa 8 t bis zu 20 t Fracht befördern. Die Ladung bestand größtenteils aus Amphoren mit Wein, Öl, Lebensmitteln und Luxusgütern. Bei den experimentellen Erprobungsfahrten werden Betonsteine im Frachtraum als Ballast und Ladungssimulation genutzt, da das Schiff ein stabilisierendes Gewicht benötigt. Die Bissula kann mit vier bis fünf Personen gesegelt werden.
Der Bau der »Bissula« begann im Jahr 2017 an der Universität Trier. Unter der handwerklichen Leitung des Bootsbaumeisters Matthias Helterhoff und der wissenschaftlichen Leitung von Spezialisten des Fachs Alte Geschichte an der Universität Trier arbeiteten Wissenschaftler und insgesamt 80 Studierende und freiwillige Helfer zwei Jahre lang an der Rekonstruktion. Der Nachbau erfolgte auf der Basis von Plänen und Modellen, die von Ronald Bockius im Mainzer Leibniz-Zentrum für Archäologie und an der Hochschule Trier im Labor für Digitale Produktentwicklung und Fertigung unter Leitung von Michael Hoffmann erstellt worden waren. Das Projekt bot allen Teilnehmern die Möglichkeit, Geschichte auf einzigartige Weise zu erleben. Für den Bau wurden 25 Bäume verwendet, darunter zehn Eichen und 13 Kiefern sowie für Mast und Rah zwei Weißtannen, allesamt von der Stadt Trier gestiftet. Die feierliche Taufe des Schiffes durch die Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz Malu Dreyer fand schließlich im Juli 2019 in Trier statt.
Bewährung bei hohem Seegang
Die Bissula ist ein seetauglicher Handelssegler. Zwar konnten auf der Mosel seit 2019 in Kooperation mit Karl Hofmannvon Kap-herr (Maschinenbau, Hochschule Trier) die wesentlichen Daten zu den Segeleigenschaften erhoben werden, allerdings war es außerordentlich wichtig, auch die Wirkung des Wellenschlags auf See zu messen – am besten natürlich im Mittelmeer, woher der archäologische Befund stammt. Unterstützt durch die Nikolaus-Koch-Stiftung wurde die Bissula im Herbst 2023 nach Cannes gebracht, von wo aus umfangreiche Testfahrten vor der südfranzösischen Küste durchgeführt wurden.
Etliche Wochen konnte das Schiff bei unterschiedlichsten Wetterbedingungen und Wellen bis zu 4 m Höhe gesegelt werden. Dabei erwies sich gerade das durchaus gemischte Wetter als günstig, denn so konnten die verschiedenen Kurse zum Wind bei Windstärken von Schwachwind bis Sturm gemessen werden. Hierfür wurde ein digitales Messsystem aus dem Yachtrennsport eingesetzt, das man ursprünglich für den America’s Cup ent - wickelt hatte. Einige Reparaturen etwa an der Ruderanlage und am Mast konnten mit Bordmitteln durchgeführt werden, ansonsten war der Schiffstyp auch im Seegang und bei viel Wind außerordentlich stabil und gut zu segeln. Die Ergebnisse können sich sehen lassen, das Schiff lässt sich bei mäßigem Wind in einem Winkel von bis zu 60 Grad zur Windrichtung fahren. Das bedeutet allerdings noch nicht, dass man »gegen den Wind kreuzen« kann, aber wenigstens kann eine zu große Abdrift vermieden, die »Höhe gehalten« werden.
Im Zuge der Testfahrten in teils enorm rauer See und bei schwerem Wind hat die Crew der Bissula nicht nur eine Fülle an Kenntnissen, sondern auch großen Respekt vor den Fähigkeiten und dem Mut der römischen Seeleute gewonnen. Die Daten, die im Verlauf der Messfahrten aufgezeichnet wurden, werden jetzt in ein Polardiagramm eingebracht, das die Eigenschaften der Bissula beschreibt und so die Grundlage bildet für die nautischen Simulationen in einem DFG-Langfristvorhaben zu maritimen Verbindungen und ihrem Einfluss auf den antiken Seehandel. Für derartige Simulationen hat Pascal Warnking (Universität Trier/LEIZA) eine neue digitale Methode entwickelt.
Durch das Studium der antiken Seeverbindungen können wir die Anfänge der Globalisierung und des interkulturellen Austauschs nachvollziehen und besser verstehen, wie Handel und Kommunikation über weite Entfernungen hinweg funktionieren. Damit passt das Projekt bestens zum Forschungsschwerpunkt »Interdependenzen von römischen Wirtschafträumen« des FoRuM.