Das Legionslager Vetera castra bei Xanten gehört seit 2021 mit 43 weiteren römischen Militärplätzen zum UNESCO-Welterbe »Niedergermanischer Limes«. Bodenradarmessungen und Sondagen des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege im Rheinland vor den Toren des Legionslagers erbrachten ganz neue Erkenntnisse zur Bedeutung und Entwicklung der zugehörigen zivilen Siedlung. Die Untersuchungen der letzten Jahre lösten zugleich ein altes Rätsel: Wo genau lag eigentlich die Siedlung »in Art einer römischen Landstadt«, die der römische Geschichtsschreiber Tacitus unweit des Legionslagers beschreibt? Fragen zur inneren Struktur der beim Lager vorauszusetzenden Zivilsiedlung und die oben zitierte vieldiskutierte Stelle in den Historien des römischen Schriftstellers waren Anlass für die aktuellen Untersuchungen.
Im Angesicht der drohenden Belagerung von Vetera castra durch die aufständischen Bataver fällten Tacitus zufolge die Legionslegaten Munius Lupercus und Numisius Rufus im September des Jahres 69 n. Chr. eine folgenschwere Entscheidung: »Niedergelegt wurden die Bauten einer langen Friedenszeit, nicht weit vom Lager in Art eines Municipiums errichtet, damit sie nicht dem Feind von Nutzen wären.« Diese Beschreibung hat der provinzialrömischen Forschung viel Kopfzerbrechen bereitet. Vor allem die unklare Entfernungsangabe »haud procul« (nicht weit) sowie die Charakterisierung »in modum municipii« – in Art eines Municipiums, will sagen, einer römischen Landstadt – haben die Diskussion um Verortung und Gestalt dieser Siedlung bestimmt.
Der Niedergermanische Limes bildet als Ganzes die UNESCO-Welterbestätte »Grenzen des Römischen Reiches – Niedergermanischer Limes«.
Büro für visuelle Gestaltung/K. Pfeil; LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland/M.-Ch. Metternich,/S. Bö - decker, E. Rung; Modulbüro/H. Schneider; LVR-LandesMuseum Bonn/M. Pütz; Kartengrundlage GLOBE Task Team
Ausgrabungen des damaligen Provinzialmuseums Bonn auf dem Fürstenberg boten ab 1905 einen wichtigen Ansatz. Das Lager Vetera liegt am Südabhang des Fürstenbergs, einer Stauchmoräne, die Schutz vor den in der Flussaue des Niederrheins häufigen Überschwemmungen gewährte. Die Lager auf dem Fürstenberg werden daher heute auch als Vetera I bezeichnet, während die nachfolgende Lagerperiode, 1,5 km weiter östlich am Rheinufer errichtet, als Vetera II bezeichnet wird. Dieses Lager ist im Spätmittelalter allerdings der Erosion des Rheins zum Opfer gefallen. Hier auf dem Fürstenberg, unmittelbar im Südosten von Vetera castra, grub Hans Lehner zivile Siedlungsbefunde aus, vor allem Tuff- und Ziegelfundamente mit Funden aus den 40er- bis 60er-Jahren n.Chr. sowie eine diese bedeckende Brandschicht. Die Befunde aus diesem Grabungsschnitt waren für Lehner aussagekräftig genug, die von Tacitus erwähnte Siedlung »in Art eines Municipiums« mit der zerstörten zivilen Siedlung unmittelbar beim Legionslager gleichzusetzen. Grundrisse oder gar eine urbane Infrastruktur wurden bis zur Einstellung des Grabungsprojektes im Jahr 1933 allerdings nicht mehr erschlossen.
Wo lag die Zivilsiedlung von Vetera castra?
Die Deutung Lehners bestimmte von da an lange die Vorstellung einer ausgedehnten zivilen Siedlung vor den Toren des Legionslagers auf dem Fürstenberg. Es gab jedoch auch gute Gründe für eine Verortung dieser frühen, von Tacitus erwähnten römischen Zivilsiedlung an ganz anderer Stelle: Dort entdeckte man eine Siedlung des frühen 1. Jh. im Bereich der späteren Colonia Ulpia Traiana, ca. 3 km weiter nördlich gelegen. Diese Siedlung zeigte ein orthogonales Straßenraster, wie es gerade für urbane Zentren typisch war. Auch die Größe von fast 30 ha würde sich mit der Beschreibung des Tacitus gut vereinbaren lassen.
Großflächige, fahrzeuggestützte Magnetometermessungen in Kooperation mit dem Deutschen Archäologischen Institut hatten in den Jahren 2015 bis 2020 bereits großräumige Siedlungsstrukturen im Südosten des Fürstenberges ans Licht gebracht und ließen neue Erkenntnisse zur Diskussion der Tacitusstelle erahnen. Vor allem östlich des Amphitheaters, dessen Tribünen aus Erdwällen bis heute unter einem Wäldchen erhalten sind (A), zeigte sich eine Reihe von auffallend großen und befundarmen, rechteckigen Freiflächen, die sich als bebaute Plätze oder Hofanlagen (P1–P3) deuten ließen. Diese Anlagen führen die Bauflucht des Amphitheaters weiter (P1) oder nehmen die Orientierung der Haupstraßenachse (S1) auf, die der sogenannten Limesstraße entspricht, die von Südosten her auf das rheinseitige Tor des neronischen Lagers zulief. Klare Gebäudegrundrisse waren auf den Magnetogrammen jedoch nicht zu erkennen. Auch umfangreiche aktuelle Luftbildprospektionen durch die Ruhr-Universität Bochum zeigten intensive Siedlungstätigkeiten, ohne dass sich klare Befundmuster ergeben hätten.
Strukturen ziviler Bauten südöstlich des Lagers, erfasst durch das Bodenradar (rot die Sondageflächen).
LVR-ABR/L. Calenborn, M. Angendt
Rechs oben: Durch Interpretation der Radarmessungen konnte ein Stadtplan abgeleitet werden mit Portikus (P), Vestibulum (V) und einem zum Rheintal orientierten Osttrakt mit ungewöhnlich großen Räumen (R1, R2).
LVR-ABR/L. Calenborn, M. Angendt
Das sollte erst eine neue Möglichkeit zur Prospektion grundlegend ändern: Seit 2020 gehört ein fahrzeuggestütztes Bodenradarsystem zum Werkzeugkasten des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege im Rheinland. Mit den Transmitterantennen werden elektromagnetische Wellen in den Boden gesandt. Treffen sie auf die Grenze zweier unterschiedlicher Materialien, können sie reflektiert und von den Empfängerantennen – den Receivern – registriert werden.
Das von uns verwendete System ist ein »Impulse Radar Raptor«, der aus insgesamt 19 Antennen besteht mit einer Mittenfrequenz von 450 MHz. Zehn Transmitter und neun Receiver sind versetzt angeordnet, sodass sich 18 nebeneinanderliegende Kanäle mit einem Abstand von 8 cm ergeben. Mit den Transmitterantennen werden elektromagnetische Wellen in den Boden gesandt. Die Reflexionen werden von den Empfängerantennen beziehungsweise den Receivern registriert. Ihre Stärke und auch die Ausbreitungsgeschwindigkeit im Untergrund werden dabei von der Dielektrizitätskonstante und der Leitfähigkeit der verschiedenen Materialien im Untergrund bestimmt. Anhand der Zeitdifferenz zwischen Aussenden und Empfangen des Signals lässt sich die Tiefe der die Reflexion auslösenden Anomalie abschätzen.
Bodenradar erzeugt Stadtplan
Eine starke Reflexion der Radarwellen (schwarz) kann in unserem Fall meistens auf Stein- bzw. Geröllmaterial im Fundamentbereich von Gebäuden zurückgeführt werden. Die Bodenradarmessungen bescherten erstmals ein klares Bild der antiken Siedlungsstruktur und lassen auch die Funktion einiger Gebäudestrukturen erschließen.
Das nördliche Areal zeigt sich als langrechteckiger, blockartig geschlossener Komplex nördlich einer von Westen nach Osten verlaufenden Straße, durch die das gesamte Gebiet erschlossen wurde. Hier ist ein dynamisches Siedlungsgeschehen mit verschiedenen Bauperioden und leichten Änderungen in den Baufluchten vorherrschend, wie es für Stadtviertel mit einfacher Wohnbebauung sowie Handel- und Gewerbeeinheiten charakteristisch ist.
Bei Grabungen konnte das Rundsudatorium eines römischen Bades freigelegt werden.
LVRABR/ N. Heithecker
Südlich der Straße zeigt sich dagegen ein sehr stringentes Grundrissbild. Hier stießen wir auf die vielleicht größte Überraschung: Neben der Straße verlief eine Säulenhalle oder Portikus (P) entlang einer fast 100 m langen Gebäudefront. Über einen monumental hervorgehobenen Eingangsbereich, ein sogenanntes Vestibulum (V), gelangte man in den axial gegliederten Nordtrakt und weiter in einen Peristylhof mit einer Portikus auf allen vier Seiten. Ein gangartiger Raum leitete in Verlängerung der zentralen Eingangsachse nach Süden zu einem großen Innenhof mit drei- oder vierseitiger Portikus über. In seinem Zentrum liegt eine rechteckige, erst in tieferen Schichten fassbare Struktur, die sich als Wasserbecken deuten lässt. Ein zum Rheintal orientierter Osttrakt erreichte fast 100 m Länge. Hier fallen besonders große, repräsentative Räume auf: Raum 1 mit 133 m2 und Raum 2 mit 75 m2 . Raum 1 waren im Westen symmetrisch gegliederte Raumreihen vorgeschaltet.
Der Baukomplex nördlich und östlich der beiden Innenhöfe wirkt im Messbild wie aus einem Guss und weist so minimale Abweichungen vom rechten Winkel und römischen Fußmaß auf, dass man wohl eine einheitliche Planung und Bauausführung darin ablesen kann. Zudem finden sich hier keine Hinweise auf Umbauten.
Entlang der Südseite des großen Innenhofes bildet dann ein langrechteckiger Gebäuderiegel von 59 auf 16 m den südlichen Abschluss dieses Areals. Ein Raum mit abgerundeten Ecken lieferte ein wichtiges Indiz: Er ist charakteristisch für Badeanlagen, wo diese Raumform üblicherweise als »Rundsudatorium« angesprochen wird. Hier wurde ein gezielter Schnitt angesetzt, um Magnetik- und Radarmessungen zu überprüfen sowie den Erhaltungszustand zu begutachten.
»in modum municipii«
Auch wenn die Auswertung der Grabung derzeit noch läuft, stellt sich das römische Fundspektrum als relativ einheitlich dar und kann in das 1. Jh. n. Chr. eingeordnet werden. Weitere wichtige Erkenntnisse lieferten die verwendeten Baumaterialien: Die Fundamentierung des Rundsudatoriums war aus Ruhrsandstein und Lagen von tonigem Auenlehm gesetzt. Die massive Fundamentierung mit dem sehr widerstandsfähigen Sandstein erklärt, warum sich die Grundrisse so deutlich im Radar abzeichnen. Einen weiteren Faktor für den guten Kontrast bildeten sicherlich auch die Wetterbedingungen. Bei einer vorangegangenen Testmessung im Sommer 2022 nach einer längeren Trockenzeit zeigten sich zwar ebenfalls Gebäudegrundrisse, jedoch bei Weitem nicht so viele und insgesamt weniger kontrastreich. Bei der erneuten Messung im Winter 2023 war der Boden nass. Das Fundament und der umgebende Boden haben eine unterschiedliche Porosität, weshalb sie nicht die gleiche Menge Wasser aufnehmen. Ein großer Unterschied im Wassergehalt führt zu einer stärkeren Reflexion der Bodenradarwellen.
Magnetisch dagegen unterscheiden sich die Fundamente nicht ausreichend vom Untergrund. Die leichte Störung, die im Gebiet des Gebäudes in der Magnetik sichtbar ist, kann auch auf Ziegelbruch, der die Fläche durchsetzt, zurückzuführen sein. Da ein erhöhter Wassergehalt auf die Magnetisierung keinen Einfluss hat, würde auch eine wiederholte Messung die Mauern mit dieser Methode nicht abbilden.
Magnetometermessungen auf dem Fürstenberg bei Xanten: Zivile Befunde im südöstlichen Vorfeld des Lagers Vetera I. Erfasst wurden Hofan lagen (P1 – P3), die Haupt straße (S1) sowie Strukturen der verschiedenen Legionslager aus augusteischer bis neroni scher Zeit.
DAI/F. Lüth; LVRABR/ S. Bödecker
Ob der gesamte Gebäuderiegel oder nur der östliche Teil davon als Badetrakt zu deuten ist, bleibt noch offen. Damit verbunden ist auch die Frage, ob es sich hier um eine öffentliche Badanlage oder um eine residenzartige Anlage mit integriertem Bad handelt. Südlich davon ändert sich die Bauflucht noch einmal deutlich. Die Fundamente geben sich hier nur schwer zu erkennen. Auf der Oberfläche fallen das massive Auftreten von Mörtelfragmenten mit Ziegelkleinschlag, Bruchstücke mit Wandmalerei sowie eine Konzentration an römischem Fensterglas auf. Fensterglas gehörte, so der römische Schriftsteller Seneca, unter Kaiser Nero zum neuesten Schrei der Thermenarchitektur. Das frühe Vorkommen hier auf dem Fürstenberg belegt, wie schnell diese luxuriöse Technik in die Lagersiedlung einer Grenzprovinz gelangte.
An der Westseite der Messfläche zeigten sich dann teils Fundamente einer älteren Bebauung, darunter vermutlich ein Speicherbau von über 40 m Länge. Hier zeichnet sich bereits trotz der kurzen Existenz der Zivilsiedlung vor den Toren des Lagers eine starke Dynamik ab.
Große Rätsel bei der Interpretation der geophysikalischen Ergebnisse gab eine Struktur in der Nordwestecke der Fläche auf. Hier zeigt das Radar in allen Tiefenscheiben einen Bereich ohne Reflexionen, obwohl die Magnetik genau dort die stärksten Anomalien anzeigte. Um zu klären, ob wir es überhaupt mit einem römischen Gebäude zu tun haben und was diese unterschiedlichen Ergebnisse von Magnetik und Radar verursacht, wurde ein Sondageschnitt angelegt.
Die Brandschicht zeugt von den Ereignissen des Jahres 69 n. Chr., als nach Tacitus die Siedlung »in modum municipii« zerstört wurde.
LVRABR/ N. Heithecker
Unter einem zum Teil sehr mächtigen Bodenauftrag, der hier zur Nivellierung des Geländes aufgebracht worden war, zeigte sich in einer Tiefe von rund 1,20 m die mächtige Brand- und Ziegelschuttschicht eines römischen Gebäudes, dessen Größe aufgrund der magnetischen Anomalien mit etwa 50 m Länge und 20 m Breite geschätzt werden kann. Das wegen eines Brandes eingestürzte Dach bestand aus den dafür üblichen römischen Ziegeln, die man als tegulae und imbrices bezeichnet, und der darunterliegenden Holzkonstruktion, die sich in einer massiven Holzkohleschicht manifestierte. Die Ziegel waren teilweise mit dem Stempel der 15. Legion versehen. Die genauer datierbaren Keramikfunde aus diesem Bereich – darunter das Fragment eines Halterner Kochtopfes, ein südgallisches Terra sigillata-Schüsselfragment (Dragendorff 25, Hofheim 6) und ein rauwandiges Schüsselfragment (Hofheim 80B) – lassen sich zeitlich in das 1. Jh. n. Chr. einordnen. Scherben verschiedener Amphoren (Pascual 1, Camulodunum 184, Dressel 7) sprechen für den Import italischer Genussmittel in Form von katalonischem und griechischem Wein sowie südspanischer Fischsoße. Die Fundamente bestanden aus einer Lehm- und Kiesstickung, Tuffsteinfragmente stammen vom späteren Ausbruch, wohl des Sockelfundaments.
Das Brandereignis erklärt die starke Anomalie in der Magnetik. Durch die beim Brand entstehende Hitze ergibt sich eine remanente Magnetisierung entlang des Erdmagnetfelds. Warum sich die Ziegelschicht in den Radardaten nicht zeigt, muss noch geklärt werden. Wir sehen: Nicht nur die Bauweise eines Gebäudes und die verwendeten Materialen, auch die Art seiner Zerstörung hat starken Einfluss auf die Messbilder. Auch an anderen Stellen lassen starke Unterschiede von Magnetik- und Radarbefunden Brandereignisse mit Dachresten vermuten. Da die Sondagen möglichst denkmalschonend und mit Fokus auf methodische Fragen angelegt wurden, blieben naturgemäß viele Fragen offen, etwa zu Funktion und möglichen Bauphasen.
Für die grundsätzliche Frage aber, ob wir es im Südosten des Legionslagers Vetera I mit einer Siedlung des 1. Jh. n.Chr. »in modum municipii« zu tun haben, scheinen jedoch bereits die gegenwärtigen Erkenntnisse eine ausreichende Entscheidungsgrundlage zu bieten. Der oben beschriebene monumentale Gebäudekomplex zeigt deutliche Anleihen zu einer Architekturform, wie wir sie für diese Zeit eigentlich nur aus dem urbanen Kontext im mediterranen Raum kennen. Es handelt sich um sogenannte Peristylhäuser, jene großzügig und axial angelegten städtischen Wohnhäuser mit Innenhöfen, umrahmt von einem Kranz weiterer Raumeinheiten, untergliedert wieder in zentrale Bereiche mit großen repräsentativen Räumen für Empfänge und Gastmähler.
Aber auch in den Provinzen an den Grenzen des Reichs findet sich eine gute Parallele, etwa im sogenannten Praetorium in Cambodunum-Kempten. Der Bau wurde als Sitz des Statthalters der Provinz Raetien im 1. Jh. interpretiert. Auch wenn weitere Peristylhäuser in den städtischen Zentren der nordwestlichen Provinzen existierten und dort zu einer neuen Schicht von städtischen Eliten gehörte, so ist der Bau auf dem Fürstenberg aufgrund seiner enormen Größe und Lage unmittelbar an einem Legionslager bislang einzigartig und bedarf noch einer Deutung.
Kurze Geschichte des römischen Xanten
Unter Augustus (27 v.Chr. bis 14 n.Chr.) entstand wohl im Zuge der Germanenfeldzüge des Drusus 12 bis 8 v.Chr. auf dem Fürstenberg bei Xanten ein Lager für Legionstruppen – Vetera castra bzw. Vetera I. Nach dem Tod Neros 68 n.Chr. brachen Wirren aus, die am Niederhein im Jahr 69 zum Bataveraufstand und 70 zur Zerstörung von Vetera I führten. Schon 71 n. Chr. baute das römische Militär 1,5 km östlich ein neues Lager: Vetera II, wo bis ins 3. Jh. eine Legion stationiert war. Kaiser Trajan (reg. 98– 104) gründete auf dem Gebiet der heutigen Stadt Xanten um das Jahr 100 eine römische Kolonie: Die Colonia Ulpia Traiana bestand in ihrer ursprünglichen Form bis in die Zeit der Frankeneinfälle um 275.
Infrastruktur für den Statthalter?
Der Amtssitz des niedergermanischen Statthalters lag von Beginn der römischen Herrschaft am Rhein im heutigen Köln. Sollte dieser vielleicht bei Vetera über einen zweiten Sitz verfügt haben? Da Statthalter regelmäßig zu Inspektionsreisen und Gerichtstagen in ihrer Provinz unterwegs waren, musste auch eine entsprechende Infrastruktur für die standesgemäße Unterkunft sowie die Unterbringung eines großen Stabes vorhanden sein. Im Osten des Reiches konnte man dafür auf die ehemaligen Paläste hellenistischer Herrscher oder auch der städtischen Eliten, verbunden mit gesetzlich geregelter Aufwandsentschädigung, zurückgreifen. Doch in den germanischen Grenzprovinzen am Rhein musste Rom für angemessene Wohnarchitektur erst einmal selbst sorgen. Die Radarmessungen auf dem Fürstenberg berühren daher auch aktuelle Fragen zur Herrschaftsstruktur des Imperium Romanum.
Der Nachweis einer monumentalen Bebauung in bester mediterraner Tradition lässt aber die Worte des Tacitus nun im Kontext des Fürstenberges verständlicher werden. Der Großbau war zudem eingebunden in eine weitläufige, urban geprägte Siedlung mit mindestens einem Amphitheater und weiteren Platzanlagen sowie Siedlungsarealen, die noch Gegenstand zukünftiger Untersuchungen im Rahmen des Managements dieses bedeutenden Bestandteiles des UNESCO-Welterbes sind.
Eine Entscheidung, wo nun diese Siedlung »in Art einer Landstadt« lag und wie sie denn gestaltet war, ist dabei nicht nur von Bedeutung für die Geschichte des Xantener Raumes, sondern auch für unser generelles Verständnis der Entwicklung urbaner Siedlungsstrukturen an den Legionsstandorten. Denn diese hatten für Rom nicht bloß eine militärische Bedeutung im Rahmen der Sicherung der Grenzprovinzen nach außen, sondern auch eine hohe innenpolitische Bedeutung. Bei den über 10 000 hier stationierten Legionären handelte es sich um durchaus selbstbewusste römische Bürger, um deren Loyalität und Wohlwollen sich das Kaiserhaus mitunter sehr bemühen musste, wie etwa ein blutiger Aufstand der Legionen an Rhein und Donau gegen Dienst- und Entlassungs - bedingungen im Jahr 14 n. Chr. zeigte. Investitionen des Kaiserhauses in die Infrastruktur der Legionsstandorte auch über die reinen militärischen Anforderungen hinaus, etwa Errichtung und Unterhalt von Amphitheatern, sollten die Soldaten bei Laune halten. Auch sollten gerade die frisch eroberten Grenzregionen keinesfalls von Ausbeutung geprägt werden, dagegen hatte Augustus schon früh eine ganze Reihe an gesetzlichen Reformen durchgesetzt, vielmehr sollte in die Peripherie investiert werden, um die Akzeptanz römischer Herrschaft in den eroberten Gebieten zu sichern. Hier kam den Legionsstandorten und den dazugehörenden zivilen Siedlungen eine wichtige Rolle für die wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung zu. Allerdings ist die archäologische Quellenlage dazu im 1. Jh. n.Chr. sehr dürftig, während die Entwicklung der nachfolgenden Jahrhunderte uns ein reiches Bild von Legionsstandorten mit ihren urban geprägten Zivilsiedlungen bieten. Vetera kommt dabei aufgrund seiner endgültigen Auflassung im Jahre 70 n.Chr. eine wichtige Rolle als chronologisches Bindeglied zu.