Kannibalismus oder Kult?Die neolithische Grabenanlage von Herxheim

Wenn der Name Herxheim fällt, sind Worte wie spektakulär, einzigartig oder rätselhaft nicht weit – genauso wie offene Fragen: Wer waren die Menschen, deren Skelette hier vor 7000 Jahren sorgfältig zerkleinert in zwei parallele Gräben geworfen wurden? Warum hat man ihre Schädel zu Kalotten reduziert? Und wieso finden sich neben diesen Überresten zerschmetterte Mahlsteine und Scherben zerschlagener Prunkkeramik?

Im Herxheimer Museum werden hinter Fachwerk originale Zeugnisse des rätselhaften Ritualgeschehens präsentiert, genauso wie Details des örtlichen Geschäftslebens, in dem der Tabakanbau einst eine große Rolle spielte.
Im Herxheimer Museum werden hinter Fachwerk originale Zeugnisse des rätselhaften Ritualgeschehens präsentiert, genauso wie Details des örtlichen Geschäftslebens, in dem der Tabakanbau einst eine große Rolle spielte.© E. Keefer

Auf den ersten Blick sieht es aus, als habe sich da jemand gemütlich zum Schlafen zusammengerollt – die Beine angewinkelt, die Arme, ebenfalls gebeugt, nebeneinander vor dem Oberkörper abgelegt, den Kopf scheinbar sinnend auf die Seite gebettet. Allerdings wurde dieser Jemand, der da reduziert bis auf die Knochen in Hockerstellung in einer Vitrine im Museum Herxheim liegt, bereits vor 7000 Jahren zur ewigen Ruhe gebettet. Dieses Skelett, das erste vollständige, das in dem frühneolithischen Grabenwerk am Rande des bei Landau in der Südpfalz gelegenen Ortes entdeckt wurde, erhielt 1999, noch während der Ausgrabung, einen Namen: Herxi.

 

Ewiger Schlaf in Hockerstellung: Das erste vollständige im Grabenwerk entdeckte Skelett wird liebevoll Herxi genannt.
Ewiger Schlaf in Hockerstellung: Das erste vollständige im Grabenwerk entdeckte Skelett wird liebevoll Herxi genannt. Museum Herxheim

 

Besonders bei jungen Besuchern sei Herxi beliebt, erzählt Museumsleiterin Lhilydd Frank. Auf ältere Einheimische wirke er identitätsstiftend. Schließlich sei der im Alter von 35 bis 50 Jahren Gestorbene so etwas wie der Ureinwohner von Herxheim. Ihm erging es anders als seinen etwa 1000 Zeitgenossen, deren Knochen hier sorgfältig von allen Weichteilen befreit, in kleine Stücke zerschlagen und in Gräben deponiert wurden. Herxi hat diese Rituale überlebt und wurde »ordentlich«, nach damals üblichem Ritus, bestattet. Und hebt nun den ringsumher im Museum dokumentierten tausendfachen Tod gleichsam aus der Anonymität heraus.

Im vergangenen Jahr hat die Gemeinde im einst größten Tabakanbaugebiet Deutschlands, in dessen Umgebung noch heute einzelne Plantagen einen herben Duft verströmen und Trockenschuppen mit Holzlamellen an alte Zeiten erinnern, ihr 1250-jähriges Bestehen gefeiert. 773 wurde Herxheim erstmals in einem klösterlichen Besitzverzeichnis erwähnt. Aber der Ort ist viel älter. Um das Jahr 5300 v. Chr. ließen sich hier aus Südosten eingewanderte Neubürger nieder. An diese allerersten Ackerbauern und Viehzüchter, deren Zeitgenossen sich aufgrund ihrer veränderten Lebensweise und Ernährung schnell vermehrten, immer neue Gebiete erschlossen und bereits 50 Jahre später das Pariser Becken erreichten, erinnert das Modell eines neolithischen Hauses, das an einem Autokreisel am westlichen Ortsrand steht. Seine Pfostenkonstruktion lässt – ebenso wie ein quergearbeitetes Beil (auch Dechsel oder Schuhleistenkeil genannt) im Riesenformat und der Nachbau eines jungsteinzeitlichen Brunnens – die Anwesenheit der einstmals hier lebenden Menschen erahnen.

 

Herxheim-Spezialistin Andrea Zeeb-Lanz am Fundort: Das Modell eines neolithischen Hauses erinnert an das Dorf, das hier vor 7000 Jahren stand und von einem trapezförmigen Doppelgraben mit einzig artigem Inhalt umgeben war.
Herxheim-Spezialistin Andrea Zeeb-Lanz am Fundort: Das Modell eines neolithischen Hauses erinnert an das Dorf, das hier vor 7000 Jahren stand und von einem trapezförmigen Doppelgraben mit einzigartigem Inhalt umgeben war. E. Keefer

 

350 Jahre lang bestand diese Siedlung auf einem kleinen Lössplateau in der Nähe von Kling- und Schambach. Ihre maximal zehn von Nordwesten nach Südosten ausgerichteten Häuser standen inmitten eines doppelten trapezförmigen, gen Osten offenen Grabenrings. Soweit alles normal, wie für damalige Bandkeramiker – Menschen am Beginn des Neolithikums, die ihre Tonwaren mit bandartigen Verzierungen schmückten – üblich. Doch was dann ab 1996 in den Gräben entdeckt wurde, übersteigt alles bis dahin Bekannte und wirft Fragen über Fragen auf. Sind die hier geborgenen 80 000 Knochenfragmente und Scherben von etwa 35 000 Keramikgefäßen Reste eines schauderhaften Opferrituals? Wer waren die Toten und warum wurden sie zerstückelt?

Zerstörerischer Kalk

Doch der Reihe nach: Begonnen hat die Erforschung dieser einzigartigen Fundstelle, nachdem das Gelände, auf dem später eine Traktorenhalle, ein Kreisverkehr und ein Möbelhaus entstanden, zum Gewerbegebiet erklärt worden war. Zunächst wurde ein Teil des Areals bis 1999 bei einer Rettungsgrabung unter der Leitung der Archäologin Annemarie Häußer untersucht. Wie überall bestimmte die Zusammensetzung des Bodens das Bild, das sich den Archäologen bot: Innerhalb von 7000 Jahren hatte der sehr kalkreiche Löss die hinterlassene organische Substanz zersetzt – nur rudimentäre Reste von Hausgrundrissen, darunter Stücke von Hüttenlehm, waren erhalten, jedoch keine Gefäße aus Birkenrinde, keine Schuhe aus Rindenbast, keine Holzobjekte.

Und doch wurde auch hier mit organischen Materialien gearbeitet; das belegen Funde wie Spinnwirtel oder Webgewichte. In gläsernen Vitrinen können sie im Museum Herxheim von allen Seiten betrachtet werden. Rekonstruktionen von geschäfteten Dechseln (hier in Originalgröße) zeigen, wie das Werkzeug funktionierte oder wie mit Eberzahn-Klingen vom Fundort Holz entrindet werden konnte. Schmuckstücke aus Tierknochen oder Eberzahn deuten den großen Aufwand an, mit dem, wie es auf einer der zahlreichen, in kräftigem Orange gestalteten Informationstafeln heißt, »hochwertige Kleidungsstücke für unterschiedliche Zwecke« hergestellt wurden.

Als eine Zigarre noch drei Pfennige kostete: Die Geschichte des Tabakanbaus und seiner Verarbeitung wird im Museum Herxheim ausführlich erzählt.
Als eine Zigarre noch drei Pfennige kostete: Die Geschichte des Tabakanbaus und seiner Verarbeitung wird im Museum Herxheim ausführlich erzählt. E. Keefer

Im Museumshof jederzeit zugänglich: Das von verschiedenen örtlichen Gruppen und Vereinen gestiftete Histoarium, dessen Stationen wichtigen Wegmarken der Ortsgeschichte gewidmet sind.
Im Museumshof jederzeit zugänglich: Das von verschiedenen örtlichen Gruppen und Vereinen gestiftete Histoarium, dessen Stationen wichtigen Wegmarken der Ortsgeschichte gewidmet sind. E. Keefer

Während der Kalk im Boden die organischen Hinterlassenschaften der Bandkeramiker von Herxheim gleichsam aufgelöst hat, sind Knochen und gebrannter Ton umso besser erhalten. Doch nicht dieser Umstand sorgt seit 1996 für Aufsehen, sondern der fragmentierte Zustand der Funde. Von knapp 500 menschlichen Schädeln sind die Knochenteile unterhalb der Hutkrempe abgeschlagen, sodass lediglich die Kalotten, die Schädeldächer, übrig geblieben sind. An vielen Knochen sind Schnitt- und Schabspuren zu erkennen.

Wenn der Name Herxheim fällt, sind Worte wie spektakulär, einzigartig oder rätselhaft nicht weit – genauso wie offene Fragen: Wer waren die Menschen, deren Skelette hier vor 7000 Jahren sorgfältig zerkleinert in zwei parallele Gräben geworfen wurden? Warum hat man ihre Schädel zu Kalotten reduziert? Und wieso finden sich neben diesen Überresten zerschmetterte Mahlsteine und Scherben zerschlagener Prunkkeramik?

Die neolithische Grabenanlage von Herxheim

Im Herxheimer Museum werden hinter Fachwerk originale Zeugnisse des rätselhaften Ritualgeschehens präsentiert, genauso wie Details des örtlichen Geschäftslebens, in dem der Tabakanbau einst eine große Rolle spielte. Spannende Perspektiven bietet auch die Villa Wieser.

Rote Pfeile weisen im Museum darauf hin. Auch Tausende Scherben von einstmals prunkvollen Tongefäßen und mutwillig zerschmetterte Steinwerkzeuge gelangten in die Gräben. »Was da in diesem doppelten Graben lag, das hatte noch nie jemand vorher so gesehen«, fasst die Archäologin Andrea Zeeb-Lanz das Bild zusammen, das sich den Archäologen bei der Ausgrabung bot.

Projekt »Steinzeit-Ritualort«

Fünf Jahre nachdem die Leiterin der ersten Ausgrabung bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen war, hat Zeeb-Lanz begonnen, dieses so nie zuvor Gesehene zu erforschen. »Ich war sehr gut befreundet mit Annemarie und hatte das Gefühl, dass ich ihr Erbe antreten müsse.« Auch sei sie als Gebietsreferentin des Landesamtes für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz (heute Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz) für den Kreis Südliche Weinstraße zuständig gewesen, in dem Herxheim liegt. Häußers »Erbe« anzutreten fiel der tatkräftigen Fachfrau umso leichter, als sie ihr Studium sowie Grabungspraktika und 1997 ihre Dissertation beim, wie sie es formuliert, »Papst der Bandkeramik«, dem damaligen Lehrstuhlinhaber für Vor- und Frühgeschichte in Frankfurt am Main, Jens Lüning, absolviert hat. 2004 übernahm sie die Leitung des auf acht Jahre angelegten, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts »Steinzeit-Ritualort Herxheim«, zu dem auch eine weitere Ausgrabung gehörte.

Gleichzeitig kümmerte sie sich um die öffentliche Präsentation der Forschungsergebnisse. Dass der 10.000-Seelen-Ort Herxheim etwas besitzt, von dem die meisten Kommunen nur träumen können, ein Museum mit originalen Exponaten von einem Fundort in der Nähe, ist der großzügigen Unterstützung durch die Gemeinde geschuldet sowie zahlreichen Fachleuten, allen voran Annemarie Häußer, die sich von Anfang an darum bemüht hat. 2005 konnte das Museum, ein ehemaliger Bauernhof mit Fachwerk und einem Gewölbekeller aus der Zeit um 1600, eröffnet werden.

Ab 2009 – nachdem die Größenordnung des Fundplatzes und seine überregionale Bedeutung erkannt worden waren – konnte Zeeb-Lanz dann gemeinsam mit der Anthropologin Silja Bauer und dem Leiter der Forschungsgrabung Fabian Haack ein Konzept für eine erweiterte Ausstellungsfläche auf drei Stockwerken entwickeln. Geschickt sind hier, etwa am Haupteingang oder beim Übergang vom ehemaligen Stallgebäude zur Scheune, moderne Elemente aus Glas und Stahl mit der historischen Bausubstanz verbunden worden.

Während der Platz im ehemaligen Wohnhaus für Sonderausstellungen und Vorträge genutzt wird, erinnert im einstigen Stallgebäude eine ganze Legion von aus Eicheln gefertigten und bunt ausstaffierten Mäusen an das einstige Geschäftsleben Herxheims. Zu der von einer digitalen Präsentation ergänzten witzigen Darstellung von Läden und Werkstätten an der Hauptstraße des Ortes wie der Alten Apotheke von 1837 oder der »Taschenfabrik Gauly« gehört auch die »Ausgrabung Herxheim«: Drei Archäologen-Mäuse legen ein Skelett in Hockerstellung frei.

Auch das oberste Stockwerk der Scheune ist der Ortsgeschichte gewidmet. Hier geht es – etwa anhand verschiedener Tür- und Ziegelformen – um die Ausstattung der Häuser im 19. und 20. Jh., auch wird die Verarbeitung von Flachs erläutert. Und natürlich wird dem einst allgegenwärtigen Tabakanbau sowie der Herstellung von Zigarren ein gebührender Platz eingeräumt. Zu diesem Thema gehört ein ganz besonderes Exponat: ein Brautkleid aus Fallschirmseide, die im kargen Nachkriegsjahr 1947 illegal gegen Zigarren eingetauscht wurde.

»Venus von Herxheim«

20 Stufen tiefer steht der Besucher mitten in der Steinzeit; von der Empfangsdame allerdings ist nicht mehr viel übrig. Dennoch bewohnt sie eine eigene Vitrine. Handelt es sich doch bei dem tönernen Stück Unterbauch mit gut erkennbarer Vulva um nichts Geringeres als ein Idol, eine wahrscheinlich rituell zerschlagene »Venus von Herxheim«. Ein großformatiges Wandbild zeigt ihren einstigen Wirkungskreis: bandkeramische Siedler auf dem Gebiet des heutigen Herxheim, dahinter, vor schier undurchdringlicher Baumlandschaft, der Pfälzerwald. Wer sich mit der frühneolithischen Welt anhand von Originalen, Rekonstruktionen und Informationstafeln vertraut gemacht hat, kann den weiteren Abstieg wagen – zu Herxi, der im Keller der Scheune seinen ewigen Schlaf hält.

Bruchstück von hoher Symbolkraft: Relikt einer intentionell zerbrochenen Statuette, der »Venus von Herxheim«.
Bruchstück von hoher Symbolkraft: Relikt einer intentionell zerbrochenen Statuette, der »Venus von Herxheim«. E. Keefer

Hier dokumentieren an die 1500 Fundstücke aus dem trapezförmigen Doppelgraben ein einzigartiges, rätselhaftes Opferritual. Ein Grabenmodell in Originalgröße zeigt die hohe Konzentration der dort deponierten Objekte. Mit ihrem Forschungsteam, zu dem Wissenschaftler verschiedener Disziplinen wie Archäologie, Anthropologie oder Archäozoologie aus ganz Deutschland, Frankreich, der Schweiz und den Niederlanden gehörten, hat Zeeb-Lanz anhand von Keramikfunden aus den Gruben nachweisen können, dass dieser Doppelgraben erst am Ende der Linienbandkeramik – parallel zur letzten Besiedlungsphase zwischen etwa 5050 und 5030 v. Chr. – angelegt worden ist.

Auch handelte es sich dabei nicht, wie lange angenommen wurde, um eine Dauerbaustelle. Vielmehr wurden die einzelnen Grabenabschnitte, die nach und nach die Dorfumrandung bildeten, immer schnell verfüllt – mit zerkleinerten Menschenknochen und zerscherbter Keramik, »ganz gezielt mit Erde vermischt«, so Zeeb-Lanz. Zu dem riesigen Herxheim-Archiv, das seit 1996 entstanden ist und das sie derzeit für die große Grabungsdatenbank der GDKE Rheinland-Pfalz aufbereitet, gehören Tausende Fotos und Zeichnungen von Fundstücken, eine Unmenge an Messdaten sowie während der Ausgrabung angefertigte Skizzen.

Keramik von Kannibalen?

Sorgfältig in beschrifteten Kartons verpackt und in hohen Regalen aufgestapelt warten außerdem noch unzählige Funde auf die Bearbeitung: Menschen- und Tierknochen, Keramik und Knochengeräte, Hüttenlehm, Mahlsteine, Steingeräte … Viele Fragen ließen sich möglicherweise mit ihrer Untersuchung klären: Mit welchen Werkzeugen wurden die Gesichtsschädel von den Kalotten getrennt? Wurden diese Kalotten vielleicht als Geschirr verwendet? Anhand von Funden wie Schädeldächern, die nicht gleich nach der Ausgrabung säuberlich gereinigt worden sind, sondern noch Erdreste enthalten, könnten vielleicht Fragen nach der Ernährung der Bandkeramiker von Herxheim geklärt werden, sagt Zeeb-Lanz. Nur leider fehlen ihr dazu die Mittel.

Dieses schön verzierte Tongefäß wurde möglicherweise aus dem Elster-Saale-Gebiet für rituelle Handlungen nach Herxheim transportiert – und dort zerschlagen. Die Scherben konnten nach der Ausgrabung wieder zusammengefügt werden.
Dieses schön verzierte Tongefäß wurde möglicherweise aus dem Elster-Saale-Gebiet für rituelle Handlungen nach Herxheim transportiert – und dort zerschlagen. Die Scherben konnten nach der Ausgrabung wieder zusammengefügt werden. GDKE, Landesarchäologie Speyer / F. Haack

Doch im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Landesarchäologie der GDKE gehen die Untersuchungen weiter. Eine wichtige Fundkategorie bei der Suche nach einer Erklärung der Herxheimer Rituale ist die Keramik. Weist doch die Stilistik einzelner Verzierungen auf ihre Herstellung in verschiedenen geografischen Regionen hin. Im Scheunenkeller des Herxheimer Museums ist das anhand originaler Gefäßteile gut dokumentiert: der Pfälzer Stil, der im Rhein-Main-Gebiet übliche Stil (längliche Bögen mit Schraffuren), der in Böhmen gepflegte Šárka-Stil (der in Herxheim auf 180 Gefäßen vorkommt), das in der Elster-Saale-Region verwendete Dekor (auf 150 Gefäßen vertreten), das Dekor der Neckar- oder der Rhein-Mosel-Region, die Muster aus Bayern. Diese »Zierstilvarianten der jungen Linienbandkeramik«, wie der Titel eines im April dieses Jahres abgehaltenen Workshops mit Fachleuten aus den jeweiligen Regionen lautete, könnten Aufschlüsse auf die Herkunft, aber auch über Mobilität und Kommunikation der bandkeramischen Herxheim-Gäste geben – über Menschen, die ihre schönsten und wertvollsten Gefäße mitbrachten, um sie während ritueller Handlungen zu zertrümmern.

Dass die Menschen, die vor 7000 Jahren die Gräben mit Knochen- und Gefäßteilen verfüllt haben, das Fleisch von den Gebeinen ihrer getöteten Artgenossen geschabt und verspeist haben, hält Zeeb-Lanz dagegen für ausgeschlossen – im Gegensatz zu dem französischen Anthropologen Bruno Boulestin, der Mitglied ihres DFG-Forschungsteams war. Seiner Kannibalismus-These zufolge wurden die absichtlich getöteten Menschen wie Schlachtvieh zerlegt. In der Tat wurde in Herxheim keine einzige Rippe gefunden, bei der das innere Ende erhalten ist: ein Beweis dafür, dass die Wirbelsäule vom Körper gelöst wurde – auf eine Art, die Jägern als »Lever de l’échine« geläufig ist. Fehlende Knorpelenden an Mittelhandknochen hält Boulestin für einen Hinweis darauf, dass aus ihnen Knochenmark gesaugt wurde.

Rituelle Umformung

»Rituelle Verspeisung zu beweisen ist fast unmöglich«, gibt Zeeb-Lanz zu bedenken. Außerdem seien am Fundplatz keine neolithischen Koprolithen, also menschliche Exkremente, deren chemische Zusammensetzung den Verzehr von Menschenfleisch belegt, gefunden worden. Ihre »momentane Interpretation, was in Herxheim passiert ist«, beschreibt sie so: »Aus verschiedensten Gruppen der bandkeramischen Welt – sogar aus dem 400 km entfernten Böhmen – kommen Gemeinschaften nach Herxheim, die sich wohl auch untereinander kennen, vielleicht Clanbeziehungen haben. Die bringen Prunkkeramik mit, außergewöhnlich schön, in ihrem regionalen Stil verzierte Keramik. Sie bringen Steingeräte mit und sicherlich Getreide, das sie verzehren wollen in einem großen Festmahl. Und möglicherweise bringen sie auch tatsächlich diese Leute mit, die wir als Zerhackte im Graben gefunden haben.« Vielleicht seien diese Menschen als Opfer getötet, dann auf spezielle Weise zerlegt und entfleischt worden. »Das Ziel dieser ganzen Sache war wohl, diese Skelette zu etwas völlig anderem umzuformen.« Und alles, was bei einem solchen Festmahl verwendet wurde – Keramik, Mahlsteine, Steinbeile, aber auch die abgeschabten Knochen der Getöteten –, habe, weil »jetzt hoch ritualisiert«, nicht wieder profan verwendet werden können. Es musste zerstört werden.

Den gegenwärtigen Stand der Herxheim-Forschung referiert Zeeb-Lanz, die bereits zwei Fachpublikationen in englischer Sprache herausgegeben hat und an einer populärwissenschaftlichen Veröffentlichung arbeitet, unermüdlich. An die 400 Vorträge hat sie in ganz Europa schon gehalten. Wenn auch noch viele Fragen offen sind, ist sie überzeugt: Die bisherigen Ergebnisse haben das Bild vom Frühneolithikum verändert: »Der geistig-ideelle Hintergrund ist viel größer als bislang angenommen.«

Herxi hat sich mittlerweile zu einer Comicfigur gemausert, die im Museums-Shop einen Anstecker schmückt und in einem Museumsführer Kindern vom Beginn der Jungsteinzeit erzählt. Auch die Herxheim-Forscherin hat die Nachgeborenen im Blick: »Ein Drittel der Grabenanlage ist noch im Boden« (der mittlerweile zum Schutzgebiet erklärt wurde) – »als unsichtbares Museum, bewahrt für spätere Generationen«.

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